Die Mainzer Musikwissenschaftlerin Sophia Krüger beschäftigt sich immer wieder gerne mit dem bedeutenden Schatz, den die Studentenlieder darstellen. Im Tagungsband „Die Vorträge der 79. deutschen Studentenhstorikertagung in Jena“ ist ein Aufsatz von ihr enthalten. Der Band selbst, ein so umfang- wie abwechslungsreiche studentenhistorische Panoptikum, das auf 414 Seiten 14 Aufsätze, zwei Tagungsberichte und neun Rezensionen enthält, kann hier für 22 Euro bestellt werden.
Es gehörte im wahrsten Sinne des Wortes jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertelang zum guten Ton der Studenten, die Stadt, in der sie lebten, und die Universität, an welcher sie studierten, in Liedern zu verewigen. Das kann kaum verwundern, stellt doch die Universitätsstadt mit all ihren geographischen und architektonischen Besonderheiten sowie den charakterlichen Eigenheiten der Bewohner den Lebensmittelpunkt des Studenten während der prägenden Phase des Studiums dar.
So entstanden, häufig auch in feucht-fröhlicher Stimmung, immer wieder Spottverse auf Professoren und Pedelle, Lobeshymnen auf die Bürgerstöchter und nostalgisch-verklärte Reime auf die Schönheit und Vertrautheit des liebgewonnenen Ortes. Für alle Studenten kann dabei gesagt werden, dass sie sich gerne in den Gaststätten versammelten, die platzmäßig zumeist sehr eng waren. Auf Kneipen – von der „Kniepe“, niederdeutsch für „Enge“ – wurden diese Kreationen dann gesungen – oder vielleicht auch: zelebriert. Studenten, die aus ein und derselben Gegend kamen, suchten dabei den Zusammenschluss, die Verbindung. Das ist die Grundlage für die heute noch bestehenden Verbindungen unterschiedlicher Prägung – die Corps, die Landsmannschaften, den CV, den Wingolf und auch für die Burschenschaften, die aber alle jeweils nur eine Untergruppe der studentischen Gesellungsform namens „Verbindung“ oder „Korporation“ darstellen.
Schnell verbreiteten sich Texte und Melodien unter diesen Korporierten, wurden abgewandelt, an neue Gegebenheiten angepasst, manchmal regelrecht „zersungen“, bis sich schließlich eine Version durchsetzte und – möglicherweise – schriftlich festgehalten wurden. Musikwissenschaftler und Studentenhistoriker wünschen sich natürlich, möglichst viele Versionen zu erfahren und zuordnen zu können. Vieles, was an den Kneipabenden über die Jahrhunderte hinweg entstand, hat sich indes nicht überliefert; ein besonderer Fund ist es, wenn sich hie und da handschriftliche Verse und Eintragungen mit andernorts nicht mehr bekannten Versionen von Umdichtungen in alten Kommersbüchern finden, das sind die Liederbücher für die spezielle studentische Form einer Feier, einen Kommers also, für die es spezielle Lieder gab – und gibt. Viele Kommerslieder wurden auf Melodien getextet, die aus anderen Zusammenhängen stammten, oft aus dem kirchenmusikalischen Kontext. Selbstverständlich sind gemeinsame Kneipabende dabei nicht allein der Ursprung studentischer Lieder; so mancher Text entstand lange Zeit nach Abschluss des Studiums, also fernab der „alten Burschenherrlichkeit“.
Der Transfer studentischer Dichtung in das allgemeine Liedgut ist dagegen selten zu beobachten. Von all den verbindungsstudentischen Texten hat es schließlich nur eine Handvoll in das bürgerliche, „zivile“ Repertoire der jeweiligen Universitätsstadt geschafft. Der Vers „Und in Jene lebt sich’s bene“ aber gehört definitiv dazu. Er ist in Jena allseits bekannt und beliebt, er wird in jeglicher Art und Weise abgewandelt und für persönliche Zwecke verwendet: Sei es die Wandergruppe, die in ihrem Internetauftritt von einem gelungenen Tag zwischen den alten Mauern der altehrwürdigen Stadt berichtet,[i] oder der Männerchor,[ii] dessen Motto sich an diesem Vers orientiert – es ist ein Satz, der in Jena selbst stets präsent und bei Besuchern schnell in aller Munde ist. Fast könnte dieser Vers als das inoffizielle Motto der Stadt bezeichnen. Mit der Entstehungsgeschichte des Liedes, seiner Melodie und auch der Überlieferung mancher Strophen ist dabei vor allem ein Name verbunden: Ernst Heinrich Meier.
