August Jägers „Felix Schnabels Universitätsjahre oder: Der deutsche Student“ liegt eine einzigartige kulturhistorische Idee zugrunde. Hier wird erstmals die Topographie eines manifesten studentischen Netzwerkes von Verbindungen aufgezeigt. Konkret geht es um die nachmaligen Kösener Corps kurz vor dem Jahr 1830, deren Netzwerk, das damals längst bestand, mit lexikalischer Präzision, aber in einer höchst humorvollen Art literarischer Bedeutungsperspektive beschrieben wird.
Für alle Korporierten ist dieses Buch eine höchst ertragreiche Lektüre, denn der Autor sortiert die Hochschulstädte des deutschen Bundes, der um 1830 bestand, nach ihrem Einfluß auf das frühe Corpsstudententum. Gleich vorweg sei gesagt: es geht hoch her im „Felix Schnabel“, wie unser Indexbild, das aus der in Stuttgart gedruckten Originalausgabe von 1835 stammt, deutlich zeigt.
Felix Schnabel ist ein hochintelligenter Goldjunge – so denken seine Eltern. Alle seine Schwierigkeiten können nicht an ihm liegen – denken seine Eltern. Und natürlich haben sie für alles gesorgt – denken die Eltern. August Jägers Roman beweist auf spielerisch-leichte Weise, wie schädlich Helikoptereltern auch im 19. Jahrhundert sein konnten. Am Ende versumpft Felix, der ach so perfekte Goldjunge, im studentischen Leben und endet als Söldner in Griechenland. Für den Leser, der alle die puerilen Scherze und studentischen Verirrungen ja schon kennt, denn er hat sie hier gelesen und vielleicht in seiner eigenen aktivenzeit auch selbst in dieser oder jener form erlebt, ist der Ausgang der Geschichte keine Überraschung. So unschön der Ausgang, so amüsant ist der Weg dorthin. Der Lesespaß ist, man kann es nicht anders sagen, ganz enorm, denn der Autor führt leichtfüßig, kompetent und mit knochentrockenem Humor in die Sprache und Welt des Verbindungslebens generell ein, und das am Beispiel der alten Corps, die sich bald darauf, 1848, exakt in Jena zum KSCV zusammenschließen sollten, um fürderhin jährlich zu Pfingsten in Bad Kösen zu tagen. Die Lesbarkeit wird gegenüber früheren Ausgaben enorm verbessert durch zeitgemäßen Satz und klare Schrift, was dem neuen Herausgeber, Kahmann, zu danken ist.
„Der Felix Schnabel“ ist eines der maßstabgebenden Kultbücher studentenhistorischer Provenienz schlechthin, und das schon seit der Erstveröffentlichung im Jahre 1835.
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Zum Autor: 1827 wurde August Jäger in das Corps Franconia Jena rezipiert. Er trug auch, ganz wie seine Romanfigur, das Band der Hallenser Märker. In seinem Roman arbeitet sich das literarische Ich von Halle und Jena aus durch das akademische Deutschland um 1830, wobei er neben dem Band der heute längst untergegangenen, ruhmreichen Marchia Halle und dem Jenschen Frankenband kurz das Leipziger Lausitzerband sowie dasjenige der Hildesia Göttingen, heute Hildeso-Guestphalia erwirbt, und dazu noch, schon damals quasi als Krönung, das Band der Saxo-Borussia Heidelberg. Corpsstudenten, wie Jäger einer war, persiflierten mit ihren Saufgelagen die Adelsgesellschaft, die auch damals schon teilweise untergegangen war, auf durchaus derbe Weise. Autobiographische Bezüge des Autors zum literarischen alter ego Schnabel sind daher ausdrücklich nicht ausgeschlossen, zumal der reale Jäger später die Biographie eines Adeligen schreiben sollte – die des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, dessen Schloß nebst wundervollem Park heute noch an der Neiße im polnisch-deutschen Grenzgebiet besichtigt werden kann.
