Jüdische Korporierte, jüdische Verbindungen und Erez Israel: עם ישראל חי

Zu Jom Kippur griff die islamische Hamas Israel hinterrücks an, tötete 1.200 Menschen. Als gemeine Schwerverbrecher, die sie sind, nahmen die Hamas-Terroristen auch Geiseln. Israelische Soldaten setzen seitdem ihr Leben ein, um ihre Liebsten zu befreien. Um ihres Glaubens willen sind Menschen jüdischen Glaubens weltweit schon wieder vom Tode bedroht. Nie wieder beginnt jetzt. Auf beiden Seiten sterben dabei aber auch Unschuldige, denn speziell Kinder, Frauen, alte und gebrechliche Menschen im Gaza-Streifen sind seit Jahren und Jahrzehnten Opfer der Hamas, nicht etwa Israels. Der Einsatz israelischer Soldaten dient, so wissen wir, nicht zuletzt den Menschen in und um Gaza.

Tagung des AKSt zusammen mit der HfJS in deren Räumen in Heidelberg, Aufnahme vom 19. November 2021.

Der AKSt würdigte die jüdischen Verbindungen und viele jüdische Korporierte mit einer Tagung, die auch per Video übertragen wurde, im März 2021. Eine nachfolgende Konferenz zum selben Thema gemeinsam mit der Hochschule für Jüdische Studien, HfJS, fand im November 2021 statt und war wissenschaftlich äußerst erfolgreich; menschlich war sie sehr bewegend. Im Folgenden einige Überlegungen zu Geschichte und Schicksal der jüdischen Studentenverbindungen.

Gedanken zum Ursprung der jüdischen Korporationen

Von Sebastian Sigler

Im Dritten Reich kulminierte eine Katastrophe der europäischen Kultur in Unterdrückung, Krieg, Vernichtung und Vertreibung; weltweite Umwälzungen, die sich teils bereits angedeutet hatten, folgten. Und wärhrend die meisten Verbindungen in den vom Sozialismus befreiten Gebieten ab 1947 allmählich wiedererstehen konnten, gelang das keiner einzigen jüdischen Verbindung. Bis 1933 hatten viele von ihnen in Blüte gestanden, in größeren deutschen Hochschulstädten oft drei oder vier, im Habsburger­reiches deutlich mehr. Ihrer aller Entstehung soll Gegen­stand dieser kurzen Ausführungen sein, die lediglich zum Thema hin­führen, es aber keinesfalls erschöpfend behandeln können. Die Tagung des AKSt, die im März 2021 in Heidelberg stattfand, brachte die jüdischen Korporationen wie die jüdischen Korporierten zu Ehren, aber noch nicht die paritätischen Verbindungen.

Die Geschichte der jüdischen Verbindungen ist untrennbar verbunden mit der der übrigen Korporationen, sie ist einbettet in die Universitätsgeschichte ebenso wie in die der umgebenden Gesellschaft. Ist aber der Antisemitismus an den Universitäten und damit auch in unterschiedlichen Korporationen die Fort­schreibung des seit der Spätantike bekannten Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert – nur im neuen Gewand? Eher nein. Der Ursprung des aufkommenden Antisemitismus unter Studenten jedenfalls ist nicht an den Universitäten zu suchen, denn nach Art eines Virus schlich er sich ab der Jahrhundertmitte in die Gesellschaft ein; ab 1863 war die Scheinlehre von in­dogermani­schen, von „arischen“ Herren­men­schen in der Welt.[1]

Couleurkarte des Vereins Jüdischer Studenten an der Albertina Königsberg, spätestens 1925