Entstehungsgeschichte eines populären Liedes
Ernst Heinrich Meier, 1813 in der Nähe von Bückeburg als Sohn eines Lehrers geboren, kam im Jahr 1834 nach Jena und begann dort zunächst das Studium der Theologie. 1836 ging er nach Göttingen, studierte nun orientalische Sprachen bei Heinrich Ewald. Als Ewald 1838 nach Tübingen wechselte, folgte ihm Meier, wurde dort 1840/41 promoviert und habilitierte sich schließlich ebenda. 1848 wurde Meier Professor für semitische Sprachen und Literatur an der Universität Tübingen.[iii]
Im April des Jahres 1841 erschienen in der 78. und 79. Ausgabe der Zeitung für die elegante Welt dreizehn „Studenten- und Trinklieder aus dem Herbst 1839“, verfasst von einem Ernst Minneburg.[iv] Diesen Dichter als Person gab es nicht; es handelte sich vielmehr um Meier, der dieses Pseudonym bereits 1839 für die Veröffentlichung von zwölf (Liebes-)Gedichten im Album der Boudoirs[v] verwendet hatte.[vi] Im Jahr 1852 erschien dann ein Gedichtband Meiers unter dem Pseudonym Ernst Minneburg in Tübingen, in dem mehrere der bereits vorher publizierten Texte enthalten sind, weshalb die Autorschaft am „Loblied auf Jena“ recht eindeutig Meier zuzuschreiben ist.[vii]
Allerdings bleibt offen, in welchem Kontext das Lied entstanden ist. Hat Meier es tatsächlich selbst und allein verfasst, oder hat er sich womöglich an einem im studentischen Umfeld bereits vorhandenen Lied – thematisch oder musikalisch – bedient? War er im Herbst 1839 zu Besuch in Jena, oder hat er an seinem neuen Wohnort Göttingen die „Studenten- und Trinklieder“ verfasst? Weitere Fragen wirft in diesem Zusammenhang die Ortsangabe „Heidelberg“ unter seinen Gedichten im Album der Boudoirs auf. Hat er sich 1839 dort aufgehalten und, was dann naheläge, an der dortigen Universität studiert? Aufgrund fehlender Quellen sind diese Fragen bis dato ungelöst.[viii]
Das mit „Loblied auf Jena“ betitelte Studentenlied umfasst in der Originalversion neun Strophen. Nach der Nummerierung der heutigen Fassung[ix] sieht die Reihenfolge der Verse im Original wie folgt aus: 1, 7, 6, 2, 4, 3, 5, 8, 1. Die heute geläufige Version besteht aus acht Strophen, die erste wird am Ende nicht mehr wiederholt. Die Umstellung der Strophen findet sich bereits spätestens in der dritten Auflage des Commers-Buchs für den deutschen Studenten,[x] nachdem in dessen erster Auflage von 1855 bereits eine Fassung des Liedes abgedruckt wurde. Aufnahme in das Allgemeine Deutsche Commersbuch fand das Loblied 1861/1862 in der sechsten, redigierten Auflage.[xi]
Die Gründe für die veränderte Anordnung der Strophen sind nicht bekannt. Zusätzlich wurden auch am Text Änderungen vorgenommen, die sich wohl durch das aktive Singen eingeschlichen und verfestigt hatten. Wahrscheinlich lag den Herausgebern der Kommersbücher die Originalversion des Textes nicht immer vor, und sie griffen auf handschriftlich festgehaltene Privatabschriften zurück, in denen sich bereits Abwandlungen verankert hatten. An dieser Stelle sticht besonders die erste Strophe ins Auge, wo es im Original heißt: Ja in Jena lebt sich’s bene, / Ja in Jena lebt sich’s gut! / Bin ja selber drin gewesen, / Wie es ist gedruckt zu lesen, / Wohl zwei Jahre frohgemuth.
