Korporierte in den Freikorps: Die Ereignisse von Mechterstädt

„Geschichte ereignet sich im Kontext und ist darüber hinaus nicht monokausal zu verstehen.“ Das schreibt der Jerusalemer Historiker Moshe Zimmermann in seinem Buch Niemals Frieden, das jüngst erschien. Schmerzvoll ist die Erkenntnis, dass dies auch für den unerklärten Bürgerkrieg gilt, der das nach 1918 stark geschlagene Deutsche Reich jahrelang erschütterte.[1] Unglaublich war damals teils die Brutalität, rätselhaft erscheinen aus heutiger Sicht die Gründe. Bernhard Schroeter klärt nun einiges auf, ordnet ein, entzaubert Mythen. Michael Hacker rezensiert.

Im thüringischen Mechterstädt starben am 25. März 1923 Menschen. Ein schlimmes Ereignis, und zwar ganz unabhängig davon, ob man sich dessen mit Trauer erinnert oder ab man es als „die Morde von Mechterstädt“ stilisiert, in denen „rechte“ Korporationsstudenten „festgenommene“ Arbeiter „feige ermordet“ hätten.[2] Doch die dergestalt formulierte Empörung, die von politisch deutlich links tendierenden Historikern klandestin oder auch ganz offen betrieben wird – sie geht am Ziel vorbei. Bernhard Schroeter, Alter Herr der B! Frankonia Erlangen,[3] hat nach beeendeter Berufstätigkeit ein Geschichtsstudium absolviert und eine Dissertation über die Freikorps vorgelegt. Das vorliegende Buch stellt eine Frucht seiner Forschungen dar.

Für die Ereignisse rund um Mechterstädt bemüht sich Schroeter um den notwendigen historischen Zusammenhang, ganz wie es Moshe Zimmermann fordert. Er schildert nüchtern Ereignisse nach der 1918er Revolution, die schwierige und umkämpfte Etablierung des demokratischen Systems gegen Widerstände von ganz rechts und ganz links. Bei Schröter werden die Ereignisse in Berlin, aber natürlich auch diejenigen in Marburg und Thüringen detailliert nachvollzogen. Womit wir beim Stichwort „Mechterstädt“ wären.

Natürlich geht es bei Schroeter auch um den Kapp-Lüttwitz-Putsch, der laut Schroeter nicht am Generalstreik,[4] sondern auch an einer ablehnenden Haltung einiger Beamten scheiterte. Er war aber der Auslöser für verschiedene kommunistische Umsturzversuche im Ruhrgebiet, die durch die „Rote Ruhr-Armee“ organisiert wurden, hinter der Spartakus / KPD und USPD standen. Betroffen waren auch Thüringen und Sachsen, und alles in allem sah die vor dem Kapp-Putsch nach Stuttgart ausgewichene Reichsregierung gezwungen, zum Machterhalt – wie schon nach den Matrosenaufständen und anderen Umtrieben – auf Freikorps zurückzugreifen.

Der Autor stellt  dar, dass die Freikorps in drei unterschiedliche Typen unterschieden werden müssen: Typ 1 waren kasernierte Vollzeitsoldaten. Typ 2 der Freikorps-Kämpfer waren Zeitfreiwillige, darunter vor allem zeitfreiwillige Studentenkompanien, die aber nicht kaserniert waren; Typ 3 stellten Zivilisten und „Kämpfer in Teilzeit“ dar, im Wesentlichen also kurzfristig alarmierbare Einwohnerwehren, die ihren Einsatz als sehr konkreten Selbstschutz verstanden. Einsatzkräfte vom Typ 3 wurde nur wohnortnah eingesetzt, Typ 2 – wie das StuKoMa[5] – konnte auch in entfernten Landesteilen, meist einem Freikorps Typ 1 unterstellt, eingesetzt werden.

Burschenschafter, die sich zu einem Freikorpsregiment formiert haben. Freikorps Oberland, wohl 1920, unbekannte Quelle.[6]

Die Freikorps waren also grundsätzlich legalisierte bewaffnete Einheiten, die im Auftrag der Regierung und mit Unterstellung unter Reichswehrbefehl in die Einsätze gingen. Es handelte sich ausdrücklich um keine „marodierende Soldateska von rechten Republikgegnern“, wie verschiedentlich nur allzu gerne bis heute insinuiert wird. Dass es diese Form des Para-Militärs überhaupt gab, lag an einer Auflage des Versailler Vertrages, der ab einem Jahr nach Unterzeichnung nur noch ein deutsches 100.000-Mann-Heer zuließ, was für eine adäquate militärische Reaktion auf die innenpolitische Bürgerkriegssituation viel zu wenig war. Die Reduzierung der im März 1920 noch 400.000 Soldaten auf 100.000 bis Juli 1920 war auch der Auslöser des Kapp-Lüttwitz-Putsches. Der fand bekanntlich exakt im März 1920 statt, weil sich diverse Einheiten – darunter auch die Brigade Ehrhardt – nicht in eine für die Zivilbevölkerung schädliche, ja, gefährliche „Arbeitslosigkeit“ schicken lassen wollten.

