Bernhard Grün, der profilierte Studentenhistoriker, hat ein neues Buch vorgelegt; diesmal geht es um die Julius-Maximilians-Universität in Würzburg und ihre Studenten. Dieser Band illustriert deutlich, welchen Reichtum an studentischen Orten und Erinnerungen diese traditionsreiche Universitätsstadt bereithält. So mancher, der hier seine Seminare absolvierte, wird – korporiert oder nicht – bei dieser Lektüre erst feststellen, was er alles verpasst hat.
Der Autor dieses feinen, opulenten Bandes gehört dem KDStV Markomannia Würzburg an, er ist als leitender Arzt im Schwäbischen tätig. Er öffnet den Kennern und Liebhabern der alten, gemütlichen mainfränkischen Musenstadt die ganze wunderbare Welt, die jedem Studenten, der dies zu schätzen wusste, bereits ab dem ersten Semester zu Füßen lag. Und größerenteils noch liegt. Den Anfang macht ein gründlicher historischer Abriss, dem die Bilder zahlreicher Rektoren beigegeben sind. Analog dazu werden dann in dem nicht weniger sorgfältig recherchierten Abschnitt zum 19. Jahrhundert mancherlei Couleurkarten gezeigt – sie kamen gegen Ende dieses Jahrhunderts auf. Gründlich und sachlich die Schilderung der Not im und nach dem Ersten Weltkrieg, gut beleuchtet die Hintergründe, die den Grundstein zu neuem Übel legen sollten.
Eine Spezialität Grüns ist die Zeit des Nationalsozialismus, und hier insbesondere das Kameradschaftswesen. Seine genaue Kenntnis dieser besonderen Umstände, in die das gesamte Verbindungswesen durch den Nationalsozialismus gezwungen wurde, zeigt er auch am Beispiel Würzburgs. Höchst interessant ist dabei der relativ kurze Abschnitt zum Wiedererstehen der Korporationen, beginnend bereits 1940 mit den Würzburger Germanen – bis 1945 wurden schließlich in Würzburg über 700 Mensuren gestellt. Diese Zahl ist interessant, weil der Blick in die Paukbücher einen besonders obejtkiven Rückschluss zulässt auf die Aktivitäten der jeweiligen Verbindungen. Daraus lässt sich wiederum auf die Lebendigkeit des Korporationswesens insgesamt schließen.
In die richtige Relation setzt Grün sodann die Schäden, die durch das erneute Eindringen eines sozialistischen Geistes – verbunden mit vielerlei Versuchen der Dekonstruktion – in der Universitätsgesellschaft entstanden sind. Die linksextremen Auswüchse benennt er auf schonungslos, in dieser Form durchaus angebrachte Weise. Eine solide Darstellung der aktuellen Entwicklungen komplettiert diesen Abschnitt, der in seiner Gesamtheit bereits eine kleine, aber feine Würzburger Universitätsgeschichte darstellt. Grüns Darstellungen heben sich durch eine angemessene Schilderung der Korporationen angenehm von anderen, durchaus größeren Aufsätzen ab.
Und dann wird es bunt – eine reich illustrierte Vorstellung aller Würzburger Verbindungen folgt, zunächst die derzeit aktiven, wobei die aktuellsten Entwicklungen geschildert werden. Sehr interessant. Nahtlos folgt die untergegangenen Verbindungen, die insbesondere nützlich ist, um die Entstehung heutiger Verbindungen nachzuverfolgen und die auch den Lesern gute Dienste leistet, die sich das frühere korporierte Würzburg bildlich vorstellen möchten, zumal auch viele der derzeitigen oder ehemaligen Häuser abgebildet sind. Ganz selbstverständlich sind übrigens auch die jüdischen und die paritätischen – also die für Studenten jüdischen Glaubens ausdrücklich geöffneten – Verbindungen beschrieben. Das ist besonders verdienstvoll, denn dieser Teil des studentischen Traditionsreichtums, und es war nicht der kleinste, kann sich heutigen Studenten nicht mehr erschließen: 1933 ist er unwiederbringlich zerstört worden. Insgesamt 170 Seiten umfasst dieser informative Abschnitt, und sogar Kenner der Würzburger Farbenwelt dürften hier eine Menge neuer Hintergründe und Fakten finden.
Eine Liste mit bedeutenden Korporierten aus Würzburg, die sich anschließt, lässt ein deutliches Übergewicht von Angehörigen katholischer Verbindungen erkennen, was deutlich macht, wie stark der Bistumssitz am Main aus der durchaus religiös gebundenen Tradition schöpft. Eine Bildergalerie in diesem Teil des Buches hätte sicher die Bedeutung dieser Auflistung noch deutlich unterstrichen – es hätte schon gereicht, einige der bekannteren Gesichter zu zeigen. Ganz besonders erfreulich ist es sodann aber, ein richtiges kleines Liederbuch zu finden, in dem nicht weniger als 16 Lieder auf Würzburg und seine Schönheit annotiert sind – mehrheitlich sind auch die Noten annotiert. Chapeau!
Einen rundum schönen Band hat der WJK-Verlag produziert. Es ist gelungen, den vielzitierten, aber gelegentlich überstrapazierten Anspruch der „Coffeetable“-Eleganz mit einer hohen Qualität zu kombinieren, die auch wissenschaftlichen Ansprüchen genügen kann. So wurde zum Beispiel die mutmaßlich älteste Vor-Verbindung, der jüdische Verein „Dibbuk Chaberim“ von 1827, in diesem Band erstmals gewürdigt. Auch wenn, um kleinere Schwächen zu nennen, ein Lesefaden wünschenswert und ein Schutzumschlag sehr schön wäre. Etwas störend ist die nicht einheitliche Behandlung der Bildunterschriften – zuweilen fehlen sie ganz.
Insgesamt bleibt ein durchaus positiver Gesamteindruck. Ehemaligen Würzburger Musensöhnen (und -töchtern!) wird das Herz aufgehen. „Die Universität Würzburg und ihre Studenten von den Anfängen bis heute“ – diesem durchaus anspruchsvoll gewählten Untertitel wird der Band vollauf gerecht. Wer andernorts studierte, mag sogar ein wenig neidisch werden, dafür sorgen schon die zahlreichen Couleurkarten aus allerlei Dachverbänden, die durchgängig zu finden sind. Dem Autor wie dem Verlag kann zu einer gelungenen und höchst lesenswerten Band gratuliert werden!
Sebastian Sigler
Bernhard Grün, „Würzburgs Zauber packt uns wieder“ – Die Universität Würzburg und ihre Studenten von den Anfängen bis heute, WJK-Verlag Hilden 2020, geb., 391 Seiten, zahlr. Abb., ISBN 3-947388-65-3, 37,90 Euro.
Diese Rezension erschien zuerst im Studentenkurier, der Zeitschrift für Studentengeschichte, Hochschule und Korporation, herausgegeben von unserem Partner GDS.
2 Kommentare zu “Würzburgs studentisch-romantischer Zauber – bei Bernhard Grün wirkt er!”