Die 82. deutsche Studentenhistorikertagung hatte insgesamt 109 Besucher. Sie fand vom 28. bis 30. Oktober 2022 statt, in der Hauptsache auf dem Würzburger Rhenanenhaus. Die DGfH beging parallel den 100. Stiftungstag der Hochschulkundlichen Vereinigung, ihrer Vorgängerin, und gemeinsam mit dem AKSt feierte man dies auf einem von der DGfH ausgerichteten Festakt, zu dem auch die Universität und die Stadtspitze vertreten waren, im wundervollen Rokoko-Ballsaalder Rhenanen von 1720.
Die Tagung in Würzburg „glanzvoll“ zu nennen, scheint keine Übertreibung zu sein, denn mehrfach fiel dieses Wort. Die Mühe hat sich für alle Referenten, die rein ehrenamtlich tätig waren, und für auch alle Teilnehmer definitiv gelohnt. Kein Verband übernimmt bei den Tagungen des AKSt irgendwelche Spesen – lediglich einige Sachauslagen werden von CDA, GDS und CV-Akademie gutteils übernommen. So war es auch in Würzburg. Den Auftakt machte indes am Freitag, 28. Oktober 2022 um 15 Uhr die Deutschen Gesellschaft für Hochschulkunde (DGfH) mit einer Führung durch das von ihr finanziell getragene Institut für Hochschulkunde (IfH). Nahtlos ging es dann weiter bei der Landsmannschaft Teutonia Würzburg.
Dem AKSt gelang ein an wissenschaft- lichem Austausch reicher Nachmittag und nachfolgend ein wunderbarer Abend im Kneipsaal der „Teuten“. Den inhaltlichen Auftakt machte Dr. Stefan Greiwe (CC) mit seinem Vortag über die Studentenromane 1880 – 1925 unter dem Titel „Viel geliebt, noch mehr getrunken“; es handelte sich dabei, so der Referent, um das Genre der Korporationsliteratur. Dieser von ihm geprägte Begriff gibt dabei sehr genau eine Literaturgattung an, die sich mit dem Korporationswesen im Wilhelminischen Kaiserreich und in den Jahren unmittelbar danach beschäftigte, dabei eine damals vorhandene, gesellschaftliche Strömung aufnahm – und damals im übrigen stürmische Verkaufserfolge erlebte. Greiwe legte auch dar, wie dies Genre entstand, und leitete damit bruchlos über zu einem Literaten, der eine Generation zuvor stilprägend war.
Reinhard Prölß übernahm und stellte die bis heute beste Biographie des Dichters Viktor v. Scheffel vor, die er so bezeichnet, weil sie eine erschöofende Lebensdarstellung beinhaltet und nicht etwa zur verkappten psychologischen Studie auf eher unsicherem wissenschaftlichen Grund tendiert – geschrieben hat sie im übrigen einer seiner Vorfahren, Johannes Prölß.
Und völlig nahtlos ging der Abend weiter. Professor Raimund Lang leitete rund um die Scheffel-Lieder „in gewohnt professioneller und mitreißender Art“, wie Michael Hacker bemerkte, ein allgemeines Kommersliedersingen an, das er mit allerbestem, lexikalisch genauem und vor allem höchst amüsantem und somit doppelt wichtigen Wissen reich garnierte. Gleich zwei ausgezeichnete „Bierorgler“, beide vom AMV Würzburg, hatten sich eingefunden: Simon Storey – brillant! Dies noch gesteigert zur wirklichen Opernreife, wohlgemerkt auf dem Klavier, durch Moritz Metzner. Unter Leitung von Prof. Raimund Lang verklang der Auftaktabend somit „herrlich“!
Und das war erst der Auftakt. Zu Beginn des zentralen Tagungsteils am Sonnabend gedachten die zahlreich versammelten Studentenhistoriker der Verstorbenen. Pars pro toto nannte Tagungsleiter Dr. Sebastian Sigler die Namen von Professor Harald Lönnecker, Dr. Günter Zwanzig, Professor Rüdiger Döhler und Egbert Weiß. Den Anfang in der ersten Abteilung der Vorträge machte dann Professor Matthias Stickler mit einem erhellenden und gut strukturierten Vortrag in der wichtigen Disziplin der Historiographie in der Studentengeschichte. Den Anlaß dazu gab das 100. Gründungsjubiläum der DGfH – genauer: deren Vorgängervereinigung, der Hochschulkundlichen Vereinigung, die ab 1922 in Göttingen als Ein-Mann-Institution des Studentenhistorikers und nachmaligen Sängerschafters Paul Ssymank Bestand hatte und später zum Institut für Hochschulkunde umbenannt wurde; diese Tradition wird von der DGfH fortgeführt.
