Westflandern – einst ein Ort des Kriegsgrauens, dann aus falscher, fataler Heroisierung heraus zum Mythos stilisiert. Heute ein deutsches Trauma. Hier starben im November 1914 ganze Regimenter aus Kriegsfreiwilligen, fast durchweg Studenten, eine immens große Zahl korporiert. Die meisten sollen, so die längst kritisch hinterfragte Legende, an einem besonders verlustreichen Tag, dem 10. November 1914, mit nationalen Illusionen und vaterländische Lieder singend in den sicheren Tod marschiert sein.
Wahrscheinlich war es ganz anders. Nichts mit Pathos, nichts mit Gesang, sondern Dreck, Nebel, die Schreie der Verwundeten und – Tod. Es waren Studenten, Tausende von ihnen korporiert. Nur wenige überlebten. Heute erinnert ein schlichter, umso eindrücklicher mahnender Friedhof an die Korporierten, die zu Zehntausenden ihr Leben lassen mussten; allein hier, in Westflandern, in Poelkapelle, das zu Langemark gehört und vor Ypern gelegen ist, waren es wohl 10.500 Studenten. Insgesamt liegen in dieser Erde 44.304 deutsche Soldaten, davon allein 24.917 in einem einzigen Gemeinschaftsgrab, dem größten, das es überhaupt gibt. Seit September 2023 ist dieser Friedhof Teil des UNESCO-Weltkulturerbes.
In diesen Zusammenhang gehört, daß die jungen Soldaten am 11. November 1914 mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes auf den Lippen im Verlauf der Ersten Flandernschlacht gegen die feindlichen Linien gestürmt sein sollen. Der Verdacht, diese Schilderung sei nationalistische Propaganda einer dunklen Epoche deutscher Geschichte – er ist nicht von der Hand zu weisen. Das Heldeneops von den singenden Soldaten, die gegen französische Linien stürmten, sollte also sehr kritisch betrachtet werden. Hier, auf dem Deutschen Soldatenfriedhof Nr. 123, geschieht exakt das.
Die Gedenksteine von Langemark sind erschütternde Zeugnisse der Trauer. Für unreflektierte Heldenverehrung ist auf diesem Friedhof kein Platz, derlei Gefühle bleiben den Besuchern, die das ausgezeichnet gestaltete, recht neue Dokumentationszentrum mit den beklemmenden Bildzeugnissen besuchen, regelrecht im Hals stecken. Stattdessen fließen die Tränen. Auch 109 Jahre danach.
Ganz anders war die Stimmung vieler damaliger Zeitgenossen in den Jahren nach dem Krieg. Feinde der Weimarer Republik, Feinde der europäischen Idee, einige Veteranenverbände, schließlich und insebesondere auch die Nationalsozialisten vereinnahmten den Langemark-Mythos rund um die sogenannten Studentenregimenter, den es durchaus gab, schamlos für sich. Die Soldaten aus diesen Regimentern, um die es hier geht, wurden posthum zu Helden für eine nationalistische Sichtweise stilisiert, die den meisten von ihnen völlig fremd gewesen wäre. Auch mithilfe der Geschichtsklitterung war ein neuer, noch schrecklicherer Krieg in Europa möglich.
Nein, keine Hldenverehrung, keine Propaganda – nicht in Langemark. Nur eine tiefe Erschütterung, auch 109 Jahre nach den tragischen und tödlichen Kriegsereignissen. Raum und für die große und nicht endenwollende Trauer um insgesmt 44.304 Menschen. Langemark gehört zum berüchtigten Ypern-Bogen, an der der deutsche Vormarsch durch Belgien im Späthernst 1914 zum Stocken kam, kurz vor der französichen Grenze. Es ist zugleich einer der Frontabschnitte, an dem wenig später, im April 1915, auch erstmals das grausig wirkende, tödliche Chlorgas eingesetzt werden sollte.
Alle Korporationsverbände, dazu auch weitere studentische und bündische Gruppen und natürlich auch die Reservistenverbände ließen ab 1930 in Langemark-Poelkapelle eigene Gedenksteine errichten. Ab 1928 war für den würdigen Ausbau des bis dahin vernachlässigten Gräberfeldes geworben worden, und im Verlauf der Maßnahmen zur würdigen Gestaltung, die bis 1932 dauerten, wurden allein die sterblichen Überreste von 10.500 Kriegsfreiwilligen aus den sogenannten Studentenregimentern umgebettet.
Heute sind die Erinnerungssteine der Korporationsverbände in schlechtem Zustand – bei einigen sind starke Spuren der Verwitterung zu sehen, andere sinken allmählich in den Boden; alle müssen dringend gereinigt werden. Ihre Rettung, Pflege und Konservierung ist eine zukünftige Aufgabe für Studentenhistoriker, die von Jahr zu Jahr dringlicher wird.
Langemark-Poelkapelle. Einst ein Ort des Grauens, heute ein so würdiger wie bemerkenswerter Ort der Erinnerung; indes – statt langer Worte soll in diesem Jahr hier eine Bildstrecke zu sehen sein. Ein genauerer und wissenschaftlich gestalteter Beitrag steht aus. Auch sollten sich die Studentenhistoriker darauf vorbereiten, eines Tages diesen Friedhof zu pflegen und für seine Erhaltung zu sorgen. Diese Friedensarbeit stünde jeder Studentenverbindung, über alle Dachverbände hinweg, gut zu Gesicht.
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