Die 83. Tagung des AKSt in der Hansestadt Rostock, 6. bis 8. Oktober 2023

Rostock, weit im Norden, an der Ostsee, war 2023 das Ziel der Studentenhistoriker. In der Handelsstadt mit ihrer ruhmreichen Universität ist noch heute die akademische Tradition besonders deutlich zu spüren. Insgesamt über 50 Teilnehmer, sogar aus der Schweiz, wollten sich das nicht entgehen lassen. Angesichts der weiten Anreise mussten aber eine ganze Reihe von Studentenhistorikern, die alle sehr gern dabei gewesen wären, auf eine Teilnahme verzichten.

Die von Dr. Sebastian Sigler (KSCV) wieder minutiös vorbereitete und interessant gestaltete Tagung begann am Freitag mit einem Kaffeetrinken im „Marientreff“, dem Kirchencafé der Marienkirche, das ehrenamtlich betrieben wird. Nach der Stärkung organiserte Bernd Kunz (WSC, KSCV), von Dr. Sigler instruiert, eine Führung für alle Anwesenden durch die Marienkirche, die tiefe Einblicke in die Geschichte des Gotteshauses gewährte. Hier fanden ab 1419 und die gesamte frühe Neuzeit hindurch die Universitätsfeiern statt, deswegen hängen Professorenbilder aus jenen Jahrhunderten an prominenter Stelle; auch über den Rostocker Zweig der Familie Mann war einiges zu erfahren. Höhepunkt der Führung war die Besichtigung der einzigartigen astronomischen Uhr, die aus dem 15. Jahrhundert stammt und seitdem ununterbrochen in Betrieb ist.

Danach begaben sich alle zum Hauptgebäude der Universität, das 1866 bis 1870 im Stil der Neo-Renaissance erbaut wurde. Dort wurden sie schon von Prof. em. Dr. Kersten Krüger erwartet, einem der profundesten Kenner der 1419 gegründeten Universität Rostock. Nach einer Einführung in die Universitätsgeschichte in der Schatzkammer trug Prof. Krüger zum Thema „Studentische Jugendkultur zwischen Verbot und Behauptung – Landsmannschaften im Konflikt mit der Leitung der Universität Rostock 1614 – 1662“ in der ehrwürdigen Aula vor. Die zugrundeliegenden Dokumente für diesen Vortrag sind der Beweis für die Existenz dieser alten Landsmannschaften – noch im Sinne des festen Herkunftsprinzips – als integraler Bestandteil der Universität. Prof. Dr. Matthias Asche (CV, Universität Potsdam) ergänzte diesen Vortrag, quasi im Vorgriff auf seine eigentlichen Ausführungen am Sonnabend. Das war ein thematisch dichter Auftakt, denn die prachtvolle historische Aula machte die Bedeutung des Tagungsortes rein optisch erfahrbar.

Glanzvoller Empfang in Rostock: In der historischen Aula gab Prof. Dr. Kersten Krüger den angereitsen Wissenschaftlern einen Überblick über die Geschichte der Universität Rostock.

Vor dem Abendprogramm bei L! Baltia stand ein von den aktiven Balten zubereitetes Büfett bereit. Dieses Engagement ist bemerkenswert, es wurde mit Beifall aufgenommen. Dr. Gerhart Berger (B! Frankonia Heidelberg) verlas sodann für den wegen eines Trauerfalls verhinderten Prof. Dr. Roland Gehrke (CC, Universität Stuttgart) dessen Vortrag „Aktivsein in unruhigen Zeiten: Rostocker Landsmannschaften und Turnerschaften zwischen 1. Weltkrieg und Nationalsozialismus“, der auch die Geschichte der gastgebenden Baltia betraf. Die Teilnahme an Kapp-Putsch und Freikorps, die „völkische“ Tendenz und die Einschränkungen bis zum Verbot wurden sehr plastisch geschildert.