Dr. Gerd Mohnfeld schloß sich mit einer Analyse zur Geschichte der paritätischen Verbindungen im Burschenbundsconvent (B.C.) nach dem Zweiten Weltkrieg an. So wichtig es ist, zu wissen, daß es auch nach 1945 Verbindungen gab, die ausdrücklich für jüdische Studenten offen waren, aber die Religion erst gar nicht thematisierten, so ernüchternd fiel die Bilanz aus, die Mohnfeld machen mußte: 1973 musste die letzte von ihnen den Aktivenbetrieb einstellen – wegen der Unterwanderung durch linksextreme „68er“, vorwiegend vom SDS. Aber nicht nur deswegen, sondern auch wegen eigener Sorglosigkeit und Schlaffheit. Gründlich, klar, reflektiert und durchaus kritisch war sodann der Vortrag von Dr. Bernhard Grün zum Vaterlandsprinzip im CV, das als viertes Prinzip in der Epoche des Wilhelminismus von den meisten CV-Verbindungen eingeführt worden war, sowie zum heutigen Umgang damit.
Zwar war die Tagung der Wissenschaft gewidmet, aber ein echtes Barockschloß, dazu noch in Corpsbesitz, tat diesem Zweck keinen Abbruch. „Was ein Ort: Das Huttenschlößchen des Corps Rhenania!“ So freute sich Reinhard Prölß, denn: „eine besseres und würdigeres Ambiente für eine Jubelfeier schlichtweg nicht denkbar.“ Er bezog sich dabei auf den Festakt der DGfH zur Jahrhundertfeier, der später noch Erwähnung findet. Einstweilen aber wurde mittags ein Gruppenbild der anwesenden Teilnehmer gemacht. Es steht nun gleichwertig neben dem von 1954, der Tagung, auf dem erstmals nach dem Krieg der AKSt tagte und auf der die DGfH ihre Tradition ab 1922 bekräftigte; damals wie heute alle vereint im Dienst der Studentengeschichte.
Die 82. deutsche Studentenhistorikertagung wird wie gewohnt in einem Tagungsband dokumentiert. Dieser Band erscheint pünktlich zur 83. deutschen Studentenhistorikertagung in Rostock, 6. – 8. Oktober 2023. Der Tagungband „Jüdische Korporierte, jüdische Korpora-tionen“ wird rechtzeitig zum 100-Jahres-Jubiäum des AKSt, das vom 18. bis 20. Oktober 2024 in Heidelberg mit einer wissenschaftlichen Tagung begangen wird, verfügbar sein.
Subskription unter akst@sebastiansigler.de möglich
Die zweite Abteilung der 82. deutschen Studentenhistorikertagung wurde von Thomas Schindler eingeläutet. Er arbeitet an einem grundlegenden Werk über die Mitwirkung jüdischer Korporierter am Aufbau des heutigen Israel, das aber aufgrund mannigfaltiger Probleme rund um eine gewisse Pandemie noch nicht vollendet werden konnte. Nicht minder interessant war aber sein bereits publizierter, nun aktuell ergänzter Beitrag zu Rolle und Schicksal Jüdischer Studenten im Ersten Weltkrieg. Seine Charakterisierung, die durchaus über den von ihm selbst apostrophierten „Versuch“ hinausging, hatte ihren Schwerpunkt bei den Studenten und Alten Herren, die dem zionistisch geprägten Kartell Jüdischer Verbindungen (KJV) angehörten. Viele von ihnen fanden in Israel eine neue Heimat – wenn sie die Shoa überlebten.
Höchst aufschlussreich war, was Dr. Wolfgang Nüdling anschließend präsentierte. Schülerver- bindungen aus Würzburg haben einige der heute noch sehr bekannten Verbindungen am Ort maßgeblich geprägt. Aus ihren Reihen kamen in einigen Fällen die Gründer. Doch auch prägten immer wieder Würzburger „Pennäler“ die akademischen Verbindungen, zur besten Zeit gab es parallel 14 von ihnen. Die Abituria Wirceburigia, der Nüdling selbst angehört, bezieht sich im übrigen sehr bewusst mit hinzugesetztem Namen auf die von den Nationalsozialisten besonders stark verfolgte Wirceburgia im B.C. in der unter anderem der 1933 im KZ Dachau ermordete Sozialdemokrat Willy Aron aktiv war.
