Korporierte Nobelpreisträger: ÖCVer Zeilinger wird 2022 im Fach Physik geehrt

Sechs Korporierte, die Grundlagen für moderne Technik Medizin legten, stellte der Studentenkurier n seiner Reihe „Korporierte Nobelpreisträger“ jüngst vor. Ein siebter ist aktuell hinzuzufügen – Karl Zeilinger. Er wurde am 10. Dezember 2022 in Stockholm geehrt. Besonders groß war die Freude bei seinen drei Verbindungen CV Marco-Danubia Wien, CV Austria Innsbruck, Teutonia Innsbruck im MKV.

Die korporierten Nobelpreisträger, die der Studentenkurier würdigte, sind diese: Karl F. v. Braun verdankten unsere Eltern und Großeltern das Fernsehen, Fritz Haber und Carl Bosch fanden die Grundlage für chemischen Kunstdünger, Hans Spemann erklärte die Zellteilung, Otto Hahn ermöglichte die Nutzung der Atomenergie, Adolf Butenandt erfand die Antibabypille. Anton Zeilinger wurde für seine Forschungen auf dem Gebiet der Quantenphysik gewürdigt.

Öffentliche Ehrung in Wien: Anton Zeilinger, MKV und ÖCV, erhielt am 10. Dezember 2022 als einer von drei Laureaten in seinem Fach den Nobelpreis für Physik.

Hier ist also ein einer „Nobelpreis-Sieben“ in den Naturwissenschaften inclusive der Medizin zu berichten. Der Nobelpreis für Karl Zeilinger wurde in Wien mit großer Freude aufgenommen, die Universität errichtete für den MKVer und ÖCVer Zeilinger eigens ein Plakat vor dem Hauptgebäude. Alle Nobelpreisträge gehörten oder gehören dabei sehr unterschiedlichen Korporationen an und haben untereinander nur wenige Berührungspunkte. Dafür teilen sie interessante Aspekte ihres Lebens: Drei von ihnen beendeten ihre Karriere als Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft oder deren Vorgängerin. Für drei spielten – ungewöhnlich genug – Frauen eine wichtige Rolle in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Wieder drei spielten bei der industriellen Verwertung ihrer wissen-schaftlichen Ergebnisse selbst eine wichtige Rolle. Einer von ihnen trat aus Protest gegen den Varrat an seinen jüdischen Bundesbrüdern aus seinem Bund aus. Gemeinsam gebührt allen die Anerkennung, dass ohne ihre Arbeit die Grund-lage für den wissenschaftlichen oder techni-schen Fortschritt in ihrem Gebiet fehlen würde.

Karl Ferdinand v. Braun

Nach Röntgen und Lenard erhielt Karl Ferdinand v. Braun (1850 – 1918) als dritter Deutscher den Physik-Nobelpreis, und zwar für die Anwendung der Kathodenstrahlen. Es ist indes bekannt, dass er es schon als Schüler liebte, physikalische Phänomene zu demonstrieren. Er ging nach dem Abitur in Fulda 1868 zum Studium der Physik nach Marburg. Hier wurde er bei dem 1825 gegründeten Corps Teutonia aktiv. Nach dem Wechsel an die Berliner Universität promovierte Braun 1872 bei Hermann von Helmholtz.[1]

Karl Ferdinand Braun auf einer schwedischen Briefmarke von 1969.

Braun wechselte mit von Helmholtz nach Würzburg, hielt sich aber die Möglichkeit offen, Gymnasiallehrer zu werden, indem er nebenbei in Marburg das Staatsexamen ablegte. 1874 nahm er an der bekannten Leipziger Thomasschule eine Stelle als Lehrer an. In dieser Zeit schrieb er ein „naturwissenschaftliches Lesebuch“ für seine Schüler. Ab 1877 wirkte er in Marburg, Straßburg, Karlsruhe und Tübingen. Er beschäftigte sich mit Problemen der Leitfähigkeit und verbesserte dabei zahlreiche Messinstrumente. In diese Zeit fallen diverse Kooperationen zur kommerziellen Ausnutzung seiner Verbesserungen. Heute benutzt man dafür gern den Begriff „Angewandte Physik“.

