175 Jahre Paulskirche – 175 Jahre demokratische, korporierte Parlamentarier

Das Jahre 1848 markiert einen Einschnitt in der Geschichte der werdenden Demokratie – es war wieder Revolution! Doch anders als 1789 begnügten sich die Deutschen diesmal nicht mit einer Zuschauerrolle auf der Welttribüne. Am 18. Mai 1848 trat das Parlement in der Frankfurter Paulskirche erstmals zusammen. Korporierte waren es in vielen Fällen, die dies möglich machten, denn im Paulskichenparlament saßen viele Burschenschafter und Corpsstudenten.

Vorab die so oft gestellte Frage. Warum so viele Korporierte, warum Corpsstudenten und Burschenschafter? Zwei Stichworte aus der Feder des Machers dieser Webseite mögen genügen: Seit 1789 gibt es Corps, seit 1815 Burschenschaften. Die frühen Mitglieder dieser prinzipiell widerständigen Vereinigungen von Studenten waren in ihren prägenden Jahren, parallel zum Studium, zur strikten Achtung demokratischer Werte erzogen worden. Sehr Viele von ihnen waren nun im genau richtigen Alter, um mit Erfahrung und gesicherter Lebensstellung entscheidende Weichen stellen zu können. Was zunächst ab 1789, dann abermals 1815 im Dreicke Jena-Leipzig-Halle begonnen hatte und bald nach Erlangen und Göttingen, Heidelberg und an alle großen Universitäten Mitteleuropas ausstrahlen sollte, stand hier einer ersten, historisch bedeutsamen Blüte.

Bereits am 27. Januar 1848 erhoben die Teilnehmer einer ersten Versammlung in Mannheim die „Märzforderungen“, die nun von Sitzung zu Sitzung wiederholt wurden: Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Geschworenengerichte, Nationalversammlung. Nun ging es Schlag auf Schlag: Am 5. März die Heidelberger Versammlung, die sich schon nicht mehr nur als eine Zusammenkunft Gleichgesinnter verstand, sondern als ein „Organ der Nation“, womit sie den Handlungsspielraum der Revolutionäre bedeutend erweiterte. Es folgten die blutigen Märzaufstände in Berlin und Wien, der Sturz Metternichs, die Wahlen zur Nationalversammlung nach allgemeinem und gleichem Männerwahlrecht.

Das Parlament der Paulskirche: Briefmarke der Deutschen Bundespost, 1998

Am 18. Mai 1848, vor 175 Jahren, wurde das erste gesamt-deutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche feierlich eröffnet. Einen großen Anteil der Abgeordneten des Pauls-kirchenparlaments stellten Burschenschafter und Corps-studenten. Die Korporationserfahrungen waren oft prägend für die politische Haltung der „48er“. Mit der vorliegenden Auswahl soll an elf beispielhaften Biographien gezeigt werden, dass Burschenschafter und Corpsstudenten in der Frankfurter Nationalversammlung und darüber hinaus – bis heute – bedeutenden Einfluss auf die politische Bewusst-seinsbildung ausübten. Zugleich wird die Breite des biogra-phischen, geographischen, politischen und intellektuellen Spektrums der damaligen Korporierten in der Paulskirche deutlich. Die biographischen Skizzen sind in der Reihenfolge des Geburtsdatums der Porträtierten angeordnet.

Carl Joseph Anton Mittermaier – der „international berühmteste Jurist“
Carl Joseph Anton Mittermaier, 1806 aktiv bei Bavaria Landshut, heute München, später Professur für Jura

Carl Joseph Anton Mittermaier wurde 1787 in München geboren. Sein Vater war Eigentümer der noch existierenden Rosenapotheke unweit des Marienplatzes. Während seines Rechtsstudiums in Landshut, der damaligen bayerischen Landesuniversität, gehörte er zur Gründungsgeneration des Corps Bavaria (heute München). Mittermaier schrieb sich 1805 in Landshut ein. Dass dort zu diesem Zeitpunkt bereits eine Landsmannschaft der Bayern bestand, zeigen u. a. Stammbuchblätter Mittermaiers aus seinem Nachlass, der in der Universitätsbibliothek Heidelberg verwahrt wird. Die Corps – neben Bavaria Franconia und Suevia – wurden 1806 von den Behörden verboten. Die Korporationen bestandenim Verborgenen weiter, offiziell rekonstituieren konnten sie sich in Landshut aber erst 1816 wieder. Mittermaier, seit 1811 Ordinarius an der Landshuter Universität und mehrfach zum Rektor gewählt, trug entschieden dazu bei, dass landsmannschaftlich geprägte Verbindungen nun auch gesellschaftlich Fuß fassen konnten.

1821 folgte Mittermaier einem Ruf nach Heidelberg, erwarb dort ein prächtiges Barockhaus, das heute der Turnerschaft Ghibellinia gehört. Im liberalen Großherzogtum Baden wurde er zu einer der führenden politischen Figuren, zu einem „politischen Professor“, und mehrfach zum Vorsitzenden der badischen Zweiten Kammer in Karlsruhe gewählt. Seine wissenschaftliche und politische Arbeit galt vor allem der Reform des Strafverfahrens und des Strafvollzugs. Hierzu führte er internationale Vergleiche von Gesetzentwürfen und Gesetzesnovellen durch und führte eine umfangreiche Korrespondenz mit Strafrechts- und Gefängnisexperten in Europa und den USA, weshalb Gustav Radbruch ihn als den „international berühmtesten Juristen“ Deutschlands bezeichnete.

Mittermaiers Weg in die Politik steht auch im Zusammenhang mit seiner juristischen Expertise. Das Strafrecht und insbesondere das Strafprozessrecht waren dringend reformbedürftig. Letzteres beruhte in seinen Grundprinzipien sogar noch auf der Peinlichen Gerichtsordnung von 1532 („Carolina“). Daneben galt in weiten Teilen Deutschlands der französische Strafprozess, den Napoleon eingeführt hatte. Das Bedürfnis, einen reformierten deutschen Strafprozess zu entwickeln, der den Anforderungen der Gegenwart gerecht wurde und zugleich eine Alternative zum französischen Recht darstellte, war groß – und daher hatten die Regierungen ein Interesse daran, dass Experten wie Mittermaier Mitglied der Landtage waren und in den Gesetzgebungskommissionen mitwirkten.