Alexander Stintzing schloss sich mit einem Vortrag über einen weiteren prominenten Sozialdemokraten an: Detlef Karsten Rohwedder. Wichtig war ihm dabei, zu zeigen, wie sehr der Unternehmenssanierer, der überaus geschätzte Staatssekretär und der immer kompetente Gesprächspartner Rohwedder von seinem Engagement bei der Leipziger Universitätssängerschaft zu St. Pauli in Mainz war, wo er während seines Jurastudiums ebendort seine Aktivenzeit durchlaufen hatte. Es gelang Stintzing, das vielfach noch unterschätzte Lebenswerk Rohwedders auszubreiten, und vor allem sein Wirken rund um die genial und in einvernehmlichem Dialog gelungene Sanierung des Hoesch-Konzerns schilderte er eindrucksvoll.
Der Samstagabend gehörte dann der DGfH. Reinhard Prölß schreibt: „Ein Festakt mit dem Kanzler der Universität, dem Würzburger Oberbürgermeister, Professor Stickler und als Gastgeber natürlich dem DGfH-Vorsitzenden Frank Nowak Onoldiae – und vor allem dem Festredner. Quizfrage: Wo liegt eigentlich der Ort Czernowitz? Die Universität Czernowitz? Wo zum Teufel liegt dieser Ort, von dem dieser Mythos ausgeht? Ich habe nachgeschaut – gefühlt kurz vor Odessa. Tatsächlich angesiedelt eher zwischen Rumänien, Moldawien, östlich Tschechiens, südöstlich von Polen und vor allem: in der westlichen Ukraine. Ein Schmelztiegel der Völker, schon seit jeher. Eine akademische wie studentische Hochkultur im östlichen Europa, von der nur Wenige wirklich etwas wussten. Und wer hielt einen farbenfrohen, kurzweiligen Vortrag, der fast eine Stunde dauerte, aber trotzdem viel zu kurz war, und dessen Lebendigkeit an nichts zu wünschen übrig ließ? ‚Unser’ aller Professor Raimund Lang! Einen besseren Referenten hätte sich an diesem Abend niemand wünschen können.“ Ein wirklich schönes Kompliment für unsere Kollegen von der DGfH! Das Speisenangebot des Buffets, das sich anschloss, war indes nicht vom AKSt, sondern von der DGfH organisiert worden, und vor allem die Aktiven waren sehr erfreut: Gemüse und Salat – wird häufig überschätzt. Lasagne und Schnitzel – läääuft! Feiner formulierte es Michael Hacker, als er schrieb, die Teilnehmer hätten sich an einem Buffet „erfreuen“ können, „dessen Organisation aber kleinere Schwächen offenbarte“. Trost spendete der gutsortierte Weinkeller des Corps Rhenania.
Am Sonntag ging es hinauf zum Käppele, wo Pfarrer Treutlein und Pater Dr. Winfried Schwab OSB die Korporierten herzlich begrüßten und den AKSt dem Segen Gottes anempfahlen. Abermals hat hier Reinhard Prölß das Wort: „Wer die Mühsal einen sonntäglichen Spaziergangs zu Germania nicht gescheut hat, der musste sich nicht beklagen – der Tagungsleiter höchstselbst hatte Brötchen besorgt, Frau Gerstein den Kaffee, die Germanen stellten eine Kaffeemaschine zur Verfügung und wir ‚garnierten’ den Fußboden in der Germa-nenkneipe reichlich mit Herbstblättern. Eine himmlische Aussicht auf Würzburg, von allen erhofft, wurde hier noch durch Nebel gehindert. Drum hinauf zum Käppele! Eine Messe war unser Ziel. Obwohl ich in den 1970er Jahren oft in Würzburg war – bis zum Käppele hatte ich es bis dato nicht geschafft. Die Messe mit Conzelebrant Pater Winfried war für uns wie geschaffen und offenbar von göttlichem Wirken erfüllt. Denn als wir die Kirche verließen, schien auf herrlichste Weise die Sonne, und großartig war der Blick über der Stadt und hinüber zur Festung. So pilgerten wir staunend die barocke Treppenanlage hinab und bis an die Mergentheimer Straße, zu Walhalla.“
Bei der KV-Verbindung Walhalla ange-kommen erwartete die Studentenhisto-riker ein Vortrag Pater Winfrieds, der im Kloster Ottobeuren beheimatet und im übrigen zweifacher Bandträger im CV ist, über das Wirken korporierter Priester im Reichstag während des Wilhelminischen Reiches. Eine aufschlussreiche Studie, stark statistisch geprägt, die das Funktionieren der parlamentarischen Willensbildung damals gut beleuchtete. Nochmals Reinhard Prölß: „Einen besseren Abschluß hätte es nicht geben können. Mit einer Träne im Knopfloch, weil diese schöne Tagung schon vorbei war, aber sehr dankbar gingen wir unserer Wege. Unserem Mentor Sebastian Sigler ein ‚Hoch, Hoch, Hoch’.“
Mit großer Vorfreude blicken die Studentenhistoriker nun auf die Tagung vom 20. – 22. Oktober 2023 in Rostock und vor allem auf das Jahrhundertjubiläum, das vom 18. bis 20. Oktober 2024 in Heidelberg gebührend, also vor allem mit einer wissenschaftlichen Tagung nach Art des AKSt, begangen wird. Diese Termine bitte bereits jetzt vormerken!
