Wien im Spätmittelalter – die Stadt, die Universität, die Studenten

Spannungen zwischen Einzelakteuren – also zumeist Studenten – und der Obrigkeit waren an den Universitäten Mitteleuropas immer präsent. In Wien begann das bereits 1365, denn so alt ist die dortige Universität. Markus Dieminger, Geschichtsstudent aus München, hat über Konflikte und Friedensstiftungen vom 14. bis ins beginnende 16. Jahrhundert gearbeitet. Hier gibt er erste Einblicke in eine größere Arbeit, die demnächst auch bei uns erscheinen wird.

Historische Darstellung der Alten Universität in Wien mit Jesuitenkirche; Ausschnitt aus einer Handzeichnung, Quelle: Wikimedia Commons.

Am 12. März 1365 gründete Herzog Rudolf IV. via Stiftsbrief die Alma Mater Rudolphina in Wien mit seinen Brüdern Albrecht III. und Leopold III.[1] Die Idee war, Wien „als politisches, geistliches, kulturelles und wirtschaftliches Zentrum“ der Dynastie aufzubauen.[2] Eine Universität symbolisierte Luxus und brachte der Stadt Prestige, man war auf Augenhöhe mit Bildungszentren wie Prag.[3] Papst Urban V. stimmte der Errichtung des Generalstudiums in Wien mit der Bulle vom 18. Juni 1365 zu.[4] Bereits bei der Gründung der Universität in Prag 17 Jahre zuvor war das Amt des Kanzlers der Universität mit dem Amt des Erzbischofs – und die Einrichtung als solche auf das engste mit dem Erzbistum – verbunden worden,[5] man versuchte, eine Hauptstadt mit der Universität zu generieren, wobei eine Erschließung des urbanen Raumes mittels verbundener Klöster erfolgte.[6] Auch die Universitäten Bologna, Paris und Oxford haben ihre Wurzeln in der Kloster- und Kirchenstruktur des 12. und 13. Jahrhunderts.[7] Ihnen allen war gemeinsam, dass sie für die Ausbildung der Juristen und Verwalter von Kirche und Herrscher sorgten.[8]

So geschah es auch in Wien. Bereits im Stiftsbrief vom 16. März 1365 wird ein religiöser Wunsch Herzog Rudolfs nach einer engen Verbindung von Kollegiatskapitel zu St. Stephan und Universität ersichtlich.[9] So hatte der Schulmeister zu St. Stephan auch die oberste Schulaufsicht in Wien und 24 Kanonikate des Kapitels waren von Magistern der Universität besetzt, wodurch eine Verschmelzung mit der Stephansschule eintrat.[10]

Die Universität war bis zur Neuzeit juristisch nie Teil der Stadt Wien, die sie beheimatete, sondern war autonom.[11] Die normative Grenzziehung zwischen Universität und Stadt affektierte zwar kaum das symbiotische Alltagsleben der Bewohner, doch wurde die rechtliche Sonderstellung der Universität von den einzelnen Vetospielern – Stadtrichter, Studenten, Rektor – im Konfliktfall immer wieder missachtet.[12] Daran ist nicht zuletzt auch die Inhomogenität der Gruppen innerhalb der Universität, in der sich vor allem Studenten und Hochschulleitung gegenüberstanden, deutlich ablesbar. Die Stadt, die selbstverständlich auch aus den verschiedensten Gruppen bestand, verstand sich hingegen im Konfliktfall weit eher als Einheit.

