Studentischer Baedeker: Czernowitz, einst korporiertes Eldorado, vom Krieg bedroht

In der heutigen westlichen Ukraine blühte einst eine deutschsprachige Universität mit einem unvergleichlich reichen Verbindungsleben. Czernowitz ist ein Mythos, und äußerlich ist nur wenig zerstört. Weder die Sowjets noch der aktuelle Krieg konnten das Stadtbild zerstören. Professor Raimund Lang hat im Studentischen Baedeker, der im Studentenkurier erscheint, dem „Jerusalem am Pruth“, wie Czernowitz auch genannt wurde, im Jahre 2006 eine so umfassende wie liebevolle Würdigung gewidmet. Der Text wurde aktualisiert.

270.000 Einwohner,  200 km2, 218 m über NN

Traditionelle Angabe aus dem studentischen Baedeker
Eine zeitgenössische, graphisch besonders gelungene Darstellung des Sitzes der Universität mit der zum Campus gehörenen Seminarkirche, flankiert von den Wappen der beiden heute in Czernowitz ansässigen Verbindungen, der A.V. Bukowina zu Czernowitz (links) und der Pennalie Buchengau, letztere suspendiert. Motiv eines Bierdeckels. Sammlung Raimund Lang, Salzburg.

Czernowitz, gelegen am Fluss Pruth, istdie alte Hauptstadt der Bukowina, des Buchenlandes, des östlichsten Kronlandes der Habsburger Monarchie. Ein Land der Legenden. Skythen, Daker und Römer haben es beherrscht, dann kamen Hunnen, Ungarn, Germanen, Slawen und Walachen. Eine angebliche Ortsgründung im 12. Jahrhundert ist nicht belegbar, erst 1408 läßt sich eine namentliche Urkunde beibringen. Aber klar deuten läßt sich der Name nicht. Czernowitz – Ort eines Schwarzen? War es ein dunkelhäutiger moldauischer Stammesfürst, dem die Siedlung ihren Namen verdankt? Wir können es nur vermuten, aber immerhin wird der Ort Czernowitz bereits 1457 Bezirksstadt, also Hauptsitz mehrerer Dörfer und Kreise.

1709 plündern schwedische Soldaten und mit ihnen verbündete Kosaken nach der Niederlage im nordischen Krieg die Gegend und werden schließlich von den Russen unter Peter dem Großen aufgerieben. 1714 kommen die Türken, 25 Jahre später folgen Russen, Kosaken und Kalmücken. Auf dem Rückzug verschleppen sie viele Bewohner nach Rußland. 1774 beginnt für Czernowitz und das Buchenland die neuere Geschichte. Österreichische Truppen marschieren ein und errichten in Czernowitz, das damals kaum 2.000 Einwohner hat und aus kleinen, schilfgedeckten Holzhäusern und einer morastigen Straße besteht, eine militärische Administration. Am 6. Mai 1775 unterzeichnen Österreich und die Hohe Pforte die „Konvention von Konstantinopel“. Damit tritt die Türkei die bisher zum Fürstentum Moldau gehörende Bukowina zum Dank für im russisch-türkischen Krieg gezahlte Hilfsgelder an Österreich ab. Nun folgt eine bemerkenswerte Aufbauleistung in 143 Jahren. Erst wird das Gebiet als selbständiger Kreis an Galizien angeschlossen. 1823 begegnen sich hier Zar Alexander I. und Kaiser Franz I. zum Czernowitzer Fürstenkongreß. 1849 entsteht das neue Herzogtum Bukowina. Czernowitz, die Hauptstadt, wird ab nun planmäßig ausgebaut.

Selbstbewußt, glaubensstark: Landeswappen der Bukowina

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hat Czernowitz 120.000 Einwohner. Seine Hausregimenter sind das Infanterieregiment Nr. 41 „Erzherzog Eugen“ und das Schützenregiment Nr. 22, die bereits mit Kriegsbeginn an der nur 45 Kilometer entfernten russischen Grenze zum Einsatz kommen. Während des Krieges erlebt die Stadt drei russische Invasionen; die dritte dauert 13 Monate. Während dieser Besetzung ruht das gesamte österreichische Verwaltungs- und Schulwesen. Im März 1917 endet die letzte Invasion. Versuche, auch von seiten rumänischer Politiker, die Selbständigkeit der Bukowina zu erhalten, scheitern.

