Der Welt-Vordenker aus Königsberg: Immanuel Kant vor 300 Jahren geboren

An Immanuel Kant führt kein Weg vorbei. Aufklärung, Logik, Staatsverständnis – in allem ist sein Denken auch heute grundlegend. Auch in der Studentengeschichte. Kants kategorischer Imperativ ist Richtschnur für jeden Chargierten. War diese Art der Verknüpfung von Handlung und Moral zu ihrer Zeit vielleicht sogar eine Initialzündung für die alten Landsmannschaften?

300 Jahre sind nur scheinbar eine lange Zeit. So alt wird Immanuel Kant, und er ist aktuell. Der Ehrentag ist die perfekte Gelegenheit, sich mit dem Leben des großen Philosophen zu befassen. Vor uns liegt eine Biographie, frisch herausgegeben. Doch dieses Buch, das sei vorweg gesagt, ist aktuell. Es erschien indes bereits zum 200. Todestag Kants, der bekanntlich 2004 begangen wurde. Die neue, mit 25 Euro durchaus preiswerte Sonderausgabe präsentiert der Beck-Verlag pünktlich zum 300. Geburtstag des überragenden Philosophen, der am 22. April 2024 im Kalender steht.

Eigenwillig zeigt sich Kant auf diesem Bild, auf dem Umschlag der durchaus gültigen und aktuellen Biographie von Manfred Kühn.

Der Autor Manfred Kühn ist ein jüngerer Kollege Kants, selbst an durchaus prominenter Stelle tätig, lehrt er doch Philosophie an der Boston University. Wer, wenn nicht er, sollte den lebensechten Kant zeigen können? Kauzig war er, gewiss, geprägt von seinen Gewohnheiten, aber geistig überaus wendig, immens fleißig, stets messerscharfe Schlüsse ziehend. In seiner Heimatstadt war er eine Berühmtheit, die Bewunderung trug er gelassen. Wie nebenbei räumt Kühn mit der Mär vom ereignislosen, fast zwangsneurotisch anmutenden Professorenlebens gründlich auf. Sogar ein Heinrich Heine pflegte bekanntlich dieses Bild – aber hier war der sonst so erfreulich satirische Dichter ausnahmsweise im Unrecht.

Wer also war Kant? Kühn entwirft das Bild eines eleganten und geistreichen Hochschullehrers, der eine höchst wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben seiner Heimatstadt Königsberg spielte, gern von Freunden umgeben, oft auf Gesellschaften. „Eleganter Magister“ wurde er schon früh genannt, Manfred Kühn ruft uns das in Erinnerung. Bei Kühn begegnen uns auch die Königsberger Kollegen und Mitstreiter Kants, die Gegner und Konkurrenten.

Ja, Kant war eine Berühmtheit. Schon bald nach seiner Habilitation wurde es Mode unter Studenten und Gasthörern der Königsberger Albertina, coram publico in seinen Vorlesungen zu erscheinen – es ging, so wird kolportiert, Manchem einem gar nicht darum, zu verstehen, was Kant vortrug. Vielmehr galt bereits derjenige bereits als eminent klug und weltgewandt, der es sich überhaupt zutraute, dem berühmten Professor auch nur zuzuhören. Unbeschadet dessen war Kant ein sehr gesuchter Universitätslehrer, rhetorisch gewandt, inhaltlich von großer Präzision, dazu charmant und kontaktfreudig.

Wie bedeutend Kant als Gelehrter war, zeigt Kühn exemplarisch an der in allen Details geschilderten Veröffentlichung der „Kritik der reinen Vernunft“, die 1781 im wahrsten Sinne des Wortes über die Bühne ging. Kant selbst nannte dieses Werk „empirisch real, aber transzendental ideal“. Allein über diesen Topos lohnt es sich, ein paar Jahre lang nachzudenken. Sein Biograph Kühn erweist er sich indessen als Kenner der Materie, deutet Kants Gedanken aus und erklärt, wie der Philosoph zu seinen Schlüssen gelangte. Nicht zuletzt setzt er sie in einen überzeugen zeithistorischen Bezug.

So erschließt sich dem Leser auf nie langweiligen 639 Seiten ein differenziertes Bild von Kants Leben, seinem Denken und der Zeit des späten und ausgehenden 18. Jahrhunderts, die ohnehin eine Epoche großer Umbrüche und Neuanfänge war. Um das zu illustrieren, sei ein Blick nach Weimar gewagt, wo Goethe und Schiller, Wieland und der – von Kant sehr beeinflusste – Herder wirkten. Mozart komponierte in Wien. Frankreich ruinierte sich in einem Umsturz, der als „Französische Revolution“ bis heute verherrlicht wird. Auf dem nordamerikanischen Kontinent wurden die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet.

Dieser weltgeschichtliche Hintergrund, den Manfred Kühn in dieser Biographie immer durchschimmern läßt, macht deutlich, wie sehr das Denken des großen Philosophen in einer Wechselwirkung mit den wichtigen, überstaatlich wirksamen, kulturellen und intellektuellen Ereignissen seiner Zeit stand. Zu nennen waren hier die Schriften David Humes und Jean-Jacques Rousseaus, die Kühn auch in ihrer Bedeutung für Kant an die richtige Stelle rückt. Vielen Zeitgenossen galt Kant als Epigone des Schotten Hume, und seine Weiterführung, die Aufhebung des Descartes’schen Ansätze sahen sie nicht – Kühn schon.

Nicht zuletzt erschließt sich durch Manfred Kühn, welch überragende Wechselwirkung Königsberg, das königlich-preußische Juwel an der Ostsee, und Kant, der entscheidende Denker der Aufkärung, entfalteten. Diesem Buch eine Erklärung zu den Protagonisten voranzustellen, war angesichts der Faktenfülle eine gute Idee. Der Band ist zudem, obschon er eine Sonderausgabe darstellt, komplett ausgestattet – mit Zeittafel, Bibliographie, Bildnachweisen und Register. Guten Gewissens kann jeder, der über Kant arbeitet, diese Ausgabe der Kühn-Biographie zur Hand nehmen. Sie ist erprobt, zeigt wirkliches Verständnis der komplexen Gedanken, ist dabei frisch und aktuell – kurzum: nach wie vor ein Referenzwerk.

Manfred Kühn, Kant – Eine Biographie, dritte Auflage München 2024, Originalausgabe 2004, 639 Seiten, geb., ISBN 978-3-406-81460-0, 25 Euro.

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