Band und Mütze, Stil und Profil – akademisches Lesevergnügen mit Comment

Wer mitspielen möchte, sollte die Regeln kennen. Das wissen wir aus vielerlei Zusammenhängen. In Studentenverbindungen nennt man dieses Regelwerk Comment – viel bemüht und gern zitiert. Aber auch in seinem Sinn verstanden? Der bekannte Studentenhistoriker Bernhard Grün geht in einhundertelf Miniaturen der Entstehung und Entwicklung des couleurstudentischen Comments nach.

Grün schaut hinter die Fassaden des Verbindungsalltags und ergründet die tiefere Bedeutung jener Rituale, die für Außenstehende mitunter durchaus befremdlich anmuten. Und wie es sich für einen Studentenhistoriker gehört, erfährt der Leser auch so einiges über Herkunft und Entwicklung des studentischen Brauchtums, das Ganze humorvoll-ironisch bebildert. Der persönliche Favorit des Rezensenten ist im übrigen der Fux, der den Couleurstudenten biertauft.

Der Salamander – was hat er mit dem Comment zu tun? Lesen Sie nach!

Die Beiträge sind zuerst bei Academia, der Verbandszeitschrift des Cartellverbandes Katholischer Deutscher Studentenverbindungen (CV), veröffentlicht worden, inhaltlich sind sie aber keinesfalls auf den katholischen Rahmen begrenzt. Auch der eigene Dachverband muss sich Kritik gefallen lassen, wo sich ungute Entwicklungen im Comment eingeschlichen haben. „Möchtegernkorpos“ oder „Freizeitfritten“ sind des Autors Sache nicht. Stillosigkeiten und Kitsch werden kritisiert. Was zählt, ist der Adel, den sich der Einzelne durch eigenen Verdienst erworben hat.

Comment – das sind „nicht nur geschriebene, fixe Regeln, die den non-verbalen Dialog unter Freunden wie mit Fremden steuern“, wie Gründ bereits auf Seite 11 bemerkt. Comment – das sind gerade die ungeschriebenen Regeln, die das Zusammenleben erleichtern. Nur wer den Comment kennt, weiß auch um seine Grenzen – und kann bewusst Grenzen übertreten. Aber genau dies macht den Unterschied: Gezielte Grenzüberschreitungen desjenigen, der um seine Grenzen weiß, ist etwas anderes als schlechtes Benehmen oder ungezügelter Übermut. Der Autor erkennt Parallelen zu keinem geringeren als dem Kirchenlehrer Augustinus: „Comment ist Gelassenheit und Ausgelassenheit, Comment geht an Grenzen“ (S. 12) – oder in den Worten des Kirchenvaters: Ama et fac quod vis! – übersetzt: Liebe und tue, was du willst. Comment ist nichts für „spaßbefreite Meckerer, Mucker und Misanthropen“, wie Grün warnt.

Comment ist Ausdruck von Freiheit und Bekenntnis. Und es könnte in vielen Bereichen besser aussehen, wenn mehr Akademiker einen solchen Comment kennengelernt hätten. Bei alldem ist Comment schwer zu erklären, man wächst mit der Anzahl an Couleursemestern und vor allen an Lebenserfahrung hinein. Und doch: Grün gelingt es, auf anregende, humorvolle, augenzwinkernde, sich selbst nicht ernster als notwendig nehmende Art und Weise, aber zugleich mit angemessener Tiefe und auf hohem Niveau auszuloten, was Comment bedeutet – und was auch nicht. Hier schreibt ein Couleurstudent mit Herzblut und zeigt, welcher Gewinn es sein kann, den Weg in eine Korporation gefunden zu haben. Der Rezensent hat den persönlich gefärbten Band, der viel an individuellen Erfahrungen seines Autors offenbart, in einem Zug zu Ende gelesen, und dies mit wachsender Begeisterung.