Die Errichtung des „wilhelminischen“ Kaiserreichs, die am 18. Januar 1871 proklamiert wurde, barg für Deutsche jüdischen Glaubens enorme Möglichkeiten, denn mit der Verab­schiedung der Reichsverfassung vom 16. April 1871 war eine klare, recht­lich fassbare Gleichstellung aller Bürger entstanden, die Diskri­minierung jüdischer Bürger von Staats wegen war ausgeschlos­sen.[2] Und deutsche Studenten jüdischen Glauben nahmen diese Chan­ce durchaus wahr, ihnen stand „nahezu die ganze Korpora­tions­welt offen“.[3] Zugleich wird der Hintergrund sichtbar, vor dem sich wenig später die Korpori­sierung vieler jü­discher Stu­denten vollziehen sollte. Sie ergeben sich aus der sozi­alen Struk­tur und der gesellschaftlichen Schichtung im Wilhel­mini­schen Kaiserreich. Höchst aufschlußreich sind hier die Ausführungen, die Norbert Elias zur damaligen Gesellschaft macht: „Hohe Be­amte und Mili­tärs hatten ganz entschieden einen höhe­ren sozia­len Rang als reiche Kaufleute. Und auch ein einiger­maßen wohl­habender Akademiker, etwa ein Rechtsan­walt oder ein Arzt, stand gesell­schaftlich höher als ein vielleicht weit rei­cherer nicht-akademi­scher Kaufmann oder Unternehmer.“[4]

Alle Hoffnungen auf eine wirkliche Gleichberechtigung für die deutliche Mehrzahl der jüdischen Mitbürger zerschlugen sich indes sehr schnell. Bereits ab der „Gründerkrise“ von 1873 nahm der Antisemitis­mus rapide zu.[5] Die Ab­lehnung aus – offenkun­dig vorgescho­benen – Glaubensgründen kam aus allen ge­sell­schaftlichen Schichten und Kreisen, was nicht zuletzt damit zu­sammenhängt, daß die Ursachen „multi­kausal“ waren:[6] Neid, Verlustängste, die Furcht vor sozialem Abstieg sowie simp­le reli­giö­se Antipathie schwangen ganz individuell mit.  

Diese gesellschaftliche Entwicklung hatte selbstredend auch gravierende Fol­gen für die überproportional wachsende Gruppe jüdischer Studenten. Durch mehr oder weniger stark antisemi­tisch ge­prägte nicht-jüdische Elternhäuser und eine latente Ju­denfeindlichkeit, zum Beispiel an ka­tholischen Gymnasien, hielt die Judenfeindschaft schließlich auch in die Ver­bindun­gen fast aller Couleur Einzug. Die Söhne, die Zöglinge nah­men die er­lernten Ansichten mit, wenn sie an die Hochschulen wech­selten, und praktizierten sie dort weiter.[7] Das geschah zunächst in Österreich, bald danach auch im Deutschen Reich. Die antisemi­tischen Stereo­type sollten vielerorts zu einer Art Überbietungs­wett­bewerb werden, der durchaus gesellschafts- und parteipoli­tische Ursachen hatte,[8] aber auch daher rührte, dass eine wach­sende Zahl von Menschen im Judentum eine Art Elitedenken, ein Ge­fühl des „Auserwählt­seins“ vermu­tete.[9] Verstärkt wurde diese Judenfeindschaft an den Universitäten durch die deutlich zu be­obachtende Sättigung des Arbeitsmarktes für Akademi­ker und einer – unterschiedlich starken, aber überall er­kennbaren – Über­lastung der Universitäten, weswegen durchaus von einer „Über­füllungs­krise“ gesprochen werden kann.[10]

Antisemitische Beleidigungen als Gründungsimpuls?

Couleurkarte der Jordania München. Sammlung Kampik, mit frdl. Genehmigung durch Hubert Kampik.