Hier wird ein deutlicher Bezug zu Meiers Biographie erkennbar, der in Jena „ja selber drin gewesen“ ist und dort zwei Jahre seines Studiums verbracht hat. Der weitere Verlauf des Liedes bringt keine weiteren autobiografischen Motive, stattdessen stehen das Studentenleben und die durchaus pointierte Beschreibung der Stadt im Zentrum des Textes.
Musikalische Hintergründe
Als melodische Grundlage des Textes nennt Meier selbst in der Zeitung für die elegante Welt die um 1800 entstandene Ballade „In des Waldes düster’n Gründen“. Dieses Lied entstammt als musikalische Einlage dem Räuberroman Rinaldo Rinaldini von Christian August Vulpius und wurde nach der volkstümlichen Melodie „Große Taten edler Seelen“ gesungen, die ebenfalls gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden ist.[xii] Ein wesentliches Merkmal dieser Melodie – und damit wiederum eine gute Datierungsgrundlage für die Zeit zwischen 1780 und 1800 – stellt das beinahe wörtliche Zitat der „Marseillaise“ dar,[xiii] wie auf der folgenden Seite vergleichend dargestellt wird.
Das Eingangsthema der „Marseillaise“, hier der Vergleichbarkeit halber in A-Dur gesetzt, klingt durch die Punktierung des Tonika-Dreiklangs sowie die marschartige Melodieführung besonders eingängig. Die Verwendung dieses Themas zum Abschluss jeder Strophe verleitet einerseits dazu, die Melodie weiter im Ohr und im Kopf zu behalten, andererseits wird der unterlegte Text so besonders betont. Die „Marseillaise“ als Hymne der Französischen Revolution und Lied der Freiheit des Volkes war in den deutschen Ländern bekannt und verbreitet; die Verwendung des Eingangsthemas als fast wörtliches Zitat konnte somit auch als politische Aussage verstanden werden. Ein Beispiel wäre hier die Ballade „Der reichste Fürst“ von Justinus Kerner aus dem Jahr 1818, in der er die französische Melodie nutzt, um sich politisch zu positionieren.[xiv]
Obwohl Meier ursprünglich als Weise „In des Waldes düster’n Gründen“ angegeben hatte, findet sich in den Kommersbuchveröffentlichungen ab 1860 fast ausschließlich Kerners Ballade, bekannt als „Preisend mit viel schönen Reden“, als musikalische Referenz. Dieses Lied besaß besonders im württembergischen und badischen Raum einen hohen Verbreitungsgrad und wurde möglicherweise aus diesem Grund vom badischen Kommersbuchverlag Schauenburg in Lahr als Melodieverweis übernommen, zumal sich die beiden Melodien bis auf minimale Abweichungen durch Bindungen oder Punktierungen kaum unterscheiden.
Textliche Hintergründe
Die Salana – die Universität in Jena – war im 19. Jahrhundert keine „erste Adresse“ für Studenten; im Laufe des 19. Jahrhunderts rutschte sie von einem Spitzenrang unter den deutschen Hochschulen auf den vorletzten Platz;[xv] ein Grund dafür dürfte sein, dass die Finanzierung über das ganze Jahrhundert hinweg keine wesentliche Erhöhung erfuhr.[xvi] Der Historiker Gustav Droysen beklagte 1851 einen „Mangel an Büchern, an Hülfsmitteln, an Geselligkeit“.[xvii] Stefan Gerber zitiert einen Generalbericht über die Salana aus dem Jahre 1854 belegt, nach dem sich „in der Mehrzahl Minderbemittelte zum Studium in Jena entschlössen“, wodurch „die ‚Vorzüge einer feineren und sorgsameren Erziehung’ unter den Jenaer Studenten nicht in ausreichendem Maße anzutreffen“ seien.[xviii] Ab der zweiten Strophe des Liedes werden auf ironische Weise die Probleme und Misshelligkeiten besungen, die, glaubt man Ernst Heinrich Meiers Liedtext, in Jena zahlreich waren. So lautet die zweite Strophe des Liedes:
Und die Straßen sind so sauber, / Sind sie gleich ein wenig krumm; / Denn ein Wasser wird gelassen / Alle Wochen durch die Straßen, / In der ganzen Stadt herum.
