Fürst Wrede – Grazer Corpsstudent der ersten Stunde, Offizier, k.k. Diplomat

Was ein Corpsstudent, adlig von Geburt, in Österreich-Ungarn erreichen konnte, dokumentiert Harald Seewann in seinem neuesten Werk, einer Dokumentation über Raoul Fürst Wrede. Und wie immer bei einem „echten Seewann“ erfährt die Leserschaft noch sehr viel mehr – diesmal entfaltet sich bei der Lektüre die gesamte ursprüngliche Verbindungslandschaft in Graz.

Wrede, 1843 in Paris geboren, stammte aus einem ursprünglich kurpfälzischen, später in Mittelfranken begüterten bayerischen Adelsgeschlecht, das seit 1791 zum Stand der Reichsfreiherren gehörte und in der napoleonischen Ära standesmäßig erhöht wurde. Eine Reihe seiner Vorfahren waren bedeutende Diplomaten, und in diese Laufbahn strebte auch er. Der 19jährige Wrede schloß sich nach Beginn seines Studiums der Jurisprudenz jedoch zunächst im Jahre 1862 dem Corps Tartarus Graz an, er wurde unter der Nummer 26 rezipiert, als letzter unter dieser Jahreszahl,[1] somit also wohl im Wintersemester 1862/63. Im Sommersemester 1864 war er als Consenior chargiert, er war offenkundig eher rauflustig als dezent – jedenfalls fiel er mehrfach durch Streitigkeiten sowie durch eine Verabredung zu einem Duell auf. Im Mai 1864 erfolgte deswegen eine Ermahnung der Universität.[2] Wenig später wurde Wrede durch ein Duell mit einem Wiener Sachsen aktenkundig,[3] dessen Folgen Seewann anhand einer Fülle von Quellen auf fast 100 Seiten detailliert nachvollzieht.[4] Wegen „ungebührlichen Benehmens“ wurde Wrede von der Universität Graz relegiert. Ein Weiterstudium, vor allem die Ablegung der juristischen Prüfungen wurde ihm in Wien – wo er darum nachgesucht hatte – verweigert.[5]

Corps Tartarus Graz im Jahre 1864. Stehend, 4. von links: Raoul Fürst Wrede. Quelle (zwei Bilder): Archiv des Corps Vandalia Graz.

Nach der Relegation von der Universität absolvierte Fürst Raoul Wrede eine knapp vierjährige Militärzeit,[6] es folgte 1868 der Eintritt in den diplomatischen Dienst Österreich-Ungarns sowie hier eine durchaus standesgemäße Karriere.[7] Nach 34 Dienstjahren wurde er 1902 in den dauernden Ruhestand versetzt,[8] 1914 verstarb er nach längerer Krankheit im Spital damals der noch zur k.u.k. Monarchie gehörigen Stadt Bozen.[9] Harald Seewann legt in seinem neuesten Werk eine knappe, aber durchaus vollständig wirkende Dokumentation der Berufsstationen des Fürsten Raoul Wrede vor, er ergänzt auch diese Darstellung durch eine Vielzahl Quellen, die er als Faksimile seinem Band beigibt. Diese Quellen sind es auch, die – wie bei Seewann immer üblich – von Anfang bis Ende dem Leser auch diesmal eine ganze Welt erschließen. Dabei geht es nicht nur um das Corps Tartarus, sondern um die ursprüngliche, die älteste Korporationsszene in Graz. Im folgenden seien zunächst Seewanns Anmerkungen zum Corps Tarturus vorgestellt, sodann sein Blick auf die Grazer Farbenwelt kurz nach 1860.

Das Wappen der fürstlichen Familie Wrede. Der blaue Farbschild rechts oben weist auf einen napoleonischen Ursprung des Titels hin. Quelle: Wikipedia (gemeinfrei)

Auf 39 Rezeptionen brachte es das 1861 gestiftete Corps Tartarus Graz, wobei die Corpserklärung erst am 12. Juni 1862 erfolgte.[10] Die Kontakte zum Münchner Senioren-Convent waren dabei lebendig, vielleicht sogar entscheidend. Eine genauere Untersuchung dieser Zusammenhänge wird schmerzlich vermisst, zumal dann auch die Gründe deutlicher würden, warum die Mehrzahl der frühen Grazer Korporationen nicht über eine kurze Lebensdauer hinauskam. Nach dem Semester, in dem Wrede als Consenior chargiert war und in dem er in den Duellskandal involviert war, musste Corps Tartarus jedenfalls suspendieren. Konkret geschah dies am 20. November 1864, als offenbar der Nachwuchs für das laufende Semester ausgeblieben war. Die Altherrenschaft der Tartaren wurde zu einem größeren Teil im Jahre 1894 – bei dessen Gründung – in das heutige Corps Vandalia Graz übernommen wurde.

Elf Angehörige des Corps waren adeliger Herkunft, und Wrede gehörte dazu. Da er auch ein Semester in Bonn studierte, kam die gelegentlich geäußerte Vermutung auf, er sei mit zweitem Band Bonner Preuße gewesen – dies ist nach Seewann aber nicht zutreffend.[11] Eine Gesamtdarstellung der Geschichte von Tartarus Graz ist im übrigen ein Desiderat, und der Rezensent hofft, dass möglicherweise dieser Ruf bei Professor Seewann bereits erhört wurde, legte der doch kürzlich eine beeindruckende Dokumentation der Geschichte des Corps Cimbria Wien vor,[12] das in seiner Verfasstheit durchaus Ähnlichkeiten und Parallelen mit Tartarus Graz aufweisen dürfte, wobei das kurzlebige Corps aus Graz aber wohl ein ganzes Stück nobler war.