Das exponentielle Wachstum der Judenfeindschaft, das aus heu­tiger Sicht als gesamtgesellschaftliches Problem gesehen wer­den muss, war dort sehr früh und deutlich zu beobachten, wo dafür eine besondere Empfänglichkeit herrschte – bei den Stu­denten, die einen Konkurrenzdruck durch jüdische Kommili­tonen emp­fanden.[11] Der Anteil jüdischer Studenten lag sieben­mal so hoch wie der jüdische Bevölkerungs­anteil, ge­gen Ende des 19. Jahr­hunderts gab es im Deutschen Reich – theologische Fakul­täten nicht eingerech­net – pro 10.000 Män­nern 33 Stu­denten katholi­schen, 58 evange­lischen, aber 519 jüdi­schen Glau­bens.[12]

Georg Ritter v. Schönerer, ein Österreicher, war es dann, der in einem Anfang 1881 publizierten Aufruf an seine „Deut­schen Stammesgenossen“ die Meinung vertrat, es gebe eine „se­miti­sche Rasse“, der alle Juden unterschiedslos angehör­ten.[13] Auf diesen Aufruf reagierten alle österreichischen Verbin­dungen;[14] über alle Dachverbände hinweg wurde diese Lehre von Unter­schie­den zwischen der Rasse anerkannt, und der den jüdi­schen Mitbür­gern gegenüber feindliche Grundton in der Gesell­schaft, der be­reits vorhanden war, drang nach seiner Entstehung auch in die Verbindungen ein. Als fixes Datum in diesem Radi­kalisie­rungs­prozeß ist der Richard-Wagner-Trauerkommers vom 5. März 1883, bei dem die scharf antisemitischen Reden bei weitem über­wogen, im kollek­tiven Gedächtnis der jüdischen Studenten wie der Judenfeinde verankert.[15] Der Studentenhistoriker Hein schreibt über den Scharfmacher des studentischen Antisemitis­mus, Schönerer: „Spätestens seit dem Richard-Wagner-Trauer­kommers vom März 1883 ist er die Führerfigur der nationalen und damit der Mehrheit der deut­schen Studenten gewesen.“[16] Hein betont da­bei explizit, „daß der Antisemitismus in seinen Anfängen nicht in den Korporatio­nen entstanden ist, sondern aus verschiedenen Quellen von außen in diese eingedrungen ist“.[17] Nicht übersehen werden darf, dass die­ser neue, sich zu­nehmend rassistische radi­kalisierende Antisemitismus zugleich auch anti­klerikal ausge­richtet war;[18] die römisch-katho­lische Kir­che war ebenso ein Feindbild der Anhänger Schönerers, wie es Mitbürger jüdischen Glaubens waren.

Die Gründung der ersten jüdischen Verbindung

Couleurkarte der A.V. Kadimah, Sammlung Harald Seewann, Graz

Zum Zeitpunkt des Richard-Wagner-Trauerkommerses hat­ten einige der ausgegrenzten und diffamierten jüdischen Studen­ten in Österreich bereits begonnen, auf die antisemitischen An­griffe auf studentische Weise zu reagieren. Sie wählten die Form, die ihnen offenkundig am nächsten lag, und gründeten die Akademische Verbindung קדימה, also Kadimah; dies kann als quasi prompte Reaktion auf die Verschärfung antisemitischer Töne ab 1879 gesehen werden, wobei die eigentliche Gründung im Oktober 1882,[19] bereits nach „längeren Diskus­sionen“, vollzo­gen wurde,[20] wichtig ist aber die Form , in der dies geschah: als Verein, der in der Tradition der studentischen Gesellung stand. Am 23. März 1883 wurde die inzwi­schen auch den Behörden bekanntge­machte Gründung auch genauso, als Verbin­dung nämlich, von der niederösterrei­chischen Statthalterei als Vorgang Nr. 11.313 geneh­migt.[21]

