Jüdische Korporierte: Österreichische Studentenhistoriker mit großem Thema

Am 26. November 2022 fand in Wien ein Seminar zum Thema „Jüdische Korporationen und Korporierte“ statt. Diese Themenwahl ist bemerkenswert, weil davon doch letzthin viel zu hören war. Ist das alles demnach eine Wiederholung längst bekannter Ergebnisse? Eine Antwort soll in diesem Bericht versucht werden. Es zeigt jedenfalls, das vorab, wie groß der Nachholbedarf speziell bei diesem Thema ist.

Eröffnete die Tagung mit einem unter die Haut gehenden Vortrag über Fritz Löhner-Beda: Prof. Raimund Lang (MKV, ÖCV)

Auch der AKSt, der dieses Thema seit nunmehr zwei Jahren schwerpunkt-mäßig verfolgt, wurde gefragt, ob er nun einseitig werde und immer auf demselben Thema herumreiten wolle. Dieselbe Frage ließe sich auch dem ÖCV stellen, denn die Wiener Tagung griff größerenteils die schon gehörten Themen auf, entwickelte sie aber weiter. Wobei es natürlich eine große Aufgabe ist, den Spagat zwischen farbstudentischer und wissenschaftlicher Betätigung auszubalancieren, aber durch Disziplin und Fleiß gelingt dies – dem AKSt, dem ÖVfStG, dem ÖCV und im übrigen auch den anderen Ver-einigungen im mitteleuropäischen Raum wie etwa der GDS, die sich dem kleinen, aber feinen Fach der Studentengeschichte widmen.

Aus den in dieser korporierten Welt zur Sprache kommenden Themen ragt seit 2021 ein dem Vergessen entrissenes Thema heraus: Jüdische Korpora-tionen und Korporierte. Leider konnte die dazugehörige Tagung des AKSt im März 2021 nur als Online-Veranstaltung stattfinden. Sie erweckte jedoch enormes Interesse – mit Zuschaltungen auch aus Israel, der Ukraine und den Niederlanden –, daß der Rabbiner der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg, HfJS, anregte, eine ganz ähnliche Veranstal- tung dort, in universitärem Rahmen, zu wiederholen. Der Rektor stimmte zu und nahm persönlich teil, als AKSt und HfJS gemeinsam tagten – tags drauf schloß eine öffentliche Gedenkveranstaltung die Tagung ab. Der Effekt dieser Veranstaltung ist indes an Wichtigkeit für die weitere Arbeit kaum zu überschätzen: Die Inhalte der Tagung gelangten zur Kenntnis eines größeren Personenkreises außerhalb der durch Verbindungszugehörigkeit einschlägig Interessierten.

Der Verfasser dieses Berichts, Dr. Herwig Hofbauer, auf der von ihm organisierten Tagung

Dies alles brachte den Verfasser auf die Idee, das Thema auch in Wien der couleurstudentischen Öffentlichkeit nahezubringen; als ÖCVer wählte er das Forum der Bildungsakademie, die seit knapp 50 Jahren der Jugend- und Erwachsenenbildung im ÖCV dient. Am 26. November 2022 fand dort ein ganztägiges Seminar zum Thema „Jüdische Korporationen und Korporierte“ statt, das der Unterzeichner zusammen mit deren Leiter, Cbr. Gerhard Labschütz v/o Placentarius, organisieren durfte. Sebastian Sigler, Leiter des Arbeitskreises für Studentenhistoriker, AKSt, sprach einleitende Worte, Peter F. Krause, der Vorsitzende des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte, ÖVfStG, wies auf die Wichtigkeit des Themas hin; beide zeigten auf, wie wichtig es ist, historisches Wissen zu verfestigen und dem Vergessen zu entreißen. Die Vorträge in ihrer Reihenfolge:

Prof. Raimund Lang (CV, KÖL, MKV, fC Austro-Germania) sprach, untermalt von Ton- und Filmeinspie-lungen, eindringlich und klar über die Geschichte des Librettisten und Liedertexters Fritz Löhner-Beda und seinen grauenvollen Tod.