Das Programm zum Nachlesen:
F r e i t a g, 28. Oktober 2022 – A u f t a k t m i t K u l t u r
ab 16 h.m.c.t. AKSt im Film: Beiträge aus unserem Youtube-Kanal in voller Länge auf dem Teutenhaus. Beginn nach der Führung durch das IfH, zu der auf der Webseite des IfH durch die ihr Jubiläum feiernde DGfH eingeladen wird.
19 h.c.t. Fränkisches Buffet
20 h..c.t. Stefan Greiwe, CC: Studentenromane von 1880 bis 1925
anschl. Reinhard Prölß, WB: Viktor v. Scheffel und sein erster Biograph, Johannes Prölß
anschl. Kommersliedersingen unter Leitung von Prof. Raimund Lang, MKV, ÖCV
S o n n a b e n d, 29. Oktober 2022 – T a g u n g
ab 9 h.c.t. Morgenkaffee im Huttenschlößchen
9 h.c.m.t. Begrüßung und Totengedenken
10 h.s.t. Prof. Dr. Matthias Stickler, CV: 100 Jahre DGfH – Anmerkungen zur Geschichte der DGfH und des Instituts für Hochschulkunde an der Universität Würzburg – aktualisiert am 15.Juli
anschl. Dr. Bernhard Grün, CV: Das vierte Prinzip. Wandel und Wirklichkeit des Vaterlandsprinzips im CV
anschl. Dr. Gerd Mohnfeld, B.C.: Die paritätischen Verbindungen im Burschenbunds-Convent zwischen 1945 und 1973
12 h.m.c.t. Mittagsimbiß, auch für Gäste der DGfH
14 h.s.t. Thomas Schindler, CC: Jüdische Studenten im Ersten Weltkrieg. Versuch einer Charakterisierung – mit Schwerpunkt auf der Entwicklung im zionistischen Kartell Jüdischer Verbindungen, KJV
anschl. Dr. Wolfgang Nüdling, Abituria Wirceburgia: Würzburger Schülerverbindungen als Teil der lokalen Korporationsgeschichte
anschl. Alexander Stintzing, SB: Detlef Karsten Rohwedder – engagierter Sängerschafter, genialer Hoesch-Sanierer, Hoffnungsträger als Chef der Treuhand, Mordopfer der RAF
anschl. Regularien mit Planung für das 100-Jahres-Jubiläum des AKSt, 2024
18 h.s.t. Festakt der DGfH im Ballsaal des Corps Rhenania, Huttenschlößchen
Festrede von Prof. Raimund Lang, MKV, ÖCV: Vom Ursprung eines Mythos – die Universitätsstadt Czernowitz
S o n n t a g, 30. Oktober 2022 – P i l g e r n & M a t i n e e
9 h.m.c.t. Aufwärmen bei Germania
11 h.s.t. Pilgermesse in der Wallfahrtskirche Mariae Heimsuchung, dem „Käppele“
anschl. studentischer Pilgerweg bergab
12 h.m.c.t. Matinee beim KV Walhalla, darin: Winfried Schwab OSB, CV Für Gott und Vaterland – korporierte Priester im Deutschen Reichstag (1871 – 1918)
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