Mit Kriegsende marschiert rumänisches Militär ein; die Bukowina bleibt bis 1940 Teil des neuen Königreiches Großrumänien. Dann nimmt die Rote Armee von der Stadt Besitz. Diplomatische Vereinbarungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion legen die Umsiedlung der Buchenlanddeutschen fest. Ein Verrat ähnlich dem, den die Nationalsozialisten in Südtirol begingen. Dieser erzwungene Abschied wird von einer „Umsiedlungskommission“ organisiert. Am 9. November verläßt der letzte Bahntransport mit Umsiedlern das Land. Die Kriegsentwicklung bringt dann 1941 noch einmal deutsche Truppen nach Czernowitz, doch 1944 kehrt die Rote Armee zurück und übernimmt die Stadt. Zum Glück kampflos. Im Sommer 1945 wird Czernowitz Gebietshauptstadt innerhalb der Sowjetrepublik Ukraine.

Heiliger Ernst: Farbenvertretung der ukrainischen Korporation Zaporoze mit Verbindungsfahne und  österreichischer Flagge bei einer Kriegerehrung am Czernowitzer Friedhof.

Mitte der 1980er Jahre werden touristische Reisen nach Czernowitz wieder möglich, doch bleibt der Aufenthalt auf vier Übernachtungen beschränkt und die Kontrolle intensiv. Am 16. Juli 1990 erklärt sich die Ukraine für unabhängig und am 24. August für souverän. Czernowitz ist nun westlichste ukrainische Gebietshauptstadt. Seit der politischen Öffnung findet eine erkennbare Restaurierung der baulichen Substanz statt, die internationalen Kontakte werden vertieft und die Stadt rückt wieder näher dorthin, wo sie durch ihre Geschichte gehört: nach Mitteleuropa.

Die Franz-Josephs-Universität als akademischer Magnet

Das erste Universitätsgebäude von 1875, Anfang dieses Jahrhunderts wurde es umfassend restauriert. Der Bau war ursprünglich für eine Lehrerbildungsanstalt gedacht.

Innerhalb dieser Entwicklung nimmt ein Ereignis einen Sonderstatus ein: Die Errichtung der Franz-Josephs-Universität im Herbst des Jahres 1875. Daß gerade Czernowitz den Rang einer Universitätsstadt gewann – auch Triest, Salzburg, Olmütz und andere Städte hatten sich darum beworben – hat mehrere Gründe. Dazu dürften die Polonisierung der Universität Lemberg im Jahre 1868 und die Wiedergründung der Straßburger Universität 1872 gehören. Die Habsburger wollte den Verlust eines deutschsprachigen Bildungsinstitutes ausgleichen und zugleich ihren Anspruch im Osten dokumentieren, wie Hohenzollern das im Westen mit Straßburg getan hatte. Zu beiden Anlässen schrieb übrigens Josef Viktor von Scheffel ein Festlied.

Höchste Bedeutung für die Universitätsgründung kommt dem Czernowitzer Rechtsgelehrten Constantin Tomaszczuk zu, der als Abgeordneter im Bukowiner Landtag und im Wiener Reichsrat die entsprechenden Initiativen ergriff und Anträge stellte und überdies die argumentative Überzeugungskraft besaß. Tomaszczuk, er lebte von 1840 bis 1889, war es auch, der, obwohl selbst rumänisch-ukrainischer Abstammung, gegenüber seinen Landsleuten die deutsche Lehrsprache durchsetzte, weil er erkannte, daß nur mit einer international geläufigen Sprache der Universität ein überregionaler Rang gesichert werden konnte.

