Studentenhistoriker: glanzvolle und ertragreiche Jahrhunderttagung am Neckar

Heidelberg ist immer eine Reise wert, das wissen unzählige Touristen aus aller Welt. In der Zeit vom 10. bis 13. Oktober 2024 konnten ihnen die Reiseführer eine Attraktion mehr bieten: echte Couleurstudenten! Korporierte aus ganz Europa, insgesamt über 120, dabei auch einige Ehefrauen und zwei Kinder, taten ihrerseits die Freude über das Wiedersehen in der Stadt der Studentenromatik gutgelaunt kund, allen voran der mit 13 Monaten wohl jüngste Teilnehmer in einem Jahrhundert Studentengeschichte, der mit Eltern und Großeltern aus der Schweiz angereist war.

Die Schauplätze der 10. Europäischen Studentenhistorikertagung, zugleich Jubiläumsveranstaltung „100 Jahre Arbeitskreis Studentenhistoriker“, waren die Häuser von T! Ghibellinia, L! Zaringia, C! Suevia und C! Thuringia sowie, sehr prominent, die Heiliggeistkirche – dort fand ein echter, fast zweistündiger Festakt statt, mit großer Festrede und der internationalen Hymne der Studenten, dem Gaudeamus igitur. Zum Rahmenprogramm gehörten der Karzer, das Universitätsmuseum, die Alte Aula sowie das studentische Traditionsgasthaus „Zum Roten Ochsen“; dies alles soll in Bälde auch hier auf der Webseite optisch dargetan werden, die hier wenigen, gelieferten Konferenzbilder sind nur als ein Vorgeschmack gedacht. – Dr. Sebastian Sigler als „Präsident“ hatte mit kräftiger Unterstützung eines „Ortskomitees“, bestehend aus Dr. Gerhart Berger und weiteren Studentenhistorikern, ein vielfältiges Programm zusammengestellt. Dazu trugen auch Studentenhistoriker aus der Schweiz und Österreich bei, so wie es auf der seit 1988 vierjährigen Turnus reihum in Österreich, der Schweiz und Deutschland stattfindenden „Europäischen“ Studentenhistorikertagung gute Sitte ist. Auch durch kurzfristige Absagen von Räumlichkeiten und den krankheitsbedingten Ausfall eines Referenten ließ Dr. Sigler sich nicht aus der Ruhe bringen. Er begrüßte alle Teilnehmer auch im Namen des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte (ÖVfStG) und der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte (SVSt), der beiden Mitveranstalter.

Gelungener Auftakt: Oliver Mohr auf dem Ghibellinenhaus, einem Barockbau. zur Zeit des Rokoko als Dreiflügelpalais ausgebaut.

Den Auftakt machte die Veranstaltung am Donnerstagabend bei T! Ghibellinia, bei der Oliver Mohr ein Heimspiel hatte, als er über Joseph Anton Mittermaier und dessen Rolle als Präsident des Vorparlaments der Paulskirche 1848 in Frankfurt vortrug. Dr. Helma Brunck vergegenwärtigte dann, wie die Burschenschaft Heinrich von Gagern, den Präsidenten des eigentlichen Paulskirchenparlaments, prägte. Danach erfreuten sich die schon an diesem Auftaktabend zahlreich angereisten Teilnehmer an der Gastfreundschaft der Turnerschafter sowie den interessanten Gesprächen.

Der Freitag begann akademisch um 11 Uhr c.t. mit der Besichtigung von Karzer, Universitätsmuseum und Alter Aula im alten Hauptgebäude. Dank der Erläuterungen der ortskundigen Korporierten wurde auch die anschließende spontane Stadtführung auf dem Weg zum Mittagessen „Zum Roten Ochsen“ zur Bildungsveranstaltung, ebenso wie auch das historische Ambiente, das dieses alten Studentenlokals mit seiner historischen Ausstattung in Form von Bildern, Trinkhörnern und Bestuhlung fast einzigartig macht.

Festakt in der Heiliggseistkirche, Heidelberg: Prof Dr. Klaus-Peter Schroeder im Talar, naben ihm v.l.n.r.: Dr. Bernhard Grün; Christian Oppermann, Dr. Peter Kaupp (beide GfbG); AKSt-Leiter Dr. Sebastian Sigler; SVSt-Präsident Severin Stadler.