Der Ursprung der Grazer Korporationen

Eine kleine, aber höchst wichtige Auflistung findet sich bereits in den klärenden Vorbemerkungen, bevor Seewann also direkt zum Leben und zur Geschichte des Fürsten Wrede kommt. Es handelt sich um eine Darstellung der zehn akademischen Verbindungen in Graz bis 1864, zu denen sich drei weitere, „nicht geschlossene“ Verbindungen gesellten.[13] Das Corps Tartarus war die älteste unter den Korporationen, und bis heute Bestand haben, dem Alter nach, die Burschenschaft Stiria, das Corps Joannea und das Corps Teutonia sowie der Akademische Gesangverein und der Akademische Turnverein. Solch eine Darstellung ist von äußerster Wichtigkeit für die gesamte Studentengeschichte, denn sie stammen aus einer Zeit, in der die Akten- und Quellenlage vergleichsweise gut ist, und die knappe Auflistung ist im übrigen auch mit Angaben zu weiterführender Literatur versehen. Rückschlüsse auf die Entstehung der ältesten bekannten Korporationen zum Beispiel in Jena, Leipzig und Halle sind möglich, wenn die aus Graz erhaltenen Akten mit den lückenhaften Regesten und übrigen Quellen aus der Zeit um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert abgeglichen werden. Und ursprünglich hatte Harald Seewann auch eine übergreifende Studie zur frühen Phase des Grazer Verbindungswesens geplant, wie er selbst im Verlagstext für sein neues Buch bekennt. Zu wünschen wäre, dass eine Studie über „die für das korporative Leben bahnbrechende Idee des Waffenstudententums“[14] für die steirische Hauptstadt in Bälde realisiert wird!

Zur äußeren Form des nun zunächst vorliegenden inhaltsschweren Bandes sei auch hier wieder angemerkt, wie überaus schade es ist, dass die wertvollen Werke aus der Feder Seewanns nicht in zeitgemäßer elektronischer Form vorliegen. Aber es gibt sie! Wenn auch in der in den Augen von Archivaren leider doch nicht optimalen Form der mit Klebebindung versehenen, broschierten Fotokopiensammlung. Das aber schmälert nicht den Dank, den die Gemeinde der Studentenhistoriker ihm schuldet. Da heißt es dann eben, mit jedem einzelnen Exemplar pfleglich umzugehen, denn keinesfalls kann auf Seewanns Werke verzichtet werden! Zweifelsohne sind es durchweg Desiderate, die er mit wohldurchdachtem Inhalt und erstaunlich großem Quellenreichtum versehen zuverlässig immer wieder vorlegt.

Nachschrift

Das österreichische Corpsstudententum vor der Aufnahme der Corps aus dem Bereich der Donaumonarchie in den HKSCV führt in der studentengeschichtlichen Wahrnehmung ein Schattendasein. Die Gründe dafür sind leicht einsehbar, traten die Corps in Österreich-Ungarn doch nie so dominant in den Vordergrund, wie das im Bereich des Deutschen Reiches geschehen konnte. Was angesichts einer monarchisch geprägten, sich erst allmählich vom Ständestaat zur bürgerlichen Gesellschaft entwickelnden Gesellschaft auch völlig logisch ist. Im Deutschen Reich hatten die eher protestantisch geprägten, religiös neutralen Corps einen ungehinderten Zugang zu höchsten gesellschaftlichen Kreisen; seit 1878 war der Kronprinz und spätere Kaiser Corpsstudent. Im stark römisch-katholisch geprägten Österreich-Ungarn lag dieser Fall grundsätzlich anders. Für Corpsstudenten war der Zugang zu den gehobenen Kreisen nicht so selbstverständlich, zum direkten Umfeld der Habsburger war er quasi unmöglich. Eine Gesamtgeschichte des Corpsstudententum in der Donaumonarchie – von Graz über Wien bis Czernowitz – ist vor diesem Hintergrund ein Desiderat.

Sebastian Sigler

Seewann, Harald, Student – Offizier – k.u.k. Diplomat. Vom Corpsstudenten zum Diplomaten – Stationen im außergewöhnlichen Lebensweg des Fürsten Raoul Wrede, Graz 2021 (Privatveröffentlichung), 200 Seiten, broschiert, für 22 Euro plus Porto zu beziehen über: Professor Harald Seewann, Resselgasse 26, A – 8020 Graz, c.h.seewann@aon.at.


[1] Seewann, Harald, Student – Offizier – k.u.k. Diplomat. Vom Corpsstudenten zum Diplomaten – Stationen im außergewöhnlichen Lebensweg des Fürsten Raoul Wrede, Graz 2021 (Privatveröffentlichung), S. 30.

[2] Ebd., S. 94, S. 116 – 118.

[3] Ebd., S. 40 – 43, S. 47 – 49, Protokoll S. 65.

[4] Ebd., S. 40 – 133.

[5] Ebd., S. 149.

[6] Ebd., S. 152.

[7] Ebd., S. 166 – 175.

[8] Ebd., S. 174.

[9] Ebd., S. 190 f.

[10] Ebd., S. 34.

[11] Ebd., S. 28.

[12] Harald Seewann (Hrsg.), Das Corps Cimbria Wien – Materialien zur Geschichte eines altösterreichischen Corps, Graz 2020.

[13] Seewann, Wrede, S. 33 – 37.

[14] Seewann, Werbeblatt für sein Buch über Raoul Fürst Wrede.

Ein Kommentar zu “Fürst Wrede – Grazer Corpsstudent der ersten Stunde, Offizier, k.k. Diplomat”

Schreibe einen Kommentar