Am Samstagmorgen begaben sich die teils von weither angereisten Spezialisten für Studentengeschichte ins Kulturhistorische Museum Rostock, das in einem vollständig erhaltenen, ehemaligen Kloster untergebracht ist und sich als Museum für Stadt- und Universitätsgeschichte versteht, wie dessen Leiter Dr. Steffen Stuth erläuterte. Auf einer kurzen Führung, die sich auf die universitätsgeschichtlich relevanten Ausstellungsstücke bezog, konnten sich die Teilnehmer Appetit für einen späteren Besuch der auch didaktisch sehr guten Ausstellung holen. Das Museum ist auf jeden Fall einen längeren Besuch wert.

Den Vortragsreigen eröffnete Professor Matthias Asche mit dem Thema, das er am Abend zuvor schon angerissen hatte: „Studentenleben und akademischer Alltag an der Universität Rostock in Mittelalter und Früher Neuzeit“ – zugleich Gegenstand seiner Dissertation. Anders als heute wohnten die Studenten nach Aufhebung der klosterähnlichen Regenzien im Zuge der Reformation zum Teil bei ihren Professoren. Häufig fanden in deren Häusern auch die Vorlesungen statt, zumeist im kleinen Kreis. Einen Campus oder ein „Hauptgebäude“ gab es noch nicht.

Im Konferenzraum des Kulturhistorischen Museums der der Stadt Rostock: Tagungsleiter Sigler (li.) und Referent Ekbäck (re.) bei der Fragerunde zum Vortrag über die Studentennationen in Uppsala.

Erik Ekbäck (KSCV) brachte einen europäischen Aspekt in die Tagung ein. Unter dem Titel „Die Studentennationen in Uppsala in der frühen Neuzeit“ informierte er mit viel Hintergrundwissen über diese Vorform heutiger mitteleuropäischer Studentenverbindungen, die aufgrund der Pflichtmitgliedschaft der Studenten nach Herkunftregionen damals zahlenmäßig viel größer waren. Noch heute bestehen 13 dieser Nationen in Uppsala. Sie sind deutlich größer als hiesige Verbindungen und unterhalten bis dato quasi eigene Wirtschaftsbetriebe. Auch wenn der Vortrag schwerpunktmäßig die Frühzeit ab dem 17. Jahrhundert beleuchtete, zeigten die zahlreichen Fragen der Teilnehmer wie auch die Antworten des Referenten, dass das Interesse an diesen Nationen auch heute noch sehr lebendig sind. Im übrigen werden die Nationen von Uppsala an dieser Stelle des Berichts genannt, weil das Thema an diese Stelle der Konferenz gehört. Aufgrund tagesaktueller Verschiebungen war Ekbäcks Vortrag in den Nachmittag verschoben worden.

Horst Schug (DS) machte den Auftakt des zweiten Tagungsblockes mit „Rostocker Sängerschaft gegen den NSDStB – Das Dienstbuch der Wohnkameradschaft „Niedersachsen“ von 1934 bis 1936“ den Vortragsreigen fort. Die Rostocker Sängerschaft „Niedersachsen“ verfügt als wahrscheinlich einziger Bund noch über das Dienstbuch aus dieser Zeit, in dem der Tagesablauf des Verbindungslebens nach NSDStB-Vorgaben genauestens dokumentiert ist. Inwieweit diese Eintragungen der Realität entsprechen oder nur für die Einsicht nehmenden NSDStB-Funktionäre geschönt wurden, ist nicht überliefert. Kontrolleintragungen derselben finden sich auch nicht. Es lässt sich aber der für die Korporation und das Studium belastende Zeitaufwand dieses „Dienstes“ nachvollziehen, weit weg vom angenehmen Studentenleben.

Jens Andrasch (KSCV) trug anschließend vor zur Bundesgeschichte seines eigenen, in Rostock auch wieder ansässigen Corps Visigothia unter dem Titel „Ein Corps kneipte und focht recht umtriebig in Rostocks Restaurants“. Vor dem Erwerb eines eigenen Hauses musste auch dieses Corps ein reges Wanderleben durch verschiedene Lokale unternehmen und residierte länger in einem Lokal in einer örtlichen Brauerei.

