Lothar Rilinger Hasso-Borussiae Freiburg ist streitbarer Jurist – und katholischer Publizist. Meriten sammelte er im Niedersächsischen Staatsgerichtshof, Bückeburg – Überblick hat er also. Nun befragte er Gerhard Kardinal Müller zu den aktuellen, den brennenden Themen der katholischen Kirche hierzulande und weltweit. Warum gerade den, warum gerade jetzt?
Ein Buch für diejenigen, die den Glauben verloren haben, das ist dieser neue Gesprächsband. Rilinger bringt hier zentrale Fragen der katholischen Theologie für die heutige Zeit, wie sie der CVer Papst Benedikt XVI. maßgeblich verkündet hat, auf den Punkt. Eigentlich ist es natürlich Kardinal Müller, der ehemalige Bischof von Regensburg und spätere Leiter der päpstlichen Kongregation für die Glaubenslehre, der diese Theologie auslegt und fortführt. Aber er wird kongenial befragt vom Kösener Corpsstudenten Rilinger, er wird sozusagen im besten Sinne sekundiert. Dies vor dem Hintergrund, daß eine auf Glaubensgrundsätzen fußende Gesellschaft auch und gerade dann den Bezug zu Gott benötigt, wenn sie im Alltag glaubensfern, laizistisch, ja, vielleicht sogar direkt glaubensfeindlich verfasst ist.
In drei inhaltliche thematische Bereiche gliedert sich dieses Buch – Kirche, Philosophie, Politik. Ein schmales Inhaltsverzeichnis zeigt bereits die enorme Breite der behandelten Themen, in der die Kirche das mit Abstand größte Gewicht hat, wahrscheinlich ist das kein Zufall. Gleich am Beginn steht die Beschäftigung mit Papst Benedikt XVI.; den damaligen Professor Ratzinger lernte bereits Müller als Student bereits kennen und schätzen. Ihn hält Müller für einen Kirchenlehrer der Zukunft – ein bedeutendes Wort, bedenkt man den Status „Kirchenlehrer“ für die Weltkatholizismus. Bezogen auf Deutschland erinnert Müller an Benedikts Rede im Deutschen Bundestag vom 22. September 2011.
Es geht in diesem Buch um den großen Rahmen. Zunächst legen der Kardinal und sein kongenialer Gesprächspartner aber den Finger in die Wunden der Zeit. Betont sachlich beantwortet Müller die Fragen rund um die Mißbrauchsvorwürfe, mit denen die katholische Kirche sich konfrontiert sieht und die ihm Rilinger schonungslos vorhält. Er kommentiert dabei auch die Vorwürfe, die an den verstorbenen Papst em. Benedikt XVI. gerichtet wurden. Es ist äußerst interessant, aus dieser Perspektive auf den Gesamtkomplex dieses schweren Themas zu blicken, denn nichts wird relativiert oder negiert, zugleich aber bleibt bei ihm die Kirche im wahrsten Sinne des Wortes im Dorf.
Auf Rilingers Fragen hin erklärt Müller, warum die Kirche als Institution, insgesamt also, wegen dieser Frage keinesfalls zur Disposition stehen kann. Inhaltlich immens dicht ist dieses Buch, jeder Text lohnt, jede Seite ein Gewinn. Wer, und sei es durch Zufall, bei Seite 126 landet, findet eine Überschrift, die Spannung verspricht: „Ein bloßes Kulturchristentum hat keine Zukunft“ – neugierig? Ja, zurecht! Dieses Interview trifft unsere heutige Realität, gerade auch die deutsche Befindlichkeit, ganz exakt: „Die Theologie beruht nur auf der Auslegung der Offenbarung, aber sie zieht dafür auch das Erfahrungswissen der Geistes- und der Sozial- und der Naturwissenschaften sowie der praktischen Regeln der gesunden Alltagslogik heran, um eine geistige und moralische Orientierung der Glaubenden in ihrer jeweiligen Welt und Epoche zu ermöglichen.“
Die vielbeschworene „Lebenswirklichkeit“ heutiger Tage, die sich geradezu in eine ökosozialistische Nebenreligion ausweitet – genau die meint Kardinal Müller allerdings nicht. Auch dass, wie auf dem Synodalen Weg behauptet und von Bischöfen unterschrieben, ebendiese „Lebenswirklichkeit“ eine dritte Quelle der Offenbarung des Willens Gottes neben Schrift und Tradition sei, widerlegt der Kardinal Müller unmissverständlich, absolut glaubwürdig. Er geht dann weiter bis auf die Stufe des Einsteinschen Gottesbeweises, nach dem die zunehmende Erkenntnis dem unveränderten Glauben an die Allmacht Gottes mitnichten im Wege steht, sondern ganz im Gegenteil diesen Glauben nur noch stärkt.