Seine wichtigsten Arbeiten entstanden nach seiner Berufung zum Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Straßburg 1895. Ab 1898 wandte er sich der drahtlosen Telegraphie zu. Unter dem Titel „Drahtlose Telegraphie durch Wasser und Luft“ veröffentlichte er 1901 seine revolutionären Erkenntnisse. Auf dieser Basis entstand schließlich die Firma Telefunken. Als er 1915 im Auftrag der Firma Telefunken in die USA fuhr, wurde er bei Kriegseintritt der Amerikaner interniert; 1918 kam er bei einem Unfall in New York ums Leben.

Fritz Haber

Fritz Haber, Briefmarke Berlin Michel-Nr. 166.

Fällt der Name Fritz Haber, spalten sich sofort die Geister. Die einen sehen zuerst den erfolgreichen Chemiker, die anderen sehen nur den Erfinder von Chlorgas und einen Kriegsverbrecher des Ersten Weltkriegs. Aber man kann auch eine andere Seite betrachten: Mit Hilfe der Erfindung der Hochdrucksynthese für den Düngemittelgrundstoff Ammoniak konnte Haber unzählige Menschen vor Hunger und Tod schützen. Dafür wurde ihm 1918 der Nobelpreis verliehen.

Die Verleihung war nicht nur aufgrund der Leistungen Habers bemerkens-wert, sondern auch aufgrund eines dunklen Schattens, der im Ersten Weltkrieg auf seine Chlorchemie gefallen war: Beim Ausbringen von Chlor als Giftgas bei Ypern in Westflandern wurden nicht nur gegnerische, sondern auch deutsche Soldaten betroffen. Häufig waren sie Freiwillige aus dem Berliner Studentenregiment, die sich mit Tüchern zu behelfen versuchten, aber dennoch starben.[2] Ein bewegendes Mahnmal für diese Kriegsgreuel stellt bis heute der Studentenfriedhof bei Langemark dar. Habers Ehefrau Clara, geborene Immerwahr, wählte den Freitod, nachdem sie die Nachricht über den Einsatz von Chlorgas erhalten hatte.[3] Insgesamt ist es also ganz und gar nicht verwunderlich, dass die Person Fritz Haber immer wieder Anlass zu Diskussionen gab und immer noch gibt.[4]

Fritz Haber wurde am 9. Dezember 1868 in Breslau in eine jüdische Familie hinein geboren. Spätestens in seiner Zeit als Student in Karlsruhe zeigte sich Habers lebensbestimmendes Element: Er wollte um jeden Preis Deutscher sein. So trat er zum Protestantismus über und wurde schon im ersten Semester in Berlin Mitglied eines „Naturwissenschaftlichen Vereins“. Mit dem Wechsel nach Heidelberg trat er dem „Naturwissenschaftlichen Verein Studierender“ bei, der heute in der nichtfarbentragenden Verbindung „Karlruhensia“ im Miltenberger Ring aufgegangen ist. Die „Karlsruhensia“ verweist bereits auf ihrer Eingangsseite auf ihre zwei prominenten Mitglieder Haber – Nobelpreis 1918 – und Spemann, Nobelpreis 1935.

Haber erfand in seiner Zeit als Professor an der Universität Breslau die Hochdrucksynthese von Ammoniak aus Luftstickstoff und Wasser. Zwei Rohstoffe, die in unbegrenztem Maße zur Verfügung stehen. Haber war jedoch klar, dass er für die Anwendung seines Verfahrens einen Partner in der Chemischen Industrie benötigt. Er konnte die Badische Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) als einen geeigneten Partner gewinnen. Der wenig jüngere Chemiker Carl Bosch wurde sein primärer Ansprechpartner. Bosch konnte das Verfahren so stark verbessern, dass er 1931 dafür den Nobelpreis erhielt. Insgesamt sind für die synthetische Herstellung des Ammoniaks gleich dreimal Nobelpreise vergeben worden. 1918 an Fritz Haber selbst für die Erfindung der Hochdrucksynthese, 1931 an Carl Bosch und 2007 an Gerhard Ertl für die Aufklärung der katalytischen Mechanismen der Ammoniak Synthese.

Eine weitere Facette der Lebensleistung von Fritz Haber darf nicht vergessen werden: Schon 1910 wurde er zum Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie, berufen, heute Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft. Aus dieser Stellung heraus besetzte Haber eine Anzahl einflussreicher Positionen. So war er Mitbegründer der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, dem Vorläufer der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sein Leben endete indes tragisch. Er verließ Deutschland mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und erhielt einen Ruf an die renommierte Universität Cambridge. Auf dem Weg zu einem Vortrag in Palästina starb Haber 1934 in Basel an Herzversagen.[5]

Carl Bosch

Der Inselstaat Grenada ehrte Carl Bosch mit einer Briefmarke, die ein wenig wie eine kommerzielle Zweckausgabe wirkt.

