Anläßlich der Studentenhistorikertagung auf Universitätsebene in Kooperation des AKSt mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg zum Thema „Jüdische Korporierte, jüdische Korporationen“ im Wintersemester 2021/22 wurde eine öffentliche Gedenkveranstaltung abgehalten. Eine bewegende Lesung aus Briefen der Verfolgten und das jüdische Totengebet wurden von allen Teilnehmern als zentraler Meilenstein studentischen Gedenkens nach 1945 erlebt.
Zum Mitschnitt der öffentlichen Gedenkveranstaltung auf dem Platz der Alten Synagoge, Heidelberg, 20. November 2021.
Ebenfalls verfügbar ist der Mitschnitt der ersten Gedenkveranstaltung des AKSt vom März 2021 in der Großen Kneipe des Corps Suevia Heidelberg, die von 1945 bis 1955 als Synagoge genutzt wurde.
Nach zwei Tagen mit äußerst prominent und sachkundig besetzten Vorträgen in der HfJS versammelten sich die Tagungsteilnehmer am 21. November 2021 um 12 Uhr unter starkem Polizeischutz an der Großen Mantelgasse – auf einem besonderen Platz. Dort, wo die Heidelberger Synagoge stand, bis sie in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von Nationalsozialisten und deren willigen Mitläufern zerstört wurde. Rund 100 weitere junge und alte Verbindungsstudenten und -studentinnen ganz unterschiedlicher Couleur hatten sich eingefunden, um der unbegreiflichen Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten der Nazi-Zeit zu gedenken und dem Totengedenken für die jüdischen Korporierten einen würdigen Rahmen zu geben.
Zum Synagogen-Gedenkstein traten der Hochschulrabbiner der HfJS, Shaul Friberg, Mitglied der Kalmar Nation Uppsala, einer schwedischen Studentenverbindung. Mit ihm Sebastian Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam, Petra Gärdtner SBV Hercyniae Heidelberg sowie Gerhart Berger, Burschenschaft Frankonia Heidelberg; diese vier sind auf dem Indexbild dieses Beitrags zu sehen. Friberg hatte den Ablauf der Veranstaltung, den er bereits im März 2021 im Rahmen der 80. deutschen Studentenhistorikertagung mitgestaltet hatte, nahtlos übernommen – ebenso wie das Konzept und einige wichtige Vorträge der Tagung, die am 19. und 20. November stattgefunden hatte. Nach seinen einführenden Worten hielt Sebastian Sigler, der den AKSt leitet, eine kurze Gedenkrede.
Gerhart Berger, Petra Gärdtner und Sebastian Sigler lasen direkt anschließend aus Briefen jüdischer Verbindungsstudenten vor, die der Shoa durch Flucht und Glück entkommen waren. In dieser Korrespondenz, die Berger bemerkenswerterweise bereits in den 1980er Jahren geführt hatte, entfaltet sich auch heute ein bewegendes Bild des Heidelberger Studentenlebens der 1930er Jahre, in dem Judenhass, Ausgrenzung und rohe Gewalt an der Tagesordnung waren. Es berührte die Anwesenden, dass diese Briefe der ins Exil gezwungenen jüdischen Korporierten trotz alledem nicht von Hass und Abscheu geprägt waren. Vielmehr waren es liebevolle und wehmütige Grüße an die zurückgebliebenen Freunde und die Stadt goldener Studententage, die durch ihre Aktivität in einer der jüdischen Verbindung geprät war. Eine große Treue zu den Bundesbrüdern auch in Zeiten des Exil und in einer neuen Heimat war daher gleichfalls überdeutlich zu spüren. Darin wiederum kam der enorm große Wert zum Ausdruck, den die Briefeschreiber, auch nach dem entsetzlichen Geschehen der Shoa, ihren geliebten Studentenverbindungen ganz unverändert auch im Exil noch zumaßen. – Ein Trauersilentium schloss sich an.
