Lokalkrimis verkaufen sich immer gut, zumal, wenn die Beschreibungen, die sich auf die Örtlichkeiten beziehen, für Ortskundige einen hohen Wiedererkennungswert haben. Geht es um die Bonner Universität und zusätzlich um Studentenverbindungen, kann das Interesse nur steigen.
Also ein Bonn-Krimi. Der britische Geschichtsstudenten Archie und seine drei Mitbewohner in einem Wohnheim, irgendwo in einem rechtsrheinischen Stadtteil, stoßen auf beunruhigende Netzwerke aus der Vergangenheit. Dann verschwindet Archie spurlos. Die Freunde machen sich auf die Suche und stoßen auf die Geheimnisse eines fiktiven Corps Barbarossa-Germania, mit einer ebenso fiktiven Adresse, die aber großbürgerlich klingen soll: Theaterstr. 5.
Zu den fiktiven Mitgliedern der Barbarossa-Germania treten sehr bald realgeschichtliche NS-Funktionäre und -Täter. Zuerst Robert Ley (1890 – 1945), 1912 aktiv bei der Sängerschaft St. Pauli zu Jena; später Führer der Deutschen Arbeitsfront), der auch einige Semester in Bonn studierte hat, sodann Joseph Goebbels (1897 – 1945); 1917 aktiv bei Unitas-Sigfridia Bonn, heute RKDB; unter Hitler war er Reichspropagandaminister. Dann taucht auch noch Josef Mengele (1911 – 1979) auf; der aber nie aktiv gewesen ist; Mengele war SS-Arzt in Auschwitz, er gilt als eine der Inkarnationen des Bösen schlechthin, wenn es um die Shoah geht.
Wenn Studentenverbindungen leider nicht ganz so schlimm sind, wie man sie gerne hätte, werden in fiktiven Büchern flugs Konstellationen geschaffen, die beinahe hätten so sein können, wie es beschrieben wird. Und so taucht dann bei der gleichwohl spannend beschriebenen Auflösung des Geheimnisses ein einflussreicher Alter Herr auf, düster und geheimnisumwittert. Er spielt eine wesentliche Rolle, das Geheimnis wird natürlich gelüftet, aber drei Menschen müssen davor ihr Leben lassen.
Die Szenerie der Stadt und der Universität Bonn im Jahr 1991 sind durchaus realistisch. Das Wiedererkennen macht Freude! Die entscheidenden Handlungsorte, also Wohnheim, Uniarchiv und Verbindungshaus sind indessen vom Autor seinen Wünschen entsprechend angepasst. Das ist legitim, und es tut weder der Spannung noch dem festgefügten Weltbild des Autors Abbruch. Die Handlung, die Personen und Dialoge sind gut und fesseln den Leser. Der Orts- und Verbindungskundige bemerkt aber zahlreiche kleinere Fehler. So werden Corps und Burschenschaft verwechselt und sogar vermischt, was in Realität ausgeschlossen ist. Es ist von Burschenschaftlern die Rede, mit „l“ wohlgemerkt, und manches liebgewonnene Vorurteil gegenüber Verbindungen wird gepflegt. Beispielsweise werden die Studentenverbindungen generell als Geflecht von Beziehungen dargestellt – als höchst effizient, stärkstens vernetzt. Leider geht das nun doch völlig an der Realität vorbei. Dem Autor kann aber zugutehalten werden, dass er auch die Mitglieder der Verbindungen durchaus differenziert und teilweise sogar einigermaßen sympathisch darzustellen weiß.
Wer also spannende Unterhaltung mit Bonner Unikolorit mag und vielleicht auch um 1991 herum studiert hat, dem sei der Krimi empfohlen, auch wenn gegen Ende die Handlung etwas an Bodenkontakt verliert, also das „Geheimnis“ am Ende gar zu unrealistisch erscheint. Darüber kann spätestens aufgrund des Kaufpreises für die E-Book-Version hinweggesehen werden – die ist mit unter vier Euro mehr als studentenfreundlich.
Michael Hacker
Ditmar Doerner, Der größte Verrat, Roman, Books on Demand 2023, 474 S., broschiert, ISBN 9783758386329, 16,90 Euro, als E-Book 3,99 Euro.