Aufgemerkt, bitte, beim Begriff „Burschenschaft“. Wofür der landläufig steht, ist bekannt, und die Sichtweisen sind individuell. Hier sei eine Lesart der urburschenschaftlichen Idee vorgestellt, in der es viel um Glauben, um Religiosität allgemein und in den Anfangsjahren sogar verstärkt um Keuschheit ging: das Cartell Christlicher Burschenschaften, dem es heutzutage um einen dezidiert christlichen Reformansatz zum Erhalt ihrer Sichtweise einer romantiserenden Idee der Urburschenschaften geht.
Zu Beginn sei dem Leiter des AKSt, der diese Webseite betreut, die Bemerkung gestattet, daß es eine ganz eigene Form burschenschaftlicher Gesellung im Burschenbunds-Convent gab. Dieser Dachverband lebte die religiöse Toelranz, er stand damit zu allen Zeiten jüdischen Studenten mit größter Selbstverständlichkeit offen, weswegen sich dort mit dem wachsenden umgebenden gesellschaftlichen Antisemitismus prozentual mehr und mehr jüdische Korporierte sammelten – wohlgemerkt, unter dem Begriff „Burschenschaft“.
Genug der Vorrede, Wenden wir uns nach Bonn, wo die christlichen Reformburschenschaften das 30jährige Bestehen ihres Kartells gefeiert haben. Die Festrede hielt der auch als Studentenhistoriker profilierte PD Dr. Axel Bernd Kunze, Burschenschaft Alemannia Leipzig zu Bamberg, Rheno-Germania Bonn und Alemannia Leipzig, promovierter Sozialethiker und Privatdozent für Erziehungswissenschaft, beruflich tätig als Schulleiter. Wir bringen seine Ausführungen im Wortlaut.
Gott – Freiheit – Vaterland! Dreißig Jahre Cartell Christlicher Burschenschaften
Gott – Freiheit – Vaterland: Dieser Dreiklang ist typisch für den christlichen Teil der burschenschaftlichen Bewegung. Christliche Burschenschaften sind nichtschlagend und lehnen seit ihrer Gründung aufgrund des christlichen Selbstverständnisses Duell und Mensur ab. Besonderes Kennzeichen christlicher Burschenschaften ist das Christianum. Dieses verlangt vom Einzelnen kein konfessionelles Bekenntnis, wohl aber die Bereitschaft, sich mit dem Christentum und seiner Ethik auseinanderzusetzen.
Das Ziel christlich-deutscher Gesinnung verbindet unter Berufung auf die Urburschenschft das geistige Erbe abendländischer Kultur mit dem Streben nach nationaler Einheit. Vor dreißig Jahren schlossen sich drei Burschenschaften innerhalb des Schwarzburgbundes (SB) zum Cartell Bayerischer Burschenschaften zusammen: die Burschenschaft Teutonia Nürnberg (To), die Burschenschaft Ostmark-Breslau zu Regensburg (Om) und die Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg (ALE); die letzten beiden sind heute verbandsfrei. Ziel war es, die burschenschaftliche Ausrichtung innerhalb des SB zu stärken. Damit war der Grundstein für das heutige Cartell Christlicher Burschenschaften (CCB) gelegt, dessen rundes Jubiläum vom 18. bis 20. Oktober 2024 in Bonn gefeiert wurde. Höhepunkt war am Abend des 19. Oktober eine klangvolle Festkneipe auf Haus der Burschenschaft Rheno-Germania Bonn (RhG).
Von Anfang an war das Cartell darum bemüht, die burschenschaftliche Tradition zu pflegen und zu erneuern, ohne in einen falschen Traditionalismus auf der einen oder eine Beliebigkeit auf der anderen Seite zu verfallen. Und so ist es bis heute geblieben. Die Namensänderung erfolgte 1999, als die Bonner Rheno-Germania dazustieß. Seit 2012 können sich auch Burschenschaften außerhalb des SB dem Cartell anschließen. Jüngstes Mitglied ist die verbandsfreie Burschenschaft Alemannia Leipzig (Ale).