Natürlich waren die „sauberen Straßen“, die im Urtext noch „Gassen“ hießen, in Jena wohl eher schmutzig – dafür spricht auch, dass sie im übertragenden Sinne „ein wenig krumm“ waren. Dass durch sie „ein Wasser gelassen“ wurde, entspricht dabei der für das Spätmittelalter belegten Technik, zweimal in der Woche Wasser aus dem Flüsschen Leutra durch die Straßen der Stadt zu leiten[xix] – die sogenannte „Leutrafege“.[xx] Diese sollten gereinigt werden, doch der Fluss konnte durchaus auch über seine Ufer treten und dürfte dann reichlich Schlamm mit sich gebracht haben[xxi] – kurzum, eine insgesamt wenig reinliche Angelegenheit, die Meier hier auf’s Korn nimmt. Jena stand hier in klarem Gegensatz zu „Städten von Welt“, wie es zum Beispiel das nahe Leipzig war. Die Leutra, die westlich der Stadt entspringt, war zudem weitgehend kanalisiert, vor allem, um eine große Zahl von Mühlen zu betreiben[xxii] und ein Grabensystem zu versorgen, das alle Funktionen des heutigen Wassernetzes zu erfüllen hatte.[xxiii]
Strophe drei des Liedes in der heutigen Fassung ist noch klarer als beißende Satire erkennbar. Die Aussage, der Wein sei „gar nicht schlecht“, ist als Euphemismus gedacht, der auf einen sehr schlechten Wein schließen lässt. Dass dieser Wein indes seine Qualitäten hatte, lässt sich daran ablesen, dass er bis ins Rheinland und in die Schweiz exportiert wurde.[xxiv] Trotzdem dichteten die spitzen Zungen der Studenten dem Jenenser Wein Eigenschaften an, die vernichtender Kritik gleichkamen:
Und ein Wein wächst auf den Bergen, / Und der Wein ist gar nicht schlecht, / Tut er gleich die Strümpfe flicken / Und den Hals zusammendrücken, / Ist er doch zur Bowle recht! [xxv]
Die Strophe vier bleibt in der Diktion der Ironie. Natürlich wird klar, dass die Wirte knauserig waren, dass selten oder nie angeschrieben wurde. Kleinbürgerlichkeit schimmert zwischen den Zeilen durch. Die Ironie wird auf die Spitze getrieben durch die Anmutung, den Studenten sei zusätzlich zum Kredit beim Wirt sogar „bares Geld“ geliehen – in der „Umgangssprache „gepumpt“ – worden:
Die Philister und die Wirte / Sind die besten auf der Welt, / Wein und Bier in vollen Humpen / Tun sie den Studenten pumpen / Und dazu noch bares Geld.
Ähnlich geht es weiter in Strophe Nr. 5. Hier wird das Augenmerk auf die Möglichkeit, die studentischen Riten ausleben zu können, gelegt – und zwar insbesondere auf die Möglichkeit, zu kneipen. Die Verbindungen besaßen, als dies Lied entstand, allesamt noch kein eigenes Haus. Sie waren auf eine gewisse Großzügigkeit der Wirte und der Anwohner angewiesen, und in Jena wurde ihnen diese offenbar nicht oder nur selten gewährt.
Wenn dem Burschen es behaget, / Setzt er vor die Tür den Tisch, / Und dann kommt der Wirt gesprungen, / Und da wird gezecht, gesungen / Auf der Straße frei und frisch.
Natürlich ging es auch um die Duelle in den Straßen, die im 18. Jahrhundert noch gang und gäbe waren – wobei mehr als fraglich ist, ob diese wirklich „nur Spaß“ waren, wie der Dichter uns Glauben machen möchte. Immerhin geht es um Duelle, die durchaus tödlich ausgehen konnten, denn sie wurden „auf Stoß“ ausgefochten, was im übrigen in Jena bis 1845 üblich war. Strophe sechs, in der auch der Zusammenhang zwischen Duellen und einem guten Geschäft für die Wirte thematisiert wird, lautet:
Und im Winter und im Sommer / Wird servieret auf der Straß‘; / Hei, wie da die Schläger blitzen, / Hei, wie da die Stöße sitzen, / Aber alles ist nur Spaß!
