Oktober 2019, ein herrlicher Herbsttag. Ich gehe durch Jena. Auf dem Weg zur Grünen Tanne denke ich an den Marsch der Studenten am 16. Juni 1990. Eine Volkspolizistin musste vorangehen und uns den Weg freimachen – zu dem uralten Gasthaus, zum Gründungsort der Urburschenschaft. So viel Geschichte beinhaltet dieser Ort, für jeden Farbenstudenten. Das erste Bier, der Begrüßungsabend. Dr. Kaupp für eine stattliche Schar durchs gastliche Haus. Seine Verbindung, die Arminia a. d. Burgkeller zu Jena, hat die Grüne Tanne 1994 übernommen. Parterre befindet sich eine offene Gastwirtschaft, darüber der Kneipsaal und darüber wiederum Studentenbuden und Paukboden.
Ein Gasthaus mit bedeutender Geschichte
Prof. Kaupp stellt uns das Haus mit seiner wechselvollen Geschichte im ersten Referat vor. Die Gastwirtschaft gehörte ursprünglich zum Camsdorfer Freigut, erhielt 1751 ihren Namen und wurde ab 1762 Sitz der Rosenschule von Prof. Darjes. Ab Mai 1818 hat Goethe mehrmals in der Tanne geschlafen und dort prominent Gäste empfangen. Die Grüne Tanne wurde von 1891 bis 1897 Rathaus und diente dann bis 1904 als Versammlungslokal der Gewerkschaften und SPD. Danach verliert das Gasthaus seine Bedeutung. Während der DDR-Zeit war sie Jugendherberge und später HO-Lager. Seit 1994 ist sie Sitz der B. Arminia auf dem Burgkeller, weil der Burgkeller in Jena 1945 zerstört und nicht wieder aufgebaut wurde.
Frau Dr. Helma Brunck berichtet im zweiten Referat über den Versailler Vertrag und seine Wirkungen auf die Burschenschaften. Das deutsche Volk war enttäuscht von dem Ergebnis des Krieges, den vielen Gefallenen und dem Verlust von Gebieten in Ost und West. Der unglückselige Vertrag wurde dem Volk übergestülpt und von der Regierung unter Protest unterschrieben. Da suchten die Burschenschaften Hoffnung bei der Weimarer Republik, um die alten Ziele des Wartburgfestes – eine ständelose demokratische Nationalversammlung – aufzubauen. Auf dem Burschentag 1918 in Berlin beschloss man eine konstruktive Mitarbeit. 1924 besann man sich auf die völkische Bewegung und auf dem Burschentag 1920 in Eisenach beschloss man keine Juden mehr aufzunehmen. Das löste eine heftige Diskussion aus. Viele Alte Herren waren strikt dagegen, einige traten aus.Mit dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) gab es viele Überschneidungen bis 1932. Dann merkte man, dass die Burschenschaften vereinnahmt werden sollten. Man grenzte sich gegen die NSDAP ab. Mit der Machtübernahme wurde überall das Führerprinzip eingeführt. Das bedeutete die Auflösung fast aller Burschenschaften.
Gastliche Thüringer
Am nächsten Morgen versammeln wir uns auf dem Haus des Corps Thuringia Jena, dessen Aktivenbetrieb während der DDR-Zeit nach Hamburg verlegt worden war. In dem sehr gemütlichen und von der Größe her gerade ausreichenden Kneipsaal stellte uns Sophia Krüger stellt uns mit vielen Bildern die Entwicklung des Liedes „Und in Jene lebt´s sich bene“ vor. Der Autor Ernst Heinrich Meier (1813-1866) hat die Urfassung mit der Melodie „In des Waldes finstern Gründen“ singen lassen. Später wurden Sätze laufend verändert und als Studentenlied mit „Preisend mit viel schönen Reden“ gesungen. Einige Studenten haben das Lied mit in ihre Studienstätten getragen, wie: „denn in Kiel lebt´s sich gut“ usw. Ein interessanter Diskurs in die Studentengeschichte.