Die Rolle der Universität für die Stadt

In der Stadtgesellschaft Wiens beobachten wir eine passive Haltung beim Aufbau der Universität.[13] Der Gründer sah hingegen eine res utilis, eine nützliche Sache, durch die das gesamte Gedeihen der Menschheit gefördert werde und Nutzen für das Gemeinwesen mit sich brächte.[14] Die Stadt Wien hat trotzdem nur widerwillig eine Unterstützungserklärung für die neue Universität abgegeben, da auf diese Weise eine „Stadt in die Stadt eingepflanzt“ wurde.[15] Dennoch bestand eine tiefgreifende soziale Verflechtung der Universitätsbewohner mit den Stadtbewohnern. Wirtschaftlich gesehen boten Universitätsangehörige Schreiber-, Sekretär- oder Notartätigkeiten und Hilfsdienste an.[16] Daneben boten Studenten mehrstimmige Gesänge bei Gottesdiensten und Begräbnissen dar.[17]

Zwar keine spätmittelalterliche Formensprache, aber eine Struktur, die im 14. Jahrhundert bereits Bestand hatte, wiedergegeben von Balthasar Wigand: „Wien, Alte Universität am Jesuitenplatz“, kolorierte Handzeichnung, vor 1846.

Da man in infrastrukturell gut erschlossenen Städten selbst in Krisenzeiten verhältnismäßig kostengünstig leben konnte und bessere Möglichkeiten „zu sozialen Kontakten, zu Gelegenheitsarbeiten und nicht zuletzt zum Betteln“ fand, gab es in Wien einen stetigen Zufluss von Studenten und Kapital.[18] Die Stadt war stark von diesen Konjunkturpendlern abhängig.[19] Auch hatte der Erntezyklus mit gelegentlichen Missernten Einfluss auf die Universität.[20] War die Stadt wenig durch Studenten frequentiert, hielt die Wiener Bevölkerung gar Bittgottesdienste ab und diskutierte Maßnahmen für Wohnraumbeschaffung, Stiftungen und Stipendien, da leere Bursen, wie sie zum Beispiel für das Sommersemester 1460 belegt sind, für die städtische Wirtschaft existenzgefährdend werden konnten.[21]

Die Söhne adeliger Familien waren zwar gern gesehene Studenten, da sie bei der Immatrikulation die höchsten Taxen entrichten mussten, verirrten sich aber nur selten nach Wien, sondern zogen eher nach Italien.[22] Die Universität gestattete ihnen, die gesellschaftlich privilegierte Stellung und ihren Status auch innerhalb der universitären Gemeinschaft zu wahren.[23] Die zugewanderten Studenten griffen bei Studienbeginn entweder auf bereits etablierte familiäre Netzwerke und Förderer in der Stadt zurück oder mussten sich eigene Netzwerke innerhalb und außerhalb der Universität aufbauen, welche ebenfalls der späteren Karriereförderung dienlich waren.[24] Diese Netzwerke waren selbstverständlich vom status der Individuen geprägt.

Die klerikale Tracht und die vorgeschriebene Verwendung der lateinischen Sprache oder fremde Dialekte prägten ein Fremdbild und die Studenten wurden insbesondere als Verstärkung des Klerikerstandes wahrgenommen.[25] Auch das Betteln bot Konfliktpotential zwischen der Stadt und den pauperes.[26] In Wien war der Anteil von armen Studenten relativ hoch.[27] Die Ablehnung der Stadtfremden lässt sich auch an Schimpfwörten, speziell für Studenten festmachen. „Fosse“ für Taugenichts, Lump oder Herumtreiber und „Partekenfresser“ lassen klar die Außenwirkung der Studenten erkennen.[28] Als Parteke wurde ein Stück Brot bezeichnet, das arme Scholaren als Almosen bekamen.

