Korporierte jüdische Parlamentarier in der Paulskirche: Zwei sind geblieben

Von den 809 Abgeordneten im Paulskirchenparlament 1848/49 waren 19 jüdischer Abstammung. Menschen mit jüdischen Wurzeln waren generell in der Politik des 19. Jahrhunderts weit zahlreicher vertreten, als es spätere, unselige Zeitläufte vermuten lassen. Viele von ihnen machten nach diesem Mandat weiter Karriere – beruflich, politisch oder gesellschaftlich. Dies geschah zumeist um den Preis eines Übertritts zum protestantischen oder katholischen Christentum. War die Taufe das „Entrée-Billet zur europäischen Kultur“? So hat es immerhin Heinrich Heine, selbst gebürtiger Jude und 1819 Mitglied der Bonner burschenschaftlichen Allgemeinheit, seit 1824 dann Göttinger Guestphale, mit gewissem Sarkasmus formuliert.

Insgesamt sechs der 19 Abgeordneten mit jüdischen Wurzeln in der Paulskirche gehörten einer Studentenverbindung an. Zu ihnen gehörten genau jene beiden, die unter den 19 lebenslang beim Glauben ihrer Väter blieben: Gabriel Griesser war wahrscheinlich Mitglied der Burschenschaft in Kiel, ganz sicher ist dies nicht. Johann Jacoby war dagegen sicher Angehöriger des Königsberger Littauerkränzchens, einer Corpslandmannschaft – einem frühen Corps also, aus dem die Littuania Königsberg hervorgehen sollte. Diese beiden blieben beim Glauben ihrer Mütter, dem Judentum. Ihnen haben die Herausgeberin der Machloket-Reihe, Elisa Klapheck, sowie die Autoren Abraham de Wolf und L. Joseph Heid nun bei der Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich ein literarisches Denkmal gesetzt.

Am 29. August 1848 setzte sich Gabriel Riesser in der Debatte um die Religionsfreiheit in der Frankfurter Paulskirche eindrucksvoll durch. Ihm, der von 1806 bis 1863 lebte, ist es wesentlich zu verdanken, dass die am 27. März 1849 schließlich verabschiedete Verfassung die gleichen Rechte für alle Religionen – de facto die Religionsfreiheit – enthielt. Seiner weit überlegenen Rhetorik ist es zu verdanken, dass damals eine Neutralität des Staates in religiösen Fragen, fußend auf den Werten des napoleonischen Code Civile, verfassungsmäßigen Rang erhielt. Das arbeitet Abraham de Wolf, der diese Biographie in dem Band betreut, sehr deutlich heraus – fast schon ein wenig redundant.

Auch Riessers Herkunft aus einer alten Rabbinerfamilie thematisiert de Wolf, sehr interessant sind die Ausführungen dazu sowohl in soziologischer wie historischer Sicht. In einem dritten Abschnitt thematisiert de Wolf das liberale Judentum, wobei er darauf hinweist, dass Riesser sich strikt weigerte, im Sinne der Mehrheitsgesellschaft „gebildete“ oder reformierte Juden besser gestellt zu sehen als orthodoxe Glaubensbrüder, vor allem solche, die aus Osteuropa kamen. Er war es schließlich, der 1849 die Delegation anführte, die dem Preußischen König Friedrich Wilhelm IV. – erfolglos – die Kaiserkrone des Deutschen Reiches antrug.

Wahrscheinlich gehörte auch der jüdische Jurist und Publizist Gabriel Riesser während seiner Kieler Studienzeit zur dortigen Burschenschaft. Zumindest verkehrte in diesen Kreisen, wie Peter Kaupp, Spezialist für Burschenschafter, bemerkt. Kaupp, der auch speziell zur Paulskirche gearbeitet hat, bestätigt de Wolfs positives Urteil: „Riesser gilt als einer der bedeutendsten Vorkämpfer für die bürgerliche Gleichstellung der Juden in Deutschland.“ Bei de Wolf ist das wie bei Kaupp gut ablesbar. Dass Riesser höchstwahrscheinlich korporiert war, erwähnt de Wolf indessen nicht. Nachdem ja speziell Studentenverbindungen – zumal, wenn sie ihrerseits politisch waren – die Rhetorik schulten, wäre dieser Hinweis hilfreich gewesen, denn seine größte Erfolge erstritt Riesser mit seinen Reden in der Paulskirche.

