Im Jahre 2018 hat Michael Feldkamp eine Biographie des Papstes Pius XII. vorgelegt. Das war mutig. Im selben Jahr würde, das war vorab bekannt, der Vatikan umfangreiche Akten über den 1958 verstorbenen Pius, der das Ehrenband des CV Trifels trug, freigeben. Doch Feldkamps Analysen halten den neuen Fakten stand, seine Biographie ist hochaktuell! Sie ist zur dringend benötigten Verteidigungsschrift für einen oft verleumdeten Papst geraten. Insbesondere ist der Dichter Rolf Hochhuth, der 1963 das seinerzeit vielbeachtete Theaterstück „Der Stellvertreter“ veröffentlichte, nun vollständig widerlegt, ja, der Lüge überführt. Die Seligsprechung Pius‘ XII. steht aus.
Aktuell ist diese Biographie, weil wieder Krieg ist in Europa, weil wieder die Ukraine Schauplatz schrecklicher Kämpfe ist, weil wieder Christen inständig um Frieden beten. Hier wird sie besprochen, weil nicht nur der Papst, sondern auch sein Biograph korporiert sind. – Knapp, wesentliches betonend, zeichnet Feldkamp das Bild eines Mannes, der als Apostolischer Nuntius in Bayern und im Deutschen Reich wahrlich viel Erfahrung mit deutschen Sozialisten und Glaubensfeinden sammeln konnte, angefangen von der Räterepublik in Bayern, in der auch ein Sozialist namens Hitler seine politische Laufbahn beginnen sollte. Eugenio Pacelli, so sein bürgerlicher Name, war seit seiner Zeit als Päpstlicher Nuntius in Bayern Mitglied der CV-Verbindung Trifels München. Das Lebensbild komplettiert die Gesamtanalyse zur theologischen und diplomatischen Lebensleistung Pius XII., zudem lesen sich diese Passagen teils spannend wie ein Krimi, ohne je das Terrain der wissenschaftlichen Arbeit zu verlassen – bis hin zur genauen Schilderung der Besuche v. Ribbentrops beim Papst, in denen der deutsche Außenminister dem Heiligen Vater ganz unverhohlen drohte – alles im Auftrag Hitlers.
Tagtäglich stand Pius das unsägliche Leid vor Augen, das immer weiter um sich griff, je aggressiver die deutsche Kriegsmaschinerie wurde. Feldkamp lässt daran keinen Zweifel, sehr sachlich und immer bestens mit Belegen gesichert zeichnet er ein völlig kohärentes Bild eines mit all seinen Kräften und Möglichkeiten gegen Verfolgung und Völkermord arbeitenden Papstes. Immer dann, wenn Pius zum Schweigen gezwungen war, um nicht durch Proteste noch mehr Verfolgung hervorzurufen – das war bei den Nationalsozialisten zu erwarten –, kostete ihn dieser Verzicht auf Protest „fast übermenschliche Anstrengungen“, wie Feldkamp aus der Korrespondenz mit dem Kölner Erzbischof Josef Frings herausarbeitete. Das betrifft konkret den Fall der Niederlande, wo Pius eine Ausweitung der ohnehin schon katastrophalen Verfolgung befürchtete. Diese trat ein, und er durfte keinen Aufschrei für die Menschlichkeit, gegen die Gewaltherrschaft wagen. Mehr Menschen wären gestorben.
Feldmann, der zu Studienzeiten der KV-Verbindung Arminia Bonn beitrat, zu deren Altherrenschaft unter anderen vier Reichs- oder Bundeskanzler gehörten, und der genauso Mitglied der kaum weniger bedeutenden KV-Verbindung Askania-Burgundia Berlin ist – Feldmann also glänzt durch Analysen, die ihn als profunden Historiker und gleichermaßen als geheimen Diplomaten ausweisen. Er versteht es meisterhaft, einerseits die Bedenken und Schmerzpunkte der Gegner zu verbalisieren und zugleich völlig sachlich und überzeugend darzulegen, daß Pius nicht nur seine Möglichkeiten geschickt nutzte, sondern sich auch diplomatische seine unverzichtbaren Spielräume erhielt – und das, obwohl er im Vatikan de facto gefangengehalten wurde. Denn Rom war in den entscheidenden Monaten, als es um den bekanntwerdenden Völkermord an den europäischen Juden ging, von deutschen Truppen besetzt.