Freundschaftsbund
„Der Zweck des Cartells ist die Pflege des urburschenschaftlichen Gedankengutes christlicher Prägung, die Verbreitung dieser Ideale in der Öffentlichkeit und die Erhaltung des deutschen Verbindungsstudententums in seiner urburschenschaftlichen Ausprägung einschließlich der damit verbundenen Pflege der Traditionen. Weiterer Zweck ist, zu einer aktiven Betätigung in Staat und Gesellschaft anzuhalten.“ – so heißt es in der Satzung. Das Cartell bekennt sich zum Männerbund und pflegt das Farbentragen. Und es will ein lebendiger Freundschaftsbund sei. „Heimat ist, wo ich mich nicht erklären muss“, sagte dazu ein Teilnehmer der Festkneipe in seinem Grußwort. Dieses Wort Herders ist Programm.Jeder Cartellbruder soll sich bei den seinen Cartellburschenschaften zuhause fühlen wie im eigenen Bund.
Daher lag es nahe, dass sich auch die Festrede dem Thema Freundschaft widmete. Festredner war der Bildungsethiker und Erziehungwissenschaftler Axel Bernd Kunze (ALE, RhG, Ale). Er erinnerte daran, dass schon Aristoteles die politische Eintracht in Freundschaftskategorien gedeutet habe und mahnte: „Nicht allein angesichts aktueller Debatten um Gewalt im öffentlichen Raum sehen wir, wie gefährdet ein solches Fundament unseres Zusammenlebens ist. Das gemeinsame Ethos unseres Gemeinwesens will gepflegt werden.“ Insofern hat das, was die christlichen Burschenschaften auf Basis ihrer Tradition pflegen, eine eminent politische Bedeutung, die nicht unterschätzt werden sollte – und dieses Pfund sollte nicht hinter den Mauern der Verbindungshäuser versteckt, sondern im akademischen Beruf und im Engagement für das Gemeinwesen eingesetzt werden, damit es reichen Zins bringt – mehr, als uns Banken heute geben können.
Angereichert wurde die Festkneipe durch persönliche Erinnerungen aus der Festcorona, die zeigten, was gelebte Cartellbrüderlichkeit bedeutet. Weitere Programmpunkte der Jubiläumsfeier in Bonn waren der traditionelle Begrüßungsabend, ein Ausflug nach Rhöndorf mit Führung durch das Wohnhaus Konrad Adenauers und anschließende Einkehr in einem Weingut sowie eine Bierverkostung unter Anleitung des Bamberger Biersommeliers Dominik Maldoner (ALE). Der historische Ausflug in die Anfänge der Bonner Republik und die Rheinromantik, die im während des Zweiten Weltkriegs unzerstörten Rhöndorf – am Fuße des Drachenfelsen – besonders greifbar wird, setzten historische Schlaglichter. Gerade die interessante Führung durch das Adenauerhaus und das angeschlossene Museum ließen lebendig werden, wie sich das politische Geschäft von Adenauers Zeiten bis zur Berliner Republik heute verändert hat, vermutlich nicht immer zum Besten.
Als Symbol trägt das Cartell Christlicher Burschenschaften seit 2010 eine silberne Eiche: „Zeichen für ein bodenständiges Volk und ein stetig blühendes und gedeihendes, auf den Wurzeln unseres freiheitlichen Grundgesetzes stehenden Vaterlandes, das sich nicht von den Stürmen der Zeit beeindrucken lässt“, wie es auf den Internetseiten des Cartells heißt.
Selbstverständlich erklang zum Ende der Festkneipe in Bonn im kräftigen Männerchor auch das Lied des Cartells, passend zum gewählten Symbol der Eiche: „Frei und unerschütterlich / wachsen unsere Eichen / ihre Wurzeln in die Erd / tief hinunter reichen. / Mit dem Schmuck der grünen Blätter / stehn sie fest in Sturm und Wetter, / wanken nicht noch weichen.“ Der Text geht auf August Heinrich Hoffmann von Fallersleben zurück. Die Melodie schrieb der Bamberger Alemanne Andreas Schertel eigens für das CCB.