Johann Jacoby, Angehöriger des Königsberger Littauerkränzchen

Johann Jacoby, geboren 1805, gestorben 1877, ist der zweite der beiden jüdischen Parlamentarier. Sein Littauerkränzchen in Königsberg war eine akademische Herrenrunde, organisiert nach uraltem Ritus, deren Mitglieder „Silberlittauer“ genannt wurden. L. Joseph Hein, der Autor dieses Buchabschnitts, beginnt mit einem fünfseitigen Abschnitt über die generelle Situation jüdischer Bürger im Deutschen Bund um 1848. Sein zweiter Abschnitt ist dann schon von speziellem Interesse, denn er enthält in kompakter Form einige wichtige statistische Angaben zur Mitwirkung von Abgeordneten jüdischen Glaubens am Werden der ersten demokratischen Verfassung Deutschlands. Jacoby war unter ihnen, so bestätigt hier abermals Spezialist Kaupp, der „wohl der bedeutendste Repräsentant des deutschen Judentums in der Frankfurter Nationalversammlung“.

Ein Abschnitt folgt nun, den Heid mit „Johann Jacoby und die Polenfrage“ überschreibt. Das scheint nicht ganz zutreffend, denn zwar wird darin ein freiwilliger medizinischer Einsatz Jacobys in Polen beschrieben, aber in dieser Zeit erwuchs sein Rechtsbewusstsein, und zwar aufgrund der Benachteiligung, die er durch seinen Glauben hatte. Der Kern des Homo Politicus, der Jacoby wurde – hier ist er zu finden. Danach kommt Heid dann, leider die Unterstützung Jacobys für die „Göttinger Sieben“ in den Jahren 1837 und 1838 auslassend, direkt zur aufsehenerregenden Schrift „Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen“ aus dem Jahre 1841, in dem er von König Friedrich Wilhelm IV. nicht mehr und nicht weniger die Erfüllung des Verfassungsversprechens von 1815 forderte. Diese galt schon dem Jacoby-Biographen Silberner als „ein Meisterwerk der deutschen Publizistik“. Sehr interessant ist dann sein abschließender Ansatz, die Emanzipation jüdischer Bürger zum Prüfstein für die Demokratie schlechthin zu machen. Ein sehr nachdenkenswerter Ansatz. Denn vice versa trat Jacoby seinerseits ab spätestens 1849 für die absolute Souveränität des Volkes ein.

Im Preußischen Landtag plädierte Jacoby, damals war das eine Position der äußersten Linken, für die Volksbewaffnung und die Rechte der Arbeiter. Massiv kritisierte er die Politik Bismarcks. 1867 rückte Jacoby in die bereits „Reichstag“ genannte Parlamentskammer des Norddeutschen Bundes auf, dort kritisierte er die Rechtmäßigkeit der gesamten preußisch-deutschen Innen- und Außenpolitik und zweifelte deren legitime Grundlage an. 1872 wechselte er schließlich zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Heid schließt dann wie folgt, und das ist zugleich auch eine Art Fazit des Buches: „Für Juden bedeutete die Errichtung einer demokratischen Ordnung, die ausnahmslos allen Bürgern gleiche Rechte gewährte, eine unerlässliche Lebensnotwendigkeit. Demokratie und Judenemanzipation waren also zwei Seiten derselben Medaille.“

Zwei also sind beim jüdischen Glauben geblieben geblieben. Die Herausgeberin, Rabbinerin Elisa Klapheck: „Indem der jüdische Anteil in den Entwicklungen zur Demokratie in Deutschland weiterhin ausgeblendet, ja sogar tabuisiert bleibt, entsteht ein missing link. Dieser missing link ist einer der Gründe, warum es immer noch kein kontinuierliches, positives Demokratie-Narrativ für die politische Geschichte Deutschlands gibt, vielmehr die Abgründe und das Scheitern die Sichtweise bestimmen.“ Dem ist lebhaft zuzustimmen! Von Karl Marx bis Walther Rathenau – der Anteil der Deutschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft für die deutsche Demokratie ist unbedingt weiter zu erforschen. Mit überraschenden und erfreulichen Ergebnissen wie dem hier vorliegenden Buch dürfte dann schon bald zu rechnen sein.

Sebastian Sigler

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Internet-Zeitung Tabula Rasa.

Klapheck, Elisa / de Wolf, Abraham / Heid, L. Joseph, 175 Jahre Paulskirche – Jüdischer Anteil an der deutschen Demokratie, Leipzig 2024, 92 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-95565-679-9, 12,80 Euro.

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