Zeitfreiwillige des Freikorps Epp, erkennbar an ihren weißen Binden um den Stahlhelm,im Kampfeinsatz in München-Haidhausen, wahrscheinlich 1919.

Das StuKoMa wurde als Freikorps auf Befehl der Reichswehr und des Reichswehrministers Noske (MSPD) aufgestellt. Es bestand aus 1.200 Mann in verschiedenen Kompanien, im Wesentlichen aus Korporierten, nach Dachverband und Korporationszugehörigkeit gegliedert, und wurde ergänzt durch Freistudenten. Kommandeur war Fregattenkapitän a.D. Bogislav von Selchow,  42 Jahre alt, Student der Geschichte in Marburg. Er sympathisierte zunächst mit dem Kapp-Putsch, willigte aber nach dessen Scheitern schnell in die Auflösung des StuKoMa ein. Nach Ausbruch der neuerlichen Unruhen in Thüringen, bei denen sich städtische Arbeiter illegal bewaffneten, bei denen sich Raubüberfälle und Diebstähle häuften und der Druck auf die Amtsträger ständig wuchs, musste das StuKoMa als Zeitfreiwilligeneinheit abermals aktiviert werden. Letztlich wurden zwei Bataillone aus Marburger Studenten aufgestellt, wobei das erste dieser beiden als Teil der in Thüringen eingesetzten Reichswehrbrigade Rumschöttel agierte; es bestand zur Gänze aus Korporierten, die unter Befehl von Selchows standen.

Nach erfolgreichem Einsatz zog dieses 1. Btl. von Eisenach nach Osten, um Gotha zu befrieden. Dabei wurden aufständische Arbeiter als (Kriegs-)Gefangene mitgeführt, die nicht zuletzt ihrerseits auch vor aufgebrachten Menschen in der Landbevölkerung geschützt werden mussten. 15 von diesen Gefangengen wurden bei Mechterstädt erschossen, doch der Hergang des Vorfalls blieb bis zum Schluss unklar. Nach Darstellung der späteren Angeklagten fielen die Schüsse während eines Fluchtversuchs; der Schießbefehl war den Gefangenen bekannt, das nebelige Wetter hätte aber ihre Fluchtversuche begünstigt. Zumindest einige von ihnen hätten mit späterer standrechtlicher Erschießung rechnen müssen.

Bald schon kamen Gerüchte über „Morde“ und „Misshandlungen“ in Umlauf. Diese wurden auch durch die im 2. Btl. eingesetzten Freistudenten, der „Volkskompanie“; die nicht aus Korporierten bestand, verbreitet. Unter denen, die dies taten, war auch Ernst Lemmer,[7] der sogar unbefugt nach Berlin reiste, um Abgeordneten der Nationalversammlung Bericht zu erstatten, obwohl er kein Augenzeuge gewesen waren. Der spätere Bundespräsident Gustav Heinemann war übrigens auch in der „Volkskompanie“, er hatte auch an Kampfhandlungen in Thüringen teilgenommen.

Die Darstellungen vor allem Lemmers widersprechen, so Schroeter, den Obduktionsprotokollen. Die Leichen von Mechterstädt wiesen demnach keine Bajonettverletzungen oder eingeschlagene Schädel auf, wie das bei einer Ermordung zu erwarten gewesen wäre. Wohl aber waren ihre Schussverletzungen fatal. Eingesetzt worden waren demnach S-Geschosse (Spitz-Geschosse), die eine ähnlich Wirkung wie Dum-Dum-Geschosse haben.

Zeitfreiwillige Soldaten des Freikorps Epp in Neu-Ulm

Juristisch wurde der Fall vor einem Kriegsgericht im Juni 1920 verhandelt. Alle 14 Angeklagten, acht von ihnen Corpsstudenten, sechs Burschenschafter, wurden freigesprochen. Auch das Berufungsgericht in Kassel – nunmehr war es ein ziviles Geschworenengericht, weil das Kriegsrecht beendet war – sprach sie frei. Dennoch mussten sich die Marburger Korporationen alsbald der Gewalt durch Mitstudenten und Bürger der Stadt erwehren, und dieselben Politiker, die sie einberufen hatten, sprachen nun teilweise von „Meuchelmord“. Nur der Rektor stand hinter seinen Studenten. So war auch dieses Ereignis ein Grund, weswegen sich die (korporierten) Studenten von Verteidigern der Weimarer Republik gegen kommunistische Gegner zu Republikgegnern wandelten – der Autor räumt jedoch sehr korrekt ein, daß dies sicher nur ein Grund unter vielen war.