Im Alltag spielte die Theologische Fakultät bei der Abhaltung der Predigten eine besondere Rolle, während die Angehörigen der Medizinischen Fakultät das Amt des magister sanitatis, des Seuchenarztes und die unentgeltliche medizinischen Versorgung der Armen im Spital wahrnahmen und die Hebammen und das Apothekenwesen  kontrollierten.[29] Professoren wurden während der Belagerung Wiens durch Matthias Corvinus 1485 als Delegierte und Verhandlungsführer und für die Formulierung des Kapitulationsvertrages verpflichtet.[30] 1490 sollten die Professoren in einem Gutachten darlegen, ob Maximilian I. als rechtmäßiger König von Ungarn zu betrachten sei[31] und auch auf den Konzilien von Konstanz und Basel nahm die Universität zusammen mit der großen Gesandtschaft von Herzog Albrecht teil.[32] Daran wird schnell ersichtlich, dass die Universität auf vielfältige Weise mit Stadt und Landesherren auf den verschiedensten Ebenen zusammenwirkte. Wirtschaftlich und als konsultierende Institution(en) waren die Einzelmitglieder somit in die Stadt Wien integriert. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass für das Amt des Stadtschreibers ein juridisches Studium üblich wurde und man daneben in den Wiener Rats- und Ämterlisten für 1396 bis 1526 eine „Akademisierung“ feststellen konnte.[33] Von 48 Bürgermeistern waren zehn in der Wiener Alma Mater immatrikuliert und dieser sicherlich freundschaftlich verbunden.[34] Die Rechtsstellung der Universität war trotz dieser personellen Nähe strukturell konfliktfördernd. 

Die Studenten als „Stadtbewohner“

Der Plan des Universitätsstifters war es, das Studium in einem Stadtviertel, phaffenstat oder Quartier Latin genannt und mit Mauern und Toren vom übrigen Stadtgebiet getrennt, in der westlichen Altstadt zwischen Schauflergasse, Minoritenkirche, dem Schottenkloster, Schottentor und der Burg unterzubringen, wo alle maister und schülêr wonen sullen.[41] Die Vorlesungen fanden vermutlich in der Bürgerschule zu St. Stephan und privaten Häusern statt, bis Herzog Albrecht 1384 das Collegium ducale der Universität als eigenes Haus schenkte.[42] Mit Einwilligung von Bürgermeister und Rat konnten aber auch Häuser an die Hohe Schule verkauft werden.[43]

Vor allem im Bereich der Pfaffenstadt, also des Sakralzentrums, siedelten sich die Magister mit ihren Studenten an, nicht zuletzt förderte der Magister- und Bursenzwang diese lokale Verdichtung.[44] Doch wuchs die Universität bestehend aus Kollegien, Bursen, Bibliotheken, Kapelle, Studentenspital und Gefängnis verstreut in die Stadt zwischen Bürger- und Handelshäuser hinein.[45] Das Vorhaben zur Errichtung „der“ Pfaffenstadt scheiterte an der Ablehnung der Hausbesitzer, die zur Räumung der Wohnung gezwungen werden sollten.[46] Auch die Höhe der Miete innerhalb des „Campus“ wurde durch ein Gremium von zwei Bürgern und zwei Studenten festgesetzt, wobei bei Uneinigkeit der Rektor entschied.[47] Schon 1413 wurden 461 Neuankömmlinge in das Matrikelbuch der Universität eingetragen.[48] Auch wenn hier nicht die Abgänge verzeichnet sind, wird schnell die Dimension der Zuwanderung deutlich. Im Kern der akademischen Ansiedlung entstanden zahlreiche Bursen und Kodreien, welche sich als Konfliktherd herausstellen sollten.

Diese ungefähr 20 bis 30 Studentenhäuser stellten ohne Zweifel die Kernzellen der sozialen Bindungen im Alltagsleben der Studenten dar.[49] Beim Eintritt in eine Studentenburse wurde zunächst ein Eid auf die Statuten und die Hausordnung abgelegt. Man schwor unter anderem das Eigentum des Hauses zu schützen und sich im Falle des Ausschlusses an niemandem zu rächen.[50] Daneben legten die Statuten der Bursen unter anderem neben einer festen Tagesstruktur eine abendliche Sperrstunde fest und verboten den Besuch von Wirtshäusern.[51] Da die Bursen von Steuern befreit waren und das Privileg der freien Weineinfuhr genossen und Stipendien oft mit Weingartenbesitz in Verbindung standen, veranlasste das zum Beispiel den Aufseher der Lammburse, der auch Landwirt war, 1480 Heu und Wein in der Burse zu verkaufen, die bald einer Taverne glich.[52] Da dies die Rechte der bürgerlichen Weingartenbesitzer mit Ausschanklizenz beschnitt, führte dies zu viel Unmut.[53] Die Studenten waren dabei meist sehr jung und umfassten neben Studierenden im heutigen Sinne auch Jugendliche, die heute als Schüler zu bezeichnen wären.[54] Zwingli trat mit 14 Jahren (1498) in die Universität ein, aber auch Zwölfjährige waren an der Universität keine Seltenheit.[55] Die Statuten der Rosenburse von 1345 verboten es den Stipendiaten Bordelle aufzusuchen.[56] Doch wurden auch des Öfteren Zwölfjährige aus Bordellen geholt und auch Jungfernraub war keine Seltenheit.[57]