Geht es am Anfang um couleurstudentische Rituale und Bräuche – vom Bandtragen, Bummeln und Kneipen über Cerevis, Tönnchen und Wichs bis zum Zirkel – wird der Band am Ende immer politischer. Es geht nicht allein um ein Spiel mit bunten Bändern und Mützen. Der Lebensbund verpflichtet. Es geht um akademische Sinnstiftung, um gelebte Orientierungswerte und lebenslange Freundschaft. Und immer wieder um Freiheit.

Dies muss gerade gegenüber den Kritikern und Korporationsgegnern, von denen im Band ebenfalls die Rede ist, immer wieder hervorgehoben werden: Wer sich mit Gleichgesinnten zusammentut, gibt seine Freiheit nicht an der Garderobe ab – im Gegenteil. Ein bewährter Generationenvertrag. „Außenstehende verstehen dies schwer, sehen nur Anzeichen äußerer Unfreiheit und erkennen nicht das Maß an Freiheit, das der freiwillige und daher lebenslange Bund von Gleichen schenkt – vom krassen Fux bis zum greisen Philister. Zu Zeiten anonymen Massenstudiums wären es aber gerade diese engeren Gemeinschaften, die diesen lebendigen Freiraum anbieten – Sozialisation in Bestform“ (S. 139).

Jedenfalls dann, wenn die gehaltvollen Erfahrungen, die Verbindungen vermitteln, reflektiert werden. Und dies, wie Grün vormacht, auch mit dem notwendigen Humor. Freiheit, akademische zumal, ist schöpferisch und kreativ, das Gegenteil von Denkschablonen und Sprachregelungen, wie sie das universitäre Leben und den akademischen Diskurs in Zeiten von „Cancel Culture“, „Wokeness“ und Identitätsdebatten heute immer mehr prägen (der Rezensent bittet für die Anglizismen um Absolution). Nicht erzwungener Gleichschritt im Denken, sondern der Mut zum Widerspruch bringt uns geistig voran.

Bei alldem darf mitunter äußerst heftig gestritten werden, auch hitzig und polemisch: „Freiheit ist nur denkbar, wo Ironie vertragen wird, Sarkasmus und Zynismus, Infragestellung bis ins letzte: Humor ist daher zutiefst subversiv“ (S. 139). Die akademische Wirklichkeit sieht heute oft anders aus, wie der Rezensent selber schon erfahren musste. Polemik und (Selbst-)Ironie sind geradezu verpönt. Umso wichtiger ist es, den streitbaren, wahrhaftigen, akademischen Disput einzuüben – und anschließend gemeinsam immer noch ein Bier trinken zu können. Wer hat das unter Bundesbrüdern nicht schon mehr als einmal erlebt!?

Gerade deshalb sind Verbindungen heute (leider allzu oft) Schutzräume und Gegenwelten. Hier darf in Zeiten einer „Generation Gleichschritt“ (Ralf Schuler) noch gestritten werden, hart und heftig, jenseits von Brandmauern und anderen Grenzziehungen, hier erliegt die Freiheit nicht der Moralisierung und Emotionalisierung – dem Comment sei Dank, der den notwendigen Rahmen für eine solche Freiheit setzt. „Das Lied, das Wort, seine Waffe – das machte ihn gefährlich“ (S. 196), schreibt der Autor über den Burschenschafter Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Für das freie Wort gilt dies heute wieder mehr, als es unserer Demokratie guttut.

Was in Studentenverbindungen passiert, wenn der Comment trägt und in Freiheit gelebt wird, bleibt politisch nicht folgenlos. Studentenverbindungen sind aus gutem Grund nicht parteipolitisch. Aber sie vermitteln ihren Mitgliedern wichtige „Soft Skills“, wie es im neudeutschen Consultantjargon heißt, die politisch-gesellschaftlich keinesfalls folgenlos bleiben. Es geht um das Einstehen für die eigenen Überzeugungen und die eigenen Werte, für das, was man als wertvoll erfahren hat. Kurz: Farbe bekennen! Und an dieser Stelle wird Grün sehr deutlich, wenn er auf das Vorbild der beiden ehemals obersten Bischöfe hinweist, die auf dem Tempelberg ihr Kreuz versteckten: „‘Männerstolz vor Königsthronen‘ sieht anders aus“ (S. 135).