Am 29. Februar 1848 wurde er bei einer Zusammenkunft in der Aula der Heidelberger Universität, in der sich die Teilnehmenden den Forderungen der Mannheimer Versammlung, die zwei Tage zuvor getagt hatte, anschlossen, zum Versammlungsleiter gewählt. Auch im Vorparlament, das am 31. März seine Arbeit aufnahm, führte er den Vorsitz. In der Nationalversammlung engagierte sich Mittermaier in den Ausschüssen: im Gesetzgebungsausschuss und im Verfassungsausschuss sowie im Ausschuss zur Ministerverantwortlichkeit, zudem war er stellvertretender Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses und nahm zusätzlich noch sein Mandat in Karlsruhe wahr. Er sprach sich für die konstitutionelle Monarchie aus, lehnte das Erbkaisertum ebenso ab wie die Beteiligung des Staatsoberhauptes an der Gesetzgebung und setzte sich für ein Zweikammersystem mit Staatenhaus ein.

Nach dem Scheitern der Revolution intensivierte Mittermaier seine Forschungen zum Strafvollzug und zur Gefängniskunde. Hierbei stand er im Mittelpunkt internationaler Expertennetzwerke, wie tausende Briefe aus seinem Nachlass zeigen. Weit über Deutschland hinaus war er einer der prominentesten Gegner der Todesstrafe. Carl Joseph Anton Mittermaier starb 1867 in Heidelberg.

Carl Theodor Welckers 180-Grad-Drehung

Carl Theodor Welcker war einer der bekannten Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung. Gemeinsam mit Karl von Rotteck gab er seit 1834 das „Staats-Lexikon“ heraus, eine „Enzyklopädie der Staatswissenschaften“, in der alle relevanten (und auch weniger relevanten) politischen Themen des Vormärz aus der Sicht des „Frühliberalismus“ bearbeitet wurden. Welcker wurde 1790 in Oberofleiden, heute Stadtteil von Homberg an der Ohm im Vogelsbergkreis, geboren. 1806 schrieb sich Welcker zum Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Gießen ein, 1807 wurde er Mitglied des Corps Franconia (II). Er setzte sein Studium in Heidelberg fort und trat dort – wie später Hecker – Rhenania (II) bei. Üblich war zur Zeit Welckers unter Verbindungsstudenten, Stammbuchblätter zu sammeln. Ein entsprechendes Album aus der Gießener Zeit ist in seinem Nachlass in der Universitätsbibliothek Heidelberg zu finden. Die Corpsburschen verewigten sich auf diesen Blättern zur Erinnerung mit Zirkel als „Freund und akademischer Bruder“, so die Standardformel, und in der Regel mit einigen eher unpolitischen Gedichtzeilen, in denen die Freundschaft pathetisch gefeiert wurde.

Im Frühjahr 1814 wurde Welcker Professor in Gießen, wechselte im Herbst nach Kiel, 1816 nach Heidelberg, 1819 nach Bonn und 1822 nach Freiburg. Wegen eines kritischen Artikels wurde er 1832 entlassen und erst 1840 als ordentlicher Professor wiedereingesetzt. 1841 übersiedelte Carl Theodor Welcker von Freiburg nach Heidelberg, wo er 1869 starb.

Wie für Robert von Mohl (s. dort) nahm auch für Welcker der ‚Rechtsstaat‘ eine zentrale Rolle in seinem historisch-politischen Denken ein. Nach seiner „Staatslehre“ entwickelten sich die Staaten in vier Stufen, die er mit den Lebensstufen verglich: Kindheit, Jugend, „Mannesalter“ und Vergreisung. Die höchste Stufe der Entwicklung ist das „Mannesalter“. Der erwachsene Mann, so Welcker, habe die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse erworben, um seine Verstandeskraft bestmöglich einzusetzen. Ebenso verhielt es sich nach Welcker mit dem Staat. Auf der höchsten Stufe seiner Entwicklung war der Staat Vernunftstaat, als solcher zu einer vernünftigen Selbstgesetzgebung befähigt und er ermöglichte echte, weil vernunftgeleitete Freiheit. Grundlage des Rechts- und Vernunftstaates ist die vertragliche Übereinkunft der Bürger, was deren freie Selbstbestimmung und rechtliche Gleichheit impliziert. Diese Form des Staates war für Welcker Inbegriff des Rechtsstaates.

Als Mitglied der badischen Zweiten Kammer sorgte er 1831 mit zwei Anträgen für Aufsehen: zum einen im März die Motion zur „Aufhebung der Zensur oder Einführung vollkommener Preßfreiheit“ und im Oktober die Forderung der „organischen Entwickelung“ des Deutschen Bundes zu einem Nationalstaat, in dem zugleich „staatsbürgerliche Freiheit“ verwirklicht sein sollte. Im März 1848 setzte die badische Regierung als erste die revolutionäre Forderung um, einen Mann der Opposition zum Bundestagsgesandten zu nennen: dieser war Welcker. Bei den folgenden Wahlen errang er ein Mandat der Nationalversammlung und gehörte dem Verfassungsausschuss an. Die bekannteste seiner Reden in der Paulskirche ist diejenige vom 12. März 1849. Die Diskussionen über einen „kleindeutschen“ oder „großdeutschen“ Nationalstaat, verkompliziert durch die Oberhauptsfrage, waren festgefahren. Welcker war als „Großdeutscher“ exponiert und vollzog nun eine aufsehenerregende 180-Grad-Drehung: er forderte die Reichseinigung ohne Österreich, verbunden mit der erblichen Kaiserwürde für Preußen. Die Wende Welckers trug wahrscheinlich wesentlich dazu bei, dass sich in der Abstimmung am 21. März der „kleindeutsche“ Verfassungskompromiss knapp durchsetzte.