PD Dr. Dr. Lönnecker sprach über die Rostocker Studentenvereinigungen von 1815 bis 1945. Die dortige Universität wurde mit päpstlicher Bulle 1419 gegründet, feiert also in diesem Jahr sein 600-jähriges Jubiläum. Anhand eines Schaubildes stellt Dr. Lönnecker die vielen verschiedenen Akademischen Vereinigungen vor. So gab es neben den studentischen Korporationen eine große Juristische Vereinigung, in der man anstelle heutiger Seminare Mitglied war, um mit dessen Hilfe das Examen zu bestehen. Einige Vereinigungen wandelten sich zu studentischen Korporationen, viele lehnten die Mensur ab. Der VVDSt. kam 1906 von Berlin und brachte das völkische Gedankengut mit. So gab es neben den Verbindungen viele andere Gemeinschaften 1935 wurden alle Vereinigungen aufgelöst. Erst 1990 kamen Korporationen wieder nach Rostock.
Gekrönte Häupter, mancherorts
Dr. Eike von Boetticher berichtet über: Friedrich Karl von Hessen – ein Freiburger Schwabe auf Finnlands Königsthron: Friedrich Karl wird am 1.5.1868 auf Gut Panker in Schleswig-Holstein geboren. Während des Studiums in Freiburg wird er Rhenane und lernt dort Max von Baden kennen. Er mustert beim Garderegiment an, lässt sich aber bald wieder beurlauben. Er heiratet Margarethe von Preußen und wird damit Schwager vom Kaiser Friedrich II.
Seit 1914 bemüht Finnland sich als eigener Staat aus der Herrschaft von Russland zu befreien. Hilfe kommt dazu aus Deutschland. Als im März 1918 beim Frieden von Brets-Litowsk Finnland ein eigener Staat wird, sucht man einen König und erinnert sich an die deutsche Hilfe. Die Suche wird zur Posse. Am 9.10.1918 wählt man Friedrich Karl zum König von Finnland. Er bittet um Bedenkzeit, etwas zu lange. Deutschland verliert den Krieg. Da kann er nur ablehnen und verzichtet 14.12.1918 auf den Thron.
Franz Egon Rode hat eine Dissertation über die Universitätsburschenschaften im Kaiserreich verfasst. Die Mitglieder der Burschenschaften kamen, so sein Ergebnis, hauptsächlich aus dem Bürgertum und die hatten meist finanzielle Probleme für Kneipen, Mensuren und Feste. Also gab es schon damals Probleme mit dem Nachwuchs. Allerdings ging es nicht um einen Mangel an Interessenten, denn derer fanden sich stets genug, sondern um die Finanzierung des Aktivenlebens. Denn nur wer Geld hat, kann Mitglied werden. Da kommen einige Mitglieder, die schon im Berufsleben stehen, auf die Idee einen Verein zur Unterstützung der studierenden Mitglieder zu gründen. 1880 wird in Jena der erste AH-Verein gegründet und kurz danach ein Hausbauverein. Damit beginnt das Lebensbundprinzip bei den Korporationen.
Peter Johannes Weber spricht über „Der Kaiser kommt!“ Er hat alle Kommerse gesammelt, wo der Kaiser Wilhelm II dabei war oder ihm zu Ehren ein Kommers geschlagen wurde. Über den Kaiserkommers 1906 in Bonn hat sogar eine englische Zeitung berichtet. In vielen Studienstätten war und ist es bis heute üblich am 18. Januar zu Ehren des Kaisers einen Kommers zu veranstalten. Eine interessante Aufstellung.
