Am 9. und 10. November 1938 brannten in Deutschland die Synagogen. Das bewegte viele Menschen tief. Entsetzen und Tränen nicht nur in den jüdischen Gemeinden. Und nicht nur damals. Auch heute sind Menschen jüdischen Glaubens wieder Ziel des Hasses aufgrund eines religiös begründeten Mordbefehls. Im Heiligen Land geht die Zahl der Opfer in die Tausende, hierzulande wird das mit Palästinenser-Flaggen in der Hand bejubelt. Das darf in Deutschland nicht geduldet werden.
Das Gedenken des AKSt gilt seit 2021 ganz besonders den jüdischen Korporierten und jüdischen Verbindungen. Diese waren bereits ab 1933 allerschärfster Verfolgung ausgesetzt, viele dieser Korporierten starben. Auf der Webseite sind Vorträge zum Gedenken an Willy Aron, Fritz Löhner-Beda und Ludwig Marum abrufbar.
Für November 2021 war AKSt gebeten worden, eine Tagung an einer Universität durchzuführen, und zwar an der HfJS in Heidelberg, unter der Leitung von Hochschulrabbiner Shaul Friberg. Zum Abschluß der Tagung fand eine öffentliche Gedenkveranstaltung auf dem Platz der Alten Synagoge in Heidelberg statt. Rabbiner Shaul Friberg sang das jüdische Totengebet אֵל מָלֵא רַחֲמִים für die verfolgten, entrechteten und ermordeten jüdischen Korporierten und alle weiteren Opfer des Nationalsozialismus .
Im ganzen Land herrschten 1938 Terror und Unterdrückung. Über 1.400 Synagogen und jüdische Bethäuser wurden am Abend des 9. November 1938 in Brand gesteckt, die Deportationen jüdischer Mitbürger nahmen ein immer erschreckenderes Ausmaß an. Das ist speziell in diesem Jahr, in dem radikale Moslems einen neuen Krieg gegen Israel begonnen haben, eine quälend aktuelle Mahnung. Das erste Gedenken gilt der Studentenhistoriker gilt jedoch den Opfern der Reichspogromnacht und des gesamten Holocaust. Zu ihren Ehren sei hier ein Kapitel des Widerstands gegen Hitler entrollt.
Die Freiburger Kreise als Widerstandsgruppe im Dritten Reich
Als direkte Reaktion auf die Reichspogromnacht gründeten korporierte Freiburger Professoren zusammen mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche das „Freiburger Konzil“, das zu einem der Widerstandskreise gegen den Nationalsozialismus werden sollte. Lesen Sie hier, wie das geschah.
Böhm, Eucken, v. Dietze – diese Hochschullehrer sind in der Fachwelt nicht nur als Ökonomen, sondern als führende Köpfe der „Freiburger Kreise“ bekannt, und die stehen für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, ja, dort waren sie intellektuell führend. Längst hatten sie im jahre 1938 Lehrverbot für ihre Ideen, denn die von den Natonalsozialisten eingeführte – sozialistische! – Planwirtschaft lief ihren Ideen von einer freien Wirtschaft diametral zuwider. Der drei Ökonomen soll hier gedacht werden, weil es der 9. November 1938 war, nach dem sie sich zu einem „Freiburger Konzil“ zusammenschlossen. Sie waren die einzige Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus, die sich als Begründung für ihre Existenz direkt auf dieses Ereignis bezogen.
Bereits 1883 hatte der in Czernowitz lehrende Ökonom Friedrich v. Kleinwächter sein Werk „Die Kartelle“ verfasst, in dem die Grundzüge der Sozialen Marktwirtschaft enthalten sind. Eine Gruppe von Nationalökonomen, die ihr Zentrum in Freiburg im Breisgau hatte, formulierte ab etwa 1930 daraus das, was Deutschland und zugleich großen Teilen Europas ab 1948 Wohlstand und damit Frieden in Freiheit bringen sollte. Walter Eucken, Franz Böhm und Constantin v. Dietze lehrten zusammen mit Hans Großmann-Dörth und Adolf Lampe das, wofür ein weiterer Mitstreiter, Alfred Müller-Armack, einige Jahre später den Begriff „soziale Marktwirtschaft“ prägte. Ein Programm gegen jede Form des Sozialismus.