Jodocus Donatus Hubertus Temme – der „entschiedene Demokrat“

Bewegt war auch die Biographie des Paulskirchenabgeordneten, liberalen Strafrechtlers und Schriftstellers Jodocus Temme. Der 1798 im westfälischen Lette geborene Temme war ein äußerst streitbarer Jurist, der als Richter und Staatsanwalt in preußischen Diensten nicht müde wurde, die Unzulänglichkeiten des damals üblichen Strafverfahrens aufzuzeigen und anzuprangern. Als Vorkämpfer der bürgerlichen Freiheiten trat er vor allem für die Stärkung der Beschuldigtenrechte hervor. 1814 schrieb er sich zum Jurastudium in Münster ein und wechselte 1816 nach Göttingen, wo er dem Corps Guestphalia beitrat. Stationen seiner rastlosen späteren Beamtenlaufbahn waren Arnsberg im Sauerland, Ragnit in Ostpreußen, Stendal, Greifswald, Berlin, Tilsit, wieder Berlin und Münster.

In seinen Lebenserinnerungen berichtet Temme ausführlich von seinen Erfahrungen als „Corpsbursche“. In Göttingen waren die Corps noch stark landsmannschaftlich geprägt. „Propatria-Paukerei[en]“, das Fechten aufs „Vaterland“, also auf die eigene landsmannschaftliche Herkunft, fanden häufig statt, üblich waren elfgliedrige Listen „für des Vaterlandes Ruhm und Ehre, und die erbittertsten Duelle waren immer die Propatria“. Temme stellte fest, dass viele seiner Kommilitonen freiwillig in den Freiheitskriegen gegen Frankreich für die Unabhängigkeit Deutschlands und seine Einheit gekämpft hatten, diese Hoffnungen jedoch mit der Restauration der Fürstenherrschaften enttäuscht wurden. Diese idealistische, zugleich verratene und vergessene Generation, bevölkerte nun die Universitäten. Während er die Leistungen der Freiheitskrieger bewunderte, bewertete er das Wartburgfest von 1817 kritisch – „ein anderer Geist [war] eingedrungen, ein finsterer, frömmelnder, sich überhebender, zelotischer. Jenes Wartburgfest war seine Signatur. Er hat lange vorgehalten. Er schleicht im Finstern noch heute vielfach umher“ (vgl. zum gesamten Abschnitt die „Erinnerungen“, Leipzig 1883, Kapitel 4).

Im Revolutionsjahr 1848 wurde Temme in Berlin zum Staatsanwalt ernannt. Staatsanwaltschaften kannte das tradierte Strafverfahren bisher nicht, Temme war einer der ersten Juristen Deutschlands, der diesen Beruf ausübte. Er wurde zunächst für den Wahlkreis Ragnit in die preußische Nationalversammlung gewählt, während er das Mandat für die deutsche Nationalversammlung (Wahlkreis Wiedenbrück) ablehnte. Der sich zu den „entschiedenen“ Demokaten zählende Abgeordnete und preußische Staatsbeamte geriet aufgrund seiner konsequenten oppositionellen Haltung in das Visier der Obrigkeit, was am 27. Dezember 1848 zu seiner Verhaftung führte. Aus der Untersuchungshaft in Münster wurde er erneut in die deutsche Nationalversammlung gewählt, womit ihn die preußischen Behörden zähneknirschend auf freien Fuß setzen mussten. Seine Lebenserinnerungen stellen eine hervorragende Quelle zur Geschichte der Revolution dar und sind 1996 unter dem Titel „Augenzeugenberichte der deutschen Revolution 1848/49“ neu herausgegeben worden.

Nach der Auflösung der Nationalversammlung im Mai 1849 schloss sich Temme dem „Rumpfparlament“ in Stuttgart an, was ihm in Preußen eine erneute Anklage einbrachte. 1852 verließ er mit seiner Familie Deutschland und ließ sich in der Schweiz nieder. Er starb 1881 in Zürich. Temme war nicht nur einer der wichtigsten Reformer des Strafverfahrens, sondern auch – teilweise unter dem Pseudonym Heinrich Stahl – erfolgreicher Autor von Kriminalgeschichten. Außerdem veröffentlichte er Volkssagen und Geschichten aus Westfalen, Preußen und Pommern. 

Robert von Mohl und die „Grundsätze des Rechtsstaates“

„Ein Rechtsstaat kann also keinen anderen Zweck haben als den: das Zusammenleben des Volkes so zu ordnen, daß jedes Mitglied desselben in der möglichst freien und allseitigen Uebung und Benützung seiner sämtlichen Kräfte unterstützt und gefördert werde.“ So sei „die Freiheit des Bürgers die Grundlage des ganzen Rechtsstaates; er darf und soll sich nach allen Richtungen, in welcher er einen vernünftigen Zweck verfolgt und auf kein Recht eines Dritten stößt, frei bewegen. Der ganze Staat mit allen Einrichtungen ist nur dazu bestimmt, diese Freiheit zu schützen und möglich zu machen“, schrieb Robert von Mohl 1832 in seinem Buch „Die Polizei-Wissenschaft nach den Grundsätzen des Rechtsstaates“ (S. 14).

