Religiöse Toleranz und Noblesse bis zum Schluß: der Burschenbunds-Convent

Marburg an der Lahn, 21. September 2024. Der Kommers zum 131. Stiftungsfest der paritätischen Verbindung Alsatia-Thuringia Marburg war zugleich der Schlußpunkt des in Dachverbänden verfassten jüdischen oder jüdisch geprägten Korporationswesens. Was Hitler um ein Haar geschafft hätte, besorgte dann 1973 der linksextreme SDS: die letzte jüdische geprägte, paritätische Verbindung überhaupt wurde von diesen Antisemiten unterwandert, musste den Aktivenbetrieb einstellen. Damit sank das Couleur derjenigen, die dem Antisemitismus immer und als einziger Dachverband widerstanden haben. Damit war dieser Kommers der finale Akt des in Verbänden organisierten, jüdisch geprägten Verbindungswesens insgesamt.

Die Alsatia-Thuringia existierte ab 1973 als Altherrenverband weiter, doch die bis dato lebenden Mitglieder, allesamt betagt, strichen nun, 51 Jahre später, das Couleur ihres dazugehörigen paritätischen Dachverbands. So sind es die Letzten von über 2.000, die sich an einem heiteren, aber auch melancholisch angehauchten Septemberabend über dem hessischen Lahntal zu ihrem letzten Stiftungsfestkommers versammelt haben: Die Alten Herren der B.C.-Bünde, allen voran die der Alsatia-Thuringia Marburg. Seit 2017 kommen sie auf dem Corpshaus der Hessen-Nassauer zusammen, denn dieses prachtvolle Anwesen befindet sich in unmittelbarer Nähe des einst noch reizvolleren, ehemaligen Alsatenhauses. Gerd Mohnfeld, langjähriger Vorsitzende des B.C., trat mit diesem Kommers in „einen innigen und anrührenden Abschied ein, der in dieser Form wohl einzigartig dasteht, getragen von silberhaariger Liebenswürdigkeit und keinesfalls selbstverständlicher Großzügigkeit, obendrein gepaart mit Unkonventionalität und Originalität“, so formulierte es PhDr. Dr. Gregor Gatscher-Riedl, der auch als Festredner gebeten war.

Das letzte Präsidium des B.C., in der Mitte Dr. Gerd Mohnfeld.

1919, der Weltkrieg war soeben offiziell beendet, wurde Burschenbunds-Convent gegründet. Quasi von Anfang an war er in Österreich und in der neu gegründeten Tschechoslowakei vertreten. Nach den Verboten, die 1933 im Dritten Reich und ab März 1938 in Österreich sofort alle jüdischen Verbindungen trafen, war der B.C. der „letzte als jüdisch wahrgenommene Korporationsverband“, wie Matthias Stickler, Leiter des Instituts für Hochschulkunde an der Würzburger Universität, in seiner Vertreterrede festhielt.

Wenn sich die B.C.-Verbindungen in Österreich selbst als „Burschenschaft“ bezeichneten, so ist dies erklärungsbedürftig. Damit ist exakt das Gegenteil von dem gemeint, was hierzulande unter diesem Begriff zu verstehen ist. Zwar national, aber nicht parteipolitisch, dafür fortschrittlich-liberal und für jederman offen, vor allem für alle Religionen. Genau dies war 1815 auch der Prinzipienkatalog der allerersten Burschenschaft in Jena gewesen, und daran orientierten sich die Budovisia, die Constantia, die Fidelitas und die Suevia, die in Wien die Repräsentanten des B.C. Sie waren dabei durchaus mensurbeflissen, aber vor allem war wichtig, dass antisemitische Standpunkte ihnen komplett fremd waren, worauf auch das völlig gleichberechtigte Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mitgliedern beruhte, egal, wie sehr der Antisemitismus auch in der sie umgebenden Gesellschaft grassieren mochte.

Bemerkenswerte Festrede: PhDr. Dr. Gregor Gatscher-Riedl auf dem letzten Kommers des B.C., neben ihm die Prunkfahne der Thuringia München, einer der Gründungsverbindungen der Alsatia-Thuringia.