Durchaus deutlich wird in Strophe sieben sodann die Partnersuche der Studenten beschrieben, die nach Ansicht von Andreas Rebmann, einem Zeitzeugen der Jahre 1787 bis 1789,[xxvi] „ganz verdorben und eingeweiht in den niedrigen Mysterien der Vernus und des Bacchus“ waren[xxvii] – zumindest, wenn sie korporiert waren. Im Liedtext fällt diesbezüglich die eindeutige Zweideutigkeit der letzten Zeile auf:
Auf dem Markte, auf den Straßen / Steh’n Studenten allzuhauf; / Mädchen an den Fenstern stehen / Und nach den Studenten sehen, / Und wer will, der schaut hinauf
In der achten und letzten Strophe wird dann schließlich mit einer gewissen Selbstironie über die Eigenheiten der Studenten hergezogen: im Schlafrock, der als ironischen Zitat auf „altdeutschen Rock“ gesehen werden kann, und außerdem unrasiert „auf dem Damm“ zu promenieren – das war mitnichten weltstädtisch.[xxviii] Der „Damm“ ist dabei, wie Raimund Lang bemerkt,[xxix] eine einigermaßen genaue Ortsangabe – es handelte sich um zwei begehbare Abschnitte des Walles, mit dem Jena vor den bis ins frühe 20. Jahrhundert nahezu jährlich eintreffenden Hochwassern der Saale[xxx] geschützt wurde, und zwar jenseits der Saale ab der „Grünen Tanne“ und etwas flussabwärts auf der Seite der Kernstadt, in etwa im Bereich des heutigen Benhofs „Paradies“. Wenn diese freie Handhabung von Kleidungsvorschriften dabei als die „allerschönste“ aller Freiheiten apostrophiert wurde, ist dies abermals als ironisch zu verstehen, denn Jena konnte sich – unabhängig von allen Mängeln und Rückständigkeiten – eigentlich eher einer besonders großen akademischen Freiheit erfreuen, weil sie bis 1918 „stets eine von mehreren Territorien bzw. Staaten unterhaltene Hochschule“ war.[xxxi] Und so schließt das Lied mit seiner achten, auf eine ironisch interpretierte akademische Freiheit bezogenen Strophe:
Und die allerschönste Freiheit / Ist in Jena auf dem Damm. / In Schlafröcken darf man gehen / Und den Bart sich lassen stehen, / Wie ein jeder will und kann! [xxxii]
Ein Seitenblick auf die Erinnerungskultur im akademischen Jena mag zum Abschluss dieser Textbetrachtung den ironischen Charakter des Liedes unterstreichen. Die tatsächlichen Erinnerungsorte der Salana sind die Stadt- und Universitätskirche,[xxxiii] die Bibliothek „Electoralis“[xxxiv] sowie die dort befindliche Galerie der Professorenbilder.[xxxv] Diese Orte fehlen samt und sonders.
Fazit
Das ganze Lied „Und in Jene lebt sich’s bene“ kann – und muss – mit einer gehörigen Portion Augenzwinkern gelesen und gesungen werden. Diese Art von Humor kam offensichtlich gut an. Mit der stetig wachsenden Anzahl der Auflagen des Allgemeinen Deutschen Commersbuches stieg auch die Bekanntheit des Liedes – inzwischen allgemein als „Loblied auf Jena“ bekannt – an den deutschen Universitäten. Wo es noch kein eigenes, also auf die eigene Alma Mater bezogenes verbindungsstudentisches Liedgut gab, wurde kurzerhand die Melodie aus Jena mit neuem Text übernommen.[xxxvi] Neben „Alt-Heidelberg“ ist „Und in Jene“ eines der wenigen Lieder, die sich aus dem örtlichen studentischen Kontext in die überregionale Kommersbuch-Literatur verbreitet haben. Parallel dazu konnten diese beiden Lieder sich dann im volkstümlichen Liedgut ihrer Zeit etablieren. Auch heute sind sie durchaus bekannt – und immer noch beliebt.
