Liebevolle „Barfuß“-Ironie bei den Studentenhistorikern des VfcG

Der prominenteste studentenhistorische Vertreter der Zunft der Barfußhistoriker ist zweifelsohne Prof. Dr. Hans Peter Hümmer, habilitiert hat er sich als Chirurg und Kinderchirurg. Seit 27 Jahren obliegt ihm die Schriftleitung des Jahrbuches „Einst & Jetzt“. Seine Planungen und Themen standen im Mittelpunkt der diesjährigen Mitgliederversammlung des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung (VfcG), dessen Zweck und Aufgabe die Herausgabe ebendieses höchst angesehenen Jahrbuches ist.

2025 erstmals Schaupletz der jährlichen Mitgliederversammlung des VfcG: die Wachenburg über Weinheim, Sitz und Eigentum der Weinheimer Corpsstudenten

Es war aber nicht der größte Barfußhistoriker, sondern der Vorsitzende des Vorstandsgremiums im VfcG, Prof. Dr. Martin Dossmann, der die versammelten Historiker, darunter in der Mehrzahl Barfußhistoriker, erstmals auf der Wachenburg über Weinheim begrüßen konnte, sozusagen einem der Gipfel des Corpsstudententums. 70 Jahre nach Gründung des VfcG wurde dieser erstmals erklommen, das erwähnte Dossmann gleich in seiner Begrüßung. Erfreut berichtete er sodann in seinem Tätigkeitsbericht, dass bei den Mitgliederzahlen des VfcG eine Wende geschafft werden konnte. Die Zahl der Bezieher des Jahrbuches „Einst & Jetzt“ konnte binnen eines Jahres um rund sieben Prozent gesteigert werden, was beachtlich ist, und liegt nun bei rund 1.060. Diese Trendwende ist zum größten Teil dem beharrlichen Wirken des Vorsitzenden geschuldet.

Mehrheitlich Barfußhistoriker und immer gutgelaunt: die fünf Vorstandsmitglieder des VfcG, an ihrer Spitze Dossmann Guestphaliae Bonn, Isariae, Rhenaniae Freiburg (mittig), sodann v.l.n.r. Heglmeier Alemanniae München, Hümmer Onoldiae, Grub Saxoniae-Berlin zu Aachen, Marchiae Brünn zu Trier, Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam, Guestphaliae Halle.

Der bereits genannte Schriftleiter Hümmer, zugleich Dossmanns Stellvertreter, fügte auf der Jahresversammlung des VfcG umfangreiche statistische Angaben zur Verbandszugehörigkeit und den wissenschaftlichen Qualifikationen der Barfußhistoriker an, die im Jahrbuch Einst & Jetzt, Band 70, mit durchwegs höchst qualifizierten und bestens lektorierten Beiträgen vertreten sind. Im übrigen war er es, der den Begriff des Barfußhistorikers überhaupt erst aufs Parkett brachte – und selbst auch gleich ausführlich kommentierte. – Höchst solide, mustergültig pünktlich und 100 Prozent akkurat waren sodann Bericht und Haushaltsentwurf, die Vereinsfinanzen und die Haushaltsplanungen der kommenden Jahre betreffend, präsentiert von Schatzmeister Dr. Joachim Grub.

Ein wilder Stier wird frenetish bejubelt, und das bei durchaus genügend Bier. So schaut es aus, das neue, größtenteils barfußhistorische Jahrbuch des VfcG, in dem die Studentengeschichte auf höchstem wissenschaftlichem Niveau, aber nie ohne Humor und Augenzwinkern betrieben wird.

Eine der derzeit profiliertesten Persönlichkeiten in der Zunft der Barfußhistoriker ist der Arzt und Autor Dr. Bernhard Grün. Er war gebeten, den Festvortrag auf der Versammlung des VfcG zu halten. Anlaß dafür ist das Erscheinen des ersten von insgesamt mindestens acht Bänden, in denen er sich umfassend und grundlegend mit dem Kameradschaftswesen beschäftigt, das während der NS-Zeit erzwungenermaßen die von der Hitler-Diktatur ausnahmslos verbotenen Studentenverbindungen ersetzte. Grün hat sich zum Ziel gesetzt, sämtliche Kameradschaften und Altherrenschaften an deutschen Hoch- und Höheren Fachschulen ortsweise einzeln zu erfassen und darzustellen. Entstanden ist dieses Werk – nach dem vorliegenden Doppelband der Bereiche „Berlin und Ostland“ befindet sich der Band über den Bereich „Nord“ aktuell im Druck – nach mehr als 25-jähriger Vorarbeit mit Recherchen in zahlreichen Archiven und Bibliotheken sowie anhand von Zeitzeugengesprächen.

Dr. Grün bat zu Beginn seines Vortrags darum, die Schuhe anbehalten zu dürfen – ist er doch auch ein Barfußhistoriker. Nachdem dies gestattet worden war, berichtete er, daß sich, anders als bisher meist angenommen, während des Krieges hinter wohlgehüteter Fassade eine umfangreiche Restauration des Verbindungswesens ereignete. Es war eine Wiederbetätigung und Traditonswahrung im Namen von Freiheit und Demokratie, ein widerständiges Milieu ungeahnten Ausmaßes, das mangels Akten und öffentlichem Auftreten bis dato weitgehend unbeachtet und auch unbearbeitet blieb. Nach Kriegsende wurde dieses studentische Milieu zum Ausgangspunkt des Neuanfangs nicht nur vieler Korporationen, sondern auch mannigfaltig positionierter, demokratisch verfaßter Studentenschaften wurde.

Auf erfreuliche Weise unaufgeregt, dabei aber sehr professionell war im übrigen die Organisation der Weinheimtagung. Minutiös alles geplant, jeder trug Schuhe, die meisten davon sogar recht ordentlich, und jederzeit waren hilfreiche Hände und freundliche Gesichter zur Stelle – von der Perfektion der Weinheimer Corpsstudenten, die sich wie die Studentenhistoriker ebenfalls sehr liebevoll selbst als „Schmieröler“ auf die Schuppe nehmen können, dürfen sich nicht nur selbstverliebte Kösener noch ein tüchtige Doppelscheibe abschneiden. So lässt es sich mit Gelassenheit, Stil und solidem Schuhwerk, das auf der Wachenburg ob des steilen Anmarsches selbst dem einen oder anderen Barfußhistoriker gegönnt war, bestens feiern. Anwesende Fachhistoriker bestätigten im übrigen, daß die barfüßigen Kollegen im Bereich der Studentengeschichte ihnen in puncto Kenntnis und Quellenarbeit keinesfalls nachstehen. Was auch ein gutes Omen für den VfcG insgesamt sein mag.

Sebastian Sigler

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