Sehr überzeugend zitiert Feldmann den jüdischen Diplomaten und Religionphilosophen Pinchas Lapide, der einerseits festhielt, daß die katholische Kirche – von Pius XII. angeführt! – zwischen 700.000 und 850.000 Juden das Leben rettete, daß sich andererseits die westlichen Demokratien und das Rote Kreuz schwere Unterlassungen bei der ihnen möglichen Rettung unzähliger Juden vorwerfen lassen müssen. Das ist starker Tobak. Aber es entspricht der bitteren Wahrheit.
Die Nachwirkungen der Verunglimpfungen, denen das andenken an Pius XII. ausgesetzt wurde, haben buchstäblich bis zur Öffnung der Vatikanischen Archive angehalten, sie ziehen sich dementsprechend durch Feldmann Buch als ein roter Faden. Mit Respekt erfüllt den Leser zum Beispiel, wie Papst Johannes Paul II. den in Rom lebenden Kurienkardinal Cassidy, einen Australier, bat, ein Schriftstück zu verfassen, das Regeln und Grundsätze enthalten solle, damit sich ein Holocaust – von wem an wem auch immer – nie wieder holen könne. Weil Kritik an an Pius XII. in dieser Schrift fehlte, hagelte es Kritik von der politischen Linken am Vatikan. Zu unrecht, wie wir jetzt wissen. Pius XII. hat nicht so gehandelt, daß irgendwelche Kritik berechtigt wäre.
Jahrzehntelang war das Bild, das von Pius XII. im Raum stand, unklar, janusköpfig und sogar eher zwielichtig. Nun ist es gereinigt. Dem durchaus klar adressierten Bedauern Feldmanns, daß es den vorwiegend von kommunistischer Propaganda vollgesogenen Papstkritikern und Kirchenfeinden gelang, ein Seligsprechungsverfahren für Pius XII. bis dato zu verhindern, schließt sich der Rezensent vollumfänglich an. Rolf Hochhuth – pereat! – steht mit seinem Theaterstück „Der Stellvertreter“ posthum als Schmierfink da.
Pius XII. darf als großer Retter von Juden zur Zeit der Shoah gelten. Feldkamp wusste bereits 2018, wo dieser Papst stand. Drei Jahre später, nachdem er selbst im Vatikan geforscht hat, wissen dank dieser Biographie und seiner demnächst erscheinenden Übersetzung des Buches „Das Büro des Papstes – Pius XII. und die Juden“ aus der Feder des Direktors des historischen Archivs der Abteilung für die Beziehungen zu den Staaten des Staatssekretariats des Heiligen Stuhls, Johan Ickx, nun alle, wie richtig auch Feldmann damals schon lag. Personenregister, Zeittafel und eine gute Bibliographie zeichnen seinen kleinen, aber sehr gediegenen Band aus.
Den Vatikan News gegenüber resümierte Feldmann jüngst: „Das Spannende ist jetzt, dass wir heute schätzen können, dass Pius XII. persönlich etwa 15.000 Juden gerettet hat, und zwar durch seinen persönlichen Einsatz, indem er die Klöster geöffnet hat, indem er die Klausur aufgehoben hat, damit dort Menschen versteckt werden können und so weiter. Das ist alles eine riesige Sensation! Die Archivbefunde, die ich jetzt im Vatikan gefunden habe, zeigen mir, wie genau Pacelli informiert gewesen ist.“ Und er ergänzt: „Das Problem mit dem Schweigen ist natürlich immer noch da. Aber es ist jetzt als vernünftig zu betrachten, wenn man bedenkt, dass er in Geheimoperationen hier Menschen in Verstecke brachte. Dann konnte er ja nicht die öffentliche Aufmerksamkeit noch mal zusätzlich auf sich lenken.“ Vor diesem Hintergrund ist und bleibt Feldkamp Pius-Biographie ein glänzend recherchiertes, aktuelles Buch. Es gehört im Bücherschrank exakt an die Leerstelle, die der stillschweigend aussortierte „Stellvertreter“ des entzauberten Rolf Hochhuth hinterließ.
Sebastian Sigler
Michael Feldkamp, „Pius XII. – Ein Papst für Deutschland, Europa und die Welt“, Propyläen des christlichen Abendlandes, Bd. 2, Aachen 2018, 193 Seiten, broschiert, ISBN 978-3-86417-114-7, 14,80 Euro.
Ein Kommentar zu “Pius XII. – korporierter Retter der Juden in der Zeit des Nationalsozialismus”