Carl Bosch besetzt gleich mehrfach Ausnahmepositionen. Die wohl wichtigste ist die Tatsache, dass er als erster Industriechemiker einen Nobelpreis verliehen bekam.[6] Bis dahin waren es ausnahmslos Hochschullehrer oder Angehörige einer Akademie. Carl Bosch löste – als Angehöriger der von Justus Liebig gegründeten wissenschaft-lichen Schule – in fünfter Generation ein zentrales Problem Liebigs. Während nämlich Liebig den Kunstdünger unter Verwendung des natürlich vorkommenden Chile-Salpeters – aus Guano und Kaliumnitrat – einführte, erkannte Carl Bosch die Möglichkeit der industriellen Herstellung von Ammoniak als Ausgangssubstanz für Dünger. Wenig bekannt ist, dass er Mitglied der Burschenschaft Cimbria Charlottenburg war.

Womit wir bei Boschs Studium wären, und dort fällt seine ungewöhn-liche Fächerkombination auf. Er begann 1894 mit Maschinenbau und Hüttenwesen an der TU Berlin-Charlottenburg.[7] 1896 wechselte er nach Leipzig zum Studium der Chemie. Bosch war damit ein Pionier, denn heute gibt es für die Kombination einen eigenen Studiengang, den „Chemieingenieur“. Das Chemiestudium schloss Bosch trotz dieses Wechsels bereits 1898 mit der Promotion ab. 1899 trat er in die Dienste der BASF in Ludwigshafen am Rhein ein. Hier half ihm das erworbene Verständnis im Chemie-Anlagenbau bei der Umsetzung der Hochdrucksynthese nach Fritz Haber bis zum benötigten industriellen Maßstab. Als besonders tragisch hat Carl Bosch den wohl schwersten Unfall in der Geschichte der deutschen Chemie empfunden. In Oppau bei Ludwigshafen kamen 1921 bei einer Explosion des Düngemittellagers 559 Personen ums Leben, nachdem Bosch als Vorsitzender des BASF-Vorstandes eine Änderung des Verfahrens genehmigt hatte.[8]

1925 war Bosch Vorsitzender des Vorstandes der IG-Farben-Industrie AG und 1935 deren Vorsitzender des Aufsichts- und Verwaltungsrats. Mit 63 Jahren wurde er 1937 als Nachfolger Max Plancks[9] Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), obwohl er sich schon 1933 bei Adolf Hitler für das Verbleiben der jüdischen Kollegen eingesetzt hatte. Das KWG-Amt empfand Bosch als starke Belastung, so dass er einen Selbstmordversuch unternahm. Er erkannte die Vorbereitungen auf den Zweiten Weltkrieg und die Rolle, die die IG-Farben bei der Produktion von Sprengstoffen, synthetischen Treibstoffen und Giftstoffen spielen sollte.

Bosch trat bereits in seinem ersten Semester der Burschenschaft Cimbria Charlottenburg bei. Ihr blieb er sein Leben lang treu, wie man der Burschenrolle von 1938 entnehmen kann. Heute gibt es die Cimbria nur noch als Altherrenverband, nachdem sie sich 1936 zwangsweise aufgelöst hat. 1948 wurde Cimbria in Stuttgart rekonstituiert und verlegte 1951 zurück nach Berlin, gleichzeitig trat sie wieder der Deutschen Burschenschaft bei. 1968 vereinigten sich die Aktivitates der Cimbria, Germania und Hevellia Berlin zur „Neuen Berliner Burschenschaft“, die 1975 vertagte und 1976 als „Burschenschaft Brandenburgia Dortmund“ eröffnete. Sie ist seit 1999 vertagt. Die drei AH-Verbände haben sich wieder getrennt.[10] Am 6. April 1940 starb Bosch in Heidelberg.[11]

Hans Spemann

In keinem Biologielehrbuch fehlt der Name des Nobelpreisträgers von 1935, Hans Spemann.[12] Ihm verdanken wir fundamentale Entdeckungen auf dem Gebiet der Entwicklungsbiologie der Tiere mit wichtigem Einfluss auf das Verständnis der Entwicklung des Menschen und damit auf die ganze Humanmedizin. Denn während Pflanzenzellen stets omnipotent bleiben – aus jeder einzelnen pflanzlichen Zelle kann sich wieder eine adulte Pflanze bilden – differenzieren sich die tierischen Zellen bereits in einem sehr frühen Stadium irreversibel.