Der Vordenker des Rechtsstaates Robert Mohl wurde 1799 in Stuttgart geboren und starb 1875 in Berlin. 1817 schrieb er sich an der württembergischen Landesuniversität Tübingen ein. Über die dortige Burschenschaft liest man in seinen Memoiren: „Meine Studienzeit in Tübingen fiel in die Gründung und das erste stürmische Auftreten der Burschenschaft. Dadurch wurde das Studentenleben wesentlich modifiziert. Die vorher auch in Tübingen vorhanden gewesenen Landsmannschaften wurden beinahe ganz zersprengt durch die neue allgemeine Verbindung, welcher sich bessere Elemente fast nur ausnahmslos zuwendeten. Die Burschenschaft hatte und pflegte unzweifelhaft bessere Sitten und größeren Fleiß, verminderte sehr bedeutend die sinnlose Rauflust, war im ganzen ein zivilisierterer Zustand; freilich klebte auch ihr der Krebsschaden aller Studentenverbindungen an: die Zeitvergeudung mit hundert nichtigen Wichtigthuereien, das viele Wirtshaussitzen, die Abhängigkeit des einzelnen von einer Majorität, welche leicht auch Widersinniges und Bedenkliches wollen konnte“ („Lebenserinnerungen“, Erster Band, Stuttgart und Leipzig 1902, S. 96). Diese einerseits wohlwollende, andererseits skeptische Haltung von Mohls kam auch darin zum Ausdruck, dass er sich der Tübinger Burschenschaft Germania lediglich als Konkneipant anschloss (ebenda). Erst während der Studienzeit in Heidelberg wurde er vollwertiges Mitglied der Heidelberger Alten Burschenschaft, ein Schritt, den er später bedauerte, gewann er doch den Eindruck, „daß dieses Verbindungsleben vorwiegend schädlich ist, und ich habe daher später auch immer mir näher stehende junge Leute vor dem Eintritt gewarnt“ (S. 115).

Mohl wurde 1824 Professor der Staatswissenschaften in Tübingen, 1845 schied er aufgrund einer politisch motivierten Strafversetzung nach Ulm freiwillig aus dem württembergischen Staatsdienst aus. 1847 erhielt er einen Lehrstuhl in Heidelberg. Er war Mitglied des Vorparlaments und gehörte in der Nationalversammlung dem Verfassungsausschuss an. In einer vom Casino dominierten Koalition (Kabinett Leiningen) wurde Mohl Justizminister, verfügte aber über keinen ministeriellen Apparat. Das Kabinett Leiningen stürzte wegen der Schleswig-Holstein-Frage. Auch dem folgenden Kabinett Schmerling gehörte Mohl wieder an.

Nach dem Scheitern der Revolution machte Mohl dann doch noch eine politische Karriere als Bundestagsgesandter Badens in Frankfurt am Main und als Gesandter in München. In Erinnerung geblieben ist er bis heute zwar nicht als der Erfinder des Begriffs ‚Rechtsstaat‘, aber als derjenige, der den entscheidenden Beitrag geleistet hat, ihn in der politischen Sprache Deutschlands zu verbreiten.

Heinrich von Gagern und der „kühne Griff“

Die Familie Heinrichs von Gagern war im Fürstentum Nassau-Weilburg beheimatet. Aufgrund der kriegerischen Unruhen im Gefolge der Französischen Revolution wich die Familie ins sichere preußische Verwaltungsgebiet Ansbach-Bayreuth aus. Im Jahre 1799 erblickte Heinrich von Gagern im Bayreuther Neuen Schloss das Licht der Welt. Schon der Vater Hans Christoph von Gagern war ein bedeutender Staatsmann, Diplomat und historisch-politischer Schriftsteller. Sohn Heinrich ergriff die Offizierslaufbahn und nahm 1815 bei der Schlacht von Waterloo teil.

Heinrich von Gagern war überzeugter Burschenschafter. Als Student der Rechte schloss er sich erstmals im Jahre 1816 in Heidelberg der burschenschaftlichen Bewegung an. 1818 wurde er Mitglied der Urburschenschaft in Jena und wirkte bei der Gründung der Allgemeinen Burschenschaft mit. Aus der Retrospektive berichtete Gagern, dass sich seine politischen Überzeugungen in erster Linie während seiner Jenaer Burschenzeit gebildet hätten. Aus einem begüterten Elternhaus stammend, war er vom Vater mit einem überaus großzügigen Wechsel ausgestattet. Auch wenn berichtet wird, dass er für das politische Engagement innerhalb der Burschenschaft weit mehr Engagement aufbrachte als für das Studium, gelang der Abschluss 1820 noch recht bald, und von Gagern trat nun in den hessischen Staatsdienst ein.

1832 wurde er im Großherzogtum Hessen Abgeordneter der Zweiten Kammer. Als Abgeordneter leistete er sich einige Auseinandersetzungen mit der großherzoglichen Regierung, die dazu führten, dass er 1833 um Entlassung aus dem Staatsdienst bat, sich 1838 zeitweise vollständig aus der aktiven Politik zurückzog und das Familiengut Monsheim bewirtschaftete. 1847 wurde er erneut in die Zweite Kammer gewählt und führte hitzige politische Auseinandersetzungen, die in einer Duellforderung gegen einen konservativen Abgeordneten gipfelten, es aber letztlich zu keiner Austragung der Contrahage kam. Von größerer politischer Bedeutung war – gemeinsam mit seinem Bruder Max – die Unterstützung der 1847 gegründeten Deutschen Zeitung, an der auch Mittermaier mitwirkte, und die im Vorfeld der Revolution zum wichtigsten Publikationsorgan der Liberalen wurde.

Nach der Wahl in die Nationalversammlung fiel auf ihn auch die Wahl zum Parlamentspräsidenten und er avancierte zu einem der einflussreichsten Abgeordneten in der Paulskirche. Zum populären Schlagwort wurde der „kühne Griff“, wie er selbst seinen Vorschlag bezeichnete, dass die Nationalversammlung kraft eigener Souveränität die Einsetzung einer provisorischen Zentralgewalt beschließen sollte, verbunden mit dem Personalvorschlag, das Amt des Reichsverwesers dem österreichischen Erzherzog Johann zu übertragen, was den konservativeren Kräften entgegenkam. Berühmt wurde auch Heinrich von Gagerns Plan eines „engeren im weiteren deutschen Bund“, also eines deutschen Nationalstaats unter preußischer Führung, der konföderativ mit Österreich verbunden sein sollte. Mit dem „Simon-Gagern-Pakt“ gelang ihm ein weiterer Kompromiss, indem er gegen verfassungspolitische Konzessionen einen Teil der Demokraten dazu bewegte, für das preußisch-kleindeutsche Erbkaisertum zu stimmen. Wie Beseler und Simson (s. dort) gehörte auch er der gescheiterten „Kaiserdeputation“ an. Heinrich von Gagern starb 1880 in Darmstadt.

