Harald Seewann öffnet die Tür in die studentische Welt der Donaumonarchie

Das Corps Cimbria Wien bestand von 1870 bis 1902, und kaum jemanden wäre es heute bekannt, wenn nicht Harald Seewann begonnen hätte, die noch bestehenden Archive systematisch nach Spuren der alten Cimbria zu untersuchen. Vollauf ist das gelungen! Bis in den KSCV, also weit über das Corps Cimbria Wien hinaus, weisen dabei die gefundenen Fakten. Wieviel Wissen über die Korporationslandschaft in der Donaumonarchie sich zwischen zwei Buchdeckeln unterbringen läßt, wird in diesem „neuen Seewann“ deutlich.

Schlichter Titel, gewichtiger Inhalt: Harald Seewanns neues Werk über das Corps Cimbria Wien

Studentische Verbindungen gründeten sich in Österreich relativ spät – erst in der zweiten hälfte des 19. Jahrhunderts. Ähnlich wie nördlich der Donau waren auch in der k.u.k.-Monarchie alle Richtungen vertreten. Mit Cimbria hat Seewann ein schönes Exemplar eines noblen, fechtfreudigen und selbstverständlich toleranten Corps trefflich dargestellt – eines technisch-akademischen Corps, das trotz oder gerade wegen seines Toleranzprinzips in seiner Loyalität zum Kaiserhaus einen festen Stand hatte. Dies Vorbemerkung sei gestattet, weil sich mit der Lektüre dieses neuen Werkes der höchst kundigen und profilierten Studentenhistorikers Professo Seewann unausgesprochen das Drama der Donaumonarchie abbildet – das Erstarken des verderblichen Antisemitismus. Gerade dass bei Cimbria von Judenfeindschaft nichts zu lesen ist, dass Antisemitismus offenkundig kein Thema war, belegt dies deutlich.

Die Irrlehre der Ariosophie war seit den 1860er Jahren in der Welt, in den 1870er Jahren wuchs der Antisemitismus stark und wandelte sich zudem von einer gesellschaftlichen Ablehnung zu einer rassistischen Ächtung. Ab dem Richard-Wagner-Trauerkommers 1883 war er gesellschaftlich tonangebend – zunächst in Österreich, später und gebremster erst im Deutschen Reich, wo die Wirkungen des ersten Weltkrieges dann auch alle Dämme brechen ließen. Parallel dazu entwickelten sich die ab 1860 und vermehrt ab 1870 zu beobachtenden Corps eher schlecht, wie das Corps Cimbria Wien mussten viele den Aktivenbetrieb einstellen, die judenfeindlichen Tendenzen in der Studentenschaft erlebte dagegen eine wahre Blüte – es waren andere Dachverbände als die Corps, die von der Judenfeindschaft profitierten. Die Geschichte Cimbrias und seiner Kartellcorps ist ein Mikrokosmos, der in den tragischen Zeitkontext bestens passt. Cimbrias Suspendierung stellt einen Mosaikstein in der Geschichte der Habsburgermonarchie dar, die von der Krankheit der Judenfeindschaft ausgezehrt wurde, mutmaßlich, ohne dass es der Mehrzahl der Menschen bewusst gewesen wäre.

Blick ins Buch: ein Hauch von Opulenz, sehr berechtigt

Das ist der Hintergrund, vor dem Seewanns neues Werk gelesen werden kann. Die wunderbare Sammlung höchst informativer Berichte wird für den Historiker allein deswegen schon so spannend wie ein guter Krimi. Doch die Freude kommt nicht zu kurz. Herrleich sie opulenten Wappentafeln der Cimbria und ihrer Kartellcorps gleich zu Beginn des Bandes – nur leise sei geseufzt, dass solcherlei Cimelien natürlich auch auf Bilderdruckpapier in einem Bildband gut aufgehoben wären. Dieser Seufzer mag dem Liebhaber der wunderbaren, selten gesehenen Wappen wohl entfleuchen, er ist aber unstatthaft. Für Studentenhistoriker ist es längst ein offenes Geheimnis, dass Professor Seewann nicht von öffentlichen Einrichtungen und nicht von staatlichen Stiftungen in seiner Arbeit unterstützt wird, jedenfalls nicht wesentlich, und dass er seine verdienstvolle und überaus kostspielige Tätigkeit weitestgehend aus Eigenem bestreitet. Chapeau – allein dafür!