Der Festakt zum 100-jährigen Bestehen des Arbeitskreises wurde am Freitag um 15 Uhr am prominentesten Ort der Stadt gefeiert, ausgenommen vielleicht das Schloss – in der Heiliggeistkirche, dem Gründungsort der Ruperto-Carola. Oberbürgermeister Prof. Dr. Eckart Würzner – selbst Heidelberger Schwabe – hatte ein Grußwort gesandt. Gratulationen kamen vom Österreichischen Verein für Studentengeschichte ebenso wie von der Schweizerische Vereinigung für Studentengeschichte, der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung, dem Verein für corpsstudentische Geschichtsforschung sowie dem Convent Deutscher Akademikerverbände.

Dr. Harald Pfeiffer war es zu verdanken, dass der AKSt seinen Festakt in der großen Heiliggeistkirche abhalten konnte. Dabei agierte Dr. Pfeiffer, AH des VDSt Heidelberg, als Organist an der großen Chororgel, als Pianist auf dem Steinway-Flügel und als Trompeter bei „Gaudeamus igitur“ und „In allen guten Stunden“ mit dem Goethe-Text. Die große Festrede hielt Prof. Dr. Klaus-Peter Schroeder von der juristischen Fakultät der Ruperto Carola zum Thema „Heidelberger Studentenleben am Vorabend des Ersten Weltkrieges“. Hierzu war er im Talar mit dem Barrett der Fakultät erschienen, das er aber mit seiner Begrüßung gegen den Stürmer seiner Heidelberger Franken tauschte. Iwan Durrer, als Bierorgel europaweit bekannt und gefragt, unterstützte musiklaisch am Flügel. Als Abschluss sangen die Studentenhistoriker, von Dr. Pfeiffer an der Orgel begleitet, „Großer Gott, wir loben dich“, letzteres eigentlich ein anrührendes Gebet in Liedform.

Studentenhistorischer Schlüsselmoment: Besuch im einzigartigen, fachkundig frisch konservierten Heidelberger Studentenkarzer

Freitag Abend war die L! Zaringia Gastgeberin der Studentenhistoriker. Die Teilnehmer erfuhren hier durch Dr. Ingo Runde und Gabriel Meyer vom Universitätsarchiv Heidelberg eine ganze Reihe von Details zu den historischen Schätzen des „Roten Ochsen“. Die beiden haben den Gesamtbestand digitalisiert und dabei auf den Rückseiten der entrahmten Bilder zuweilen erstaunliche Funde gemacht, was den Zuhörern auch visuell verdeutlicht wurde. Mag. Renate Reimann referierte über den Triglav – ausgesprochen „Triglau“ –, eine Verbindung südslawischer Studenten in Graz zu Zeiten des Habsburger-Reiches. Ein Heimspiel hatte der Zähringer Dr. Stefan Greiwe, der zur Literatur-Untergattung des zu wilhelminischer Zeit populären Studentenromans sprach. Er konzentrierte sich auf Beispiele, die in Heidelberg spielen.

Deutlich über 100 Tagungsteilnehmer: Große Kneipe auf dem Heidelberger Schwabenhaus

Am Samstagmorgen war es recht gut, dass beim Corps Suevia Kaffee gereicht wurde, einige hatten wohl etwas länger bei Zaringia ausgeharrt. Die Schwaben hatten es sich indessen nicht nehmen lassen, ein exquisites Kuchenbüfett schon zum Frühstück aufzustellen und mittags eine exzellente Kürbissuppe auf eigene Kosten servieren zu lassen. Herzlich war der Dank für großzügige, ganz selbstverständlich gepflegte Gastfreundschaft.

Inhaltlich war das erste Panel dieses zentralen Tagungsteils ausgesprochen vielfältig. Prof. Martin Dossmann referierte über die Kämpfe der Korporationen untereinander und den „akademischen Kulturkampf“ im akademischen Deutschland am Beispiel Bonns in der Zeit von 1819 bis 1911. Christian Brändli brachte den Zuhörern, die er mit immer wieder eingestreuten, lauten Mensurkommandos wirksam wachhielt, das Paukwesen der Schweizer Verbindungen nahe. Das Heimspiel dieses Tages hatte Dr. Dr. Klaus Jünemann-Neven, der den genius loci beschwor, als er von der Vorbereitung der Gründung des Zentralrats der Juden in Deutschland in der „Heidelberg Conference“ 1949 just auf dem Schwabenhaus berichtete. Das Schwabenhaus diente damals als Synagoge für jüdische GIs, aber auch für überlebende Menschen jüdischen Glaubens in Heidelberg – es wird in der Literatur ab jetzt als Gründungsort des Zentralrates der Juden in Deutschland zu gelten haben.

