Noch ist Polen nicht verloren – eine unterschätzte Verbindungsszene

Hierzulande wenig bekannt ist die Tatsache, daß es eine große Zahl polnischer Korporationen gibt. Rund 40 haben aktuell einen Aktivenbetrieb. Polnische Korporationen haben eine große, fast 200 Jahre zurückreichende Tradition. Seit Ende der 1980er Jahre, nach 50-jähriger Unterbrechung durch Kommunismus und Krieg, sind sie wieder an den Hochschulen in Polen aktiv. Bartłomiej Wróblewski stellte im GDS-Archiv, Folge 10, diese hierzulande weithin unbekannte Landschaft an Verbindungen vor, wir zitieren auszugsweise.

Magna Polonia, Posen, Bild aus den 1930er Jahren. Bild: Wikimedia Commons.

Die polnischen Korporationen sind den deutschen, insbesondere farbentragenden Verbindungen ähnlich. Das betrifft insbesondere die Organisationsstruktur, äußere Kennzeichen und die Gebräuche. Zwischen 1816 und 2010 hatten etwa 240 polnische Korporationen einen Aktivenbetrieb. Ähnlich wie im deutschsprachigen Raum kann man auch in Polen von einer Vielfalt der Verbindungstraditionen sprechen. Trotzdem hat nie eine Trennung in nationalbewußte Burschenschaften, konfessionell geprägte Verbindungen oder eher auf Traditionen rekurrierende Corps und Landsmannschaften stattgefunden. Dennoch traten die für alle Hauptzweige des deutschen Burschentums charakteristischen Merkmale im Laufe der Geschichte bei den polnischen Korporationen auf.

Die ersten polnischen Studentenverbindungen wurden an den Universitäten in den Staaten gegründet, die das Gebiet Polens im 18. Jahrhundert teilten, also Preußen, Österreich und Rußland. Sie übernahmen die Organisationskultur und -struktur der deutschen Verbindungen, waren jedoch stark national und patriotisch geprägt. Als erste wurde eine an die Jenaische Burschenschaft angelehnte Verbindung, die Polonia, im Jahre 1816 im damaligen Breslau gegründet, eine Zwillingsverbindung, ebenfalls eine Polonia, entstand 1818 in Berlin.

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs verlegten einige bis dato außerhalb Polens aktive Verbindungen ihren Sitz ins wiedererstandene Polen, gleichzeitig bildeten sich ganz neue Konvente. Insgesamt wurden in der Zwischenkriegszeit über 200 neue Verbindungen gegründet, und zwar in Vilnius (Wilna/Wilno), Warschau (Warszawa), Lemberg (Lwów/Lviv), Posen (Poznań), Krakau (Kraków), Lublin und Teschen (Cieszyn). Erwähnenswert ist auch, daß in dieser Zeit einige Dutzend Verbindungen ethnischer Minderheiten entstanden. Sie rekrutierten sich meist aus der ukrainischen, jüdischen oder deutschen Bevölkerung.

Historischer Deckel der Sarmatia, um 1930. Bild: Wikimedia Commons / Czestomir

Die Korporationslandschaft war in der Zwischenkriegszeit sehr vielfältig. Über die Hälfte der polnischen Korporationen verstanden sich als nationale Verbindungen, viele hatten christdemokratischen Charakter oder fühlten sich der Sanierungsbewegung verplichtet, einem von Marschall Józef Piłsudski gegründeten politischen Zusammenschluß. Diese Orientierung weist jedoch eher auf die politischen Ausrichtungen und weniger auf die tatsächlichen ideologischen Unterschiede hin. Eine Vielzahl von Korporationen, wenn auch offiziell überparteilich und konfessionslos, war eng mit dem nationalen und konservativen Milieu sowie der katholischen Kirche verbunden. Rund die Hälfte der polnischen Verbindungen gehörte dem im Jahre 1921 gegründeten „Bund der polnischen Studentenverbindungen“ (Związek Polskich Korporacji Akademickich [ZPKA]) an.

Korporationen wurden in der Zwischenkriegszeit als elitäre Vereinigungen begriffen und genossen hohes gesellschaftliches Ansehen. Wahrscheinlich zehn bis 15 Prozent der männlichen polnischen Studenten gehörten Verbindungen an. Viele prominente Persönlichkeiten des politischen, religiösen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens waren ordentliche Mitglieder beziehungsweise Ehrenmitglieder, so etwa die Gründer und Führer der beiden damals größten politischen Lager, Józef Piłsudski (K! Piłsudia) und Roman Dmowski (K! Baltia), sowie Premierminister Ignacy Jan Paderewski (K! Patria) und Präsident Ignacy Mościcki (K! Welecja), die Generale Józef Dowbor-Muśnicki (K! Lechia) und Władysław Sikorski (K! Leopolia) sowie der Warschauer Erzbischof Aleksander Kakowski (K! Ostoja) und der Lemberger Erzbischof Józef Teodorowicz (K! Obotritia).

