Paul Ehinger ist als Verfasser bedeutender Werke über das schweizerische Korporationsstudententums auch nach seinem zu frühen Tod sehr präsent. Zu Lebzeiten erschien eine grundlegende Untersuchung der Jahre von 1930 bis 1940. Er arbeitete daran anschließend an einer mindestens genauso gründlichen und ausführlichen Studie über das Jahrzehnt 1941 bis 1950. Auf tragische Weise ist er nach langer Krankheit vor deren Veröffentlichung verstorben. Im Oktober 2024 ist das Werk erschienen. Ehinger sen. hat die ohnehon schon hochgesteckten Erwartungen der Leserschaft damit übertroffen., die beiden Co-Autoren haben, abenso wie der WJK-Verlag, exzellente Arbeit geleistet.
Das aufwendig recherchierte und umfangreiche Manuskript war Prinzip bereits vollständig, als Ehinger starb. Sein Sohn, Markus Ehinger, sowie Hans F. Wälty haben das Werk auf ausdrücklichen Wunsch des Autors post mortem redigiert, das ergänzendem Bildmaterial versehen, das Layout gestaltet und das Projekt zur Publikationsreife gebracht. Behandelt werden der größte Teil der Zeit des Zweiten Weltkrieges, die auch auf die Schweiz auf mancherleit Weise eminente Auswirkungen hatte, sowie die ersten fünf Jahre der Nachkriegszeit.
Als eine Art thematischer Höhepunkt ist die berühmte Rede des britischen Premierministers Winston Churchill an der ETH Zürich am 19. September 1946: „An die akademische Jugend der Welt“. Zurecht dokumentieren Ehinger und seine beiden Mitstreiter diesen Besuch ausführlich. Vor allem stellen sie dar, wieviele Chargierte die Verbindungen entsandt hatten, um beim Empfang vor der Universität Spalier zu stehen. Während der Rede Churchills in der Aula der ETH Zürich wurde für den hohen Gast chargiert. Eine ganze Epoche tritt dem Leser hier wieder vor Augen, und immer wieder sind Details zu entdecken, Schilderungen aus der Schweizer Sichtweise, die für deutsche Leser von besonderem Interesse sind
Entstanden ist ein 430 Seiten starkes, nach Art des WJK-Verlags soldie gestaltetes, fest gebundenes und fadengeheftetes Werk. Ein achtseitiges Abkürzungsverzeichnis liegt praktischerweise lose, also gesondert bei, auch nach Personenregister und Bibliographie sucht man nicht vergebens. Die Kapitel im Überblick:
- Die Kriegsjahre
- Feiern im Zeichen des Kriegs
- Politisches Engagement während des Kriegs
- Karitatives Engagement während des Kriegs
- Kriegsende und Nachkriegszeit
- Karitatives Engagement nach dem Krieg
- Reaktivierung der Kontakte im deutschsprachigen Couleurstudententum nach dem Krieg
- Kampf gegen den Kommunismus
- Stärkere Betonung der Sozialpolitik
- Außenpolitische Fragen
Zum Inhalt des Werkes
Die Korporierten der Schweiz waren zwischen 1941 und 1950 den spezifischen Herausforderungen dieser schwierigen Zeit genauso ausgesetzt, wie alle Bewohner des Landes. So hatten sie z.B. in den Kriegsjahren ebenfalls Aktivdienst zu leisten mit oft Jahre dauerndem Unterbruch des Studiums.
Die germanophile Einstellung einzelner Schweizer Couleuriker, zum Beispiel aufgrund der Erfolge der deutschen Wehrmacht in den ersten beiden Kriegsjahren, stellte ein marginales Phänomen dar. Es hatte keinen generellen Einstellungswandel Richtung Deutschfreundlichkeit zur Folge. Und während in vielen Ländern Europas die Juden und andere Minderheiten diskriminiert, misshandelt, verfolgt und ermordet wurden, kann konstatiert werden, dass manifester Antisemitismus in den farbenstudentischen Organisationen der Schweiz während der gesamten Kriegszeit kaum zu beobachten war.