Paul Achatius Pfizer und die deutsche Nation als ein „Protectorat“ Preußens

Einer der führenden Vertreter des sogenannten „Frühliberalismus“ war der 1801 in Stuttgart geborene Paul Achatius Pfizer. 1819 schrieb er sich in Tübingen zum Jurastudium ein, und widmete sich nebenbei dem Studium der zeitgenössischen Philosophie, die ihn jedoch eher enttäuschte, weil sie ihm keine Antwort auf die großen Lebensfragen geben konnte. In Tübingen trat er der Burschenschaft Germania bei. Auch Ludwig Uhland, mit dem er später im württembergischen Landtag saß und mit dem er befreundet war, gehörte den Tübinger Germanen an.

Bereits Pfizers erstes Buch, der „Briefwechsel zweier Deutschen“, das 1831, unmittelbar nach der Julirevolution von 1830 erschien, machte ihn berühmt. In dieser Schrift forderte er die kleindeutsche Einigung unter Preußens Führung und das Ausscheiden Österreichs aus einem zu bildenden deutschen Nationalstaat – also in etwa diejenige Lösung der deutschen Frage, zu der sich die spätere Nationalversammlung nach langen Debatten im Frühjahr 1849 entschloss. So heißt es im „Siebzehnten Brief“, dass Österreich sich schon seit der Reformation langsam aus Deutschland herausentwickelt und Deutschland „fremd geworden“ sei, weil es sich zu einer „europäischen“ Macht gewandelt hätte. Umgekehrt Preußen: dieses hätte den entgegengesetzten Weg genommen – von einer einst eher europäischen zu einer deutschen Macht. Pfizer malt den Gegensatz zwischen Österreich und Preußen in grellen Farben aus: auf der einen Seite „ein phlegmatisches, stumpfes Volk, ohne wahres Gefühl seiner Würde, und wenig empfänglich für die Anreize des Ehrgeizes und des Nationalruhms“ (S. 197), auf der anderen Seite „ein lebhaftes und regsames Volk, das auf seine Ehre hält, sich fühlt und weiß, was es sich selbst schuldig ist“ (ebenda).

Dieses Buch Pfizers mit seiner Forderung, dass Preußen „das Protectorat über Deutschland“ (S. 201) ausüben sollte, wurde vor allem in Norddeutschland enthusiastisch aufgenommen und machte seinen Verfasser berühmt. Bereits im Jahr seines Erscheinens wurde er in die württembergische Abgeordnetenkammer gewählt. 1838 zog sich Pfizer wieder aus der Politik zurück und widmete sich schriftstellerischen Aufgaben. Im März 1848 die Rückkehr, und zwar gleich als württembergischer Minister für das Kirchen- und Schulwesen, kurz darauf die Wahl zum Abgeordneten der Nationalversammlung. Da er schwer erkrankte, konnte er bereits nach vier Wochen nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen und gab im August sein Mandat auf. Paul Pfizer starb 1867 in Tübingen.

Heinrich Laube – Vertreter des „Jungen Deutschland“

„[…] denn wie könnte ich von dem jungen Deutschland sprechen, ohne des großen, flammenden Herzens zu gedenken, das daraus am glänzendsten hervorleuchtet. Heinrich Laube, einer jener Schriftsteller, die seit der Juliusrevolution aufgetreten sind, ist für Deutschland von einer sozialen Bedeutung, deren ganzes Gewicht jetzt noch nicht ermessen werden kann. Er hat alle gute Eigenschaften, die wir bei den Autoren der vergangenen Periode finden, und verbindet damit den apostolischen Eifer des jungen Deutschlands“ (S. 260 f.).

So urteilte der in Paris lebende Exilant Heinrich Heine in der „Romantischen Schule“ über den außerordentlichen schriftstellerischen Rang Heinrich Laubes. Dass der kritische Heine einem Schriftstellerkollegen solch uneingeschränkten Respekt zollte, war eine Seltenheit.

Laube stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Geboren wurde er 1806 in Sprottau, einer Kleinstadt in Niederschlesien. 1826 immatrikulierte er sich als Student der Theologie in Halle und wurde Mitglied der Alten Halleschen Burschenschaft. Nach dem Wechsel nach Breslau trat er der Alten Breslauer Burschenschaft Arminia bei. Laube widmete sich intensiv dem Korporationsleben, während er für sein Studienfach wenig Interesse aufbrachte. Sein Ziel war es, Schriftsteller zu werden, was ihm auch bald gelang. Er begann seine Karriere als Theaterkritiker. Mit größeren Schriften wie dem zweibändigen politischen Buch „Das neue Jahrhundert“ und der Romantrilogie „Das junge Europa“ wurde er zu einem der führenden Autoren des Jungen Deutschland. Als entschiedener Oppositioneller geriet er ins Visier der preußischen Obrigkeit. 1833 wurde „Das neue Jahrhundert“ verboten, 1834 Laube in Berlin verhaftet und angeklagt, wegen seiner politischen Schriften und seiner burschenschaftlichen Aktivitäten zu sieben Jahren Festungshaft verurteilt. Das von ihm eingereichte Gnadengesuch bewirkte, dass er die Haft nicht antreten musste, der Preis war, den Zielen des Jungen Deutschland abzuschwören.