Mit der festlichen Universitätsgründung entstand auch das Bild von Czernowitz als dem „Heidelberg des Ostens“, eine Art studentischer Ehrentitel. Farbentragende Verbindungen gehörten ab nun zum Straßenbild, ihre Vielfalt aber übertraf die von Heidelberg bei weitem. Zählt man auch die Pennalien – die Schülerverbindungen also – dazu, so gab es in Czernowitz zwischen 1875 und 1940 über 55 und bis zu 70 Korporationen. Sämtlicher ideologische und weltanschauliche Richtungen waren vertreten, und das in fünf nationalen Ausprägungen: deutsch, rumänisch, ukrainisch, polnisch und jüdisch – eine in der Geschichte des Studententums beispiellose Vielfalt. 1940 endete diese Burschenherrlichkeit aprupt. Heute bestehen nur noch Reste: die Burschenschaft Arminia in Linz, die CV-Verbindung Frankonia in Erlangen, die Pennalburschenschaft Saxonia in München, die ukrainische Verbindung Zaporoze in Czernowitz, die erst nach der Wende gegründete ukrainische Verbindung Bukowina in Czernowitz und schließlich die Altherrenschaften der katholischen Pennalien Buchengau und Borussia, die seit 1994 im Traditionsverband „Katholische Czernowitzer Pennäler“ organisiert sind. Letzter ist es auch, der den einzigen deutschsprachigen Stadtführer von Czernowitz seit 1936 herausgebracht hat. Daneben ist im Buchhandel auch ein Reprint eines altösterreichischen Stadtführers erhältlich.

Harmonisch in die Landschaft eingebettet: die orthodoxe Kathedrale (Mitte), die armenisch-katholische Kirche (davor rechts) und die katholische Jesuitenkirche (links).

Was äußerlich an Czernowitz besticht, ist das in weiten Teilen unveränderte altösterreichische Stadtbild mit der Patina zweier Jahrhunderte und fast ohne Kriegsschäden. In den letzten 15 Jahren erlebt die denkmalschützerische Tätigkeit eine Blüte, viele der historischen Bauten erstrahlen wieder im alten Glanz . Vor allem die Fülle des Jugendstils entfaltet wieder ihre Wirkung.

Der Strom von Czernowitz ist der Pruth, der die Stadt unterhalb des Stadthügels umfließt. Urbaner Mittelpunkt ist der Ringplatz mit dem Rathaus; hier laufen alle wichtigen Straßenzüge zusammen. Auch die Herrengasse mündet hier, die heute wie einst die wichtigste Einkaufs- und Flaniermeile bildet. Typisch österreichischen Charme strahlt das von dem Architektenteam Fellner und Helmer zum Schillerjahr 1906 errichtete Stadttheater aus. Das herausragende Bauwerk ist die Residenz des Metropoliten, die heute als Hauptgebäude der Universität dient. Beeindruckend die Seminarkirche, die zu diesem Komplex zählt.

Die Czernowitzer Bischofsresidenz als Alma Mater: Graphik des Lemberger Künstlers S. Petritsch aus dem Jahre 2000; Sammlung Raimund Lang.

Die einstige religiöse Vielfalt blieb in der Vielgestaltigkeit der übrigen Kirchenbauten erkennbar. Ungleich bescheidener als die Seminarkirche nimmt sich die orthodoxe Kathedrale aus, ein Bau aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, der das architektonische Vorbild der Isaaks-Kathedrale von Petersburg kaum erkennen läßt. Der israelitische Tempel, bis zum Brand von 1941 eine der prächtigsten Synagogen im europäischen Osten, ist tragischerweise nur mehr ein gesichtsloses Rudiment. Besonders stimmungsvoll ist dagegen der am Stadtrand liegende, an den christlichen Teil anschließende jüdische Friedhof mit einem der schönsten Blicke auf das Stadtpanorama. Noch etwas weiter außerhalb liegt, hinter einem Wäldchen versteckt, die noch aus vorösterreichischer Zeit stammende Klosterkirche von Horecza. In Czernowitz gibt es aber so gut wie kein studentisches Monument im Sinne des „studentischen Baedekers“. Dennoch wäre es sträflich, diese Stadt mit ihrem einst unvergleichlichen korporativen Leben in dieser Serie zu mißachten. Die folgend genannten Stätten haben mit dem Studenten- und Korporationsleben zu tun und sind folglich Pilgerstätten für einschlägig motivierte Czernowitzreisende. Äußerlich kenntliche Zeichen tragen sie jedoch meistens nicht.