Aller Unbill zum Trotz wurde während der Kriegsjahre – nach der Überwindung des anfänglich vorhandenen „schlechten Gewissens“ – auch gefeiert. Etwas in den Hintergrund trat bei den Korporationen in dieser Zeit die Beschäftigung mit politischen Themen. Die für die 1930er-Jahre typischen politischen Fragen und Probleme traten völlig in den Hintergrund. Der Nationalsozialismus war nur dann noch ein Thema, wenn es galt, sich von der braunen Gewalt abzuheben, etwa mit der Betonung des eigenen Vaterlandes mit seinen Freiheitsrechten und seiner Demokratie. Für grundlegende Kontroversen sorgte innerhalb und zwischen den Verbindungen das schweizerische Neutralitätsprinzip. Man sah dessen Notwendigkeit durchaus ein, wehrte sich aber mancherorts gegen die folgenden Konsequenzen.
Was in der studentischen Historiographie bisher kaum ein Thema war, ist das karitative Engagement der Schweizer Studenten während des Kriegs und vor allem in den ersten Nachkriegsjahren. Unermüdlich beteiligten sich insbesondere die Farbentragenden an Hilfsaktionen für notleidende Studenten im Ausland. Bereits während des Kriegs und dann verstärkt gegen das Kriegsende wurde in den Verbindungen über die Zeit danach reflektiert. Aber man war sich im Klaren, dass nun neue Probleme anstanden, die Schweizer Couleuriker wandten sich dabei relativ früh wieder ausländischen Korporationen zu. Die Zofingia entschied sich zur Herausgabe einer Schrift „an die deutschen und österreichischen Studenten“.
Nach 1945 spielten unter den Couleurstudenten außenpolitische Fragen eine zunehmend wichtigere Rolle. Nach dem Aufstieg der Siegermacht USA fragte man sich: „Ex oriente lux, ex occidente luxus?“ Man stand aber Amerika wegen seiner Vormachtstellung zunächst skeptisch gegenüber. Mit dem Aufkommen des Kalten Krieges legte sich diese Aversion wieder. Bereits bei der Befreiung des alten Kontinents debattierte Schweizer Studentenschaft über die Zukunft Europas. Die einen waren voll guten Glaubens und der Überzeugung, dass nur ein Vereinigtes Europa die Menschen aus dem Elend befreien könne. Die anderen waren diesbezüglich skeptisch, vor allem dann, wenn es um einen Anschluss der Schweiz ging. Vom Neutralitätsprinzip, dessen Umsetzung während des Kriegs zwar oft einem Drahtseilakt gleichkam, wollte man sich – so die Mehrheit der Farbentragenden – in keinem Falle verabschieden.
Die Autoren
Dr. phil. I Paul Ehinger (1939 – 2022) promovierte 1970 in Geschichte und Soziologie an der Universität Zürich. Anschließend war er Assistent am Forschungszentrum für schweizerische Politik der Universität Bern. 1976 wechselte er zum Journalismus; von 1984 bis 1988 war er Bundeshausredaktor beim „Zofinger Tagblatt“ und dann bis 2003 dessen Chefredaktor. Er wurde 1967 aktiv bei der Zofingia Zürich. 1986 gehörte er zu den Initianten und Mitgründern der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte, die er 1988 bis 1994 präsidierte. Darüber hinaus leitete er während 25 Jahren das Periodikum Studentica Helvetica.
Hans F. Wälty (*1948), lic. phil. I/MAS ETH, studierte Sozialwissenschaften an der Universität Zürich und an der ETH Zürich. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Arbeits- und Betriebspsychologie der ETH und arbeitete während rund zehn Jahren in der kommerziellen Markt- und Sozialforschung. Danach war er Marketingleiter im öffentlichen Verkehr sowie Marketing-Dozent an Fachhochschulen. Bereits als Gymnasiast und dann auch als Student war er in der Zofingia aktiv. Er ist Autor und Co-Autor verschiedener Fachbücher.
Markus Ehinger (*1976), Master of Law, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Er war während elf Jahren unter anderem bei „Blick am Abend“ und bei der „Berner Zeitung“ als Journalist tätig. 2019 wechselte er in die Unternehmens-Kommunikation, wo er seither beim Energie- und Infrastrukturunternehmen BKW als Kommunikationsexperte und Mediensprecher beschäftigt ist. Als Gymnasiast war er in der Zofingia Zofingen-Olten und als Student in der Zofingia Bern aktiv.
Ehinger, Paul / Wälty, Hans F. / Ehinger, Markus, Das schweizerische Corporationswesen 1941 bis 1950, Hilden 2024, 430 Seiten, 17 x 24 cm, fester Einband mit Fadenheftung, ISBN 978-3-91067-30-7, 48,90 Euro zzgl. Versand, Bestellung über: WJK-Verlag, Mozartstrasse 30, D-40726 Hilden, https://www.wjk-verlag.de/.