Nicht zuletzt siedelten sich aufgrund der hohen Nachfrage Bordelle direkt neben Bursen an.[58] Die „Berichte über nächtliches Vagieren, Besuch von Gaststätten, Bädern und „Frauenhäusern“ sind in den universitären Quellen so geläufig, dass […] [eine] unkontrollierte Präsenz von Studenten in der Stadt alltäglich gewesen sein muss“, welche diverse Konflikte hervorbrachte.[59] „Magister oder Scholaren, die eine Bürgersfrau verführten“, sollten gar ihre universitären Privilegien verlieren.[60] Eine Strafe, um Konflikte zu vermeiden.

Konflikte mit der Bevölkerung Wiens

Die Universität ist als Personenverband, als Rechtsgemeinschaft und politische Korporation ihrer Lehrer und Schüler zu verstehen. Ihre Geschichte sind daher die Geschichten ihrer Mitglieder als handelnde Akteursgruppen.[61] Alle Taten gingen, wie die Universität selbst beteuerte, immer von Einzelmitgliedern der Universität aus.[62]

Die Verteidigung der universitären Privilegien gegenüber der Stadt war meist im Interesse aller Universitätsangehörigen, so bei der Verweigerung von Stadtsteuern, Schanzarbeiten oder der Hilfe bei der Stadtverteidigung 1461.[63] Dennoch bestand auch ein fortwährender Gegensatz zwischen Leitungsebene und Studierendenschaft, auf welchen später eingegangen wird. Die interne Differenzierung der Scholaren nach Fakultäten, status und gradus schwächte die Universitätsgemeinschaft kaum. Anders die ihr diametral gegenüberstehende zentristische Universitätsleitung. Insbesondere wurde das Verhältnis durch die Dreiecksbeziehung mit der Stadt kompliziert, wie an den nachfolgenden Exempeln aufgezeigt wird.

Aktuelle Allegorie auf einen Nobelpreis: die Universität Wien feiert den ÖCVer und MKVer Anton Zeilinger.

Die Statuten der Alma Mater lassen erkennen, dass zumindest juristisch ein friedliches Verhalten der zumeist sehr jungen Studentenschaft anbefohlen wurde. Im sechsten Titel der Statuten über die Sitten der Scholaren heißt es, sie sollen ruhig und fleißig sein, ihren Magistern, aber auch den Vorständen ihrer Bursen gehorchen und sich nicht nur bei Vorlesungen und Disputationen sine murmure anständig verhalten, sondern auch würdig, also clericalibus gekleidet sein und keine Waffen tragen oder Fechtschulen besuchen. [64] Als Abschreckungsmittel wurde Raufbolden, Säufern, Nachtschwärmern, Dieben und Hurern angedroht, dass sie keinen akademischen Grad erhalten können.[65] Die mehrfache Einschärfung bestimmter Vorschriften lässt erkennen, dass diese Sitten in der Praxis wenig beachtet wurden.[66] Der Hausverwalter, der sogenannte Provisor, meist ein älterer, gewählter Student, sollte daher mindestens zweimal im Jahr aus dem Statutenbuch vorlesen.[67]