Speziell für Kenner des corpsstudentischen Genres kommt dabei der Spaß nicht zu kurz. Natürlich dichtet sich Jäger noch ein paar Bänder mehr an, als er trug, aber wer täte das nicht gerne? Jägers Angaben zu Namen, Fakten und den Verhältnissen untereinander sind indes nach allem, was wir ermessen können, recht authentisch. Zuverlässig zeigt er das Netzwerk auf, aus dem rund zwei Jahrzehnte nach dieser literarischen Bestandsaufnahme der KSCV entstehen sollte. Natürlich geschah dessen Gründung in Jena, genau dort, wo die Keimzelle des Corpsstudententums zu suchen ist. August Jäger wußte genau, wo alles begonnen hat!
Die Korporationssysteme entwickelten sich um 1835 gerade erst, und aus dem hier obligatorischen, neuartigen, engen Freundschaftswesen wuchs – immer kritisch beäugt und zweitweise energisch verfolgt durch die politische Polizei – zu einem Gutteil jene Opposition heran, die 1848 in die demokratische Revolution tragen sollte. Selbst der sehr an Bier, Mädchen und korporativen Ehren interessierte Felix Schnabel stolpert am Ende in die politische Haft. Aber bis dahin geht es hoch her in Jena, Leipzig, Halle, Erlangen, Würzburg und Göttingen, Marburg, Gießen , Heidelberg, Straßburg, Freiburg, Tübingen und ganz zum Schluß München, von wo aus dann das Söldnerdasein in Griechenland unvermeidlich wird. Felix Schnabels Studentenleben ist durch Jägers eindrücklichen und kenntnisreichen Bericht für die nächsten hundert Jahre zum Musterbeispiel geworden – allerdings nicht für wissenschaftlichen Fleiß.
August Jägers Satire über den verlottertsten Studenten des neunzehnten Jahrhunderts ist sein bekanntestes Werk und eine lohnende Entdeckung. Es ist damit zugleich ein kulturgeschichtliches Dokument und ein überraschend zeitloser Lesespaß. Henning Kahmann Franconiae Jena hat sich anlässlich des 200. Stiftungstags seines heute in Regensburg ansässigen, ursprünglich aus Jena stammenden Corps an einer Neuauflage des „Felix Schnabel“ gemacht, und ihm ist hier ein großer Wurf gelungen!
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Das Buch kostet 28 Euro.
August Jäger
Felix Schnabels Universitätsjahre oder Der deutsche Student
Ein Beitrag zur Sittengeschichte des neunzehnten Jahrhunderts
mit Anmerkungen aus dem Burschicosen Wörterbuch von 1846
Herausgegeben von Henning Kahmann, Düsseldorf 2022, 478 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband, 12,5 × 20,5 cm, ISBN 978-3-946595-15-1, (D) € 28,00, (A) € 28,80, (CH) SFr 38,00 (UVP), auch als E-Book erhältlich
August Jäger, geboren 1808 in Ringelheim, heute ein Stadtteil Salzgitters, schrieb häufig unter dem auf seinem studentischen Spitznamen oder Biernamen fußenden Pseudonym August von Schlumb. Sein erstes Buch „Der Deutsche in Algier“ berichtete 1834 von seiner Zeit in der Fremdenlegion. Dorthin war er im anschluß an eine turbulente Universitätszeit geraten, die er in seinem zweiten Buch als Geschichte Felix Schnabels verarbeitete. In der Folge wurde er durch mehrere Veröffentlichungen zu einem wertvollen Chronisten des politischen Exils der 1830er Jahre in der Schweiz, in Paris und London. 1839 aus dem Ausland zurückgekehrt, arbeitete er in Leipzig am Brockhaus mit und schrieb neben anderem die bereits erwähnte Biographie des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, die 1843 erschien. Seine Begegnungen im kleinen Fürstentum Anhalt-Köthen führten ein Jahr später zum adelskritischen Schlüsselroman „Der Roué“. Sein letztes Buch war 1846 ein Fachbuch über das orientalische Pferd. Mitte 1847 musste er wegen der paralytischen Folgen einer Syphiliserkrankung in die Irrenanstalt Nietleben bei Halle eingeliefert werden. Hier starb er mit nur vierzig Jahren im Dezember 1848.
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