Böhm gehörte dem Corps Rhenania Freiburg an, Eucken war beim Corps Saxonia Kiel aktiv gewesen, v. Dietze zählte zu den Mitgliedern der Verbindung „Igel“ in Tübingen. Das „Freiburger Konzil“, dem sie alle angehörten, traf sich regelmäßig, immer in der Sorge vor Verhaftungen durch die Gestapo; schon bald arbeiteten die Ökonomen direkt und unmittelbar mit dem Kreisauer Kreis zusammen. Die heutige Wirtschaftsordnung in Deutschland ist damit eine mittelbare Frucht der Widerstandsarbeit gegen Hitler. Wie es dazu kam, ist ein Beispiel für unerschütterliche Prinzipientreue, für Mut und für Courage – beinahe hätten Protagonisten ihr Engagement allesamt mit dem Leben bezahlt.
Böhm, der Stichwortgeber
Franz Böhm war bei der Währungsreform und wenig später Bundestag ein wichtiger Stichwortgeber für Ludwig Erhard. Knapp zwei Jahre nach dem Übertritt in die wissenschaftliche Laufbahn im Jahre 1933 war seine Promotionsschrift „Der Kampf des Monopolisten gegen den Außenseiter als wettbewerbsrechtliches Problem“ erschienen. Im selben Jahr war auch seine Habilitationsschrift, die mit „Wettbewerb und Monopolkampf“ übertitelt war, bereits druckreif. Einer seiner Gutachter war Walter Eucken, mit dem Böhm wenige Jahre später, in der Zeit des Widerstands gegen das NS-Regime, sehr vertrauensvoll und auch konspirativ zusammenarbeiten sollte. Wobei es beiden nicht schwerfiel, ernsthaft und verbindlich zu kooperieren, hatten sie sich doch beide zu Studienzeiten einem Kösener Corps angeschlossen.
Im scharfen inhaltlichen Widerspruch zur nationalsozialistischen Ideologie bildete sich um Eucken, den eben habilitierten Böhm und den Lehrstuhlinhaber für Handelsrecht, Hans Großmann-Doerth, ein Kreis von Wirtschaftswissenschaftlern, der später „Freiburger Kreis“ genannt werden sollten. Dieser Kreis sollte, um das vorwegzunehmen, dem von Peter Graf Yorck v. Wartenburg und Helmut James Graf v. Moltke gegründeten Kreisauer Kreis in Fragen einer „Wirtschaftspolitik für ein Deutschland nach Hitler“ zuarbeiten. Das Generalthema dieses Kreises war: „Die Ordnung der Wirtschaft“, und Böhm brachte hier die Frage nach der Einheit von persönlicher und politischer Moral ein. Unkontrollierte Souveränität sah Franz Böhm kritisch, den Nationalsozialismus bekämpfte er aus innerster Überzeugung. Das wirtschaftliche Handeln war für ihn dabei eine Spielart politischen Handelns. Er formulierte: „Der Wettbewerb ist das großartigste und genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte.“ Spätestens mit Sätzen wie diesem war er ein erklärter Feind der Nationalsozialisten.
Seit 1933 stand Franz Böhm mit Carl Friedrich Goerdeler in brieflichem Kontakt, die Freiburger gehörten damit schon sehr früh zum großen Netzwerk des Widerstands gegen Hitler. Als direkte Reaktion auf die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 gründeten die Freiburger Ökonomen zusammen mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche das „Freiburger Konzil“. Sie waren die einzige Widerstandsgruppe, die sich als Begründung für ihre Existenz direkt auf dieses Ereignis bezogen.
Eucken, der Prophetische
Walther Eucken zitierte zu Lebzeiten gerne Johann Wolfgang v. Goethe mit folgendem Satz: „Ich dächte, jeder müsse bei sich selber anfangen und zunächst sein eigenes Glück machen, woraus denn zuletzt das Glück des Ganzen unfehlbar entstehen wird.“ Diese Sicht einer Lebensführung, die über ein Wirtschaftsprogramm weit hinauswies, lief den Zielen der nationalsozialistischen Bewegung völlig zuwider. Eucken wußte das durchaus. Dementsprechend gab er sein Kieler Sachsenband zurück, nachdem er in Kiel auf seinem Corpshaus eine Nähe zur NS-Ideologie hatte bemerken müssen.