Mit der קדימה erschlossen jüdi­sche Stu­denten – zuerst in Öster­reich-Ungarn[22] – die Kultur der Gesel­lung unter Gleichge­sinnten, die in wechseln­den For­men, aber immer nach ein und demsel­ben Prinzip an den Universi­tä­ten Mittel­europas seit deren Gründung ab dem Spätmittelalter entstanden war, ganz explicit für sich.[23] Es ging bei dieser Gründung und den bald folgenden, zahlreichen Gründungen weiterer Verbindungen also um die Kultur, um das Brauchtum. Alltagsüberlegungen wie die gemeinsam Abwehr antiseimitischer Angriffe sind Das ist kaum weniger bemerkenswert als der Gründungsakt an sich. Es ist die­ser studentischen Kultur dabei generell zu eigen, daß durch die Distinktion, die mittels Couleur und Comment be­wirkt wird, eine so­ziale Angleichung nach oben stattfindet. Der So­zialismus, um eines der wirkmächtigsten Gegenkonzepte zu nen­nen, erzwingt eine Nivellierung nach unten, eine Gleich­ma­chung oder sogar Gleichschaltung, wo immer dieses Prinzip an die Macht kommt. Es geht um einen Konflikt, der viel später, in den 1970er Jahren, unter anderen Vorzeichen auch in der Bunde­s­re­pu­blik thematisiert werden sollte: Freiheit oder Sozialismus.

Der wichtigste Vordenker des Zionismus

Theodor Herzl, rechts im Bild, als Aktiver der Burschenschaft Albia Wien, 1882 oder 1883

Theodor Herzl wird mit Recht als „Vater des Zionismus“ ange­sehen. Wegen der antisemitischen Re­den auf dem Richard-Wag­ner-Trauerkommers[24] trat er im Jahre 1883 aus der Wiener Bur­schenschaft Albia aus.[25] Herzl, der in seiner Schrift „Der Juden­staat“ und mit dem Roman „Altneuland“ eine Vision für den heutigen Staat Israel entwickelt hatte,[26] ist aus studentenhistori­scher Sicht von höch­stem Interesse, und zwar durch das Zusam­mentref­fen mit Kadimahern im Februar 1896 in Wien.[27] Jüdische Korporierte, da­runter neben der J.A.V. Kadimah auch die J.A.V. Unitas Wien,[28] sollten binnen weniger Jahre zu den ersten – und wohl auch zu den wich­tigsten! – Bot­schaftern der Idee eines eigen-ständigen jü­dischen Staates wer­den.[29]

Die erste jüdische Verbindung im Deutschen Reich, die Via­drina, entstand im stark mit Österreich verbundenen Breslau am 13. Okto­ber 1886;[30] gewiß kein Zufall war die Wahl der Farben: Schwarz, Rot und Gold sollten an Vormärz und die 1848er-Zeit erinnern. Zwar wurde die Viadrina bereits 1894 vor allem wegen ihrer un­bedingten Forde-rungen auf Satisfaktion, mit der sie für alle antisemitischen Beleidi­gun­gen beantwortete, von Rektor und Senat aufgelöst,[31] Eine lange Reihe jüdischer Verbindungen an fast allen deutschen Hochschulen – jüdisch-nationale wie zionistische – sollte jedoch folgen. Die Idee setzte sich schnell und fast allerorten durch.

Formal orientierten sich alle jüdischen Verbindungen an den hergebrachten Formen, die sie bei ihren Kommili­tonen beobach­ten konnten. Dazu schreibt Matthias Stickler: „Dabei ist es über­aus be­merkenswert, dass jüdische Studierende (…) Organisati­ons­for­men, Wertvorstellungen und symbolische Praktiken des traditio­nellen Verbindungswesens übernahmen und weiterent­wickel­ten.“[32] Diese Erkenntnis hat nun Sabrina Lausen hat in ihrer Pro­motionsschrift bestätigt.[33] Sie vertritt die These, daß es dabei zumindest teilweise auch diese Kultur an sich war, die attraktiv war: „Tatsächlich schien sich die korpo­rierte jüdische Minorität auf den deutschen Hochschulen trotz aller Angriffe mit dem[34] durch die Erziehung in den Verbin­dungen vermittel­ten Empfin­dens- und Verhaltenskanon identifi­zieren zu können. Dieser Umstand zeugt m. E. nicht von einem widersprüchlichen Ver­halten jüdischer Studierender, sondern vielmehr von der elite- und schichtsoziologischen Multifunktio­nalität der studenti­schen Verbindungen, die Dimensionen besaß, die völlig unab­hängig von jeder antijüdischen Problematik und jedem konfes­sionellen Hintergrund waren und die Verbindun­gen auch für jü­dische Hochschüler als Sprungbrett in die gesell­schaftliche Elite attrak­tiv machte.“[35] Das ist zusätzlich von Bedeutung, weil es ge­gen Juden ganz allgemein Vorbehalte gab, die auf ästhetischem Empfinden beruhten – es gab, heute kaum mehr vorstellbar, einen „ästhetischen Antisemitismus“, der vor allem jüdische Zu­wanderer betraf, die aus Osteuropa einwanderten.[36]