Das Kultur- und Gesellschaftsleben spielte sich vorwiegend in den Kulturhäusern ab. Davon gab es in Czernowitz fünf: ein deutsches, ein ukrainisches, ein jüdisches, ein rumänisches und ein polnisches. Auch viele Korporationen waren in diesen Häusern einquartiert. Die deutsche Bevölkerungsgruppe hatte bereits 1899 in der Siebenbürgerstraße, der vom Süden ins Zentrum führenden Hauptachse, ein „Deutsches Haus“ eingerichtet, das bald zu klein wurde. So entstand in der damaligen Herrengasse 47, heute Kobylanska-Gasse Nr. 53, von 1908 bis 1910 das von Gustav Fritsch gebaute neue „Deutsche Haus“ mit Restaurant, Café, Weinkeller – dieser wurde „Perkeokeller“ getauft –, Zeitungsredaktion, großem Festsaal und zahlreichen Nebenräumen.

Neue Burschenherrlichkeit? Fahne der ukrainischen Verbindung Bukowina in deren Verbindungsheim im Obergeschoß des Deutschen Hauses, die Jahreszahl 1997 ist erkennbar.

Hinter dem Deutschen Haus lag ein Garten mit einem kleinen Nebengebäude zur Linken, das noch heute besteht. Darin hatten die beiden örtlichen Burschenschaften ihre „Buden“: Arminia, gegründet 1877; schwarz-rot-gold zu roten Mützen; heute in Linz; in der DBÖ und Teutonia gegründet 1903; schwarz-rot-gold zu schwarzen Mützen; die Tradition der Teutonia heute von der Burschenschaft Thuringia Berlin weitergetragen. Nach der Romanisierung des Stadttheaters, 1922, wude das bis dahin davor plazierte Schillerdenkmal in diesen Garten gebracht und blieb hier zumindest bis 1940. Die Figur ist heute verloren. Der leere Sockel steht aber noch immer am alten Platz, jedoch – da der Garten in sowjetischer Zeit verkleinert wurde – nunmehr außerhalb der Mauer. Heute befindet sich in dem inzwischen restaurierten Gebäude auch wieder ein deutscher Kulturverein. In einem Obergeschoß, wo vor dem Krieg die Schlaraffia ihr Quartier hatte – das Czernowitzer Reich hieß „Pruthana“ –, ist eine kleine ständige Ausstellung für den Czernowitzer Dichter Georg Drozdowski eingerichtet, der von 1899 bis1987 lebte. Drozdowski war engagierter Schlaraffe und lebte nach dem Krieg in Klagenfurt, der nunmehrigen Partnerstadt von Czernowitz. Deshalb wurde die Renovierung des Raumes und die Gestaltung der Ausstellung von der Klagenfurter Schlaraffia initiiert und finanziert. Diesem Raum gegenüber befindet sich heute die Bude der ukrainischen akademischen Verbindung Bukowina, die 1997 gegründet wurde und ein blau-rot-grünes Band zu blauen Mützen trägt.

Erwachtes Geschichtsbewußtsein: Zweisprachige Hinweistafel an der Fassade des Deutschen Hauses in der Herrengasse.

Hinter dem Garten des Deutschen Hauses, jedoch nur durch die parallel verlaufende Josefsgasse, heute Ukrainische Gasse, zu betreten, ist die ehemalige Jahnturnhalle mit den vier „F“ am Giebel – frisch, fromm, fröhlich, frei – zu erkennen, in deren hinterem Gebäudeteil das Corps Alemannia logierte, ein 1877 gegründetes, zum KSCV gehörendes Corps, dessen Couleur schwarz-blau-gold zu blauen Mützen war; es wurde nach 1940 nicht reaktiviert.

Die katholische Frankonia wurde 1891 als Unitas gegründet; sie ist heute im CV und in Erlangen ansässig, trägt weiß-schwarz-gold zu blauen Mützen. Frankonia war lange Zeit im Meßnerhaus der katholischen Pfarre in der Pfarrgasse, der heutigen Beethovengasse, untergebracht. Der Zugang zum Pfarrgarten ist jedoch meist versperrt. Die Frankonia war übrigens die einzige Czernowitzer Verbindung, die – wenngleich nur kurzfristig – ein eigenes Haus besaß. 1932 erwarb sie eine kleine, noch heute bestehende Villa in der Erzherzog-Karl-Straße, heute Frunzegasse 59, die sie aber schon nach zwei Jahren wieder verkaufen mußte. Ansonsten waren Verbindungshäuser in Czernowitz vollkommen unüblich, was sich aus der wirtschaftlichen Schwäche der Bünde erklärt.