Zusammenstöße zwischen Universitätsbesuchern und Stadtbevölkerung waren vorprogrammiert. Dabei waren die Studenten aber einseitig rechtlich durch den Stiftsbrief vor Übergriffen geschützt.[68] Beispielsweise machten, den Klagen des Wiener Bürgermeisters und der Stadtrichter nach, Gruppen von 3o bis 8o bewaffneten und musizierenden Scholaren Nächte lang die Stadt unsicher.[69] Eine juristische Verfolgung war jedoch aufgrund der Universitätsfreiheiten nicht möglich. So hatte sich die Stadt mit dem Rektor dahingehend zu verständigen, dass künftig die „polizeiliche“ Verfolgung in Häusern, in denen Universitätsangehörige wohnten, nur durch den dafür zuständigen Richter stattfinden sollte.[70]

Die Wiener Artistenfakultät war an der Aufsichtsführung über ihre „zahlenden Studenten“ aber jahrzehntelang kaum interessiert und schritt nur bei zu häufigen Beschwerden ein.[71] Die Hohe Schule wurde insbesondere dann aktiv, wenn das Verhalten ihrer Studenten nicht mehr tragbar und rufschädigend war.[72] Die rechtliche Ausnahmestellung führte zu Kompetenzstreitigkeiten, doch wandte sich auch die Universität mit Bitten und Beschwerden meist gegen die Stadt Wien an den Landesfürsten. Dazu kamen Konflikte mit den Handwerkern und Händlern.[73] So klagte die hohe Schule über hohe Lebensmittelpreise und ein falsches Weinmaß oder ungesetzliche Steuerforderungen.[74] Im sogenannten Schusterkrieg 1387 befanden sich die Studenten auf der Flucht vor den Wiener Schustern. Der bischöfliche Kanzler vermittelte einen Waffenstillstand, jedoch erst, als die Universität mit der Aussetzung der Vorlesungen drohte.[75] Eine Aussetzung der Vorlesungen konnte den Abzug der Studenten in eine andere Stadt bedeuten, wie im Falle Oxford und Bologna geschehen, wodurch 1209 die Universität Cambridge und 1222 die in Padua entstanden.[76]

1390 wurde ein Mitglied der Artistenfakultät schwer verwundet und vom Stadtrichter gefangen gesetzt, was die Privilegien auf universitäre Jurisdiktion und körperliche Unversehrtheit verletzte.[77] Eine Vielzahl anderer Auseinandersetzungen ist belegt. Um sie alle auszuführen, bedarf es einer längeren Version dieser Arbeit. Diese folgt alsbald, auch über die Kanäle des AKSt.

Ein erstes Fazit

Allegorie in Tiefblau und blendendem Weiß: Universitätplatz in Wien, heutzutage

Zusammenfassend lässt sich für Wien zeigen, dass eine klare Trennung der hochprivilegierten und mit der hohen Gerichtsbarkeit ausgestatteten akademischen Gemeinde von der Stadtgemeinde nur normativ und juristisch auftritt. Möglichen Streitigkeiten sollte durch eine klare räumliche Trennung vorgebeugt werden, das gelang aber nur teilweise. In der folgenden, ausführlicheren Version dieser Arbeit wird darauf genauer einzugehen sein.

Die Universität war der Ort für personale Beziehungen, die sich auch auf die Stadt erstreckten. Dennoch herrschte, wie Kurt Mühlberger schreibt, eine „konfliktbeladene Harmonie“, welche zum einen von der mangelnden sozialen Eingliederung der Universität, insbesondere der Studenten, kam und zum anderen von einer beiderseitig gewollten „sozialen Distinktion“ von der Stadtgemeinde herrührte.[78] Da im Konfliktfall von Einzelakteuren, zum Beispiel bei Scharmützeln mit Handwerksgesellen und Stadtwachen, sich die Studenten und Universitätsangehörigen stets auf ihre juridische „Unantastbarkeit“ durch die städtische Exekutive beriefen, formten sie selbst das Bild eines Fremdkörpers eigenen Rechts.

