Harald Seewann dokumentiert Geschichte des akademischen Corps Amelungia Wien

Erstaunlich, wie viele Spuren einer längst untergegangenen Verbindung zu finden sind! Harald Seewann beherrscht dieses Kunststück wie kaum jemand sonst. Diesmal legt er eine fundierte, aussagekräftige und wieder einmal rundum gelungene Dokumentation zum akademischen Corps Amelungia vor und präsentiert Originalcouleur der Amelungia, das lange verschwunden war.

Fast vergessene Verbindungen zu finden – es gibt schlichtweg keinen größeren Spezialisten für derartige Detektivarbeiten als Harald Seewann. Ein altösterreichisches Corps ist es diesmal, das der Autor zu Ehren bringt, denn er, selbst überzeugter Burschenschafter, blickt gerne über die Grenzen hinaus, die jeder Verband nun einmal hat. Harald Seewann ist damit ein großes Vorbild, das gerade in Deutschland gerne noch mehr Nachahmer finden darf, gerade in den studentenhistorischen Institutionen.

Erst im Februar 2023 wieder aufgetaucht: prachtvolles Couleur des Corps Amelniga Wien. Sammlung Harald Seewann, Graz.

Corps Amelungia Wien hinterließ Spuren. Protokollbücher, Berichterstattung in der Presse, Bücherannoncen, Briefe und Eingaben an diverse Behörden, vor allem das Rektorat der Universität Wien – all das darf der Leser erwarten. Dazu Mitgliederlisten, Mensurprotokolle und auch Todesanzeigen. Erstaunlich, es kann nur wiederholt werden, ist die Material-fülle, die Seewann vorweisen kann, denn Amelungia war kein langlebiges Corps, sondern kämpfte immer ums Überleben.

Ein handgemaltes Wappen, individuell gestaltet: das akademische Corps Amelungia Wien hat nennenswerte Spuren hinterlassen.

1877 wurde die Wiener Amelungia gegründet, die im übrigen nichts mit der heute noch bestehenden Wiener CV-Verbindung zu tun hat. Ein Corps in Österreich-Ungarn, und damit auch nicht als Kösener oder Weinheimer Corps, war die Amelungia ab Beginn. Ihre Gründung fällt genau in jene Jahre, in denen der Antisemitismus speziell in Wien plötzlich exponentiell zunahm. Bereits 1884 mußte die Ameluniga, die auch viele jüdische Mitglieder, wohl aufgrund des Druckes von außen, aber zweifelsfrei auch aufgrund innerer Streitig-keiten vertagen, und nachdem 1889 die Wiedererrichtung des Aktivenbetriebs gelungen war, folgte bereits 1893 das vorläufige Aus. Erst 1949 war eine Rekonstitution möglich, doch 1959 war auch diese Epoche zwangsweise durch Nach-wuchsmangel beendet. Bis 1969 versuchten die Amelungen noch, als Jagdcorps weiterzubestehen – ohne Erfolg.

Sachlich, ohne Sentimentalität, aber wie immer äußerst gründlich und vor allem mit ganz erstaunlichen Fundstücken präsentiert sich Harald Seewann einmal mehr als Chronist des Korporationswesens. Dem Schatz der gehobenen Informationen über einen ganzen Kosmos an Verbindungen fügt er ein weiteres, glanzvolles Stück hinzu. Nicht zuletzt bietet er Informationenüber den Melker Corps-Convent, der – wie die Geschichte der altösterreichischen Corps insgesamt – heutzutage kaum mehr bekannt ist, dem Amelungia Wien angehörte und der seinerzeit dafür stand, daß nur höchst angesehene Corps hier Mitglied sein konnten. Der broschierte Band im Format Din A4, innen so inhaltsreich wie äußerlich sparsam, ist mit erstaunlich vielen informativen Quellen bestückt, und das sogar teilweise in Farbe, was angesichts der gewählten Technik der Vervielfältigung per Kopie, die Seewann trotz der hier immer nötigen, aufwendigen Bearbeitung traditionell wählt, keinesfalls selbstverständlich ist.

Das Corps Amelungia Wien, Mitglied im Melker Corps-Convent, galt in seiner kurzen Glanzzeit als sehr angesehen und vornehm.

Klaus Zacharias resümiert völlig zutreffend für den Studentenkurier, hier vorab zitiert: „Die Dokumentation zeichnet sich durch einen konsequenten Aufbau aus, der die Geschichte Amelungias deutlich gliedert. (…) Mit der Fülle des prüsentierten Materials gelingt es Seewann erneut, ein umfangreiches und eindrucksvolles Bild eines untergegangenen österrichischen Corps zu zeigen, dem derAutor auf diese Weise ein überzeugendes Denkmal gesetzt hat.“ Natürlich würden sich nun viele Studentenhistoriker dieses Werk als Datensatz oder Digitalisat wünschen, damit die Informationen auch digital weiterbearbeitet werden können, aber die Summe kann auch ohnedies gezogen werden: Seewann lohnt immer! Nicht nur über die Amelungia, sondern über die gesamte, überaus große Vielfalt des akademischen Wiens im späten 19. Jahrhundert erfahren wir eine enorme Menge. Chapeau!

Harald Seewann (Hrsg.), Das Wiener akademische Corps Amelungia – Ein Beitrag zur österreichischen Corpsgeschichte, 280 Seiten, broschiert, Text durchgehend illustriert und mit Dokumenten versehen, einige farbige Abbildungen, Graz 2022, für 23 Euro zu beziehen über den Herausgeber per Mail unter c.h.seewann@aon.at sowie per Post: Harald Seewann, Resselgasse 26, A-8020 Graz.

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