In die Stille hinein begann dann Rabbiner Shaul Friberg, das El male rachamim zu singen. Das ist hebräisch, es bedeutet „Gott voller Erbarmen“. In Europa sind verschiedene Versionen dieses Gebetes überliefert, das Juden seit dem Mittelalter zum Andenken an die Opfer von Pogromen und Kriegen und zur Anrufung Gottes nutzen. Kantor Shlomo Katz trug dann 1950 auf dem 22. Zionistenkongress in Basel eine neue Version vor. In den traditionellen Text hatte er die Namen der Vernichtungslager Auschwitz, Majdanek und Treblinka aufgenommen. An dieser erschütternden Version orientierte sich Hochschulrabbiner Shaul Friberg, und er nannte in seinem Gebet, einem getragenen Gesang, eine lange Liste der in der Shoa ermordeten oder verfolgten Verbindungsstudenten, die entweder während der Tagung Gegenstand der Forschung waren oder mit Tagungsteilnehmern in einer Verbindung standen. Darin auch die Namen der fünf vom Corps Franconia zu Jena und der acht vom Corps Suevia Heidelberg in den Jahren 1934 und 1935 ausgestoßenen jüdischen oder – wie es im menschenfeindlichen NS-Jargon zynisch hieß – „jüdisch versippten“ Corpsbrüder.
So lang diese Liste auch war, es konnte nur ein kleiner Ausschnitt des Leids, des Grauens und des Verderbens sein, das über die Juden Europas gebracht wurde. Auch über die Korporierten unter ihnen; jeder einzelne Name stand für Tausende. Und als der Hochschulrabbiner danach die hebräischen Worte sang, die besagen, dass der Herr der Barmherzigkeit die Toten hinter dem Geheimnis Seiner Flügel in aller Ewigkeit verberge, war allen Anwesenden der heilige Ernst dieses Momentes überdeutlich bewusst.
Nach diesem El male rachamim dauerte es lange, bis die rund 100 Teilnehmenden ihre Fassung wiedererlangten, bis der Alltag zurückkehren konnte. Doch es gab auch die vorsichtigen Zeichen der Hoffnung. Stellvertretend für Viele sei hier nur eine Reaktion genannt. Sie sei froh und glücklich, dass trotz der schrecklichen Vergangenheit wieder Menschen jüdischen Glaubens in Heidelberg lebten und auch studierten, sagte eine Verbindungsstudentin, die an der Gedenkveranstaltung teilgenommen hatte. Der Glanz in den Augen und in den Gesichtern der Umstehenden gab ihrer Ansicht Recht.
Markus Wilson-Zwilling Franconiae München, Franconiae-Jena zu Regensburg
Sebastian Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam
Heidelbergs Oberürgermeister sandte den Studentenhistorikern anläßlich der Tagung von AKSt und HfJS folgendes Grußwort:
Die Tagung und die Gedenkveranstaltung in Heidelberg waren ein wichtiges Zeichen, dass die Korporierten, die auch um die Schuld ihrer Verbindungen und deren Mitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus wissen, sich ernsthaft mit diesem Teil ihrer Geschichte und der leider untergegangen jüdischen Verbindungskultur sowie deren Trägern und Repräsentanten beschäftigen. Der Verlust der jüdischen Kultur und die Erniedrigung und Verfolgung von jüdischen Menschen und Anderen bis in den Tod sind ein schrecklicher Makel in unserer Geschichte, der nie vergessen werde darf. Umso mehr freuen wir uns über das Wiedererstarken jüdischen Lebens, vielleicht auch demnächst wieder in Form von studentischen Organisationen. Dann können wir anderen Verbindungen und Korporierten zeigen, dass wir aus der Geschichte gelernt haben, und ein besseres Miteinander aller Couleurstudenten etablieren.
Mein Dank gilt allen, die diese tolle Veranstaltung ermöglicht haben.