Die Studentenhistoriker vor dem Hauptportal der Universität Rostock

Zum gemeinsamen Gruppenfoto begaben sich alle Teilnehmer dann nochmals vor das schmucke historische Hauptgebäude der Universität Rostock. Danach verlagerte sich die Tagung zur Alten Rostocker Burschenschaft Obotritia. Das Essen steuerten wieder die Aktiven der Balten mit ihrem ausgebildeten Koch bei, während die Obotriten ihren schönen Kneipsaal festlich vorbereitet hatten.

Nach dem Abendessen wandten sich zwei Vorträge dem 175. Jahrestag des Paulskirchenparlaments zu. Eine inhaltliche Fortsetzung zur Tagung in Heidelberg zu jüdischen Korporierten und Korporationen war der Vortrag von Dr. Peter Kaupp (JB! Arminia a.d. Burgkeller) unter dem Titel „Von Konservativen bis zu radikalen Republikanern – jüdische Burschenschafter in der Frankfurter Nationalversammlung“. Diese jüdischen Burschenschafter, einige wenige waren es, der bekannteste wahrscheinlich Gabriel Riesser, vertraten – wie auch die anderen Burschenschafter – sehr unterschiedliche Positionen hinsichtlich Regierungsform und Größe eines anzustrebenden deutschen Nationalstaats. Riesser sorgte auch dafür, dass im § 146 der Paulskirchenverfassung eine Gleichstellung der Juden erfolgte.

Ein architektonischer Höhepunkt der Rostocker Verbindungshaus-Architektur: der Kneipsaal der Obotritia, hier während der Abendveranstaltung der 83. deutschen Studentenhistorikertagung.

Ein Vortrag von Oliver Mohr (CC) schloss sich thematisch nahtlos an. Mohr beschäftigte sich mit dem Kieler Burschenschafter Georg Beseler, der als prominentes Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung gelten darf. Als Titel seines Vortrags hatte er gewählt: „Georg Beseler – Burschenschafter, Jurist und Politiker im Vormärz und 1848/49. Wegen seiner geradlinigen Haltung musste Beseler, so war zu erfahren, zahlreiche Nachteile in Kauf nehmen, machte dann aber als Vorreiter und Verfechter des deutschen Rechts – dieses als eigenständig gegenüber dem römischen Recht betrachtend – und als Begründer der Genossenschaftslehre noch eine beachtliche Karriere, unter anderem auch als Professor in Rostock.

Der Abend mündete trotz der Abwesenheit unseres „Hofmusikus“ Prof. Raimund Lang in einen vom eigens aus Hamburg angereisten Dr. Engelke (Obotritia) am Klavier begleiteten Kneipabend. Obotritia sei für diese rundum gelungene Veranstaltung herzlich gedankt!

Nachdem sich bereits einige Teilnehmer und auch der Leiter, letzterer wegen einer beruflichen Verpflichtung, bald nach den Vorträgen des Samstagabends verabschieden mussten, traf sich der standhafte Rest am Sonntag bei den Westgoten, also dem Corps Visigothia, zu zwei weiteren Vorträgen. Visigothia hatte auch für Kaffee und Erfrischungen gesorgt. Reinhard Prölß (WB) trug ein interessantes zeitgeschichtliches Thema vor, und wieder einmal konnte er dazu auf seine eigene, bewegte Familiengeschichte, die der Familie Prölß also, zurückgreifen. Dieses Mal gab er unter dem Titel „Im Westen und Osten viel Neues – die Kriegsbriefe des Dr. Walter Prölß“ Einblicke in die Kriegserlebnisse seines Verwandten, der im 1. Weltkrieg als Zahnarzt und Chef einer Sanitätskompanie an West- und Ostfront eingesetzt war.

Sonntagsvorträge bei Visigothia. Der Referent Kunz ist links im Hintergrund zu entdecken.

Bernd Kunz (WSC und KSCV) beschloss die Tagung mit einem Vortrag über die Kapitäne seiner Urverbindung Corps Rhenania Hamburg unter dem Titel: „Corps und Seefahrt – das Corps Rhenania Hamburg und seine Kapitäne“. Diese meist an der Fachschule ausgebildeten Seeleute wechselten auch während ihrer Aktivenzeit zumeist schon zwischen Studium und praktischer Seefahrt. Viele von ihnen gingen auf die sogenannte „große Fahrt“, also über die Weltmeere.