Um den dafür zu Grunde liegenden Mechanismus zu verstehen, wählte Spemann die Eier von Molchen zu einer mechanischen Teilung aus. Damit führte als Erster sogenannte Schnürversuche durch. So ließen sich künstliche, vollständig identische Zwillinge erstellen. Seine Doktorandin Hilde Mangold entdeckte den sogenannten „Organisator“, der ab einem bestimmten Stadium darüber entscheidet, wo, wie und wann sich einzelne Zellen irreversibel spezialisierten. Für diese Entdeckung wurde 1935 der Nobelpreis verliehen. Da Hilde Mangold bereits 1924 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, wurde nur Spemann geehrt.

Der 1869 in eine Verlegerfamilie geborene Hans Spemann entschied sich gegen die Übernahme des Verlags und nahm 1891 in Heidelberg ein Medizinstudium auf. Dort wurde er bei der nicht farbentragenden Karlsruhensia im Miltenberger Ring aktiv. Nach einem Semester in München wechselte er 1894 an die Universität Würzburg, um bei dem bekannten Embryologen Theodor Boveri sein Studium fortzusetzen.

Er promovierte bei ihm zum Dr. med. Ebenfalls in Würzburg wurde er habilitiert und zum Professor ernannt. Acht Jahre nach der Promotion erhielt er einen Ruf an die Universität Rostock. Wieder acht Jahre später wurde er auf Vorschlag von Boveri zum Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie ernannt. 1919 wechselte er zurück nach Süddeutschland auf den Lehrstuhl für Zoologie in Freiburg. Hier gelangen ihm die mit dem Nobelpreis gekrönten Experimente.[13]

Otto Hahn

Der Name Otto Hahn dürfte wohl für jeden positiv belegt sein. Der 1879 in Frankfurt am Main geborene und 1968 mit fast neunzig Jahren in Göttingen verstorbene Chemiker hat mit seinen Forschungen ein kaum vergleichbar großes Tor aufgestoßen. Viele halten ihn für einen Physiker, wogegen er sich sein Leben lang gewehrt hat. Drei Dinge sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Ohne die gründliche Ausbildung in Analytischer Chemie in Marburg und München hätte Hahn erstens seinen eigenen Ergebnissen nicht getraut. Zweitens hätten sich ohne die jahrzehntelange Mitarbeit der Österreicherin Lise Meitner viele Erfolge erst später oder gar nicht eingestellt. Drittens ist Hahn ohne die überall hoch geschätzte Menschlichkeit, er stets verkörperte, nicht vorstellbar.

Das Reaktionsmodell der Kernspaltung stellt die Briefmarke Bund Nr. 1020 von 1979 dar, die zu Ehren Otto Hahns verausgabt wurde.

Hahn trat als junger Student in den 1879 gegründete „Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Marburg“ ein. In den 1920er Jahren wurde daraus die „Landmannschaft Nibelungia Marburg im CC“. Das Wappen der Nibelungia lässt auch heute noch die naturwissenschaftliche Wurzel erkennen. Otto Hahn trat im Jahre 1933 aus Protest gegen die Einführung des Arierparagraphen in seiner Nibelungia aus. Er schreibt dazu in seinen Erinnerungen: „Der nicht couleurtragende Verein hatte sich in die couleurtragende Verbindung ‚Nibelungia‘ verwandelt. Ich war plötzlich und eigentlich ganz ohne Zutun ‚Alter Herr‘ einer schlagenden Verbindung, ohne je Schläger gefochten zu haben. […] Nach dem 30. Januar 1933 nahm auch die ‚Nibelungia‘, wie alle Studentenverbindungen, den ‚Arierparagraphen‘ in ihre Satzung auf, der alle nichtarischen Mitglieder, ob sie nun Aktive oder Alte Herren waren, aus ihren Listen strich. Nach dem Schwur zur ewigen Treue wenige Jahre zuvor hielt ich meine Mitgliedschaft daraufhin nicht mehr für tragbar. Ich erklärte meinen Austritt aus dem Bund und habe mich auch nach 1945 nicht entschließen können, wieder einzutreten.“[14]