Mehr als ein Menschenleben nach der Shoah diente diese Veranstaltung im Rahmen einer Tagung der Studentenhistoriker zunächst dem Erinnern und dem Nicht-Vergessen der jüdischen ausgegrenzten Kommilitonen. Darüber hinaus zeigt sie aber auch, dass ein Waidhofener Prinzip und ähnliche diskriminierende Relikte nationalistischer Zeiten mit den heutigen Verbindungen wenig zu tun haben, sondern über alle Dachverbände hinweg Einigkeit darin besteht, dass damals Unrecht geschah. Heidelberg war mit den neu entstandenen jüdischen Einrichtungen in der Stadt der ideale Ort sowohl für das Gedenken als auch das öffentliche Mitwirken an einer Stätte jüdischen akademischen Lebens.
Der Hochschule für jüdische Studien ein vivat, crescat, floreat!
Kunz Rhenaniae Hamburg, Thuringiae Leipzig
Geeint in dem Bekenntnis: unersetzlich der Verlust von Juden in den Korporationen, der Verlust der genuin jüdischen und der „paritätischen“ Verbindungen, deren letzterer Vertreter Dr. Gerd Mohnfeld eindrucksvoll schilderte, wie plötzlich 1968 alles dahin war bis zum Verlust des Ortes in Marburg. Bedrückend, wie diese Kultur „geschliffen“ wurde. Bedrückend auch das Schicksal von Fritz Löhner-Beda, korporiert bei der A.V. Kadimah Wien, dem Verfasser von: „Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren“. Bedrückend auch die Tragödie der Familie von Theodor Herzl, dem Begründer des Staates Israel. All das wird sorgfältig dokumentiert werden. Dank an die Referenten und die Organisatoren dieser beeindruckenden Veranstaltung, deren Höhepunkt das Totengebet am Ort der ehemaligen Synagoge in Heidelberg war. Ein besonderer Dank an Sie, Shaul Friberg, Hochschulrabbiner der HfJS.
Eine sehr gelungene Tagung, auch aus der Sicht meiner Bundesbrüder Ulmiae Tübingen, die an ihr teilgenommen haben. Wir haben gelernt, dass die jüdischen Kommilitonen einen wichtigen Anteil am Korporationsleben hatten und die jüdische Verbindungsszene vielfältig und lebendig war. Besonders beeindruckend war die Gedenkveranstaltung am Platz der von den Nazis zerstörten Heidelberger Synagoge und insbesondere das von Rabbi Friberg dort vorgetragene Kaddisch am Totensonntag.
Zeichen setzen – an diesem Wochenende in Heidelberg, der alten Studentenmetropole ist dies den an der farbstudentischen Geschichte Interessierten besonders gelungen. Dr. Sebastian Sigler, der „Chef“ des Historikerkreises, und seine Mitarbeiter haben bewiesen, daß wir Farbstudenten nicht nur gerne hinter verschlossenen Türen singen und trinken, sondern uns auch unserer geschichtlichen Verantwortung bewußt sind. Die alten Traditionen des Farbstudententums haben auch jüdische Kommilitonen begeistert, deren Verbindungen nach 1945 nicht mehr weitergeführt werden konnten.
Ihrem Andenken, dem Andenken an berühmte Persönlichkeiten, aber auch an einfache Couleurstudenten jüdischer Herkunft war diese wunderbare Tagung zusammen mit den Studenten der Hochschule für Jüdische Studien und deren Rabbiner gewidmet. Doch nicht „Gedenken – und dann vergessen“ darf es sein – unsere jüdischen Farbenbrüder sollen stets einen geistigen Platz an unseren Kneiptafeln haben, ohne Ansehen politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen.
Vivat sequentes!
Eine wichtige und würdige Veranstaltung! Wir durften außerdem die großartige Gastfreundschaft der Hochschule für Jüdische Studien genießen, insbesondere ihres herzlichen Rabbiners Shaul Friberg. Möge so Versöhnung gelingen!
Danke für Lob und Anerkennung. Auch die Jüdische Allgemeine hat unsere Tagung besprochen:
httpss://www.juedische-allgemeine.de/kultur/mit-schmiss-und-davidstern/
Hoffentlich ist wirklich ein Stück Versöhnung gelungen, denn das ist auch ein Stück Zukunft!