Lesen Sie auch die Rezension dieses Buches von in der Netzzeitung Tabula Rasa,
verfaßt von Sebastian Sigler.
Über dieses Buch eine Rezension zu schreiben, ist deswegen so schwierig, weil das Herausheben einzelner Teile quasi unmöglich ist. Von der Wichtigkeit des bewussten Umganges mit dem Islam angezogen blätterte der Rezensent auf die Seite 141, wo eine Überschrift dieses Thema ankündigt, doch unversehens kommt eine gute, lange und wichtige Passage über das Naturrecht, also die unveräußerlichen Werte, die jedem Menschen zustehen, unabhängig von der staatlichen Institution, in der er lebt, und oberhalb weltlicher religiöser Instanzen. Ja, sehr richtig! Das ist die Grundlage, auf der hier diskutiert werden sollte! Und wie brillant dann die fundamentaltheologischen Unterschiede zwischen Christentum und Islam herausgearbeitet werden – das müssen Sie lesen! Wie Müller das Christentum aus dem Naturrecht ableitet – lieber Leser, liebe Leserin, das müssen Sie parat haben!
So geht es das ganze Buch hindurch. Dieses Werk ist relevant. Rilinger fragt gekonnt, Müller wird deutlich, der Leser erlebt einen würdigen Präfekten der päpstlichen Kongregation für Glaubenslehre – das ist beeindruckend. Einer Relativierung Gottes in jedweder Form erteilt Müller eine klare Absage, das transhumanistische Menschenbild geißelt er als schwere Sünde. Das sind mutige Botschaften, aber sie werden klar belegt, und die Begründungen sind stichhaltig. Das Buch hält, was sein Titel verspricht: Der Souverän der Kirche ist nicht das Volk, sondern Gott. Und, so fügt der Rezensent hinzu, die Vorlesung Benedikts XVI., gehalten am 12. September 2006 in Regensburg anlässlich seines epochalen Pontifikalbesuches, ist im Hinblick auf die Äußerungen zum Islam bereits heute als prophetisch zu werten. Die Lektüre dieses Buches bestätigt es.
Der Souverän der Kirche ist nicht das Volk, sondern Gott. Der von einer einseitig ökosozial auf politisch links getrimmten Kirche vereinnahmte, der solchermaßen vergemeinschaftete Gott ist dann kein Souverän mehr – sondern eine Addition menschlich-allzumenschlicher Meinungen, Attitüden und Irrungen. Und präsentiert sich die Kirche hierzulande nicht exakt so, fast bis zur Unkenntlichkeit vergendert, ver-UN-geistlicht, in Glaubensfragen der allzumenschlichen Beliebigkeit fast völlig anheimgefallen? Nein, nicht ganz! Kardinal Müller kontert im Gespräch mit Lothar Rilinger diesen Zeitgeist mit Substanz aus. Er richtet die Schönheit des Glaubens auf und tritt der Entchristlichung unserer westlichen Gesellschaft und ihrer politischen Repräsentanz mutig entgegen – mit der durch die Bibel offenbarten Botschaft, die von Vernunft und Wahrheitsliebe getragen ist. Unbedingt sollte auch die katholische, häufig verzagte, aber noch mehr die evangelische, allzu verallgemeinerte Geistlichkeit dieses Buch zur Hand nehmen.
Für alle Leser gilt, dass die Lesefrüchte aus diesem Buch enorm sind – die Gesprächsform läßt es zudem zu, daß auch durch weniger kirchlich geübte Leser und Leserinnen, die zwar im generischen Maskulinum ebenfalls gemeint sind, aber hier um des Zeitgeistes willen ausdrücklich genannt sein sollen, einfach mal hineinlesen, sich einfach mal hinsetzen. Das sollte möglich sein, auch in den Zeiten von Twitter und Snapchat. Speziell bei diesem bemerkenswerten Buch ist jede Seite ein Gewinn.
Sebastian Sigler
Gerhard Ludwig Müller, Lothar C. Rilinger, Der Souverän der Kirche ist Gott – Gespräche über Kirche, Philosophie und Politik, Lepanto-Verlag, Rückersdorf über Nürnberg 2023, 326 Seiten, Klappenbroschur, ISBN 978-3-942605-30-4, 18 Euro.