Früh gehörte Eucken zu denen, die völlig ohne Illusionen die Lage überblickten. Am 21. Oktober 1935 er in sein Tagebuch: „Alle Juden werden beurlaubt oder aus dem Staatsdienst entlassen. Überall Mißhandlungen. Diese Sünde, die das deutsche Volk begeht, indem es wehrlose Menschen seelisch und körperlich mißhandelt, wird sich an ihm furchtbar rächen. Gott ist auch ein rächender Gott.“ Selbst hielt er an der Freundschaft zu dem aus einer jüdischen Familie stammenden Philosophen und Mathematiker Edmund Husserl, der von der Gestapo schwerstens schikaniert wurde, unbeirrt fest.
Die Denkschriften des Kreisauer Kreises
Früh muss es Kontakte zwischen Eucken und dem Mitgründer des Kreisauer Kreises, Peter Graf Yorck v. Wartenburg, gegeben haben, da dieser zeitweise als Referent in der Arbeitsgemeinschaft Preispolitik, einer dem Reichswirtschaftsministerium zugeordneten Behörde, tätig war. 1940, spätestens 1941, erarbeiteten Eucken zusammen mit Böhm und den weiteren Mitgliedern des „Freiburger Konzils“ eine Denkschrift, in der zum Ausdruck kam, dass das im Römerbrief, Kapitel 13, niedergelegte Gebot für Christen, der Obrigkeit zu folgen, für eine Regierung außer Kraft gesetzt sei, die Greueltaten wie die T4-Morde und den Völkermord an den europäischen Juden verübe. Hier bestehe im Gegenteil ein Recht auf Widerstand bis hin zum Tyrannenmord.
Die Denkschrift zum Tyrannenmord in Verbindung mit den Forschungen zur Marktwirtschaft gelangten wahrscheinlich über v. Dietze zu Dietrich Bonhoeffer, denn beide waren Bundesbrüder bei der Tübinger Verbindung „Igel“. Im Spätsommer 1942 nach Freiburg kamen Bonhoeffer und auch Goerdeler dann persönlich nach Freiburg, um weitere, ausführlichere Arbeitspapiere für die in Berlin tagenden Widerstandskreise zu erbitten, die auch zur Vorlage auf einer von der Anglikanische Kirche geplanten Weltkirchenkonferenz, die möglichst bald nach dem Ende des Krieges stattfinden sollte, vorgesehen war. Vom 17. bis 19. November 1942 wurde dies Papier unter dem Vorsitz Goerdelers in Freiburg in geheimer Tagung erarbeitet. Das Papier trug den Titel „Politische Gemeinschaftsordnung. Ein Versuch zur Selbstbestimmung des christlichen Gewissens in den politischen Nöten unserer Zeit“. Es war im Januar 1943 fertiggestellt. Im Januar 1943 war das über 130 Seiten starke Werk vollendet; es wurde in einigen wenigen Exemplaren hergestellt. Ein Exemplar, das auf einem Bauernhof im Südschwarzwald versteckt war, hat überdauert und wird heute im Bundesarchiv Koblenz aufbewahrt.
Die Arbeiten der verschiedenen Freiburger Kreise waren im Juli 1944 so weit gediehen, daß sie eine Grundlage für die Wirtschaftsordnung eines auf Freiheit und Demokratie gegründeten Staates bieten konnte. Die Tätigkeit der Freiburger für den Kreisauer Kreis kann dabei nicht hoch genug eingeschätzt werden. Einer der profiliertesten Fachleute für den Widerstand gegen Hitler, Günter Brakelmann, urteilt wie folgt: „Die Freiburger und Kreisauer Kreise dürften unter den deutschen Widerstandsgruppen das größte intellektuelle Potential bei sich versammelt haben.“
Nur durch unglaubliche Zufälle überlebt
Dies alles wäre mehr als genug gewesen, um die Freiburger Widerstandskämpfer um Böhm und Eucken an den Galgen zu bringen. Die Gestapo hatte im Spätsommer und bis in den Herbst 1944 nach und nach viele behördlich bekannten Mitglieder der Freiburger Widerstandsgruppen verhaftet, darunter auch die Professoren v. Dietze und Lampe; in der Haft erpressten Gestapo und SS unter Folter die Namen weiterer Mitglieder des damals bereits so genannten „Freiburger Denkschriftenkreises“. Dabei verstanden die Verhörenden Gestapo-Beamten während der Folterung des gleichfalls zum Freiburger Widerstand gehörenden Jens Jessen offenbar, ein „Pfarrer Böhm“ habe an der Schrift mitgearbeitet. Wie die Folter ausgesehen haben könnte, belegt der Hörfehler der „verhörenden“ Gestapo-Männer auf schaurige Weise.