Gatscher-Riedl erinnerte dann in seiner Festrede daran, dass in der gesellschaftlichen Wahrnehmung des B.C. die „Charakteristik als jüdischer Verband“ deutlich überwog, was aber weniger an diesem selbst, sondern vielmehr an einem bis ins Groteske antisemitisch verzerrten gesamtgesellschaftlichen Umfeld lag. Mit dem B.C. eng verbunden, dabei ebenfalls dezidiert paritätisch, waren die beiden liberalen Wiener Corps Marchia und Raetia. Von Fritz Roubicek, in den 1930er Jahren Mitglieder der zionistischen J.A.V. Unitas Wien, Überlebender des KZ Auschwitz und später, in den 1980er Jahren, für ein letztes Aufblühen des liberalen Corps Marchia verantwortlich, kommt die Überlieferung, dass vor 1938 die erbittertsten Widersacher der B.C.-Körperschaften auf dem Wiener Couleurboden nicht etwa die völkischen, sondern die zionistischen Verbindungen waren.

Auch das reminiszierte Gatscher-Riedl: Es mache wieder staunen, welche intellektuelle Kraft dem B.C., diesem ja kaum 2.000 Menschen zählenden Verband innewohnte und welche faszinierenden Leistungen für die studentenhistorische Zunft erbracht wurde. Hier sind der Leitstern Oskar Scheuer von der Fidelitas-Wien und der Barissa Prag, aber auch Otto Erich Ebert oder Paul Kisch zu nennen, beide Mitglieder der Saxonia Prag. Rund um Franz Kafka spannte sich sodann der deutschsprachige Prager Literaturkosmos mit dem Zentrum der „Lese- und Redehalle deutscher Studenten“, der die Prager B.C.-Bünde korporativ angehörten. Bruno Kafka, ein Neffe des berühmten Literaten, Mitglied der Moldavia Prag, leitete die Halle und übte mit ihr Einfluss auf die B.C.-Bünde ebenso wie auf das liberale, deutsch-fortschrittliche Lager in Österreich-Ungarn und der Ersten Tschechoslowakischen Republik aus.

„For Auld lang syne“: die letzte, hohe Ehrung des B.C. ging an das im schottischen Edinburgh wohnende Ehepaar McPhael.

Und nun ist das Geschichte. Dazu noch einmal Gregor Gatscher-Riedl: „Am Ende ist es das Zurückgeworfen-Sein auf die Bundesbrüderlichkeit, wobei der BC in seiner weltanschaulichen Breite und seiner ausgeprägten, nicht bloß statutarisch-papierenen Toleranz eine besondere Rolle in der farbenstudentischen Ökologie einnimmt.“ Und zu dieser weltoffenen farbenstudentischen Ökologie passte es ganz genau, dass Mohnfeld auf dem Schlusskommers seines B.C. zwei bewährten Freunden, dem in Schottland lebenden Ehepaar McPhael je einen prachtvollen Freundschaftszipfel überreichte. Die McPhaels, die Ehefrau stammt aus Marburg und ist die jüngere Schwester eines verstorbenen Alsaten, revanchierten sich mit einem so anrührenden wie eigentümlichen Ritual, bei dem ein uralter, mehrere Liter fassender Pokal aus reinem, getriebenem Silber, ein großartiger, wohl kaum viel jüngerer Whisky und das in diesem Rahmen mehr als passende, äußerst symbolträchtige, uralte schottische Lied „Auld Lang Syne“ die tragenden Elemente darstellten.

Ja, nun ist der ruhmreiche B.C. nach 105 Jahren Geschichte. Die alten Alsaten werden sich weiterhin treffen, aber ihre Geschichtsschreibung haben sie nun abgeschlossen. Dr. Gerd Mohnfeld, Prof. Dr. Matthias Stickler und PhDr. Dr. Gregor Gatscher-Riedl ist es vorbehalten, als Autorenteam die Geschichte des B.C. in würdiger Buchform zu präsentieren, was zweifelsohne gelingen wird, Der renommierte Verlag Hentrich & Hentrich, Leipzig, wird den Band verlegen. Sobald er vorliegt, werden wir berichten.

Sebastian Sigler

Die letzte Couleurkarte des B.C., verausgabt am 21. September 2024 in Marburg an der Lahn.

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