Großes Buch in bescheidenem Gewand – so könnte der Band über das Kameradschaftswesen in der Zeit des Nationalsozialismus genannt werden, den Bernhard Grün unter dem Titel „Zwischen Fronteinsatz und Freiheitsklang“ vorgelegt hat. Nach Hochschulstädten geordnet läßt sich hier exakt nachlesen, welche studentische Korporation in welche Kameradschaft umgewandelt wurde – zumeist geschah dies bekanntermaßen zwangsweise – und wie mit den Resten der verbotenen Verbindungen umgegangen wurde. An einigen Stellen kann Grün auch schon die Wurzeln des Wiedererstehens schildern.
Den Beginn macht Grün mit drei vertiefenden, sehr informativen Studien zur korporierten Studentenschaft. Betrachtet werden die Vereine Deutscher Stundenten – im Kyffhäuser-Verband organisiert –, die Burschenschaften sowie die Turner- und Landmannschaften. Am Beispiel der Personalien aus dem Kyffhäuser-Verband zeigt Grün dabei in einer knappen, treffenden Wertung die Vielschichtigkeit der Problematik. Die Vielzahl der Kameradschaften gerade im Bereich der Burschenschaften ist beeindruckend dokumentiert, erfordert aber erhöhte Aufmerksamkeit. Zwar ist es lobenswert, dass nicht ständige Zwischenüberschriften den Textfluß stören, aber der Leser muß sich gut konzentrieren, um mit den Hochschulorten nicht durcheinanderzukommen. Im folgenden Teil über Turner- und Landsmannschaften ist das übersichtlicher gelungen. Umfangreiches Bildmaterial zeigt in diesem Teil die genau durchorganisierte, durch ihre Spießigkeit beängstigende Welt der Kameradschaften besonders deutlich.
Der zweite Teil des Buches ist, wie eingangs erwähnt, elf ausgewählten Hochschulorten gewidmet – neun im damaligen Deutschen Reich, dazu das österreichische Graz und die Hauptstadt Böhmens, Prag. Diese Texte – behandelt werden Berlin, Bonn, Breslau, Danzig, Darmstadt, Gießen, Marburg und Würzburg – erschienen im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte in ganz unterschiedlichen Büchern und Periodika. Die Schilderung der Verhältnisse am Hochschulort Kiel erschien erstmals. Es ist es äußerst hilfreich, sie alle hier versammelt zu haben.
Die Schilderung der Verhältnisse bei Alemannia Bonn ist hervorhebenswert, sie umfaßt die 50 Seiten von 169 bis 219. Der Autor verfügte in diesem Fall über besonders gute Quellen, wie dem Rezensent durchaus bekannt ist – aber diese Schilderung ist auch wirklich vorzüglich gelungen. Genau läßt sich nachverfolgen, wie die Nationalsozialisten in die Belange einer funktionierenden Gemeinschaft eingriffen, wie der klandestine Protest sich ausdrückte, wie letztlich das Prinzip des Totalitären am Geist einer demokratisch geprägten Gemeinschaft abprallte – und sie doch fast zerstörte, auf Jahre äußerlich lahmlegte.
Eine Sonderstellung nimmt die Schilderung aus Prag ein. Hier wird das Schicksal des Gymnasiallehrers Arthur Ehrlich geschildert, der Alter Herr der CV-Verbindung Ferdinandea Prag war. Hier ergibt sich eine Schnittstelle zum bedeutenden Werk der österreichischen Studentenhistoriker, „Farbe tragen – Farbe bekennen“.
Wie sorgfältig die Arbeitsweise des Autors ist, das zeigt der nach dem Alphabet als elfter und letzter gesetzte Abschnitt über die Universität in Würzburg. Hier kennt sich Grün als Würzburger Markomanne natürlich auch aus wie in seiner Westentasche. Die Aufsätze zu Würzburg bilden trotzdem und gerade deswegen, ähnlich wie der Abschnitte zu Alemannia Bonn, streng genommen eine eigene, vertiefende Studie. Sehr richtig beginnt dieser Abschnitt mit einer ausführlichen Würdigung der Verhältnisse am Ausgang des Ersten Weltkrieges, wodurch der Nachweis gelingt, dass der Aufstieg des NSDStB ohne die Traumata der Kriegsjahre und der Kriegsfolgen kaum denkbar gewesen wäre. Gleichschaltung und Zerschlagung der Würzburger Korporationen werden ebenso behandelt wie die Wirkung des Zweiten Weltkrieges auf den Universitätsbetrieb – ergänzt wird dieser Abschnitt durch einen vertiefenden Blick auf den Akademischen Gesangverein Würzburg sowie die Lebenserinnerungen eines Markomannen. Besonders lesenswert ist die „Wiederkehr der Korporationen“, denn diese ist am Beispiel Würzburgs sehr gut dokumentiert. Sie könnte sich andernorts ähnlich abgespielt haben – ganz arkan. Hinweise aus Freiburg seien erwähnt, ebenso die Gründung eines SC zu München im Jahre 1944, der zwar umgehend verboten wurde, dessen Rechte aber heute noch Gültigkeit besitzen. Gerade aber weil dieses Wiedererstehen der Verbindungen andernorts nur in Andeutungen bekannt ist, kommt dieser Schilderung große Bedeutung zu. Der Autor weiß seine Schwerpunkte sehr wohl zu setzen.
Eine große Gesamtschau ist Bernhard Grün bereits hier gelungen, auch wenn noch Forschungen ausstehen. Das alles ist beeindruckend, wiewohl die geneigten Leser bedenken sollten, dass die Forschungen noch nicht beendet sind. Ausarbeitungen über die Hochschulstandorte Rostock und Innsbruck sind derzeit in Arbeit, zu Göttingen erschien andernorts inzwischen Neues. Dieser Ausblick mag Hinweis darauf sein, daß hier derzeit ein Standardwerk entsteht, auch wenn das noch dauert. Dieser Band ist aber schon jetzt ein „muß“, weil die Schilderungen zahlreich genug sind, um dem Leser ein zusammenhängendes Bild vom Kameradschaftswesen unter dem Hakenkreuz zu geben.
Das „bescheidene“ Gewand kommt als broschierte, aber sehr sauber gedruckte Ausgabe im Din-A-5-Format daher, wodurch naturgemäß eine Broschüre von der anmutung her näher ist als ein festgebundenes Buch, was aber, wie der Qualität keinen Abbruch tut. Bei Akadpress, wo die Bände des Coburger Conventes produziert werden, ist ein gewohnt sauber und ordentlich gedrucktes Buch entstanden. Erschienen ist das Werk in der Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des Coburger Conventes, die bereits verschiedentlich durch überdurchschnittliche Publikationen auf sich aufmerksam machte. Doch auch dies Werk, so groß es auch angelegt ist, stellt nur einen Zwischenstand dar. Eine Gesamtschau steht also noch aus. Auf die fortsetzung der Serie über Kameradschaften, nach Hochschulstädten geordnet, kann die interessierte Leserschaft schon jetzt gespannt sein.
Bernhard Grün, Zwischen Fronteinsatz und Freiheitsklang – Studententum und Kameradschaftswesen im Nationalsozialismus, Historia Academia, Bd. 57, Würzburg 2019, 516 S., broschiert, zahlr. Abb. im Text, ISBN 978-3-930877-52-2, zu beziehen über Akadpress, 25 Euro.
Ein Kommentar zu “Studentenverbindungen in der NS-Zeit: „Was war, als wir verboten waren?“”