Das akademische Jena in seiner ganzen Pracht
Am Nachmittag führt uns Prof. Bauer, der langjährige Leiter der Universitätsbibliothek, durch das Universitätshauptgebäude. Er erklärt uns die Grundgedanken des Architekten Theodor Fischer mit den vielen eingebauten Kunstwerken. Der Höhepunkt ist natürlich der Gang in die Aula mit dem großen Bild: Der Freiheitskrieg von 1813 vom Künstler Ferdinand Hodler. Doch auch der nach wie vor im Hof stehende „Sandalenbinder“, den die Corps stifteten, beeindruckte – nicht zuletzt, weil hinter ihm Tafeln in die Wand eingelassen sind mit den Namen der Weltkriegsgefallenen.
Die festliche Abendveranstaltung findet auf der Sachsenburg des Corps Saxonia Jena mit einem köstlichen Buffet statt. Dr. Stefan Gerber spricht über den „akademischen Kulturkampf in Jena von 1903 bis 1909“. Die katholischen Studenten waren in Jena in der Minderheit, tendierten mehr zum Kaiserreich. Die Burschenschaften empfanden das als Verrat an ihren liberalen Zielen. So gab es immer wieder Auseinandersetzungen. Das ging so weit, dass von Der Universitätsleitung verschiedene Verbindungen verboten wurden. Im Archiv berichten viele Unterlagen darüber. 1983, also weit vor der Wende, wurde die Salana Jenensis zu Jena, jetzt Mitglied im CV, gegründet.
Am Sonntagmorgen sind wir eingeladen zum Sektempfang im Philisterium des Stadtmuseums mit Besichtigung des Museums. Hier sind Geschichte und Heute zu sehen. Der Höhepunkt ist natürlich die Fahne der Urburschenschaft. Auf der Wartburg hängt nur eine Kopie.
Ausklang auf der Rudelsburg
Zum Mittagessen sind wir zur nahegelegenen Rudelsburg gefahren. Dort begrüßt uns der Burgherr Thiemo von Creytz, ein Corpsstudent. Er zeigt uns stolz die Burg und lässt uns nach dem Mittagessen im Rittersaal die Tagung fortsetzen. Dort berichtet Marvin Gedigk über „Couleurdamen – ansehnliches Beiwerk oder gleichberechtigte Kommilitonen? Im Tübinger Stadtmuseum hat er mit dem Arbeitskreis Tübinger Verbindungen eine Ausstellung über „Tübinger Töchter“, Frauen an der Tübinger Universität im 20. Jahrhundert“ initiiert. 56 Prozent der Studierenden sind heut in Tübingen weiblich. Es gibt dort heute zwei Damenverbindungen.
Couleurdamen gibt es, seit die Verbindungen ein Haus hatten und die Alten Herren sich um das gesellschaftliche Leben auf dem Haus kümmern. Es sind Ehefrauen, Freundinnen und Damen, die sich am Leben der Verbindung beteiligen. Anfangs wurden die Damen nur nach Conventsbeschluss eingeladen, zum Teil von zu Hause abgeholt und gebracht. Sie sorgten für die häusliche Gemütlichkeit und waren bei der Ausbildung der Füchse, z.B. bei Tanzstunden, behilflich. Erst später gab es bei verschiedenen Bünden ein Weinband oder Zipfel. Bei etlichen Bünden hat sich das gesellschaftliche Niveau mit Couleurdamen deutlich verbessert.
Ein Dank geht an Uta Gerstein, die sich um organisatorische und finanzielle Dinge kümmert und natürlich an Dr. Sigler, der als Leiter immer wieder neue Referenten und Häuser für die Tagung findet. Die nächste Tagung gehört in den vierjährigen Turnus der internationalen Treffen der Studentenhistoriker, diesmal wird sie von den Österreichern ausgerichtet. Es ist die 9. europäische Studentenhistorikertagung, und wird vom 16. bis 18. Oktober 2020 in Wien stattfinden.
Claus-A. Revenstorff, Hamburg
Ein Kommentar zu “Jena 2019 – die 79. deutsche Studentenhistorikertagung”