Die Freude an studentische Gesellung als gundlegender Impuls

Erst mit einer gewissen Etablierung jüdischer Verbindungen traten dann zunehmend auch Söhne alteingesessener jüdi­scher Familien in diese Verbindungen ein.[37] Die Motivation zum Beitritt zu einer Verbindung dürfte für junge, aufstrebende Studenten die große Lethargie ge­wesen sein, mit der die älteren Gene­rationen in vielen arriviert-bürgerlichen Familien auf die zuneh­menden anti­semitischen Anfeindun­gen rea­gierten.[38] Als Protest­reaktion ver­selb­ständigte also sich die jüdische studen­tische Kul­tur – ganz wie zuvor die übrige, nichtjüdische – in zunehmen­dem Maße,[39] und es ging um die Kultur der studentischen Gesellung, die immer auch ein revolutionäres Element hat, die nie ganz angepasst war. Und so wird hier denn auch ein Generationenkon­flikt er­kennbar, der sich quer durch alle bürgerlichen Milieus zog, und der, soweit solche Milieus noch vorhanden sind, auch heute noch beobachten lässt. Die spezielle, glaubensmäßige Komponente fasst indessen der Wiener Unita­rier und Alter Herr des Corps Mar­chia Wien, Fritz Roubicek in heute noch gültige Worte, als er seine Motivation, zu Stu­dentenzeiten aktiv zu werden, wie folgt umschreibt: „Ich bin öster­reichischer Staatsbürger, ge­höre dem jüdi­schen Volk an und ent­stamme dem Wiener Kultur­kreis.“[40] Zeit­lebens blieb Roubicek begeisterter Korporier­ter, offen gegenüber jederman[41] – und das als Überlebender des KZ Auschwitz.

Ganz unabhängig von jedweder Glaubensfrage war ab der Gründung der Korporationen zu allen Zeiten zu bemerken, dass in den Fakultäten der Medizin und der Jurisprudenz schwer­punktmäßig Korporierte anzutreffen waren. Hier ergibt sich nun eine Koinzidenz, die in der Religionsgeschichte begründet ist. In den meisten Staaten war allen Menschen jüdischen Glaubens bis weit ins 18. Jahrhundert hinein die Ausübung von Handwerks­berufen verboten. Aus dieser – damals ganz gewiß noch sehr präsenten – Er­fahrung heraus waren die freien Berufe des Arztes und des Rechtsanwaltes nolens volens bevorzugte Lebensziele für Studen­ten jüdi­schen Glaubens. Sie waren damit exakt in den für die Korpora­tionen besonders attraktiven Studienrichtungen besonders zahl­reich vertreten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf die Idee kommen würden, sich ebenfalls in Korporationen zu versam­meln, um ihren sozialen Aufstiegs zu befördern, lag auf der Hand. Dabei ging es jedoch zuerst um die Freude an der studentischen Gesellung, nicht um die Abwehr antisemitischer Angriffe. Die von Asch, Stickler, Lausen und anderen ver­tretene These, daß die Wirkmacht des studentischen Brauchtumsan sich für jüdische so attraktiv war, daß sie sich in eigenen Korporationen organisierten, ist gerade deswegen eine wichtige Erkennt­nis, auf die die kommende Forschung aufzubauen sein wird.