Hahn war ein Experte für den Nachweis von Erdalkalimetallen. Bei der Uranspaltung entstand neben dem Edelgas Krypton ausgerechnet das Erdalkalimetall Barium. Das war für Otto Hahn das entscheidende Argument, den experimentellen Ergebnissen seines Mitarbeiters Straßmann vorbehaltlos zu glauben. Es ist überliefert, dass Hahn die Ergebnisse wenige Tage nach der Entdeckung handschriftlich niederlegte und in die benachbarte Druckerei der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ bringen ließ. Es vergingen wieder nur wenige Tage, bis diese Nachricht gedruckt und versandt wurde. Die berühmte Episode seines Briefes nach Schweden an seine jahrzehntelange treue Mitarbeiterin Lise Meitner führte zur Offenlegung der Kettenreaktion, die wiederum durch Lise Meitners Neffen in die USA kommuniziert wurde. Die Nationalsozialisten erkannte zwar auch das Potential, aber die Büchse der Pandora war ungewollt geöffnet.

Über den Ablauf dieser Entwicklung ist sehr viel geschrieben worden und muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Bewundernswert ist trotzdem, dass aus dem „reinen Wissenschaftler“ nach dem zweiten Weltkrieg ein hoch anerkannter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft wurde. Sein Lebensweg ist gepflastert mit wissenschaftlichen Erfolgen aber auch mit persönlichen Schicksalsschlägen. Kurz zusammengefasst: Otto Hahn ist als Wissenschaftler, als Organisator und als Mensch ein Vorbild.

Adolf Butenandt

Adolf Butenandts Verdienste gehen nämlich weit über seine weltbekannten Forschungserfolge hinaus. 16 seiner Schüler sind entweder Max-Planck-Direktoren oder Ordinarien geworden. Unbestritten wird sein, dass das Fach „Biochemie“ in Deutschland jahrzehntelang von Butenandt-Schülern dominiert wurde, bis es sich langsam an den Universitäten als eigenes Fach etabliert hat.

Adolf Butenandt 1921 als Fuchs der Marburger Turnerschaft Philippina; gut erkennbar zwei noch recht frische Treffer auf Hochquart.

Schon der Name Butenandt weist auf seine Herkunft hin. „Butenländer“ sind norddeutsche Marschbauern, die „buten“ – hochdeutsch „draußen“ – vor den Deichen ihren Hof hatten. Genau das trifft für Adolf Butenandt aus der Wesermarsch zu. Sein Geburtsort Lehe ist heute Stadtteil von Bremerhaven. Dort verbrachte er seine Jugend. Nachdem einer seiner Schulkameraden nach Marburg gegangen war und dort das Band der Turnerschaft Philippina aufgenommen hatte, ging Adolf Butenandt im WS 1921/22 exakt denselben Weg. Auf der Webseite der Philipps-Universität Marburg ist ein Bild von ihm in Vollcouleur zu finden.[15]

Butenandt wechselte nach vier Semestern zu Adolf Windaus nach Göttingen. Hier traf er eine Gruppe von Marburger Bundesbrüdern, zu denen er zeitlebens Kontakt hielt. Sein neuer Chef Windaus war bereits ein bekannter Naturstoff-chemiker, der wenig später, 1928, den Chemienobelpreis erhielt. Butenandt wandte sich auf Vorschlag Windaus’ der Isolierung von Geschlechtshormonen zu.

1927 wurde Butenandt mit einer Arbeit über über Geschlechtshormone promoviert; bis 1931 blieb er Assistent bei Windaus. Dann folgte eine steile akademische Karriere mit Habilitation und einem Ruf an die Technische Hochschule der Freien Stadt Danzig. Einen Ruf an die Harvard University schlug er zugunsten der Leitung eines eigenen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Biochemie aus. Bereits als 36-jähriger erhielt er 1939 den Chemienobelpreis. Sein Berliner Institut wurde noch vor Ende des Krieges in das unzerstörte Tübingen verlagert. Dort wurde ohne Unterbrechung weitergearbeitet.[16] Das Tübinger Institut war zu einem Zentrum für Virologie und Biochemie geworden, auch weil es Butenandt gelang, eine Anzahl von exzellenten Mitarbeitern um sich zu scharen.

