Freundschaft und Lebensbund – aus dem Tagungsband Würzburg 2022

Im Oktober 2022 fand in Würzburg die 82. deutsche Studentenhistorikertagung statt. Auch hier auf dem Portal haben Bernhard Grün und wir vom AKSt in eigener Sache darüber berichtet. Hier folgt aus dem am 7. Oktober 2023 erschienenen Tagungsband eine Rede über die Freundschaft, so wie wir sie in der Art unserer Verbindungen verstehen, aus der Feder unseres Mitstreiters Axel Bernd Kunze.

„Miteinander reden und lachen; sich gegenseitig Gefälligkeiten erweisen; zusammen schöne Bücher lesen; sich necken, dabei aber auch einander Achtung erweisen; mitunter auch streiten, freilich ohne Gehässigkeit, wie man es wohl auch einmal mit sich selbst tut; manchmal auch in den Meinungen auseinandergehen und damit die Eintracht würzen; einander belehren und voneinander lernen; die Abwesenden schmerzlich vermissen und die Ankommenden freudig begrüßen – lauter Zeichen der Liebe und Gegenliebe, die aus dem Herzen kommt, sich äußern in Miene, Wort und tausend freundlichen Gesten und wie Zunder den Geist in Gemeinsamkeit entflammen, so daß aus den Vielen eine Einheit wird.“

Diese Worte sind mehr als 16 Jahrhunderte alt. So umschreibt der abendländische Kirchenvater Augustinus in seinen „Confes­siones“[1] die Freundschaft. Es handelt sich für ihn um eine Lebensform, deren Feier auch die Studenten begeistert, und zwar seit es Universitäten gibt. Noch genauer spezifiziert ist diese Freundschaft für uns. Und zwar in einer Lebensform, die sich kulturell verdichtet hat in den Studentenverbindungen heutiger Tage, begin­nend wohl in Jena, Leipzig und Halle, seit 1789.

Joachim Negel, Fundamentaltheologe an der Universität Frei­burg im Uetland, umschreibt diese Lebensform folgendermaßen: „Freundschaft ist zunächst und vor allem Gespräch. Freunde sind im Gespräch miteinander, und je intensiver das Gespräch, umso größer der Raum, der sich zwischen ihnen eröffnet. In ihm wird die Welt bedeutsam; man hört, was die Dinge sagen wollen; man sieht (in) ihr Antlitz und gerät dadurch in eine Tiefe und Weite der eigenen Seele wie auch der Welt, die es vorher nicht gab.“[2] Und so kann die Freundschaft auch als Geburt der Philosophie be­zeichnet werden! Nicht umsonst haben Zipfelbrüder[3] immer wie­der als Zipfelspruch Worte Vergils ausgewählt. Dieser bedeutend­ste Vertreter der augusteischen Dichtung führte nicht allein die lateinische Sprache zu besonderer Blüte, was ihm bis heute einen Platz in der humanistischen Bildung sichert. Er setzte in seinem Epos Aeneis dem Freundespaar Euryalus und Nisus ein ewiges Denkmal.

Was macht den besonderen Wert der Freundschaft aus?

Das Ideal ihrer Freundschaft, das Vergil schildert, steht nicht al­lein für die Tugend römischer Tapferkeit, sondern verkörpert die seelische Größe der Hochherzigkeit, deren Verpflichtung letztlich selbst das Scheitern der Tat überstrahlt. Da ich christlicher Burschenschafter[4] und daher gleichzeitig und davon untrennbar ein reflektierter Staatsbürger bin, mag man es mir nicht ver­denken, auf einen weiteren Aspekt der amicitia hinzuweisen: Diese ist nicht allein eine philosophische, sondern zugleich eminent po­litische Tugend. So schreibt Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik: „Die Erfahrung lehrt, daß Freundschaft die Polisgemeinden zusammenhält, denn die [politische] Eintracht hat offenbar eine gewisse Ähnlichkeit mit der Freundschaft.“

Man muss nicht allein an die Auswüchse der „Party- und Eventszene“ der Vergnügungs­viertel landauf, landab denken – die wohl doch beschönigend so tituliert wird –, um zu sehen, wie gefährdet ein solches Fundament unseres Zusammenlebens ist. Das gemeinsame Ethos unseres Gemeinwesens will gepflegt werden. Gerechtigkeit im Staat gründet im Kern auf der Tugend seiner Bürger, die auch darin besteht, das zu unterlassen, was als „Sünde“ oder sogar „Todsünde“ von den Kirchenvätern exakt und trennscharf benannt worden ist.

Der Mensch ist unhintergehbar ein ζῷον πολιτικόν, ein in Gemeinschaft lebendes und der Gemeinschaft bedürftiges Wesen.[5] Eine zentrale politische Tugend hat Aristoteles so ausge­drückt: „Eintracht ist Freundschaft unter Bürgern.“[6] Unser gesellschaft­liches Ethos, das für ein humanes und gerechtes Zusammenleben unabdingbar ist, „beruht auf der Vorzüglichkeit ihrer seelischen Veranlagung, auf der konzentrier­ten Pflege solcher Veranlagung im Austausch mit den Freunden sowie auf der daraus sich erbil­denden vernünftigen Einsicht“.[7] Wo dieses Ethos zerfällt, degene­riert der Staat zur Tyrannis, zur Ochlokratie oder zur Oligarchie. Insofern hat das, was wir in unseren Verbindungen auf Basis unserer von Bund zu Bund, von Dachverband zu Dachverband je eigenen Tradition pflegen, eine eminent politische Bedeutung, die wir nicht unterschätzen sollten – und dieses Pfund sollten wir nicht hinter den Mauern unserer Verbindungshäuser verstecken, sondern im akademischen Beruf und im Engagement für unser Gemeinwesen einsetzen, damit es reichen Zins bringt – mehr, als uns Banken heute geben können.