Dieser Beitrag erschien bereits in der Festscharift zu Ehren Klaus Gesteins, zugleich Tagungsband der 79. deutschen Studentenhistorikeragung Jena 2019.

Überarbeitet am 5. August 2021, am 12. Oktober 2023 und neu eingeleitet am 1. Januar 2024.


[1] Asch, Adolph, Der Kampf des Kartellverbandes jüdischer Korporationen (K.C.) gegen den Antisemitismus, in: Einst und Jetzt, 16. Band – Jahrbuch 1971 des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung, S. 147.

[2] Reichsverfassung vom 16. April 1871, Teil II, Artikel 3.

[3] Bertrams, Kurt U., Der Kartell-Convent und seine Verbindungen, Hilden 20092, S. 17.

[4] Elias, Studien über die Deutschen, S. 62; ders. gehörte einer jüdischen Verbin­dung Hasmonäa Breslau an, zu der aber fast nichts bekannt ist.

[5] Zum Gegensatz von Assimilation im jüdischen Bürgertum und umgeben­den Antisemitismus: Rürup, Reinhard, Emanzipation und Antisemitismus, Göttingen 1975, hier: unveränderter ND Frankfurt am Main 1987 S. 78 f.; ders., S. 128, nennt die gesellschaftlichen Ursachen für die Entwicklung; so­wohl für Österreich als auch für das Deutsche Reich konstatiert er eine schnelle Verbreitung des Antisemitismus „unter dem Eindruck der Wirt­schaftskrise, des Kulturkampfes und des Niederganges des Liberalismus“.

[6] Greive, Hermann, Geschichte des modernen Antisemitismus in Deutsch­land, Darmstadt 1983, S. 191.

[7] Vgl. dazu: Hein, Studentischer Antisemitismus in Österreich, S. 78.

[8] Asch, Kampf des K.C., S. 149.

[9] Horvilleur, Delphine, Überlegungen zur Frage des Antisemitismus, Berlin 2020, S. 95 ff.

[10] Bertrams, Kartell-Convent, S. 13.

[11] Schindler, Thomas, Der Kampf des Kartell-Convents (K.C.) gegen den Antisemi­tismus, in: Einst und Jetzt, Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsfor­schung, Bd. 36, 1991, S. 191.

[12] Lossen, Wilhelm, Der Anteil der Katholiken am akademischen Lehramt in Preus­sen. Nach statistischen Untersuchungen, Köln 1901, S. 114, zit. nach: Ber­trams, Kartell-Convent, S. 13.

[13] Seewann, Harald, Das Waidhofener Prinzip. Die versuchte Ehrabsprechung Juden gegenüber als Manifestation studentischen Antisemitismus an österreichischen Hochschulen im Jahre 1896, in: Einst und Jetzt, Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 40, 1995, S. 149.

[14] Hein, Studentischer Antisemitismus in Österreich, S. 55 – 71.

[15] Zum Richard-Wagner-Trauerkommers: Seewann, Harald, Der Richard-Wag­ner-Trauerkommers am 5. März 1883. Eine Dokumentation, Graz 2016.

[16] Hein, Studentischer Antisemitismus in Österreich, S. 78.

[17] Ebd., S. 78.

[18] Seewann, Waidhofener Prinzip, S. 154; ebd., S. 156.

[19] Die Gründer sind die Wiener Studenten der Medizin, Moritz Tobias Schni­rer (1861 – 1941), und der Jurisprudenz, Nathan Birnbaum (1864 – 1937), so­wie der Arzt Ruben Bierer (1835 – 1931), der bereits in Lemberg einen Ver­ein gegründet hatte, der der Emanzipation der Juden dienen sollte; vgl. dazu: Gat­scher-Riedl, Gregor, Das Band der Freiheit schlinge sich um Juda’s edle Re­ste“, in: David – Jüdische Kulturzeitschrift, Nr. 113, Juni 2017, am 10. Au­gust 2020 abgerufen unter: https://davidkultur.at/artikel/azdas-band-der-freiheit-schlinge-sich-um-judaas-edle-resteaoe.