Dr. Sebastian Sigler (KSCV) brachte den Inhalt des Schweizer Studentenhistorikers Peter Platzer zu Gehör, in dem die schweizerischen jüdischen Korporationen systematisch aufgelistet und kategorisiert wurden.

Dr. Gerd Mohnfeld (B.C.) berichtete über die paritätischen Verbindungen des Burschenbundconvents, dem auch zwei als AHV noch existierende Wiener Bünde (C! Marchia und C! Rätia) nahestehen. Das Ende des Aktivenbetriebs der letzten B.C.-Verbindung, der Alsatia-Thuringia Marburg, ist ein Lehrstück der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte.

Dr. PhDr. Gregor Gatscher-Riedl MPA (ÖCV, KÖL, MKV) sprach sodann über die spannende Geschichte der Prager Lese- und Redehalle und ihrer jüdischen Mitglieder.

Arik Shoihtman, ein zum Thema, über das er vortrug, in Wien promovierender Israeli, kategorisierte, bewertete und sortierte für die Zuhörer das jüdische Korporationswesen der k&k Monarchie. Interessant seine Zuordnungen vor dem Kontext der Gesamtgesellschaft in der Habsburgermonarchie.

Unnachahmlich und genial: der Wiener Soziologe Prof. Dr. Roland Girtler (KSCV)

Prof. Dr. Roland Girtler (KSCV), der bedeutende, lang schon emeritierte Wiener Soziologe, plauderte in seiner unnachahm-lichen Art über den jüdischen deutschamerikanischen Ethnologen, Sprachwissenschaftler, Physiker und Geographen Franz Boas.

Dr. Herwig Hofbauer (ÖCV, MKV, fC Austro-Germania) machte den Abschluß in der Reihe der wissenschaftlichen Vorträge. Er fügte Erinnerungen an den Wiener Uniten und Austro-Germanen Fritz Roubicek v. Brünndel an, der in Wiener Couleurkreisen eine herausragende Stellung einnahm.

Mag. Raimund Fastenbauer (C! Ottonen), der ehemalige Generalsekretär der IKG Wien, sprach in seinem abschließenden kurzen Referat über das Unrecht, das jüdischen Korporierten in den dunkelsten Zeiten europäischer Geschichte angetan wurde und schloß seine Ausführungen mit dem Gebet „El male rachamim“.

Pfr. P. Mag. Altmann Wand OSB (ÖCV), der Verbindungsseelsorger der Franco-Bavaria Wien bat in seinem Segensspruch am Ende des Seminars unseren himmlischen Vater um Vergebung und stete Verfestigung der Einsicht, das „Niemals wieder!“ aktiv zu leben.

Sprach über die jüdischen Verbindungen in der einstigen Donaumonarchie: Arik Shoihtman

Das Seminar fand einen Ausklang in den Räumen der liberalen Corps Marchia und Rätia in der Berggasse im 9. Bezirk Wiens, der zum gegenseitigen Kennenlernen beitrug, Freundschaften begründete – und deutlich nach Mitternacht endete. Es zeigte sich, daß das Seminar so großes Interesse hervorrief, daß die Frage aufkam, ob das Thema nicht einem größeren Kreis von Interessierten nahegebracht werden könne. Und diese Frage führt zu einer Antwort – im übrigen auch für die zu Beginn dieses Berichts gestellte Frage.

In allen Fällen – zweimal Heidelberg (AKSt), schwerpunktmäßig auch Basel (SVSt) und nunmehr Wien (ÖCV) – kann zuversichtlich gesagt werden: Keine Einseitigkeit, keine monothematische Verengung! Es geht hier lediglich darum, eine große Lücke zu füllen, ja, eine fast schon historische Aufgabe anzunehmen. Hier besteht eine Chance zur Multiplikatorwirkung, einem wichtigen studentenhistorischen Themen ein weitaus größeres Publikum verschaffen könnte, als es die einschlägigen Vereine und Organisationen zu tun vermögen. Der Nachholbedarf an Wissensvermehrung über jüdische Korporierte und jüdische Korporationen – er ist noch nicht gedeckt.

Herwig Hofbauer v/o Ruediger

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