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war die Zeit der legalen Tätigkeit der Korporationen zu Ende. Viele Verbindungsmitglieder sind seit 1939 im Krieg und auf beinahe allen europäischen Schlachtfeldern gefallen. Noch mehr sind in russischen und deutschen Konzentrationslagern und Gefängnissen umgekommen, insbesondere in Katyn (Katyń) und Auschwitz (Oświęcim). Insgesamt sind in den Jahren 1939 bis 1956 über 2.000 Personen gefallen, ermordet worden oder verschollen, was über zehn Prozent der Verbindungsstudenten ausmacht. Aber sogar unter diesen Umständen haben Korporationsmitglieder versucht, beständig in Kontakt zu bleiben und die Traditionen ihrer Verbindungen zu pflegen.

Die Wiedergeburt der polnischen Korporationen nach 50-jähriger Zwangspause war alles andere als selbstverständlich. Im Gegenteil, die meisten damals lebenden Philister hielten dies für unmöglich, lag doch ihr Durchschnittsalter 1989 bei weit über 80 Jahren. Darüber hinaus waren sie über ganz Polen und die Welt zerstreut, ihre materielle Lage war oft alles andere als gut. Dazu war nach einem halben Jahrhundert ohne Präsenz in der Öffentlichkeit die allgemeine Kenntnis über Korporationen sehr gering. Und trotzdem wurden die seit dem Ende der achtziger Jahre eine nach der anderen zu neuem Leben erweckt. 1991 in Posen und zwei Jahre später in Warschau erfolgte die gerichtliche Eintragung korporationsübergreifender Philisterverbände. Als erste erstand in den Jahren 1990 bis 1993 die Korporation Lechia in Posen wieder, gefolgt 1992 von Sarmatia und Arkonia in Warschau.

Aktuell, am Puls der Zeit, selbstbewußt: Instagram-Auftritt der in Riga gegründeten und heute in Warschau aktiven Arkonia, die indessen ihre Traditionen aus dem Baltikum sehr wohl zu bewahren weiß; Abruf dieser Instagram-Seite am 15. November 2023.

Insgesamt wurden in den Jahren zwischen 1988 und 2010 nicht weniger als 25 Korporationen reaktiviert und vier neue Konvente gegründet. 2023 hat sich diese Zahl weiter erhöht. Obwohl bei manchen Verbindungen nicht im hierzulande üblichen Sinne zwischen aktiven und vertagten Bündern unterschieden wird, läßt sich doch sagen, daß die Zahl der Verbindungen in Polen heutzutage um die 40 liegt, Und das ist, bedenkt man die Greuel des Zweiten Weltkriegs und des Kommunismus, eine erfreuliche Zahl!

Polnische Korporationen haben gleichwohl im eigenen Land einen schweren Stand. Einerseits konnten sie volle 50 Jahre lang nicht legal existieren, daher verfügen sie weder über starke Philisterverbände noch über nennenswertes Vermögen, auch ist ihr Bekanntheitsgrad sehr gering. Andererseits bewegen sie sich in einer Gesellschaft, die zwar deutlich konservativer als die deutsche ist, die aber ebenso der Säkularisierung, dem Moralrelativismus, dem Kosmopolitismus und der Popkultur ausgesetzt ist. Trotzdem wird fast jedes Jahr eine Korporation reaktiviert, ihre Zahl wächst. Und dieses Anzeichen läßt hoffen, daß die Tradition der Korporationen auch in Polen weiter lebendig bleibt.

Bermerkenswert sind schließlich die Kontakte zwischen polnischen und deutschen Verbindungen seit 1989. Es gab derer viele, wenn sie oft auch eher Episodencharakter hatten. Die Initiative ging entweder von Alten Herren deutscher Verbindungen unterschiedlicher Provenienz aus, die an Polen interessiert waren, oder polnische Verbindungsstudenten in Deutschland ergriffen sie. Fast immer haben solche Kontakte positive Erinnerungen hinterlassen, und es kann sogar der Eindruck entstehen, daß die unterschiedlichen Traditionen, Prinzipien und Wahrnehmungen oft eine nachgeordnetere Rolle spielen als bei den Beziehungen zwischen Verbindungen im jeweils eigenen Land. Angesichts der gegenwärtigen Herausforderungen, mit denen die Verbindungen in allen europäischen Ländern konfrontiert sind, sollte die Überzeugung, daß die polnischen mit den deutschen Verbindungen vieles gemeinsam haben, eine erfreuliche Botschaft sein.

Dieser Artikel erschien im GDS-Archiv, das unsere Partner herausgeben, im Jahre 2014 in Band 10, Seite 209 bis 221, im übrigen großartig bebildert. Die Lektüre der gedruckten Ausgabe lohnt insbeondere deswegen. Das GDS-Archiv, Band 10, ist über die GDS, aber auch über den AKSt erhältlich.

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