Eine wiederkehrende negativ auffallende Beschreibung des Verhaltens der Studenten in den Quellen mag eine monoperspektivische Quellenlage zum Ausdruck bringen, welche durchaus von den Studenten mitverschuldet ist. Sie ist zudem Hinweis auf eine den Studenten abgeneigten Haltung der Stadtbevölkerung und ein grassierendes Negativbild, welche zu schnellen Konflikteskalationen beigetragen haben können. Es ist zudem hervorzuheben, dass es sich bei den Studenten um Jugendliche und junge Heranwachsende gehandelt hat in einer fremden Umgebung mit von der Universität offensichtlich kaum umgesetzten Regeln oder schwachen Sanktionsmechanismen. Hegemonie- oder Revierkämpfe zwischen Jugendgruppen im städtischen Lebensraum ergaben sich so leicht und artikulierten Raumansprüche, welche durch Konflikte ausgehandelt wurden.[79] Die Konflikte fußen somit aber auch auf der sozialen Distinktion der Universitätsmitglieder. Gleichzeitig sorgte der Landesherr aber auch in vielen Fällen für Frieden.[80] Auch versuchten die Studenten mit der Androhung eines Abzuges aus der Stadt ihre Gruppeninteressen durch (wirtschaftlichen und ideellen) Druck auf Stadt und Universitätsleitung durchzusetzen. Die situative, zeitliche und akteursindividuelle Verschiedenheit der einzelnen Fälle differenziert dieses Bild weiter. Einzelakteure, strukturelle Gegebenheiten sowie Gruppenbildung durch Solidarisierung waren prägend für die Konflikte. Eine eindeutig definierbare Konfliktlinie zwischen Stadt und Universität scheint nicht gegeben. Eine längere, kommende Ausarbeitung soll hier weitere Aspekte liefern; sie wird über den AKSt publiziert werden.

Markus Dieminger


[1] Vgl. Sachslehner, Johannes: Wien. Eine Geschichte der Stadt, Wien 2006, S. 88 und Mühlberger, Kurt: Die Gemeinde der Lehrer und Schüler-Alma Mater Rudolphina, in: Wien. Geschichte einer Stadt. Band 1: Von den Anfängen bis zur Ersten Wiener Türkenbelagerung (1529), hg. von Peter Csendes/Ferdinand Opll, Wien 2001, S. 319-410, hier: S. 326 und Kurt Mühlberger: Anfänge der Alma Mater Rudolphina. Die Gründung der Universität Wien. 1365–1384, in: universität wien, 650 plus – Geschichte der Universität Wien, URL: https://geschichte.univie.ac.at/de/themen/anfaenge-der-alma-mater-rudolphina.

[2] Zit. n. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 326.

[3] Vgl. Brockliss, Laurence: Gown and Town: The University and the City in Europe, 1200-2000, in: Minerva 38/2 (2000) S. 147-170, hier: S. 152.

[4] Vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 78.

[5] Vgl. Dix, Renate: Frühgeschichte der Prager Universität. Gründung, Aufbau und Organisation 1348 – 1409 [Diss.], Bonn 1988, S. 192.

[6] Vgl. Dix: Frühgeschichte der Prager Universität, S. 65.

[7] Vgl. Brockliss: Gown and Town, S. 151.

[8] Vgl. Brockliss: Gown and Town, S. 151 f.

[9] Vgl. Kohn, Renate: St. Stephan als Bühne für festliche Zeremonien der Universität Wien, in: Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty, hg. von Martin Kintzinger/Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel, Basel 2019, S. 99-122, hier: S. 100; vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 46, 52.

[10] Vgl. Mühlberger, Kurt: Universität und Stadt im 14. und 15. Jahrhundert am Beispiel Wiens. Wesentliche Grundlagen und ausgewählte Szenen einer „konfliktbeladenen Harmonie“, in: Die Universität Wien im Konzert europäischer Bildungszentren. 14.-16. Jahrhundert, hg. von Dems./Meta Niederkorn-Bruck, Wien 2010, S. 53-86, hier: S. 52, 57 und Ubl, Karl: Die Stellung der Stadt Wien zur Universität im 14. Jahrhundert, in: Les universités et la ville au Moyen Âge. Cohabitation et tension, hg. von Patrick Gilli/Jacques Verger/Daniel Le Blévec, Leiden 2007, S. 297-308, hier: S. 296.