In Verbindungen sollte es anders sein: Sie leben von gegenseitiger Freundschaft und Toleranz. Dafür aber muss ich wissen, auf wen ich mich verlassen kann, wofür ich stehe und auch bereit bin einzustehen. Denn echte Toleranz „setzt den eigenen Standpunkt voraus und ist das Gegenteil von Gleich-Gültigkeit und Gleichgültigkeit“ (S. 141). Und es muss noch einmal gesagt werden: Es stünde deutlich besser um den öffentlichen Diskurs, wenn dies nicht allein hinter den Mauern von Verbindungshäusern gelten würde.

Zum Nulltarif ist das nicht zu haben. Grün mahnt zu Recht: Verbindung ist immer nur so viel wert, wie ich zu geben bereit bin. Und was hat das nun alles mit Band, Pekeschen und Stafetten zu tun? Eine Menge, wie der Leser merken wird. Denn Comment darf nicht zum Selbstzweck werden, zum Comment-Dreschen oder zur despektierlichen Alberei, wie der Autor zu Beginn bemerkt. Warum – das entfaltet der Band dann auf treffliche Weise. „Ein Lesebuch für Korporierte mit Stil und Profil“ – wirbt der Klappentext. Dies kann der Rezensent unterstreichen. Wahrer Stil zeigt sich im Vertrauen und Verstehen. Nicht in Oberflächlichkeit und Prinzipienreiterei. Und ein solchermaßen gelebter Comment wird, wie der Autor im Vorwort schreibt, zur Lebensphilosophie. Wir sind bisweilen nicht frei von Lebensangst, wie wahr. Doch wer dies verstanden hat, setzt elegant-subversive Nonchalance gegen akademische Kleingeisterei und bürgerliche Spießigkeit. Der setzt jugendlich-kultivierten Spieltrieb gegen bräsige Bedenkenträgerei und übersteigerten Krisenwahn. Mut zum eigenen Standpunkt, zum Selberdenken und zur Widerständigkeit ist wahre Bürgerlichkeit – und Ziel des Comments. Man hört Odo Marquard zwischen den Zeilen heraus.

Nie war der Comment so wertvoll wie heute – in einer Zeit des Umbruchs und Wandels, wo das Ererbte relativiert zu werden droht, wo sich immer mehr das Bewährte vor dem Neuen zu rechtfertigen hat. Nur Tradition, die zunächst verstanden worden ist, kann jedoch zeitgemäß gelebt werden, sonst bleibt es am Ende nur Anbiederung und billige Anpassung – das müssen wir auch unserem Nachwuchs in den Aktivitates mit auf den Weg geben: „Dem Zerfall der Maßstäbe wehren, ihren Wert ehren und den Bestand mehren, ist die Aufgabe von Korporierten jedweder Couleur. Nehmen wir die Herausforderung an, das ist unser aller Comment!“ (S. 242).

Einhundertelf Miniaturen an der Zahl – oder: der berühmt-berüchtigte Paragraph 11 in Bierpotenz. Länger sollte ein Comment nicht sein. Auch diese Rezension sollte nicht überziehen. Daher: genug der Werbung. Der Leser greife selbst zum Buch und mache seine Entdeckungen, was Comment ist und sein soll. Der Rezensent kann eine stilvolle, anregende und unterhaltsame, im besten Sinne: akademische Lesereise versprechen.

Axel Bernd Kunze

Axel Bernd Kunze trägt die Bänder der Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg, Burschenschaft Rheno-Germania Bonn und Burschenschaft Alemannia Bamberg, ist promovierter Sozialethiker und habilitierter Erziehungswissenschaftler; beruflich ist er tätig als Schulleiter.

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