Damit endete eine auch in diesem Jahr wieder sehr abwechslungsreiche und kurzweilige Tagung. Allen gastgebenden Verbindungen, allen Referenten und natürlich dem rastlosen Leiter Dr. Sigler sei hierfür herzlich gedankt. Wem die Teilnahme nicht möglich war, der kann nachlesen, was es zu hören gab, denn natürlich ist ein Tagungsband in Planung. Alle Studentenhistoriker sollten zudem den Jubiläumstermins im Jahr 2024 notieren. Vom  11. bis 13. Oktober 2024 wird im schönen Heidelberg getagt, und es wird ein Jahrhundertfest, denn seit 1924 gibt es Studentenhistorikertagungen. Um alles zu krönen, handelt es sich um eine turnusgemäß stattfindende europäische Studentenhistorikertagung, die immer zusammen mit den Vereinigungen aus Österreich und der Schweiz abgehalten wird. Auf nach Heidelberg!

Michael Hacker (B! Alemannia zu Bonn)

Das Programm der 83. deutsche Studentenhistorikertagung zum Nachlesen
Seit Gründung der Universität im Jahre 1419 deren erste Universitätskirche: St. Marien in Rostock

6. Oktober 2023, ab 15 h.c.t., Marientreff

Besichtigung der Marienkirche unter besonderer Berücksichtigung der Professorenbilder

6. Oktober 2023, 17 h.s.t., historische Aula der Universität

Prof. Dr. Kersten Krüger, Universität Rostock: Studentische Jugendkultur zwischen Verbot und Behauptung – Landsmann-schaften im Konflikt mit der Leitung der Universität Rostock zwischen 1614 und 1662

6. Oktober 2023, 19 h.c.t.: Studentischer Kulturabend a.d.H. e./v. L! Baltia

Prof. Dr. Roland Gehrke, CC, Universität Stuttgart: Aktiv sein in unruhigen Zeiten – Rostocker Landsmannschaften und Turnerschaften zwischen Erstem Weltkrieg und Nationalsozialismus

7. Oktober 2023, 10 h.s.t.: Tagung im Kulturhistorischen Museum Rostock

Prof. Dr. Matthias Asche, CV, Universität Potsdam: Studentenleben und akademischer Alltag an der Universität Rostock in Mittelalter und Früher Neuzeit

Dr. Steffen Stuth, Kulturhistorisches Museum Rostock: Collegien und Regenzien – Studenten in der frühen Neuzeit und ihr Leben in ihrer Stadt

Erik Ekbäck, KSCV: Studentennationen in Uppsala in der frühen Neuzeit

Dr. Helma Brunck: „Ich gehe täglich in die Sitzungen und kann die Politik nicht lassen“ – Clotilde Koch-Gontard, Heinrich von Gagern und die Casino-Fraktion 1848/49 (schriftlich)

Dr. Peter Kaupp, Arminia a.d.B.: Von Konservativen bis zu radikalen Republikanern. Jüdische Burschenschafter in der Frankfurter Nationalversammlung

Oliver Mohr, CC: Georg Beseler – Burschenschafter, Jurist und Politiker im Vormärz und 1848/49

Jens Andrasch, KSCV, Rostock: „Ein Corps kneipte und focht recht umtriebig in Rostocks Restaurants“

Horst Schug, DS: Rostocker Sängerschaft gegen NSDStB – Das Dienstbuch der Wohnkameradschaft „Niedersachsen“, 1934 bis 1936

8. Oktober 2023, ab 10 h.m.c.t.: Matinee a.d.H. e./w. CC der Visigothia

Reg.-Baurat Reinhard Prölß, WB: Die Kriegs-briefe des Dr. Walter Prölß, 1914 bis 1918

Bernd Kunz, WSC, KSCV: Corps und Seefahrt – das Corps Rhenania Hamburg und seine Kapitäne

Bitte vormerken: Jubiläumstagung 100 Jahre AKSt 11. bis 13. Oktober 2024, Heidelberg NEUER TERMIN

zugleich 84. deutsche und 10. europäische Studentenhistorikertagung

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