Sophia Krüger
Herzlichen Dank an dieser Stelle an Raimund Lang und Thorsten Stepath, die mich zu diesem Thema inspiriert und mir ihre Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt haben. S. K.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der in Jena und München erscheinenden Netzzeitung Tabula Rasa.
[i] Vgl. Jena Wohnen, httpss://www.jenawohnen.de/aktuelles/archiv/detail/article/in-jene-lebt-sichs-bene.html. Letzter Zugriff: 10. April 2020.
[ii] Vgl. Ernst Abbé Chor, https://www.ernst-abbe-chor.de/Verein/. Letzter Zugriff: 10. April 2020.
[iii] Vgl. Siegfried, C.: „Meier, Ernst Heinrich“. In: Allgemeine Deutsche Biographie 21, Leipzig 1885, S. 189 – 192.
[iv] Spazier, Karl (Hrsg.) Zeitung für die elegante Welt. Mode, Unterhaltung, Kunst, Theater,), Berlin 1841, als Digitalisat über die Bayerische Staatsbibliothek abrufbar unter: httpss://reader.digitale-sammlungen.de//resolve/display/bsb105 32437.html, letzter Zugriff: 10. April 2020.
[v] Lewald, August, Album der Boudoirs, , Stuttgart 1839, S. 135 – 142.
[vi] Die Nutzung dieses Namens speziell für Lyrik und Liebestexte lässt die Vermutung zu, dass Meier wahrscheinlich schon früh eine wissenschaftliche Karriere anstrebte und sich durch die Verwendung eines Pseudonyms die Distanz zwischen seiner künstlerischen Tätigkeit und den Schriften als Gelehrter sowie seine seriöse Reputation erhalten wollte.
[vii] Da von diesem Gedichtband nur noch fünf Exemplare in Deutschland vorhanden sind, war es leider nicht möglich, den Inhalt einzusehen und so – falls das „Loblied“ darin abgedruckt wäre – die Autorschaft Meiers zweifelsfrei zu belegen. Auch in Gesprächen mit Thorsten Stepath und Raimund Lang konnten keine endgültigen Beweise gefunden werden, wenngleich seine Urheberschaft als höchst wahrscheinlich anzusehen ist.
[viii] Sein Name ist 1839 nicht in den Matrikeln der Universität Heidelberg zu finden. Eventuell war er als Lehrender oder privat vor Ort, was leider aktuell nicht belegt werden kann.
[ix] Als Referenz dient hier: Foshag, M. (Hrsg.), Allgemeines Deutsches Kommersbuch, 166. Auflage, Kehl am Rhein 2013, S. 224.
[x] Commers-Buch für den deutschen Studenten, 3. Auflage, Magdeburg 1858. S. 288.
[xi] Schauenburg, H. und E. (Hrsg.), Allgemeines Deutsches Commersbuch, 6. redigierte Auflage, Lahr 1861.
[xii] Vgl.: Linder-Beroud, Waltraud, „Wie badisch ist das Badnerlied? Zur Geschichte der Landeshymnen in Baden-Württemberg“, in: John, Eckhard (Hrsg.), Volkslied – Hymne – politisches Lied. Populäre Lieder in Baden-Württemberg, Münster 2003, S. 54 – 95, hier: S. 64ff.
[xiii] Die genaue Entstehungszeit sowie die Frage nach dem Komponisten der „Marseillaise“ sind umstritten. Als mögliche Daten werden 1781 (Giovanni Battista Viotti), 1787 (Jean-Baptiste Lucien Grisons) sowie 1792 (Claude Joseph Rouget de Lisle) diskutiert, wobei die heute geläufige Fassung der französischen Nationalhymne von Rouget de Lisle stammt.
[xiv] Vgl.: Linder-Beroud, „Wie badisch ist das Badnerlied?, S. 64.
[xv] Steinmetz, Max (Hrsg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58 – 1958, Festgabe zum 400jährigen Universitätsjubiläum, Jena 1958, S. 453, S. 466, S. 498 ff.