Wo die Herrengasse endet, verläuft quer die Neuweltgasse, damals auch Neue-Welt-Gasse genannt, heute ist es die Schewtschenkogasse. Folgt man ihr nach links abwärts, so gelangt man an der rechten Straßenseite auf Nummer 94 zu einer ukrainischen Gedenktafel für Raimund Friedrich Kaindl, der 1866 geboren wurde und 1939 starb. Kaindl war der elementare Geschichtsschreiber der Bukowina, verfaßte grundlegende Literatur zur Landesgeschichte und ist der Autor des dreibändigen Werkes „Geschichte der Deutschen in den Karpatenländern“. Er gehörte der Burschenschaft Teutonia an, war vor dem Ersten Weltkrieg Rektor und Prorektor der Universität, hatte dann die Verschleppung durch die Russen zu fürchten und flüchtete über Wien nach Graz, wo er die Lehrkanzel für österreichische Geschichte übernahm. Die Auseinandersetzungen über seine kritische Haltung zur kleindeutschen Geschichtsschreibung prägten seine letzte Lebensphase. Sein Grab befindet sich auf dem Grazer St.-Leonhard-Friedhof.

Zwei akademische Denkmäler

Wendet man sich vom Ringplatz, heute Zentralplatz, in Richtung Westen, also Richtung Residenz, so gelangt man durch die Tempelgasse in die Universitätsgasse, die auch heute diesen Namen trägt. Dort befindet sich rechter Hand das alte Universitätsgebäude, das jedoch nicht als solches erbaut wurde. Vielmehr sollte es die Lehrerbildungsanstalt aufnehmen, doch seine Fertigstellung fiel mit der Universitätsgründung zusammen, und so erfuhr es eine neue Widmung. Gegenüber steht der Universitätsneubau von 1883. Beide Häuser sind heute noch Institutsgebäude. Die links vom Neubau verlaufende Straße trug früher den Namen des Gründungsrektors Tomaszczuk, heute den des ukrainischen Philosophen Skorovoda. Geht man weiter Richtung Residenz, erblickt man links das 1995 errichtete Denkmal für Osip Jurij Fedkowytsch des Czernowitzer Künstlers Volodymyr Hamal. Fedkowytsch, er lebte von 1834 bis 1888, war ein bedeutender Bukowiner Dichter, der vor allem die Huzulen, ein berittenes Karpatenvolk, besungen hat. Daneben war er ein Pionier der Bildungspolitik. Die Czernowitzer Universität trägt seit sowjetischer Zeit seinen Namen. In etwa am Platz dieses Denkmals stand einst der sogenannte „Zirkus“, eine Festhalle, in der am 5. Oktober 1875 der Universitäts-Gründungskommers stattfand, bei dem Scheffels eigens gedichtetes Festlied „Verwundert hebt der Pruth im Schilf“ erstmals erklang.

Byzantinische Pracht: Haupteinganz zur Czernowitzer Universität, der ehemaligen Residenz des orthodoxen Metropoliten. Links die Seminarkirche.

Von hier erreicht man schnell die Residenz, seit Sowjetzeiten Hauptgebäude der Universität. Die imposante Anlage entstand nach Plänen des böhmischen Architekten Josef Hlavka zwischen 1864 und 1882 im mauro-byzantinischen Stil und wurde innenarchitektonisch von dem aus Wien stammenden Karl Jobst gestaltet. Hier residierte bis 1940 der orthodoxe Metropolit der Bukowina und Dalmatiens. Eine Brandkatastrophe während des Zweiten Weltkrieges fügte dem Gebäude großen Schaden zu. So gingen die Fresken im zentralen Synodal- oder Marmorsaal und die Gemälde in den anschließenden Salons verloren. Trotzdem hinterläßt der prächtige, 16 mal 22 Meter große Saal im ersten Stock mit seinen zwölf Alabastersäulen, der als Festsaal der Universität dient und über eine außerordentliche Akustik verfügt, noch immer einen starken Eindruck. Im selben Stockwerk liegt das sogenannte Refektorium, wo 1993 von der Frankonia der erste Kommers auf Czernowitzer Boden nach etwa 60 Jahren geschlagen wurde. 1995 präsidierten die Frankonia, die Arminia und die Zaporoze in diesem Saal gemeinsam einen Festkommers zum 120. Universitätsjubiläum.