Schroeter zieht reichhaltiges Quellenmaterial heran, auch dasjenige ausgewiesen „linker“ Autoren. Auch die Veröffentlichungen entsprechend orientierter DDR-Autoren wurden herangezogen. Die ebenfalls erfolgte Berücksichtigung selbst beteiligter Zeitzeugen – hier General Maercker, von Selchow und Lemmer zu nennen – ist aber wegen deren Subjektivität nicht unproblematisch. Der oben genannten Maxime Moshe Zimmermanns gerechtzuwerden, war für Schroeter damit eine sehr diffzile Aufgabe, der er sich aber insgesamt gewachsen zeigt.

Alles in allem ist das Buch aber eine interessante Lektüre. Wie bei Werken aus dem WJK-Verlag öfter zu beobachten gibt es auch hier Schwächen im Lektorat. So wird es der Leserschaft nicht leichtgemacht, die Gesamtzusammenhänge zu verstehen, da speziell bei der Darstellung der Vorgänge in Mechterstädt immer wieder der so wichtige umgebende Kontext ausgeblendet wird. Trotzdem wird gut erkennbar, wie Schroeter sein Fazit herleitet, das da lautet: Die Freikorps waren erstens ein von Regierungsseite aus notwendiges Mittel, um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Die Erschossenen hingegen waren zweitens mit Sicherheit keine „braven unschuldigen Arbeiter“, sondern Männer, die bei entsprechender Gelegenheit auch schon unter Beweis gestellt hatten, dass sie bereit waren, für ihre Ziele zu morden.

Ja, es ist der umgebende Kontext, der die gesamten Gewalttaten der Jahre ab 1918 so eminent schwer einschätzbar macht. In diesem Bürgerkrieg wurde auf Menschenleben wenig Rücksicht genommen. Es gab daher auf beiden Seiten „schuldige“ und „unschuldige“ Opfer. In welche Kategorie gehören die 15 Männer von Mechterstädt? Die Darstellung, dass sie auf der Flucht erschossen wurden, lässt sich nicht eindeutig beweisen, aber auch nicht widerlegen. Je nach politischer Einstellung dürften diese Ereignisse daher weiterhin entweder apologetisch oder anklagend genutzt werden.

Eines sei jedoch zum Schluss deutlich gesagt: Die hier zweifellos zu beobachtende, symptomatische Republikgegnerschaft der Korporierten als Einstieg in die „Geschichte rechtradikaler Gewalt in Deutschland“ zu werten, wie das Heither unternimmt, [8] ist dabei aber völlig überzogen, soviel sei gesagt. Der Kampf der Kommunisten seit 1918 wird schließlich auch nicht als Beginn der linkradikalen Gewalt in Deutschland angesehen. Wie Moshe Zimmermann es so schön sagte: Geschichte ereignet sich im Kontext und ist darüber hinaus nicht monokausal zu verstehen.

Michael Hacker

Bernhard Schroeter: Marburger Studenten im Freikorps-Einsatz in Thüringen und die Ereignisse von Mechterstädt. WJK-Verlag, Hilden 2023, ISBN 978-3-910672-01-7; EUR 14,90


[1] Moshe Zimmermann, Niemals Frieden, Berlin 2024, S. 13.

[2] Die auf „dem rechten Auge blinde“ Justiz habe sie freigesprochen. Wesentliche populäre Quelle ist: Dietrich Heither / Adelheid Schulze, Die Morde von Mechterstädt 1920. Zur Geschichte rechtsradikaler Gewalt in Deutschland, Berlin 2015.

[3] Ehemals Alter Herr der JB! Germania Jena und der JB! Arminia a.d.B.

[4] Der Streik zeitigte wegen seines Beginns am Wochenende erst Folgen, als die Putschisten schon aufgeben hatten.

[5] Ausgeschrieben: Studentenkorps Marburg.

[6] Die für diesen Beitrag gewählten Bilder sind eindrucksvolle Dokumente der Freikorps-Zeit, haben aber mit den Ereignissen von Mechterstädt nichts zu tun; indes – sie geben die Stimmung der Zeit wieder.

[7] DDP, später CDU, für diese auch Bundesminister.

[8] Vgl.: Anm. 2.

Schreibe einen Kommentar