[20] Sehr detailliert zur Geschichte der A.V.  Kadimah: Seewann, Harald, Die Geschichte der Kadimah, in: ders. (Hrsg.), A.V. Kadimah – Fundstücke zur Chronik der ältesten jüdisch-nationalen Verbindung (1882 – 1938), Graz 2017, S. 13 – 23; der gesamte Band stellt eine gewaltige Quellensammlung zur ge­nannten Verbindung dar.

[21]     Zur  Kadimah Wien: Seewann, Harald, A.V. Kadimah. Fundstücke zur Chronik der ältesten jüdisch-nationalen Studentenverbindung (Wien 1882 – 1938). Eine Dokumentation, Historia Academica Judaica, Folge 10, Graz 2017; ders., Theodor Herzl, seine Vision ‚Der Judenstaat’ und die jüdisch-nationalen Korporier­ten, in: Platzer, Peter / Neuß, Raimund, Wien – Auschwitz – Wien. Fritz Roubi­cek zum Gedenken, Vierow bei Greifswald 1997, S. 136 – 152, hier S. 137: „Die Kadimah war der erste Versuch, die gesamte jüdische Studentenschaft für die geistige und politische Wiedergeburt des eigenen Volkes zu gewinnen.“ Bemerkenswert hieran ist, daß der Gedanke, die jüdische Religion könne eine eigenständige Begründung dafür sein, ein politisches Staatswesen zu begründen, hier sehr früh und sehr klar in einer Weise sichtbar wird, die dann auch tatsächlich in einen praktisch-pragmatischen Zionismus überge­hen sollte; ders., Waidhofener Prinzip, S. 156.

[22] Zu den jüdischen Verbindungen in Österreich: Winkler, Martin, Jüdische Ver­bindungen in Österreich, in: Weber, Peter Johannes (Hrsg.), Die Vorträge der 8. Internationalen Studentenhistorikertagung Basel 2016, Documenta et Commen­tarii Nr. 32, Bern 2018, S. 115 – 132.

[23] Kurt Bertrams weist darauf hin, daß es Hinweise auf kurzlebige jüdische Verbindungen gibt, die zwischen 1836 und 1841 in Wien, Prag und Berlin existierten, vgl: Bertrams, Kartell-Convent, S. 34.

[24] Zum Richard-Wagner-Trauerkommers: Seewann, Harald (Hrsg.), Theodor Herzl und die akademi­sche Jugend. Eine Quellensammlung über die Bezüge Herzls zum Korporationsstu­dententum, Graz 1998, S. 20 – 23.

[25] Ebd., S. 23 – 27.

[26] Seewann, Theodor Herzl, seine Vision „Der Judenstaat“ und die zioni­stisch-natio­nalen Korporierten, S. 139.

[27] Zu Theodor Herzls Biographie: Seewann, Theodor Herzl und die akademi­sche Jugend, pas­sim; Schnirer, Moritz T., Festrede am Kommers zur Feier des 100. Se­mesters der Akademischen Verbindung Kadimah Wien, Zionisti­sches Zentralar­chiv Jerusa­lem, Sign. A 196/19, in: See­wann, Harald, Zirkel und Zionsstern, Bd. 5, Graz 1996, S. 12 – 20, hier: S. 16 f.; Weiner, Jakob, Fest­rede zum 75-Jahr-Jubiläum der A.V. Kadimah Wien, in: See­wann, Harald, Zirkel und Zionsstern, Bd. 5, Graz 1996, S. 33 – 41, hier: S. 36 f.