Marmor in gedämpftem Licht: Abguß des Wiener Tomaszczuk-Grabsteins als Gedenkstein in der Eingangshalle der Czernowitzer Universität.

In der Eingangshalle sind links auf zwei Marmortafeln die Namen sämtlicher Rektoren vermerkt. Ein wesentlich interessanteres Monument findet sich aber ebenfalls auf der linken Seite in einer Nische. Es ist eine Art Denkmal für Constantin Tomaszczuk, mit dem es folgende Bewandtnis hat: Tomaszczuk starb 1889, erst 49jährig, kurz vor einer Lungenkrebsoperation in Wien und wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Aus Gründen, die sich heute nicht mehr mit Bestimmtheit nachvollziehen lassen, wurde dieses Ehrengrab 1978 eingeebnet – der Grabstein verschwand. 1995 bemühten sich die „Katholischen Czernowitzer Pennäler“ und der „Österreichische Verein für Studentengeschichte“ erfolgreich um die Errichtung einer Gedenktafel an Tomaszczuks Sterbehaus in der Wiener Pelikangasse 10. Für die Herstellung dieser Tafel holten die beiden Verbände Angebote bei einigen Steinmetzen ein. Einer davon reagierte mit dem Hinweis, daß er seit Jahren auf seinem Firmengelände einen Grabstein mit dem Namen Tomaszczuk stehen hätte! Es stellte sich heraus, daß er diesen Stein, ein Werk aus Carraramarmor des Bildhauers Josef Lax, der auch die Rossebändiger vor dem Wiener Parlament geschaffen hat, auf dem Entsorgungsgelände des Zentralfriedhofs Jahre zuvor entdeckt und rechtmäßig erworben hat. Damit war der Original-Grabstein wieder aufgetaucht und sein neuer, gesicherter Standort bekannt. Der Steinmetz stellte daraufhin auf eigene Kosten einen Abguß her und stiftete diesen der Czernowitzer Universität. Im Rahmen der Festlichkeiten zum 120. Gründungsjubiläums konnte der Stein im Oktober 1995 aufgestellt werden.

Der Rest des originalen Sockels: hier stand einst das Tomaszszuk-Denkmal.

Anders als Wien besaß Czernowitz bereits früh ein richtiges Denkmal für den Gründungsrektor Constantin Tomaszczuk. Es wurde bereits 1897, nur acht Jahre nach dem Tod des so geschätzten Universitätsgründers, im Volksgarten enthüllt. In sowjetischer Zeit wurde es abgebaut, die Büste verschwand spurlos. Wer aufmerksam durch den Volksgarten spaziert, findet seitlich eines der Hauptwege einen steinernen Sockel, der aussieht, als habe ihn jemand aus Versehen dort auf dem Boden liegen gelassen: Es handelt sich dabei um den einzigen verbliebenen Rest des Originaldenkmals von 1897.

Das neu errichtete Tomaszczuk-Denkmal

Doch das war nicht das Ende! Im Jahre 2015 wurde das gesamte Denkmal rekonstruiert und an der alten Stelle neu errichtet. Seither ist es bei Couleurreisen häufig Treffpunkt für kleine Feiern und Ort für Bandverleihungen gewesen. Die Wiedererrichtung geht auf eine Initiative des Historikers Dr. Sergij Osatschuk zurück, Bandträger der beiden Czernowitzer ukrainischen Verbindungen Zaporoshe und A.V. Bukowina zu Czernowitz sowie – und das ist bemerkenswert! – heutiger Gouverneur des Oblast Czernowitz. Osatschuks Verantwortungsbereich kann am ehesten mit einem mittleren deutschen Bundesland verglichen werden; sein politischer Handlungsspielraum entspricht in etwa den Möglichkeiten eines deutschen Ministerpräsidenten. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist Osatschuk häufig im deutschen und österreichischen Fernsehen zu sehen, in vielen überregionalen Printmedien nimmt er Stellung zur aktuellen Situation in der alten Hochschulstadt und in ihrem Umland.