„Nur am Du bildet sich ein Ich.“

Ohne liebendes Du kann es auch kein Ich geben – so hat es Martin Buber in seiner Dialogphilosophie wirksam verdeutlicht. Dies mag der Grund sein, warum das Thema Freundschaft die Gemü­ter aller Epochen der abendländischen Geistesgeschichte immer wieder bewegt hat. Wo sich Menschen in Freundschaft verbinden, öffnen sich unverhoffte Möglichkeiten, erleben wir uns als be­schenkt und können auch andere beschenken. Ich kann dem Leben trauen, weil ein anderer zu mir steht. Freundschaft bedeu­tet Treue und Trost – so heißt es schon in der alttestamentlichen Weisheitsliteratur. „Es gibt Gefährten, die gereichen zum Verder­ben. Mancher Freund aber ist anhänglicher als ein Bruder“.[8] Der Weisheitslehrer Jesus Sirach fügt hinzu: „Ein treuer Freund ist ein Trost im Leben; ihn findet, wer den Herrn fürchtet.[9] Trost und Treue – nicht umsonst wurde in der christlichen Tradition ver­sucht, auch die innertrinitarische Beziehung in Freundschafts­kategorien zu denken und die Beziehung zu Gott als „Gottes­freundschaft“ zu deuten.

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Letztlich versprechen wir mit jeder Freundschaft mehr, als wir Menschen in unserer Sterblichkeit halten können. Mit der Treue, die wir einander versprechen, eröffnen sich existentielle Fragen religiöser Natur. Es geht um den Grund des Lebens, der jeden Einzelnen von uns trägt. In einer säkularisieren Gesellschaft wirken Fragen nach diesem Thema oft peinlich. Und auch in unse­ren Lebensbünden mag es oft nicht mehr leichtfallen, diese Fragen zu stellen. Und doch: Wir können ihnen am Ende nicht auswei­chen. „Die Religion war mir seit lan­gem zuwider, und trotzdem spürte ich auf einmal eine Sehnsucht, mich auf etwas beziehen zu können. Es war unerträglich, einzeln und mit sich allein zu sein.“ – So formuliert es Peter Handke.[10] Für Christen kann der tragende Grund des Lebens letztlich vom Menschen nicht selbst gemacht werden oder von ihm ausgesucht werden; er übersteigt das, was der Mensch sich selbst geben kann. Für Christen ist es ein ganz anderer, der sagt: „Du sollst sein.“

Theologen sprechen von Gnade. An ihr hat die Freundschaft zwischen den Menschen einen nicht geringen Anteil. Und daher öffnet uns die Freundschaft eine Tür in die Unendlichkeit, in die Ewigkeit. Gespräch und Hochherzigkeit, Eintracht und vernünf­ti­ge Einsicht, Treue und Trost – ich wün­sche uns allen, dass wir das immer wieder in unseren Verbin­dungen erfahren. Ja, dies dürfen wir auch immer wieder unseren Kritikern entgegenhalten: Wir sind hier versammelt zu löblichem Tun![11]


[1]       Augustinus, Confessiones, IV 8, 13.

[2]       Negel, Joachim, Freundschaft. Von der Vielfalt und Tiefe einer Lebensform, Frei­burg i. Brsg. 2019, S. 51.

[3]       Zwei Verbindungsstudenten, die einen Weinzipfel tauschen. Dieser Tausch ist dabei nicht an ein Geschlecht gebunden, und es können auch mehrere Beteiligte gleichzeitig an einem Zipfeltausch beteiligt sein.

[4]       Der christliche Zweig der burschenschaftlichen Bewegung, und mit ihm die Verbindungen des Schwarzburgbundes, dem ein Bund des Verfassers ange­hört, entwickeln sich unter anderem aus der Erweckungsbewegung. Dieser beruft sich ebenfalls auf die Urburschenschaft, bleibt aber unterschieden, speziell von jenen Verbindungen, die in der „Deutschen Burschenschaft“ ver­sammelt sind. Dies drückt sich etwa im nichtschlagenden Prinzip oder im politischen Selbstverständnis aus.

[5]       Direkt übersetzt: Politisches Lebewesen, auch: sich verbindendes, staatenbil­dendes Lebewesen. Dazu Aristoteles in seiner Πολιτικά: „Daraus ergibt sich, daß der Mensch von Natur ein staatenbil­dendes Lebewesen ist.“ Vgl.: Aristo­teles, Politik, 11. Auflage, München 2011, 1253a, S. 2 – 4.

[6]       Aristoteles, Eudemische Ethik, VII 7, 1241a, 34.

[7]       Negel, Freundschaft, S. 127.

[8]       AT, Sprüche 18, 24

[9]       AT, Sir 6, 16.

[10]      Peter Handke, Kurzer Brief zum langen Abschied, Frankfurt am Main 1979, S. 165.

[11]      Goethe, Johann Wolfgang von, Hier sind wir versammelt zu löblichem Tun, 1810, in: Allgemeines Deutsches Kommersbuch, 165. Auflage, Kehl am Rhein, 2008, S. 116 f.

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