Pflege der christlichen Grundlagen unseres Verfassungsstaates
Aber ein solches Selbstverständnis muss immer wieder gepflegt werden, wie der Festredner mahnte: „Welchen Beitrag können christliche Burschenschaften in den zivilreligiösen Diskurs einspeisen? Welchen Beitrag können sie zur kulturethischen Pflege christlicher Traditionen in einer pluralen Gesellschaft beitragen? Wie können sie ihr spezifisches Profil bewahren, wenn selbst im eigenen Nachwuchs mit einer schwächer werdenden religiösen Sozialisation zu rechnen ist? Wir werden diese Debatten führen müssen. Und das ist auch gut so.“
Religion und Politik brauchen einander, soll sich nicht jeweils eine Seite absolut setzen – was in der Geschichte noch nie gut ausgegangen ist. In der zivilreligiösen Fragestellung zeigt sich, wie religiöse und politische Fragen miteinander verwoben sind. Denn die politisch denkenden Bürger sind zugleich Träger religiöser Haltungen im weitesten Sinne – und umgekehrt. Daher wird es keine Zivilreligion ohne Bezug zur verfassten Religion geben können, wie umgekehrt die verfasste Religion stets auf politische Rahmenbedingungen trifft. Bildung und Wissenschaft sind Orte, das Ineinander religiöser und politischer Fragestellungen reflexiv zu bearbeiten. Der akademische Anspruch wie die kulturethische Überzeugung im Cartell Christlicher Burschenschaften sollten die einzelnen Cartellbrüder dazu verpflichten, sich aktiv an dieser Debatte zu beteiligen – aus einer doppelten Verantwortung heraus.
Zum einen besitzen Bildung und Religion auch unter den Bedingungen gesellschaftlicher Pluralität unverzichtbare Bedeutung für einen freiheitlichen, vitalen und tragfähigen Kulturstaat. Wo die Sorge um seine geistigen Grundlagen erlahmt, werden über kurz oder lang kulturelle und soziale Verteilungskämpfe einsetzen.
Zum anderen tragen wir eine soziale Verantwortung für Werte und Normen, Ethos und Tradition, Sprache und Wissenschaft, Kunst und Kultur oder Religion, die weit über unsere eigene Gegenwart hinausreicht. Die Pflege christlich-abendländischer Tradition in den einzelen Lebensbünden lebt mehr oder weniger bewusst aus dem Wissen um diese Verantwortung. Denn wie künftige Generationen leben, denken und handeln werden, wird davon beeinflusst werden, wie wir heute leben, denken und handeln. Auch der weltanschaulich neutrale Verfassungs- und Kulturstaat, der sich zu seinen christlichen Wurzeln bekennt, darf Flagge und Kreuz gleichermaßen tragen, sofern er den Einzelnen nicht zu einem bestimmten Bekenntis zwingt. Doch wird das kulturethische Fundament unserer Verfassungsordung auf Dauer nur dann tragen, wenn auch ein praktiziertes christliches Bekenntnis in unserem Land lebendig bleibt. Es liegt an jedem Einzelnen, den Gottesbezug der Verfassung durch konkrete christliche Praxis auf die Ebene der Realität zu heben.
Und so endete die Festrede mit einem deutlichen Aufruf: „Sich am öffentlichen Gespräch – auch über die öffentliche Bedeutung von Religion – zu beteiligen, ist und bleibt zentraler Bestandteil gelebter burschenschaftlicher Verantwortung. Der Freundschafts- und Lebensbund bildet hierfür das notwendige Fundament. Übernehmen wir Verantwortung, beteiligen wir uns aktiv an der politisch-gesellschaftlichen Debatte und bringen wir dabei unsere burschenschaftlichen Orientierungswerte ein – in der Politik, in der Öffentlichkeit, im Beruf, an unseren Universitäten und im akademischen Leben. Bekennen wir uns selbstbewusst zu unseren Prinzipien, auch wenn der Wind gegenüber Verbindungen rauer werden mag: Gott – Freiheit – Vaterland. Hängen wir unsere Prunkfahnen hoch – und nicht in den Wind, wie es leider in Politik und auch Kirchen nur allzuoft geschieht.“
Erfreulich ist, dass das CCB mit Beginn seines vierten Jahrzehnts immer stärker wahrgenommen wird. Ausdruck hierfür ist etwa ein Beitrag in Academia, der Verbandszeitschrift des Cartellverbandes Katholischer Deutscher Studentenverbindungen (CV), in Heft 5/2024, der sich dem Thema christliche Burschenschaften und dem Cartelljubiläum widmete. Ab der kommenden Ausgabe soll das Cartell auch in der „Fuxenstunde“ des bekannten Studentenhistorikers Bernhard Grün mit einem eigenen Eintrag vertreten sein, wie jetzt schon beispielsweise das Süddeutsche Cartell. In diesem Sinne: Burschenschaft Alemannia Leipzig, Burschenschaft Ostmark-Breslau zu Regensburg, Burschenshaft Rheno-Germnia Bonn, Burschenschaft Teutonia Nürnberg et Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg – vivant, crescant, floreant. Cartell Christlicher Burschenschaften – ad multos annos!
Axel Bernd Kunze