[xvi] Gerber, Stefan, Die Universität Jena 1850 – 1918, in: Traditionen, Brüche, Wandlungen. Die Universität Jena 1850 – 1995, Köln / Weimer / Wien 2009, S. 23 – 269, hier: S. 67.
[xvii] Gerber, Stefan, Die Universität Jena 1850 – 1918, S. 23.
[xviii] Gerber, Die Universität Jena 1850 – 1918, S. 206.
[xix] Lang, Raimund, Und in Jene lebt sich’s bene … Vertiefende Details zu einem beliebten Studentengesang, in: Festschrift des Corps Franconia-Jena zu Regensburg zu seinem 200. Stiftungsfest, Manuskript unpaginiert, in Druck.
[xx] Siehe dazu: httpss://geschichte.jena.de/de/chronik, Abschnitt „19. Jahrhundert“, Eintrag „1872“; illustriert wird dies durch das Stadtmuseum Jena: httpss://www.stadtmuseum-jena.de/fm/2316/Leutrafege-Irrgarten.jpg, Abruf beider Seiten am 17. Oktober 2020.
[xxi] Ebd.
[xxii] Die Zahl der Mühlen im Jenenser Innenstadtbereich, die verschiedenen Zwecken dienten, betrug noch im 19. Jahrhundert immerhin neun.
[xxiii] Lang, Raimund, Und in Jene lebt sich’s bene …, Manuskript.
[xxiv] Ebd.
[xxv] In der Originalversion ist der Wein gerade „zum Punsche recht“, er musste nach dieser Lesart also gesüßt werden, um überhaupt genießbar zu sein.
[xxvi] Rebmann, Andreas Georg Friedrich, Jena fängt an, mir zu gefallen – Stadt und Universität in Schriften und Briefen, Jena / Leipzig 1994, S. 13.
[xxvii] Rebmann, Jena fängt an, mir zu gefallen, S. 77.
[xxviii] Rebmann, Jena fängt an, mir zu gefallen, S. 72 f.
[xxix] Fiedler, Fritz, „In Schlafröcken darf man gehen…“ Ein kleiner Streifzug durch Lied, Jahrhunderte und Stadt, in: Paulinenbriefe, Nr. 12, Dezember 1993, S. 17.
[xxx] Vgl.: Koch, Herbert, Geschichte der Stadt Jena, Stuttgart 1966, S. 340.
[xxxi] Gerber, Die Universität Jena 1850 – 1918, S. 48: Im 19. Jahrhundert waren dies Sachsen-Gotha-Altenburg, Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Meiningen sowie Sachsen-Weimar-Eisenach; vgl. ebd., S. 48: Sachsen-Weimar hatte dabei die Position des „Erhalterstaates“ und spielte mithin die wichtigtes Rolle.
[xxxii] Vgl. ebd. der Originaltext der achten Strophe: Und die allerschönste Freiheit / Kommt in Jena an den Tag. / In Schlafröcken darf man gehen / Und den Bart sich lassen stehen, / Wie ein jeder will und mag.
[xxxiii] Bauer, Joachim, Universitätsgeschichte und Mythos – Erinnerung, Selbstvergewisserung und Selbstverständnis Jenaer Akademiker 1548 – 1858, Pallas Athene – Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 41, Stuttgart 2012, S. 191 – 196.
[xxxiv] Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, S. 197 – 210, insbes. 197 f.
[xxxv] Bauer, Universitätsgeschichte und Mythos, S. 211 – 219.
[xxxvi] Beispielsweise schrieb Leopold von Münchow nach 1905 den Text zu „Du mein Kiel“ auf diese Melodie.
Zu meiner Studienzeit in jena wurde auch eine Version gesungen, die sich auf den Studienablauf bezieht: „Und im ersten der Semester, wenn man nicht aus Jene ist. lâuft man nur von Amt zu Amte, Formulare. Formulare, aber rauf dir nicht die Haare. das Examen ist noch weit, und das Studium hat noch Zeit.“
Leider bekomme ich den Text bis auf einen weiteren Vers nicht mehr weiter zusammen. Vielleicht kann mir jemand helfen?