Mit der 48er-Revolution war für Laube der Zeitpunkt gekommen, die politische Publizistik, von der er sich seit seiner Verurteilung ferngehalten hatte, wieder aufzunehmen. In Frankfurt am Main berichtete er noch vor der Konstituierung der Nationalversammlung über die Tagungen des Vorparlaments in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“. An ein Abgeordnetenmandat für die Paulskirche dachte er damals nicht. Sein Weg in die Nationalversammlung war eher kurios. Als sich Laube zu einer Kur in Karlsbad aufhielt, hatte zufällig im benachbarten Ort Elbogen ein tschechischer Abgeordneter sein Mandat niedergelegt. Laube kandidierte, gewann und gehörte somit seit Juli 1848 der Frankfurter Nationalversammlung an.

Während er weiterhin Artikel über die Nationalversammlung verfasste, sind keine Redebeiträge überliefert, was ihm die spöttische Bezeichnung „Tacitus von Elbogen“ einbrachte. 1849 veröffentlichte Laube die dreibändige Schrift „Das erste deutsche Parlament“, eine erste, äußerst subjektive Parlamentsgeschichte der Märzrevolution. Nach der Revolution setzte er nicht nur seine belletristischen und literaturgeschichtlichen Arbeiten fort, sondern wurde einflussreicher Theatermann im deutschsprachigen Raum, der sechzehn Jahre das Wiener Burgtheater und danach noch einige Jahre das Wiener Stadttheater leitete. Laube starb 1884 in Wien.

Georg Beseler und das „Volksrecht“

„Volksrecht und Juristenrecht“ lautet der Titel des 1843 erschienenen, bekanntesten Buches des Burschenschafters Georg Beseler. Geboren wurde er 1809 in Rödemis in der Nähe von Husum. Während seines Jurastudiums in Kiel schloss er sich der Burschenschaft Germania an. Nach dem abgeschlossenen Studium wollte er sich in Kiel als Anwalt niederlassen. Beseler verweigerte aber den hierfür nötigen Eid, weil er die Oberherrschaft des dänischen Königs über Schleswig-Holstein, das sich in Personalunion mit Dänemark befand, nicht anerkennen wollte – mit der Konsequenz, dass ihm nicht nur der Eintritt in den Staatsdienst verwehrt, sondern wegen der Eidesverweigerung auch die Anerkennung des Doktordiploms versagt wurde. Daraufhin nahm er in Göttingen erneut das Studium auf und wanderte nach Heidelberg weiter, wo er schließlich – geprüft u. a. von Mittermaier – promoviert wurde.

Vor seiner Wahl in die Nationalversammlung war Beseler Professor in Basel, Rostock und Greifswald. Vor allem in die Rostocker Zeit von 1837 bis 1842 fiel die Ausarbeitung von „Volksrecht und Juristenrecht“. Beselers Interesse galt in erster Linie der Geschichte des deutschen Rechts, er war – wenn man es auf den Punkt bringen möchte – „Germanist“ im Gegensatz zu den „Romanisten“ der „Historischen Schule der Rechtswissenschaft“, deren bekanntester Vertreter Friedrich Carl von Savigny war und ist. Im Zentrum des Volksrechts steht nach Beseler die Genossenschaftslehre. Die Genossenschaft betrachtete er als ein Institut, „welches so recht im deutschen Nationalcharakter seine Wurzel hat“ (S. 157). Die liberale Haltung Beselers verdeutlicht seine Position, dass Genossenschaften als grundlegendes Organisationsprinzip der Gemeinschaft privaten und nicht staatlichen Ursprungs seien – Institutionen wurden somit als Produkte von Gemeinschaften gedacht und nicht auf staatliche Gründungsakte zurückgeführt.

In der Nationalversammlung gehörte Beseler dem wichtigen Verfassungsausschuss an. Eine maßgebliche Rolle spielte er bei der Beratung der Grundrechte. Auch hierbei bewegte er sich innerhalb seiner Konzeption des Volksrechts. Grundrechte waren aus seiner Sicht nicht überpositive, vernunftgeborene und universale Normen, sondern erwuchsen „organisch“ aus den Bedürfnissen des Volkes. Typisch für diese „organische Staatslehre“ ist Beselers Wertschätzung des bürgerlichen Vereins. Vereine zu gründen, mit der gemeinsamen Vereinsarbeit der Mitglieder legitime Zwecke autonom zu verfolgen, galt ihm als elementares Grundrecht. Nicht weniger fortschrittlich muten Beselers Ideen zum künftigen Staatsaufbau Deutschlands an. So forderte er einen Bundesstaat, der unitarisch, aber nicht zentralistisch organisiert sein, und neben einem Volkshaus auch über ein Staatenhaus verfügen sollte.

Am 27. März 1849 wurde die Verfassung von der Nationalversammlung angenommen, am 28. März der preußische König Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen gewählt. Als Mitglied der „Kaiserdeputation“ traf Beseler hoffnungsvoll in Berlin ein, und kehrte nach der Ablehnung Friedrich Wilhelms resigniert nach Frankfurt zurück. Bis Ende Mai setzte er seine parlamentarische Arbeit noch fort. Doch Beseler ließ sich nicht entmutigen und setzte seinen politischen Weg als Mitglied und Preußischen Abgeordnetenhauses, des Erfurter Unionsparlaments, und nach der Reichsgründung des deutschen Reichstages und des Preußischen Herrenhauses fort. Er verstarb 1888 in Bad Harzburg.

Eduard von Simson und die „Kaiserdeputation“

Eduard Simson wurde 1810 im ostpreußischen Königsberg geboren. Die jüdischen Eltern ließen Eduard und seine Geschwister im Jahre 1823 evangelisch taufen. Es ist anzunehmen, dass dieser Schritt im Zusammenhang stand mit der im Vorjahr in Preußen erfolgten Verbannung der Juden aus Lehrberufen und aus dem höheren Staatsdienst. Ohne den Glaubenswechsel wäre Simsons glänzende Karriere nicht möglich gewesen. Bereits 1826 schrieb sich Simson als Student der Rechte an der Albertus-Universität seiner Heimatstadt ein. Dort schloss er sich dem Littauer-Kränzchen an, aus dem später die Corpslandsmannschaft Lithuania hervorging. Bereits im neunzehnten Lebensjahr zum Doktor der Rechte promoviert, wurde er 1833 Professor an der Albertina. 1848 mit knapper Mehrheit für Königsberg in die Nationalversammlung gewählt, fiel er dort als begabter Redner auf und wurde mit wichtigen Ämtern versehen, im Dezember 1848 schließlich zum Präsidenten der Nationalversammlung bestimmt.

