Tilmann Bechert legt Biographie des Industriellen Oskar Ostersetzer vor

Vergangen und doch so vertraut – so erscheint sie uns, die Welt, in der der Chemiker, Unternehmer und Familienmensch Oskar Ostersetzer lebte. Mit gutem Grund nahm der Verlag Hentrich & Hentrich nun die Biographie dieses bemerkenswerten Mannes ins Programm. Der renommierte Archäologie, Autor und begeisterte Heidelberger Landsmannschafter Tilmann Bechert hat sie verfasst.

Ein Leben in einer Zeit mit hellem Licht und tiefem Schatten, mit genialen Möglichkeiten in der Industrie und dem um sich greifenden Unheil des Antisemitismus: Oskar Ostersetzer

Die Lebensgeschichte Oskar Ostersetzer sollte mit dem Exil in London enden, 1945, auf der Flucht vor dem Nationalsozialismus. Das ist umso bedrückender, als sie eigentlich ganz anders hätte verlaufen können. Und so beginnt sie denn auch – im Glanz der späten Habsburger-jahre in Österreich-Ungarn. Mütterlicherseits war es die sehr traditionelle, galizisch-jüdische Familie Rapoport, in die der kleine Oskar 1867 hineingeboren wurde. Zur Kulisse seiner Kinderjahre gehörten das Geburtshaus im Schatten des Stephansdomes, das „kleine“ Palais Rothschild im IV. Bezirk in der Plösslgasse, der Prater, das Burgtheater.

Die Chemie hatte es Oskar Ostersetzer angetan, und er erforschte sie als Wiener Student. Korporiert war er wohl nicht, aber als Akademiker jüdischen Glaubens focht er eine Säbelmensur gegen einen Wiener Burschenschafter der Alt-Germania – ob der Grund eine antisemitische Beleidi-gung war? Das wäre durchaus möglich, denn die Name der Burschenschaften waren meist Programm. So belegte er zumindest Waffen, aber es scheint nicht auch überliefert zu sein, wo. Falls derweil Couleur von ihm auftauchte, wäre das wohl kaum eine Überraschung.

Ostersetzer legte großen Wert darauf, „ein freier akademischer Bürger zu sein“, und er feierte sein bestandenes Rigorosum mit einer Promotionskneipe. Auch das erfahren wir bei Tilmann Bechert, dem Autor dieser Biographie. Als „bemoostes Haupt“ wechselte Ostersetzer alsbald in die preußische Provinz, nach Niederschlesien, zunächst Sagan, dann Grünberg. Der Glanz der Wiener Kinder- und Jugendzeit machte diesen Schritt offenkundig schwer. Auch dort war der jüdische Glaube zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende ein Problem. Zwar hören wie bei Bechert nichts von direktem Antisemitismus, aber vor seiner Hochzeit konvertierte er doch zum christlichen Glauben, zum Luthertum. Das war ganz offensichtlich eine Voraussetzung, um seine Verlobte heiraten, also im wörtlichen Sinne „zum Altar führen“ zu dürfen.

Erfolge als Industrieller gelangen Oskar Ostersetzer. Tilmann Bechert bringt die Bilder dazu.

Sehr schön, reich bebildert und vor allem auch mit ausge-zeichneten Bildquellen versehen schildert Bechert, er ist ein Enkel Ostersetzers, sodann einen höchst erfolgreichen beruflichen Werdegang und zugleich ein harmonisches und glückliches Familienleben, auch das Schloß Ochelhermsdorf, heute Ochla, im damaligen Kreis Grünberg gehörte dazu. Mit seiner Deutschen Wollwaren-Manufaktur war er ein erfolgreicher Unternehmer, und auch die akademische Sphäre kam nicht zu kurz: maßgeblich war Ostersetzer an der Gründung und Finanzierung eines „Kaiser-Wilhelm-Instituts für Faserstoffchemie“ beteiligt – aber zuviel soll hier nicht verraten werden.

So fügen sich Mahnung, Gedenken, aber auch Familiensinn und gesellschaftlicher Glanz zu einem opulenten literarischen Bild. Ein rundum schönes, fröhliches und gelungenes Lebensbild in Tilmann Bechert gelungen, bei dem Qualität und Reichhaltigkeit der Bebilderung hervorsticht. Seinen Platz im Programm des derzeit wohl renommiertesten jüdischen Verlages in Deutschland hat dieses Werk absolut verdient! Und so interessant die Aspekte der jüdischen Herkunft, der möglichen Zugehörigkeit zu einer jüdischen Studentenverbindung und des Glanzes der k.u-k.-Monarchie auch sein mögen – die Schilderung des alten Schlesiens mit seinem vorbildlich handelnden, wohlverstanden lebenden, immer fleißigen und trotz Schloßbesitzes bescheiden genießenden Bürgertums ist absolut lesenswert.

Das Mausoleum der Familie Ostersetzer auf dem Wiener Zentralfriedhof. Hierhin wurde der Leichnam Oskar Ostersetzer 1945 überführt.

Voll Tragik endete Ostersetzers Leben. Noch zu seinen Lebzeiten wurde die Welt, in der er beheimatet war, durch Antisemitismus und Sozialismus, hier speziell den National-sozialismus, zerstört. Er wurde gewarnt, konnte in letzter Minute fliehen, überlebte im Exil in London, starb aber noch 1945, innerlich gebrochen. Ein sichtbares Denkmal für ihn ist das jüngst durch Tilmann Bechert wiedergefundene Mausoleum seiner Familie auf dem Wiener Zentralfriedhof, wohin Ostersetzers Leichnam überführt wurde. Wohl genauso bedeutend ist indes das literarische Denkmal, das Tilmann Bechert ihm mit seiner Biographie gesetzt hat. Sie erschien im renommierten Verlag Hentrich & Hentrich; eine abschließend abgedruckte, durchaus informative Briefsammlung schafft dabei auf anrührende Weise Nähe zu Ostersetzer und seiner Familie.

Sebastian Sigler

Tilmann Bechert, Dr. phil. Oskar Ostersetzer (1867 – 1945), Industriepionier und Familienmensch, Leipzig / Berlin 2023, 154 S., Klappenbroschur, zahlreiche Abb., ISBN 978-3-95565-565-5, 20 Euro.

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