Verbindungen zur Zeit ihres Verbots: Geschichte der NS-Kameradschaften

Die Zeit im Nationalsozialismus, insbesondere die der NS-Kameradschaften, wird in der Geschichtsschreibung der einzelnen Korporationen meist stiefmütterlich behandelt. Diese NS-Kameradschaften sind das Forschungsobjekt von Dr. med. Bernhard Grün, KDStV Markomannia Würzburg et. al. – seit über 30 Jahren beschäftigt ihn dieser zugegebenermaßen schwierige Aspekt der Studentengeschichte. Nachdem er erst einzelne Kameradschaften, dann die in ganzen Universitätsstädten durch Quellenstudium, weitgehend aus Korporationsarchiven, aus Privatbesitz und mit Hilfe von Zeitzeugen aufgearbeitet hatte, wagte er sich an eine Synopse; auch die Publikationen des NSDStB / Altherrenbundes arbeitete er sorgfältig ein.

Nun erscheint der erste Teilband seines Opus magnum. Grün fasst seine Forschungsergebnisse regional geordnet zusammen. Der aktuelle Band erscheint als Band 4 der IDS-Reihe des Instituts Deutsche Studentengeschichte, das zur GDS gehört. Teilband I und II sind zusammengefasst, die Bereiche Berlin und Ostland mit Danzig, Königsberg und Breslau finden Berücksichtigung. Insgesamt konnte Grün 1.308 Kameradschaften und 810 Altherren(kamerad)schaften nachweisen. Das Gesamtwerk ist auf nicht weniger als zehn Teilbände einschließlich eines Registerbandes angelegt, die sukzessive veröffentlicht werden sollen.

Schlichtes Blau: inzwischen das Markenzeichen der IDS-Bände.

Die Einleitung beschäftigt sich mit dem Kameradschaftswesen, dessen Entstehung und Entwicklung von der Wohnkameradschaft mittels des „Feickert-Planes“ auf den Korporationshäusern, über die Formationskameradschaften von SA, SS, HJ, NSKK und die Stammannschaften des NSDStB zu den NS-Kameradschaften im NSDStB mit Altherrenschaft, bestehend aus Alten Herren der aufgelösten, zumeist waffenstudentischen Korporationen, die vor allem die nötigen Häuser zur Verfügung stellten. Danach erfolgt die Befassung mit den einzelnen Hochschulen und den am Ort bestandenen Kameradschaften. Nach diesem wesentlichen Teil der Geschichte der jeweiligen Hochschulen, also Universitäten, Hochschulen für Musik und Ingenieurschulen bis zu Fachschulen, folgt die Darstellung der Geschichte der Einzel-Kameradschaften. Die Illustration beschränkt sich auf Bilder zur Hochschule und die Farben und Zirkel der Altherrenschaften; in Ausnahmefällen hatten die Kameradschaften eigene Farben und Zirkel, vor allem in den Jahren ab 1941, als sie sich zusehends „korporatisierten“, also sich vielerorts den bewährten Korporationen und ihren Traditionen annäherten. Wie Grün richtig schreibt, ist immer eine differenzierte Betrachtung vonnöten. Die alleinige Wertung von zeitgenössischen gedruckten Meinungsäußerungen ist mit Vorsicht und vor allem im jeweiligen Kontext zu betrachten. Dass sich die Korporationen aber auch mit diesem Teil ihrer Geschichte als „notwendigem Akt der Selbstreflexion“ beschäftigen, ist sein Petitum.

Das Buch ist mit zahlreichen Quellenangaben und einer Fülle von Fußnoten versehen. Hier werden nicht nur zu den erwähnten Personen und Verbindungen Informationen geboten, sondern auch zu weiteren teilweise Prominenten. Interessant sind hier die Karrieren bis und nach 1945. Nachteilig ist, dass dabei zum Teil auf Ausführungen zu nicht in diesem Band dokumentierten Kameradschaften verwiesen wird, was für die aktuelle Lektüre etwas störend wirkt.

Interessante Einblicke und Aufschlüsse: alle Farben der Kameradschaften und der Ursprungsverbindungen: Grün hat sie.

Dem Buch merkt man in allen Teilen an, dass sein Autor enorme Arbeit und Aufwand in sein Forschungsprojekt investiert hat. Manchmal will Grün aber auch einfach zu viel des Guten, unverkennbar hat er eine Neigung zu Schachtelsätzen. Die Lektüre ist aber trotz einiger notwendiger Wiederholungen, die der Materie geschuldet sind, stets hochinteressant. Der Überblick über so viele Kameradschaften ermöglicht auch den Abgleich mit den in der Einleitung vermittelten Geschichte: Einige Kameradschaften bleiben militärisch straff geführte NSDStB-Einheiten mit viel ideologischer Schulung, andere waren eher getarnte Weiterführungen der Korporationen, die teilweise später sogar Farben trugen und Mensuren fochten. Auch der Umgang mit der Forderung des NS-Altherrenbunds, die Hausvereine der Korporationen durch Annahme der „Mustersatzung“ seit 1941 in Altherrenschaften umzugründen, was zum Verlust des Hauses nach 1945 führte, war unterschiedlich.

Im Ergebnis haben die nach 1945 sich wiedergründenden Korporationen nur in geringer Zahl die ehemaligen Kameraden in ihre Reihen aufgenommen, auch wenn sie teilweise noch in Übergangsorganisationen wie Studentenvereinen und -clubs Mitglied waren. Im Fall des WSC scheiterte das zusätzlich an der Forderung, die Pflichtmensuren auf die Corpsfarben nachzufechten.

Interessant ist auch die Namensgebung, die anfänglich immer nach dem jeweiligen Kameradschaftsführer, dann aber vorrangig nach politischen Gesichtspunkten durch die Reichsstudentenführung erfolgte. Hier wurden NS-Märtyrer, Personen der deutschen Geschichte oder Regionalbezeichnungen herangezogen. Die Vergabe beliebter Namen wie Bismarck, Arndt, Flex usw. war einmalig pro Gau beschränkt.

Im vorliegenden Band wird speziell auch über die deutsch-baltischen Korporationen berichtet, deren Mitglieder gemäß Vereinbarung zwischen Hitler und Stalin das Baltikum verlassen mussten und sich in Posen an der neu gegründeten kurzlebigen Reichsuniversität ansiedelten. Auch diese waren bereits vor 1939 durch die NS-nahe „Bewegung“ gespalten worden. Ihre Nachkommen bestehen heute noch in Hamburg, Göttingen und München.

Alles in allem ist der Band eine ebenso anspruchsvolle wie spannende Lektüre für Historiker wie interessierte Laien. Verbindungen werden vorrangig eher die für sie relevanten Einzelbände erwerben, Institutionen wie Archive und Bibliotheken sicher die ganze Reihe. Anregenswert wäre ein weiterer Teilband, der die zu den Kameradschaften vorhandenen Fotos vereint. Wünschenswert wären ein noch präziseres Lektorat der angekündigten Folgebände sowie ein Gesamtpersonen- und Sachverzeichnis. Der Preis ist angesichts des enormen Umfangs erschwinglich dank großzügiger Fördermittel zweier Stiftungen.

Michael Hacker

Bernhard Grün: Zwischen Revolution und Rekonstitution. Die Kameradschaften des NSD-Studentenbundes und Altherrenschaften im NS-Altherrenbund an den deutschen Hoch- und höheren Fachschulen 1937 bis 1945, Teilband 4/I u. II: Bereiche BERLIN und OSTLAND. Bad Buchau 2024, 636 S.; € 38.

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