In dieser Funktion führte er die „Kaiserdeputation“ an, der die Aufgabe zufiel, dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone anzutragen. Am 3. April 1849 wurde die Abordnung durch den König im Berliner Schloss empfangen. Simson hielt eine kurze Ansprache, die er mit den Worten eröffnete:

„Die verfassunggebende deutsche National-Versammlung, im Frühling des vergangenen Jahres durch den übereinstimmenden Willen der Fürsten und Volksstämme Deutschlands berufen, das Werk der deutschen Verfassung zustande zu bringen, hat am Mittwoch, den 28. März des Jahres 1849, nach Verkündung der in zweimaliger Lesung beschlossenen deutschen Reichsverfassung, die in derselben begründete erbliche Kaiserwürde auf Se. königliche Majestät von Preußen übertragen.“

Die Antwort des Königs enthielt einige höfliche Floskeln, bis er die entscheidenden Worte sprach: dass die Annahme der Krone eine „Verletzung heiliger Rechte“ darstellen würde, wenn nicht zuvor das „freie Einverständnis der gekrönten Häupter, der Fürsten und der freien Städte Deutschlands“ eingeholt würde, und er fügte hinzu, dass nun die Regierungen der Einzelstaaten zu prüfen hätten, „ob die Verfassung dem Einzelnen wie dem Ganzen frommt“. Kaum verklausuliert erkannte er somit die verfassungsgebende Souveränität der Nationalversammlung nicht an und stufte das von ihr beschlossene Verfassungswerk zu einem bloßen Entwurf zurück. Die „Kaiserdeputation“ reiste unverrichteter Dinge ab. Damit war die Revolution – trotz einiger, noch folgender Rückzugsgefechte – zu Ende.

Treppenwitz der Geschichte ist, dass Eduard von Simson im Dezember 1870 eine zweite „Kaiserdeputation“ anführte, die diesmal nach Versailles reiste, und an deren Spitze er dem preußischen König Wilhelm I. im Auftrag des Norddeutschen Reichstages die Kaiserwürde antrug – der diesmal erfolgreiche Ausgang ist bekannt. Eduard von Simson starb 1899 in Berlin, 50 Jahre nach dem Scheitern der ersten, und gut 30 Jahre nach der zweiten von ihm angeführten, diesmal erfolgreichen „Kaiserdeputation“.

Friedrich Hecker – der „Volksmann“

Friedrich Hecker war eine der „Kultfiguren“ (Alexandra Bleyer) der Revolution. Auf zeitgenössischen Grafiken wurde er zum Prototyp des Revolutionärs stilisiert: Kalabreser, dichter Bart, Waffen griffbereit oder gezückt, entschlossener Blick – ein ambivalentes Bild, aus heutiger Sicht nahe an der Karikatur, scheiterte doch der von ihm und Gustav Struve im April 1848 befehligte badische Aufstand („Heckerzug“) nicht zuletzt am militärischen Ungeschick seiner Anführer.

Friedrich Hecker wurde am 1811 in Eichtersheim, im damaligen Großherzogtum Baden, geboren. In Heidelberg, gut 20 Kilometer von seinem Geburtsort entfernt, studierte er seit 1830 Hecker Rechtswissenschaften, u. a. bei Mittermaier (s. dort). In Heidelberg schloss er sich dem Corps Rhenania (II) an. Nach dem Studium arbeitete er als Rechtsanwalt in Mannheim und engagierte sich politisch, so gehörte er dem Mannheimer Gemeinderat und der badischen Zweiten Kammer an. Mannheim war ein Zentrum der radikalen Opposition in Baden, der sich auch Hecker zurechnete. Ende Februar erreichte Hecker in Karlsruhe die Nachricht, dass der französische König Louis Philippe abgedankt hatte. In Paris war es zu Massenunruhen und Straßenkämpfen gekommen, am 24. Februar hatten die Aufständischen die Tuilerien erstürmt. Bei der zweiten Offenburger Versammlung am 19. März 1848 hielt Hecker eine aufsehenerregende Rede. Bemerkenswert ist, dass er sich in Offenburg noch gegen die Ausrufung der Republik aussprach. In den folgenden Wochen radikalisierte er sich unter dem Eindruck der Kompromissbereitschaft, die von den Liberalen gegenüber den Fürsten ausging. Hecker, der sich als „Volksmann“ sah, wollte nicht den Kompromiss mit der alten Obrigkeit, sondern das Bündnis mit dem „Volk“, vor allem mit den unterbürgerlichen Schichten. Der von ihm und Gustav Struve am 11. April in Konstanz begonnene Volksaufstand wurde bereits am 20. April 1848 bei Kandern von badischen Truppen niedergeschlagen und endete somit in einem Fiasko. Sein ehemaliger akademischer Lehrer Mittermaier verurteilte in der badischen Zweiten Kammer den Aufruhr scharf. Hecker flüchtete zunächst in die Schweiz, reiste nach Frankreich weiter und setzte am 20. September von Le Havre nach New York über. Im Sommer 1849 kehrte Hecker noch einmal nach Europa zurück, um in die im Frühjahr wieder ausgebrochenen Aufstände, insbesondere in Baden, einzugreifen, aber als er im Juli 1849 Straßburg erreichte, war die badische Revolution von preußischen Truppen bereits niedergeschlagen worden. Nach seiner Rückkehr in die USA nahm Hecker am Amerikanischen Bürgerkrieg teil. Er starb 1881 auf seiner Farm in Illinois, zu einer Legende der „48er“ geworden.