Die Czernowitzer Universität wurde nur mit drei Fakultäten gegründet: einer juridischen, einer philosophischen und einer griechisch-orientalisch-theologischen; eine medizinische war in österreichischer Zeit nicht vorgesehen. Heute besitzt sie 15 Fakultäten, und zwar Biologie, Geographie, Wirtschaftswissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Computerwissenschaften, Geschichte und Politologie, Pädagogik, angewandte Mathematik, Physik, Chemie, Philologie, Fremdsprachen, Philosophie und Theologie, Rechtswissenschaften sowie dekorativ-angewandte Kunst. Den 17.600 Studenten stehen mehr als 1.100 Lehrkräfte zur Verfügung.

Erst unter sowjetischer Herrschaft entstand 1944 ein Medizinisches Institut, das in den 90er-Jahren in den Rang einer Akademie und 2005 einer Universität erhoben wurde. Als Hauptgebäude für diese medizinische Universität fungiert die ehemalige Handelskammer auf dem Theaterplatz 2. Die medizinische Universität Czernowitz hat heute sechs fachgebundene Fakultäten, an denen etwa 450 Hochschullehrer für etwa 2.500 Studenten tätig sind. – Daneben gibt es in Czernowitz noch die Kiewer nationale Universität für Handel und Wirtschaftswissenschaften sowie die Bukowinische Akademie für Finanzen und Wirtschaft.

Spaziergang auf Habsburgs Spuren

Hinter der Residenz dehnt sich ein weiter, der Öffentlichkeit nicht zugänglicher Park aus. Geht man rechts um die Anlage herum, so kommt man am ehemaligen Gästehaus der kommunistischen Partei vorbei, in dem sich seit 1992 das Diaspora-Museum befindet. In einem Raum werden auch Erinnerungsstücke der ehemaligen ukrainischen Studentenverbindung Czornomore ausgestellt. Diese Verbindung wurde 1913 gegründet, trug blau-gold-blau zu blauen Mützen und wurde nach der Vertreibung aus Czernowitz nicht reaktiviert. Allerdings wurde die Präsentation der Sammlungen in den letzten Jahren häufig verändert, so daß nicht mit Sicherheit behauptet werden kann, daß diese Schaustücke noch zu sehen sind.

Kurzes Erwachen: Das restaurierte Franz-Joseph-Denkmal auf der Habsburgshöhe nach der Wiederenthüllung im Sommer 1998 – heute ist bereits wieder zerstört.

Direkt hinter dem Residenzpark liegt ein steil abfallendes, von Spazierwegen kreuz und quer durchzogenes Waldgelände, das ursprünglich Bischofsberg hieß, später Habsburgshöhe genannt wurde, in rumänischer Zeit den Namen der Prinzessin Elena erhielt und heute Fedkowytsch-Park heißt. Zu allen Zeiten war es aber ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare und schließlich für schwänzende Studenten. Hier stehen die Reste des Franz-Joseph-Denkmals, vor denen im Mai 1990 die Czernowitzer katholische Pennalverbindung Buchengau, gegründet 1922, weiß-orange-blau zu orangen Mützen, eine Bandverleihung und damit den ersten korporationsstudentischen Hoheitsakt in Czernowitz in nachsowjetischer Zeit durchführte. Seither ist dieser Platz ein bevorzugter und symbolträchtiger Treffpunkt der katholischen Couleurs.

Man erreicht das Denkmal für den Habsburger-Kaiser, wenn man von oben, dem sogenannten „Rondeau“ mit der Büste des Dichters Taras Schewtschenko, abwärts geht. Schon nach wenigen Metern erkennt man von hinten den großen Naturstein, der das Denkmal bildete. Auch dazu gibt es eine Geschichte. 1908, zum 60. Regierungsjubiläum des Kaisers Franz Joseph, wurde das Denkmal mit einem Relief des Kaisers und einer Gedenktafel errichtet, das Kaisermedaillon aber bereits in rumänischer Zeit demontiert. In sowjetischer Zeit verfiel der Platz. Nach der Wende entstand in Czernowitzer Studentenkreisen der Wunsch, das Denkmal im Originalzustand zu restaurieren. Der katholische Czernowitzer Pennälerverband organisierte die Finanzierung, so daß am 18. August 1998, dem Geburtstag des Kaisers, mit einem öffentlichen Festakt, flankiert von Czernowitzer Chargierten, die Wiederenthüllung stattfinden konnte. Das Kaiserrelief wurde nach alten Ansichten vom Czernowitzer Künstler Valerij Schukov neu geschaffen. Aber die Freude war von kurzer Dauer. Bereits im März 2001 verschwand das Medaillon – und das keineswegs aus politischen Gründen. Metalldiebe hatten die halbe Stadt geplündert und ihre Beute zu Geld gemacht. Sie wurden zwar gefaßt und mittelfristig in Gewahrsam genommen, konnten aber nicht weiter belangt werden – angeblich wegen der unklaren Besitzverhältnisse von Gedenktafeln. Seither verfällt der Platz wieder, und nunmehr in westlicher Tradition, denn auch in Czernowitz hat man inzwischen die nachhaltige Wirkung von Sprühdosen erkannt.