[28] Vgl.: Seewann, Theodor Herzl und die akademi­sche Jugend, S. 43; bei der J.A.V. Uni­tas Wien sollten später zum Beispiel der Dichter Arthur Koestler, der Verleger und Diplomat Lord George Weidenfeld und der studenten­hi­sto­risch engagierte Fritz Roubicek aktiv werden.

[29] Schalit, Isidor, Erinnerungen, maschinenschriftl. Manuskript, Central Zionist Archives Jerusalem, Sign. A 196 / 25, in: Seewann, Harald (Hrsg.), Zirkel und Zionsstern, Bd. 3, S. 17 f.; ders., Theodor Herzl und die akademi­sche Jugend, S. 42 – 45; ders., Theodor Herzl, seine Vision „Der Judenstaat“ und die zioni­stisch-natio­nalen Kor­porierten, S. 139.

[30] Stickler, Matthias, Jüdische Studentenverbindungen. Anmerkungen zu einem zu wenig beachteten Thema der Universitäts- und Studentengeschichte, in: Einst und Jetzt, Jahrbuch für corpsstudentische Geschichtsforschung, Bd. 61, 2016, S. 11; Schindler, „Was Schandfleck war…“, S. 340.

[31] Stickler, Jüdische Studentenverbindungen, S. 12; ebd. auch der Vermerk, daß ein Altherrenverband der Viadrina fortbestand, der später dem K. C. beitrat.

[32] Stickler, Jüdische Studentenverbindungen, S. 11.

[33] Lausen, Sabrina, „Hüter ihrer Nationen“ – Studentische Verbindungen in Deutschland und Polen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Abhandlungen zum Studenten- und Hochschulwesen, Köln 2020.

[34] Im Originaltext: „der“

[35] Lausen, Hüter ihrer Nationen, S. 55.

[36] Bertrams, Kartell-Convent, S. 23 – 26.

[37] Seewann, Waidhofener Prinzip, S. 156.

[38] Ebd.

[39] Unfreiwillig bestätigten das sogar die radikalsten Gegner der jüdischen Studenten, so etwa Florian Albrecht, Mitglied der Burschenschaft Germania Wien, im März 1886 in der von v. Schönerer herausgegebenen Zeitschrift „Unverfälschte deutsche Worte“, und zwar in einem Aufsatz mit dem Titel: „Ist der Jude satisfaktionsfähig oder nicht?“ Darin äußerte er, der Jude folge nach der ganzen Geistesart seiner Rasse gewiß nicht einem inneren Bedürf­nis, sondern lediglich dem gesellschaftlichen Zwang, um sich in der Gesell­schaft behaupten zu können: „Während für den edlen Charakter, vor allem für den Deutschen, dessen Wesen er am meisten entspricht, der Zweikampf eine moralische Handlung ist, tief begründet in der individuellen volklichen Anschauung und Anlage, wird er beim Juden zu einer sogenannten ‚kon­ventionellen Lüge“, da ihm das psychologische Verständnis dafür fehlt, ihm diese Volkssitte ebenso unverständlich ist, wie manches Andere. Dem Juden Genugtuung zu geben heißt also, ihm Vorschub zu leisten zu seiner gesell­schaftlichen Lüge (…).“ Zitiert nach: Seewann, Waidhofener Prinzip, S. 162.

[40] Schindler, Thomas, Wien – Auschwitz – Wien. Der Lebensweg von Fritz Roubi­cek, in: Platzer, Peter / Neuß, Raimund, Wien – Auschwitz – Wien: Fritz Rou­bicek zum Gedenken, Vierow bei Greifswald 1997, S. 95.

[41] Seewann, Harald, Fiducit Brünndel! Erinnerungen an einen jüdisch-nationalen Waffenstudenten, in: Platzer, Peter / Neuß, Raimund, Wien – Auschwitz – Wien: Fritz Roubicek zum Gedenken, Vierow bei Greifswald 1997, S. 103 – 105; Schenker, Norman P., „Brünndel“ (Ein Psychogramm), ebd., S. 101 f.; „Brünn­del“ war Roubiceks Biername.

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