Allem Anschein nach hat aber genau dieser Irrtum oder auch Hörfehler dem Widerstandskämpfer Franz Böhm das Leben gerettet, denn die Gestapo suchte im Zusammenhang mit den Schriften der Freiburger Kreise definitiv nach einem „Pfarrer Böhm“. Zwei unschuldige Menschen hat diese Suche in das Konzentrationslager gebracht. Zunächst den katholische Priester Franz Boehm, der nach dem 20. Juli 1944 verhaftet und in das KZ Dachau verschleppt wurde. Dieser Franz Boehm starb dort am 13. Februar 1945, ihm wurde notwendige medizinische Hilfe verweigert. Böhm, der wirklich Gemeinte, stellte später die Vermutung an, die Verwechslung mit ihm habe den Berliner Pfarrer Hans Böhm betroffen, der 1936 zu den Unterzeichnern der Denkschrift der Bekennenden Kirche an Hitler gehört hatte, seitdem intensiver Verfolgung ausgesetzt war, im Nachgang zum 20. Juli 1944 ebenfalls in Gestapo-Haft genommen wurde, das Dritte Reich aber knapp überlebte.
Nach der Diktatur
Die soziale Marktwirtschaft, vom „Freiburger Kreis“ zu einer Zeit gedacht, als die Verwirklichung in unabsehbarer Ferne zu liegen schien, war ab 1948 im westlichen Teil Deutschlands Realität. Ihre Einführung gelang dank der Tatkraft eines Ludwig Erhard. Franz Böhm blieb auch in den Folgejahren der wichtige und im übrigen höchst einflußreiche Stichwortgeber für Erhard, vor allem im Kartellrecht, aber auch in der Umsetzung ordoliberaler Grundsätze. Die Gedanken Franz Böhms und der Freiburger Schule flossen bei der Formulierung des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ein, sie sind im Artikel 28 niedergelegt. Ludwig Erhard schrieb: „Es ist nicht zu bestreiten, daß ohne Franz Böhm, seine Lehren und Gedanken die Durchsetzung der sozialen Marktwirtschaft viel größeren Widerstand zu überwinden gehabt hätte.“
Der vielleicht wichtigste Teil der politischen Arbeit für die Bundesrepublik, den Franz Böhm zu leisten berufen wurde, war die Leitung der Delegation, die mit dem 1948 gegründeten Staat Israel und den jüdischen Weltorganisationen über Aussöhnung und Wiedergutmachung verhandelte. Böhm hatte in den hier eine enorme Aufgabe zu meistern, denn sowohl von deutscher wie von israelischer Seite standen fast unlösbar große wirtschaftliche wie menschliche Fragen auf dem Spiel. Am 10. September 1952 konnten die Verhandlungen von Konrad Adenauer, der mehreren KV-Vereinen angehörte und dem Heidelberger Korporierten Nahum Goldman, der dort der Ivria angehörte, erfolgreich zum Abschluss gebracht werden; einen Hauptteil der Arbeit hatte Franz Böhm geleistet. Die „politische und soziale Bedeutung der Wiedergutmachung“ bewegte Böhm auch in den Folgejahren sehr, und sein Freund Yohanan Meroz bescheinigte ihm: „Für die Menschen meines Landes ist Franz Böhm ein bewunderter Träger wahrer Versöhnung und echten Sichverstehens.“
Die Gedanken Franz Böhms sind auch im Jahrhundert nach ihrer Formulierung bedeutende Anregung und Ansporn. Gerade angesichts der aktuellen Herausforderungen ist diese Formulierung von ihm so brillant wie prophetisch: „Die Menschennatur hat die Möglichkeit zum Guten und Bösen. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft, dafür zu sorgen, dass die Möglichkeiten zum Bösen kleinbürgerliches Format behalten.“
Sebastian Sigler