Wer Seewann liest, wer Zirkel und Zionsstern kennt, der weiß um die Gründlichkeit, mit der Seewann arbeitet. Alle wichtigen und relevanten Daten sind auf den ersten Seiten zu finden, und mit Liebe und Sorgfalt aufgereiht folgt Bericht um Bericht. Natürlich fehlen die Paukbücher nicht. Beeindruckend die zahlreichen, in sauberer Kurrantschrift abgefassten Berichte und Briefe. Kaum weniger bemerkenswert die zahlreichen Belege für eine Präsenz der Corps in den großen Zeitungen des Landes. Wie nebenbei erfährt der Leser ganz am ende des Bandes auch noch, welche Mitglieder im ansonsten quasi vergessenen Corps Frisia Wien, das ab dem Jahr 1900 immerhin 15 Semester Bestand hatte, aktiv waren. Ein Bild tut sich auf – das Bild einer noblen, kneipfreudigen, vor allem aber sehr mensurbeflissenen Gesellschaft in einem toleranten und weltoffenen kaiserlichen Wien. Mit der Vergiftung dieses Idyll siechte auch Cimbria dahin, und nurmehr vergleichsweise wenige Corps aus dem alten Österreich sollten noch existieren, als 1919 der HKSCV den Beschluss fasste, diese aufzunehmen. Die Wiener Cimbern wären gute Kösener geworden, so erkennen wir, aber das gesellschaftliche Klima hatte sein Fortbestehen längst unmöglich gemacht, als es so weit gewesen wäre.

Das Wappen der Cimbria Wien: bei Harald Seewann

Ein schier unendlicher Reichtum an Briefen tut sich auf, bis in die Feinheiten werden die gesellschaftlichen Usancen in der k.u.k.-Monarchie nachvollziehbar. Auch eine Lücke im Wissen um die frühen Corps im östlichen Mitteleuropa wird geschlossen. Denn für sich genommen ist ein Corpsarchiv – so wie jedes Archiv in jeder Verbindung – ein Haufen von Belegen und schriftlichen Äußerungen mancherlei Art. Erst in der Zusammenschau, im Vergleich mit anderen Archiven, tun sich die Unterschiede auf, die Rückschlüsse auf eine ganze Kultur, auf eine Gesellschaft ermöglichen. Dieser Vergleich gelingt für die altösterreichischen Corps, das allein ist schon ein Ereignis – zumal aus deutscher Sicht, denn zumnidest in den deutschen Corpsverbänden ist eher nicht viel darüber bekannt, welche immensen Werte das Corpsstudententum in der Donaumonarchie bis hin nach Czernowitz transportierte – und warum es nicht dauerhaft blühen konnte. Erst eine derartig interessante Zusammenschau wirft weitergehende Fragen auf, darunter auch die nach der gesamtgesellschaftlichen Wirkung des Antisemitismus im Habsburgerreich, aber auch darüber hinaus. So bleibt festzuhalten: Mit seiner Hebung der Quellen zum Corps Cimbria Wien hat sich Harald Seewann ein weiteres Mal große Verdienste erworben!

Erschienen ist das Werk als broschierte Privatmonographie. Natürlich wäre es mehr als sinnvoll, einen solchen Band über einen Fachverlag der Wissenschaft zugänglich zu machen. Aber es geht um den Inhalt, es geht um das Verdienst. Und so ist der Band beim Herausgeber in Graz per Post oder online bestellbar. Universitätsbibliotheken – und zwar im gesamten deutschen Sprachraum – sei geraten, sich ein Exemplar zu sichern.

Sebastian Sigler

Harald Seewann (Hrsg.), Das Corps Cimbria Wien – Materialien zur Geschichte eines altösterreichischen Corps, Graz 2020, 591 Seiten, Din A 4 broschiert, für 36 Euro bestellbar bei: Harald Seewann, Resselgasse 26, A-8020 Graz, c.h.seewann@aon.at.

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