[11] Vgl. Brockliss: Gown and Town, S. 147.

[12] s. Abb. 12.

[13] Vgl. Ubl: Die Stellung der Stadt Wien, S. 299.

[14] Vgl. Ubl, Karl: Die Universität als utopischer Ort. Herzog Rudolf IV. und die Gründunsturkunde von 1365, in: Akademische Festkulturen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Zwischen Inaugurationsfeier und Fachschaftsparty, hg. von Martin Kintzinger/Wolfgang Eric Wagner/Marian Füssel, Basel 2019, S. 371-390, hier: S.  377 f.

[15] Vgl. Ubl: Die Stellung der Stadt Wien, S. 301.

[16] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 338, 370.

[17] Vgl. Denk: Alltag zwischen Studieren und Betteln, S. 159.

[18] Zit. n. Schwinges, Rainer Christoph: Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozialgeschichte des Alten Reiches, Stuttgart 1986, S. 456.

[19] Vgl. Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher, S. 455.

[20] Vgl. Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher, S. 212, siehe hier auch eine ausführliche Analyse der Frequenz und ihrer Hintergründe.

[21] Vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter,, S. 428 und Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher, S. 15.

[22] Vgl. Thomas Maisel: Studenten im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 1365–17. Jhdt., in: universität wien, 650 plus – Geschichte der Universität Wien, URL: https://geschichte.univie.ac.at/de/themen/studenten-im-mittelalter-und-der-fruehen-neuzeit.

[23] Vgl. Maisel: Studenten im Mittelalter.

[24] Vgl. Denk: Alltag zwischen Studieren und Betteln, S. 115.

[25] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 73; Uiblein, Paul: Mittelalterliches Studium an der Wiener Artistenfakultät. Kommentar zu den Acta Facultatis Artium Universitatis Vindobonensis 1385-1416, Wien 1987, hier: S. 85, Fußnote 60: Universitas wird im deutschen Stiftbrief mit gemainde der ganzen phafhait wiedergegeben.

[26] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 370.

[27] Vgl. Maisel: Studenten im Mittelalter.

[28] Vgl. Thomas Maisel: Über „Fossen“ und „Partekenfresser“. Studenten als Feindbild in Mittelalter und Früher Neuzeit. 15. Jhdt.–17. Jhdt., in: universität wien, 650 plus – Geschichte der Universität Wien, URL: https://geschichte.univie.ac.at/de/themen/ueber-fossen-und-partekenfresser.

[29] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 349, 357 und Mühlberger: Universität und Stadt, S. 82; vgl. Kink: Geschichte der kaiserlichen Universität, Band 2, S. 330 f. (Q 5) „dass der Facultät die Oberaufsicht über die Apotheken […] zukomme“ und „Dafür soll aber die Facultät einen aus ihrer Mitte bestimmen, welcher nach den armen Leuten unentgeldlich und so oft der Spitalmeister es verlangt, die armen Kranken im Spitale besucht.“

[30] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 78.

[31] Vgl. Csendes: Universität und Stadt, S. 164.

[32] Vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 67.

[33] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 81, 72 von 556 Personen.

[34] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 82.

[35] Vgl. Dix: Frühgeschichte der Prager Universität, S. 199.

[36] Vgl. Uiblein, Paul: Die Wiener Universität im 14. und 15. Jahrhundert, in: Das alte Universitätsviertel in Wien, 1385-1985, hg. von Günther Hamann/Kurt Mühlberger/Franz Skacel (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 2), Wien 1985, S. 17-36, hier: S. 29.

[37] Vgl. ibid.

[38] Vgl. Uiblein, Paul: Die Wiener Universität im 14. und 15. Jahrhundert, S. 21 und Dix: Frühgeschichte der Prager Universität, S. 205.

[39] Vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 79 und Dix: Frühgeschichte der Prager Universität, S. 205.