Auch heute noch Blumen von Verehrern: Die Geddenjktafel für Viorica Ursuleac, 2006 mit einem Festakt eingeweiht. Bild: Raimund Lang.

Dessen ungeachtet haben die katholischen Pennäler im Herbst 2006 eine neue Gedenktafel gestiftet. Sie gilt der 1894 geborenen und 1985 verstorbenen Sopranistin Viorica Ursuleac, der bedeutendsten Richard-Strauss-Sängerin ihrer Zeit, der ersten Arabella und Gattin des Dirigenten Clemens Kraus. Die Tafel zu ihren Ehren also schmückt seit 2006 die Fassade ihres Elternhauses in der Neuweltgasse 53 – vorsichtshalber diesmal in Stein. Mit einem Festakt wurde sie eingeweiht.

Abschließend sei mit Nachdruck betont, daß diese Darstellung allein den studentenhistorischen Aspekten dieser ungewöhnlichen Stadt dient. Ihr besonderes Flair, ihre Vielfalt im Wirken und Werden, konnte dabei kaum berücksichtigt werden. Dem Autor dieser Zeilen scheinen aber zwei Bemerkungen wichtig. Erstens, daß Czernowitz kein Museum ist, kein reiner Mythos und nicht bloß Legende, sondern ein durchaus reales, seit bald zwei Jahrzehnten auch wieder geschichtsbewußtes soziales Gefüge. Mit Nostalgie wird man ihm nicht wirklich nahekommen, es bedarf der Wahrnehmung und der Akzeptanz der Gegenwart als Produkt eines permanenten Geschichtsprozesses. Und zweitens, daß Czernowitz niemals eine pur österreichische, deutsche, ruthenische, rumänische oder jüdische Stadt gewesen ist. Sie lebte immer von der Vielfalt, vom zufälligen Zusammentreffen der Völker und dem daraus resultierenden Zwang zum Arrangement. Deshalb gibt es – auch wenn diese Sichtweise manchen nicht gefallen mag – von keiner Seite nationale Ansprüche auf diese Stadt. Nur wer das zu begreifen mag, darf wirklich von Czernowitz als einem europäischen Kulturerbe sprechen.

Dieser Text erschien zuerst im Studentenkurier 1/2006. Lesetipps:

Raimund Lang, Studentischer Baedeker, laufend im Studentenkurier.

Raimund Lang, Couleur in Czernowitz, geb. 17 x 24,5 cm, 252 S., durchg. bebildert, ISBN: 978-3-940891-41-9, 29,90 Euro, zu beziehen über den WJK-Verlag, Hilden.

Gregor Gatscher-Riedl, k.u.k.-Sehnsuchtsort Czernowitz – „Klein-Wien“ am Ostrand der Monarchie, Berndorf (Österreich) 2017, geb., 21 x 21 cm, 204 S., durchg. bebildert, ISBN 978-3-99024-690-0, 26,90 Euro.

Raimund Lang, Czernowitz – Ein historischer Stadtführer, 10. Auflage 2006, ISBN 978-3-902368-00-3, im antiquarischen Buchhandel oder über die Redaktion des SK.Hermann Mittelmann (Hrsg.), Illustrierter Führer durch die Bukowina, Czernowitz 1907/08, Reprint Wien 2002, 4. Auflage 2008, ISBN 978-3-85476-282-9, über den antiquarischen Buchhandel gut erreichbar.

Hermann Mittelmann (Hrsg.), Illustrierter Führer durch die Bukowina, Czernowitz 1907/08, Reprint Wien 2002, 4. Auflage 2008, ISBN 978-3-85476-282-9, über den antiquarischen Buchhandel gut erreichbar.

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