Eine Welt, die einem Corpsstudenten gut zu Gesicht stünde, mag man denken, indes: Bruno Cassirer, über den jetzt ein schönes, handliches Büchlein erschien, war nicht korporiert. Aber ein Corpsstudent schreibt über ihn – kein Geringerer als Robert v. Lucius Saxo-Borussiae Heidelberg EM, Borussiae Bonn, höchst profiliert als Journalist und auch als Studentenhistoriker.
Bruno Cassirer, geboren 1872, im erzwungenen Exil 1941 gestorben, darf als der bedeutendste Verleger von Büchern über Kunst und Künstler hierzulande im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelten. Als Galerist war er gemeinsam mit seinem Vetter Paul Wegbereiter des Verständnisses für den französischen Impressionismus in Deutschland. Viele Künstler von Rang, vor allem Max Slevogt und Max Liebermann, die auch viele seiner Werke illustrierten, verdanken ihm ihre Bekanntheit. Nicht zuletzt war seine Zeitschrift „Kunst und Künstler“ in diesen Jahrzehnten das wichtigste deutschsprachige Periodikum zur Kunstvermittlung.

Mit Leidenschaft verlegte Cassirer vor allem aber seine Bücher. Kein anderer Verleger legte mehr Wert auf die graphische und haptische Gestaltung. Zwei seiner Lektoren – Christian Morgenstern und Max Tau, Letzterer nach der Shoa der erste Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels – entdeckten im kongenialen inhaltlichen Zusammenspiel mit Cassirer eine ganze Anzahl wichtiger Autoren und Maler, neben den bereits genannten Slevogt und Liebermann finden sich hier Max Beckmann, Ernst Bloch, Marc Chagall, Else Lasker-Schüler, Ferdinand Lassalle und Heinrich Mann. Robert v. Lucius gibt hier wichtige Hinweise, ohne langatmig zu werden.
Cassirer war familiär, sozusagen, ausgezeichnet vernetzt; der zu Lebzeiten wirkmächtige Philiosoph Ernst Cassirer gehörte zu seiner Verwandtschaft, und die Ehefrau seines bereits erwähnten Vetters Paul war die prominente Schauspielerin Tilla Durieux. Ganz passend dazu war der Trabrennsport Cassirers große Passion als Privatmann, als profilierte Persönlichkeit im bürgerlichen – ja, großbürgerlichen – Berlin der wilhelminischen Zeit des Deutschen Kaiserreiches. Als Herr von Format, als Unternehmer, als Visionär war er auch in der Weimarer Republik Mentor und Ermöglicher einer fast unüberschaubar großen Zahl von Trabrennen, über insgesamt drei Jahrzehnte hinweg; nicht zuletzt verdankt ihm die Berliner Trabrennbahn Mariendorf ihre Rettung vor Bankrott und Abriss. Erst gegen Ende – und in einem Kapitel, das gerne eine Spur ausführlicher hätte sein dürfen – schildert der Autor diese faszinierende Seite Cassirers.
Politische Radikalisierung, Weltwirtschaftskrise, Gewalt auf den Straßen. Die Zeiten verdüsterten sich, der Nationalsozialismus gewann immer mehr an Boden. Stück für Stück wurde Bruno Cassirer in den 1930er Jahren als Unternehmer verfemt und entrechtet. Robert von Lucius spricht unaufgeregt harte Wahrheiten klar aus, ohne jedoch seinen feinen, immer etwas distanzierten Tonfall zu verlassen. Ja, aus allen ehrenamtlichen Funktionen im Trabrennsport, wo er nicht zuletzt als uneigennütziger Finanzier auftrat, wurde Cassirer auf schäbigste Weise hinausgedrängt. 1938 blieb nur noch die Flucht – Großbritannien war für ihn ein rettendes Ufer. Im selben Jahr gründete er bereits einen Verlag in Oxford. Wieder war er erfolgreich, doch er wurde nie heimisch auf der britischen Insel.
1941 starb Bruno Cassirer, und es drängt sich der Eindruck auf, als sei er fast ganz aus Heimweh gestorben, fällt doch in jenes Jahr auch die Zwangsversteigerung seiner durch die Nazis enteigneten, bedeutenden Kunstsammlung. Robert v. Lucius entwickelt die Nuancen dieser Lebenstragik mit immens viel Feingefühl. Die Möglichkeit zum Vergleich mit dem im Literaturbetrieb kaum weniger bedeutenden Max Tau, den der Autor persönlich gut kannte, kommt ihm dabei zupasse. Immer gelingt es dem Autor, unaufdringlich zu illustrieren, wie bedeutend, aber auch diskret und bescheiden die jüdische Intellektuellenfamilie war, aus der Bruno Cassirer kam. Fast vergleichbar mit den Mendelssohns, die mehr als ein Jahrhundert früher in Berlin wirkten, zählen die Cassirers zu den wirkmächtigsten Familien der jüngeren deutschen Geistesgeschichte, zu den Baumeistern des deutschen Bürgertums im besten und liberalen Sinne.
Mit erzwungenem Exil, eklantanter Entrechtung, entsetzlicher Ermordung erlosch dieses Bürgertum, dem die Cassirers angehörten, durch die Hände sozialistisch – nota bene! – fundierter Akteure des Nationalsozialismus, denen das intellektuelle, philosophisch höchst gebildete, international weitblickende Bürgertum zutiefst verhaßt war. Weil sie es weder ermessen noch verstehen konnten. Wieviel aber Bruno Cassirer verstand, wie weit er blickte, das zeigt Robert v. Lucius mit seinem neuen, sehr gelungen Buch im Handgepäckformat, das als Nr. 341 der Reihe „Jüdische Miniaturen“ beim renommierten Verlag Hentrich & Hentrich erschienen ist.
Sebastian Sigler
Robert v. Lucius, Bruno Cassirer – Verleger, Kunsthändler und Mentor des Trabrennsports, Leipzig 2025, 74 Seiten, Broschur, 20 Abbildungen, ISBN 978-3-95565-740-6; 8,90 Euro.