[40] Vgl. Bubert: Pariser Scholaren.

[41] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 373 und Csendes/Opll: Wien im Mittelalter, S. 322; s. Abb. 9.

[42] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 375.

[43] Vgl. Kink: Geschichte der kaiserlichen Universität, Band 2, S. 112 (Q 4).

[44] Vgl. Schwinges: Deutsche Universitätsbesucher, S. 452.

[45] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 375; s. Abb. 10.

[46] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 374.

[47] Vgl. Ubl: Die Stellung der Stadt Wien, S. 300.

[48] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 383.

[49] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 358 und vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 98.

[50] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 358.

[51] Vgl. Denk: Alltag zwischen Studieren und Betteln, 230 ff; Maisel: Über „Fossen“.

[52] Vgl. Tschernuth, Uta: Studentisches Leben in den Bursen, in: Das alte Universitätsviertel in Wien, 1385-1985, hg. von Günther Hamann/Kurt Mühlberger/Franz Skacel, Wien 1985, S. 153-159, hier: S. 155 f. und Maisel, Thomas: Der „Lateinische Krieg“. Eine Studentische Revolte des frühen 16. Jahrhunderts in Wien, in: Historische Anthropologie 3/3 (1995) S. 389-411, hier: S. 405 sowie Ubl: Die Stellung der Stadt Wien, S. 300.

[53] Vgl. ibid.

[54] Vgl. Maisel: Studenten im Mittelalter.

[55] Vgl. Tschernuth: Studentisches Leben in den Bursen, S. 154.

[56] Vgl. Denk: Alltag zwischen Studieren und Betteln, S. 233.

[57] Vgl. Klose, Werner: Freiheit schreibt auf eure Fahnen. 800 Jahre deutsche Studenten, Oldenburg 1967, S. 28, 30 f.

[58] Vgl. Klose: Freiheit schreibt auf eure Fahnen, S. 28, 30 f.

[59] Zit. n. Maisel: Über „Fossen“.

[60] Zit. n. Maisel: Über „Fossen“.

[61] Vgl. Gramsch Robert: Universität, städtische Politik und städtische Führungsgruppen in Erfurt, 1979/92-1509, in: Les universités et la ville au Moyen Âge. Cohabitation et tension, hg. von Patrick Gilli/Jacques Verger/Daniel Le Blévec, Leiden 2007, S. 145-162, hier: S. 146.

[62] Vgl. Uiblein: Die Universität Wien im Mittelalter, S. 71.

[63] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 78.

[64] Vgl. Lhotsky, Alphons: Die Wiener Artistenfakultät 1365-1497, Wien 1965.

[65] Vgl. ibid.

[66] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 360.

[67] Vgl. Tschernuth: Studentisches Leben in den Bursen, S. 155.

[68] Vgl. Uiblein: Mittelalterliches Studium, S. 85, Fußnote 60: in der lateinischen Fassung: […] privandus membro simili absque omni redempcionis ope, quo universitatis destituit clericum und in der deutschen Fassung: […] und im slahen ab seinem leibe an gnade die gleichnuzze des gelides, das er dem maister oder dem studenten abgeslagen hatte.

[69] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 360, 383.

[70] Vgl. Ubl: Die Stellung der Stadt Wien, S. 305.

[71] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 370.

[72] Vgl. Maisel: Über „Fossen“.

[73] Vgl. Mühlberger: Die Gemeinde der Lehrer, S. 208 f., 360; 1420 kamen 1.500 Universitätsangehörige auf 1.600 Handwerker in Wien. Es handelte sich also um fast gleich große Gruppen.

[74] Vgl. ibid.

[75] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 74.

[76] Vgl. Brockliss: Gown and Town, S. 151.

[77] Vgl. Mühlberger: Universität und Stadt, S. 74.

[78] Vgl. Denk: Alltag zwischen Studieren und Betteln, S. 284.

[79] Vgl. Bubert: Pariser Scholaren.

[80] Vgl. Bubert: Pariser Scholaren.

Schreibe einen Kommentar