Butenandt starb 1995 in München als hochgeehrter Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und als wohl einflussreichster Chemiker, der das Tor zur deutschen Biochemie, Virologie und Molekularbiologie weit aufgestoßen hatte. An dieser Stelle sei nur die Antibabypille genannt, die nicht nur die Zahl der Kinder, sondern auch die Rolle der Frauen beeinflusste. Sein Schüler Peter Karlson schrieb eine lesenswerte Biographie, die eher ein Lehrbuch als einen Roman darstellt.[17]

Für Studentenhistoriker sicher interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich der Verbindungen von Adolf Butenandt und dem zuvor behandelten Otto Hahns. Aus dessen „schwarzer“ Verbindung „Naturwissenschaftlicher Verein“ wurde die pflichtschlagende „Landsmannschaft Nibelungia Marburg im CC“. Aus Butenandts pflichtschlagender „Turnerschaft Philippina im CC“ wurde eine Turnerschaft im Marburger Konvent, die heute nach einer Fusion unter neuer Couleur als verbandsfreie „Turnerschaft Philippina-Saxonia“ auftritt.

Anton Zeilinger 2022 ist die Liste der korporierten Nobelpreisträger um einen Namen länger geworden. Prof. Peter Krause, Präsident des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte (ÖVfStg), schreibt dazu: „Mit Stolz dürfen wir feststellen, dass es ein Österreicher ist: Anton Zeilinger, geboren 1945, wurde am 4. Oktober 2022 der Nobelpreis für Physik zuerkannt für seine Forschungen auf dem Gebiet der Quantenphysik. 1979 habilitierte er sich an der TU Wien, wurde 1990 Ordinarius für Experimentalphysik in Innsbruck und 1999 an der Uni Wien. Von 2013 bis 2022 war er Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Er ist Mitglied der ÖCV-Verbindungen Marco-Danubia Wien und Austria Innsbruck sowie der MKV-Verbindung Teutonia Innsbruck.“[18]


[1] Vgl. dazu: SK 4/2021, S. 20 – 21.

[2] Trude Mauter, … und wie gehören auch dazu, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2015. XXIV, zwei Bände, 1214 Seiten, darin angeführt: Grünwald, Das Berliner Studentenregiment bei Ypern in Deutsche Akademische Zeitschrift 1 (1919) S. 182 – 195, insbes. S.192.

[3] Dieter Hoffmann, Tagesspiegel, 8. Dezember 2018: Der erste gesicherte Einsatz von Chlorgas erfolgte am 22. April 1915 durch eine Spezialeinheit, bestehend überwiegend aus kriegsfreiwilligen Studenten, in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern und gilt als eigentlicher Beginn des Gaskrieges.

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/ Clara Immerwahr_(Fernsehfilm)

[5] Hoffmann, Tagesspiegel, 8. Dezember 2018.

[6] Harenberg Lexikon der Nobelpreisträger (1998) Dortmund.

[7] Friedrich Klemm: Bosch, Carl, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), 1955, Bd. 2, S. 478 f.

[8] Ulrich Hörcher: Oppau 1921: old facts revisited. In: Chemical Engineering Transactions. 48, 2016, S. 745 – 750.

[9] Max Planck: aktiv und später Alter Herr beim akademischen Gesangverein (AGV) München im Sondershäuser Verband.

[10] Wir danken Herrn Gernot Schäfer für seine wertvollen Hinweise.

[11] Friedrich Klemm: Bosch, Carl, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), 1955, Bd. 2, S. 478 f.

[12] Hans Spemann: Forschung und Leben, 344 S., hrg. von Friedrich Wilhelm Spemann, 1943.

[13] W.E.Garabek: Spemann, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), 2010, Bd. 24, S. 657.

[14] Otto Hahn: Mein Leben, München 1968, passim.

[15] https://www.uni-marburg.de/de/fb15/fachbereich/dekanat/chemie.pdf.

[16] Der Spiegel, 22.Juni 1950, Rubrik Forschung, Butenandt: Gerade noch fassbar, S. 22 – 27 plus Titelbild.

[17] Peter Karlson: Adolf Butenandt, Biochemiker, Hormonforscher, Wissenschaftspolitiker, WVG Stuttgart, 336 S., 1990.

[18] Prof. Krause an Sebastian Sigler, 4. November 2022.

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