Wilhelm Emmanuel von Ketteler – der „Arbeiterbischof“

Wilhelm Emmanuel von Ketteler wurde 1811 in Münster geboren. 1829 begann er sein Studium der Rechtswissenschaft in Göttingen und wurde Mitglied des Corps Guestphalia. 1830 zog er sich in einem Zweikampf auf Korbschläger eine Nasenverletzung zu, die rhinoplastisch behandelt werden musste. Erst 1841 begann von Ketteler Theologie zu studieren und wurde 1844 in Münster zum Priester geweiht. In der Nationalversammlung war er Abgeordneter des Wahlkreises Tecklenburg. Von Ketteler sprach sich in der Paulskirchenversammlung dagegen aus, die Schulen dem Einfluss der Kirchen zu entziehen und unter die staatliche Schulaufsicht zu stellen, konnte sich mit dieser Forderung aber nicht durchsetzen. Berühmt wurde seine „Leichenrede“, die er im September 1848 am Grab der in Frankfurt ermordeten Parlamentsabgeordneten Fürst Felix Lichnowsky und General Hans von Auerswald hielt. Anlass des Mordes waren die Auseinandersetzungen in der Schleswig-Holstein-Frage. Im Streit um die Zugehörigkeit Schleswigs zum Deutschen Bund kam es zum erfolgreichen Einsatz von Bundestruppen unter preußischer Führung gegen Dänemark, aber im August 1848 schloss Preußen auf Druck von London und Sankt Petersburg einen in Deutschland höchst unpopulären Waffenstillstand ab. Erst im zweiten Anlauf, am 16. September, akzeptierte die Mehrheit der Nationalversammlung den Waffenstillstand von Malmö. Daraufhin kam es in Frankfurt zur Rebellion gewaltbereiter Bürger, das Wort vom „Verrat“ der deutschen Interessen machte die Runde. Der Hass entlud sich gegen die konservativen Abgeordneten Lichnowsky und von Auersbach, die am 18. September 1848 von einem Mob brutal ermordet wurden, als sie versuchten, Bundestruppen vor den Toren in die Stadt zu lotsen.

In seiner „Leichenrede“ ging von Ketteler zunächst schonungslos auf die Grausamkeit des Verbrechens ein und nannte die Ermordeten „Männer, die Gott mit den edelsten Gaben des Geistes und des Herzens ausgestattet hatte“. Danach fragte er: „Wie konnte denn aber an solchen Männern eine solche That vollbracht werden?“ Seine Antwort holte weit aus. Zunächst verurteilte er das Verbrechen vom 18. September als zutiefst unchristlich, als einen Abfall von Gott. Dagegen erinnerte er an das Leben Christi als Vorbild und stellte dieses in einen Zusammenhang mit der sozialen Frage der Gegenwart. Wer könne leugnen, „daß die Noth unter unseren armen Mitbrüdern entsetzlich ist“? Aber in der Nachfolge Jesu „können wir die Erde zum Paradiese machen, können wir Liebe, Eintracht und Brüderlichkeit, wahre Humanität in vollendeter Weise begründen“.

Die Gedanken seiner „Leichenrede“ baute von Ketteler zu Adventspredigten aus, die er Ende 1848 im Mainzer Dom hielt. 1850 wurde er zum Bischof von Mainz ernannt. Aufgrund seiner sozialpolitischen Forderungen (1862 erschien z. B. die Schrift „Die Arbeiterfrage und das Christentum“), die immer in den Kontext der katholischen Theologie eingebettet blieben, erhielt er den Beinamen „Arbeiterbischof“. Er wurde zu einem der profiliertesten Vertreter des politischen Katholizismus in Deutschland, 1871 nach seiner Wahl in den Reichstag eines der führenden Mitglieder der Zentrumsfraktion. Zudem ist er wohl der einzige römisch-katholische Bischof, von dem bekannt ist, dass er Mensuren gefochten hat. Wilhelm Emanuel von Ketteler starb 1878 und wurde im Mainzer Dom beigesetzt.

Burschenschafter und Corpsstudenten im Paulskirchenparlament: ein kurzes Fazit

Nur ein kleiner Teil der Burschenschafter und Corpsstudenten, die in der Nationalversammlung vertreten waren, konnten in diesem Beitrag vorgestellt werden. Aber auch die vorliegende Auswahl an elf Abgeordneten der Nationalversammlung verdeutlicht die beeindruckenden Lebensleistungen dieser Männer, die sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts einer Burschenschaft oder einem Corps angeschlossen hatten.

Auch wenn die Revolutionäre von 1848 einen großen Teil ihrer Ziele nicht erreichten, wäre es zu einseitig, die Revolution als gänzlich gescheitert anzusehen. Sie war nämlich, worauf z. B. die Historikerin Hedwig Richter aufmerksam macht, Teil eines umfassenden Modernisierungsprozesses, der sich nicht aufhalten ließ und der dazu führte, dass am Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Modernisierungsprojekte weit fortgeschritten waren. So lebten die Menschen um 1900 tatsächlich in einem Staat, in dem Recht und Gesetz fest verankert waren, in dem die soziale Inklusion Fortschritte machte, Bildungsmöglichkeiten langsam für immer mehr Menschen erreichbar wurden und politische Partizipation der Bürger in bisher unbekanntem Ausmaß möglich war. Natürlich müssen auch problematische Entwicklungen in der Zeit nach 1849 konstatiert werden wie das Erstarken eines aggressiven Nationalismus. Insgesamt aber sind die Fortschritte beachtlich, an denen die porträtierten Burschenschafter und Corpsstudenten – und noch viele mehr – mitgewirkt, und somit die Modernisierung Deutschlands vorangetrieben haben.

Oliver Mohr

Dieser Beitrag erschien zuerst im Studentenkurier. Ausgabe 1 / 2023.

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