Vier katholischen Studentenverbindungen gehörte Konrad Adenauer an: Brisgovia Freiburg, Saxonia zu München, Askania-Burgundia Berlin und Arminia zu Bonn, alle im KV. Seinen Verbindungen blieb er zeitlebens von Herzen verbunden. Der Historiker und Politikberater Michael F. Feldkamp hat nun eine Studie über Adenauer, der unter die bedeutenden Korporierten aller Zeiten zu zählen ist, vorgelegt. Er zeigt, auf welche Weise der erste Bundeskanzler das Blühen, Wachsen und Gedeihen unseres heute noch bestehenden Staatswesens erst möglich machte.
Am 1. September 1948 wurde Konrad Adenauer zum Gründungspräsidenten eines in Bonn tagenden Parlamentarischen Rates gewählt. Er sollte es bis zum Ende der Arbeit dieses Gremiums bleiben. Dieser auf Anordnung der Westalliierten errichtete Rat hatte den Auftrag, eine Verfassung für einen westdeutschen Teilstaat zu erarbeiten. Adenauer konnte auf Erfahrung als Oberbürgermeister von Köln ebenso wie auf seine Flucht vor den Nationalsozialisten ins Kloster Maria Laach verweisen; seine klare katholische Prägung hatte er bereits in der vierfachen Mitgliedschaft bei KV-Verbindungen gezeigt.
Feldkamp nennt interessante, heute vielfach vergessene Fakten. Denn von Anfang an polarisierte Adenauer in seinem Vorgehen. Wenige waren neutral oder ohne Meinung, es gab viele Kritiker, aber mehr Befürworter seiner Politik. Die Union hatte in ihm über Jahrzehnte hinweg einen Leitstern, die SPD versuchte dagegen, ihn als „Bundeskanzler der Alliierten“ zu diskreditieren – und zwar zu Unrecht, wie dieses Buch nachweist. Schon das Titelbild zeigt es: Adenauer auf einem Teppich stehend, eine höchst riskante Symbolgeste – diesen Teppich hätte er nicht betreten dürfen, als er es tat, jedenfalls nicht nach dem Protokoll der Alliierten. Doch er verfolgte seine eigene Agenda, und er konnte das. Die Bundesrepublik war zu diesem Zeitpunkt bereits gegründet.
Die Grundlagen für die Adenauersche Nachkriegspolitik sind es, die Feldkamp interessieren. Er arbeitet gründlich und alles logisch auf. Bemerkenswert der Ausgangspunkt – für die Zeit-genossen war der 8. Mai 1945 nicht nur der Tag der Befreiung, sondern auch der Ausgangspunkt weiterer, schwerwiegender Zerstörung. In den Ostgebieten wurde die Vertreibung von über 14 Millionen Deutschen nach und nach unumkehrbar, stalinistischer Terror überzog zwei Drittel des vormaligen Staatsgebietes.
Die demokratischen Strukturen im verbliebenen Westteil des Landes mussten hart erarbeitet werden. Das ist – mit Verlaub – so nötige wie spannende Wissensvermittlung für geschichtsvergessene Wohlstandskinder. Kompliziert waren die Verhandlungen, die zum Grundgesetz für die Bundesrepublik führten. Große Umsicht musste Adenauer beweisen, denn er hatte kein machtpolitisches Faustpfand, wohingegen die Vertreter der Alliierten genau davon beliebig viele hatten. So waren es immer wieder Drahtseilakte zwischen klandestinem Selbstbewusstsein und demonstrativer Demut, die Adenauer zu bewältigen hatte – und bewältigte. Feldkamp schildert die Vorgänge chronologisch und anhand der einzelnen Ereignisse während des Verhandlungsmarathons. Das ist gut so, denn ansonsten würden auch die interessiertesten Leser den roten Faden vielleicht verlieren.
A propos: Es lohnt, über Adenauers Strategie nachzudenken. Es ist anzunehmen, daß er sich auf die Grundlagen besonnen hat, über denen Europa überhaupt erst entstand, und somit auf das Christentum, das über die römische Herrschaft in die Mitte Europas kam, ungefähr zugleich übrigens mit dem Judentum. Zugleich benötigte er, ganz pragmatisch, eine Stadt, die möglichst viele intakte Dächer besaß, die also im Zweiten Weltkrieg nicht allzu stark bombardiert worden war. Das römische Vicus Bonnensis, nachweisbar ab 11 v. Chr., in späterer Zeit Residenz der Kölner Erzbischöfe, bot sich nicht nur an – es war rückblickend unter den obwaltenden Umständen die erste Wahl. Ob es dieser wohlbedachte, aber nicht von jedem Zeitgenossen verstandene Rückgriff auf die geschichtlichen Grundlagen war, der den Erfolg der Bundesrepublik ausmachen sollte? Dieses Buch gibt Anhaltspunkte genau dafür. Ein Blick ins heutige Berlin, das sei am Rande erwähnt, tut ein übriges.
Feldkamp hat, das kann gesagt werden, mit diesem Buch ein wichtiges populärwissenschaftliches Desiderat geliefert, denn ihn interessiert immer auch und vor allem den Pragmatiker Adenauer, wie auch der Verlag notiert: „Adenauer sah von Anfang an seine Aufgabe darin, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Verfassungsschöpfung unter Besatzungsherrschaft überhaupt erst möglich wurde.“ Anhand der Ereignisse legt Feldkamp klar strukturiert dar, wie Adenauer die Interessen der deutschen politischen Parteien mit denen der Alliierten und den weltpolitischen Erfordernissen in Einklang zu bringen wusste. Und das war eminent wichtig, denn nur so konnte die Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland gelingen. Dank Feldkamp wird das sehr transparent. Korporierte, die heute im Umfeld der Politik tätig sind, seien ermuntert, sich in diesem Buch konzentriertes und doch gut lesbares Geschichtswissen anzueignen, das ihnen nützen wird.
Eine exakt auf den Punkt geschriebene Zusammenfassung – bescheiden als „Nachwort“ gekennzeichnet – belegt knapp und genau, wie und warum Adenauer mit seiner „Strategie der Demut“ erfolgreich war. Und zwar erfolgreicher, als alle annahmen, von den Militärgouverneuren der Alliierten bis hin zu den eigenen Parteifreunden. Eine gut ausgearbeitete Literaturliste und ein Personenregister beschließen diesen schmucken, handlichen, 176 Seiten starken Band.
Michael F. Feldkamp arbeitet als Parlamentshistoriker in der Verwaltung des Deutschen Bundestages. In über 30 Monographien, mehreren hundert Aufsätzen und Artikeln publiziert er zur Papstdiplomatie, Bildungsgeschichte und Zeitgeschichte.
Sebastian Sigler
Michael F. Feldkamp, Adenauer, die Alliierten und das Grundgesetz, München 2023, gebunden, einige Abb. s/w, 176 S., ISBN 978-3-7844-3654-8, 22 Euro.