Den Auftakt zum zweiten Panel machte Dr. Gerhard Hartmann mit einem Vortrag über die katholischen Verbandsgründungen in Österreich nach 1933 in Folge der Maßnahmen der Nationalsozialisten gegen die Korporationsverbände, die schließlich in deren Selbst-Gleichschaltung endete. Prof. Dr. Reinhold Reimann, einer der bekanntesten lebenden Sängerschafter, übernahm und sprach über das Café Mullé in Graz. Er brachte den singenden Inhaber und weitere Geschichten rund um dieses Studentencafé zu Gehör – Tondokumente eingeschlossen. Den Reigen schloss Dr. Christoph Frey, der seine Forschungsergebnisse über den als Karikaturisten und als Urburschenschafter bekannten Martin Disteli  aus Olten mit einem eleganten Vortrag vorstellte.

Der Tagungsleiter staunt, die übrigen Historiker nicht weniger: Hanfried persönlich tritt auf!

Die Festveranstaltung am Samstagabend fand auf dem Haus der B! Frankonia statt. Erster Programmpunkt war ein Vortrag über studentisches Liedgut zum Thema Heidelberg. Festredner des Abends war abermals Dr. Harald Pfeiffer. Der Scheffel-Liederkranz Heidelberg, verstärkt um die Sänger und Sängerinnen der Bäckerinnung, trug diese exakt passend vor, und die sangeskundigen Teilnehmer hielten sich natürlich nicht zurück. Dann ehrte Dr. Berger seinen Bundesbruder und Mitinitiator des Arbeitskreises, Fritz Ullmer ebenfalls mit einer großen Rede. Da aber Ullmer seinerzeit auf jeder Tagung durch gereimte „Bierzeitungen“ seine Mitstreiter zu erfreuen Pflegte, erfreuten nun zwei Franken als „Hanfried“, also in der Rolle des Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen-Weimar, des Universitätsgründers von Jena, und in der Rolle eines Jenenser Germanen die Teilnehmer auch einen szenischen Reimvortrag von höchster Qualität, bei dem es dann schließlich buchstäblich über Tische und Bänke ging.

War diese Darbietung bereits eine Überraschung für den Organisator Dr. Sigler, so überraschten Bernd Kunz und Dr. Berger stellvertretend für zwölf Schenker den Leiter des Arbeitskreises sodann mit einem großen Dankeschön in Form eines Stiches von Heidelberg zuzüglich Gutschein für eine passende Rahmung, für den vorher heimlich gesammelt worden war – ein verdientes Präsent für einen jahrelangen ruhelosen und erfolgreichen Einsatz für die studentenhistorische Sache. Der Abend klang dann später aus mit einer äußerst sangesvollen Fidulität unter kundiger Leitung der Bierorgel des „Kynos“, also Iwan Durrers, bei der sich sogar Mancher noch zum „Fürst von Thoren“ aufschwingen konnte. Nicht unerwähnt bleiben soll dabei, dass auch die Frankonia es sich nicht nehmen ließ, den gesamten Arbeitskreis zu mancherlei Speis und Trank einzuladen.

Am Sonntag wurde auf dem Haus von C! Thuringia getagt. Der angekündigte Vortragende, PhDr. Dr. Gregor Gatscher-Riedl, hatte leider krankheitsbedingt passen müssen, weshalb der Schweizer Zofinger Hans Wälty ein von ihm und Markus Ehinger, dem Sohn des langjährig bekannten und prominenten Studentenhistorikers Paul Ehinger, aus dessen Nachlass herausgegebenes Werk vorstellen konnte: „Die Schweizerischen Korporationen von 1941 – 1950“. Allgemein ist nun die Vorfreude auf die nächste Tagung, die voraussichtlich vom 17. bis 19. Oktober 2025 in Marburg stattfinden wird. Der Dank gilt allen, die diese so lehrreiche, bunte und anregende Tagung ermöglicht haben. Fiducit und Vivant sequentes!

Michael Hacker, B! Alemannia zu Bonn

Abschiedsgruß für die Studentenhistoriker: der hinter der Schloßruine aufgehende aufgehende Mond am Sonntag, abends nach der Tagung. Bilder: Sigler (5), Reisch, v. Lucius

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