Harald Seewann, der Grazer Studentenhistoriker, glänzt mit ungebrochener Produktivität. Diesmal geht es um „die Denkschriften des Senioren-Conventes der jüdisch-akademischen Verbindungen Wiens von 1919 und des Ringes der Alt-Herren-Verbände der zionistischen Verbindungen von 1930“.
Der Autor nennt seine neue Schrift einen „Beitrag zur Geschichte der verwehrten Gleichberechtigung jüdisch-nationaler Korporationen an österreichischen Hochschulen“. Damit trifft er den Kern des von ihm dokumentierten Sachverhaltes präzise. Schon der erste Satz des neuen, nur 61 Seiten starken, aber gleichwohl gewichtigen Werkes von Harald Seewann läßt an Klarheit nicht zu wünschen übrig: „Eine besondere, verschärfte Ausformung des seit jeher bestehenden Alltagsantisemitismus in der Habsburger-Monarchie war der Hochschulantisemitismus (…) “.
Seewann verweist auf das „Waidhofener Prinzip“, das deutschnationalen Verbindungen als Vehikel diente, um jüdischen Studenten schlichtweg die Ehre abzusprechen. Dies drückten sie dadurch aus, daß sie es den jüdischen Verbindungen untersagen ließen, auf dem Gelände der Universität ihre Farben zu zeigen. Diese durchaus rassistische Auslegung des eigentlich angestammten Exklusivrechtes für deutsche Verbindungen, ihre Farben an der Universität zu tragen, die sie so durchsetzten, wurde seitens jüdischer Verbindungen mit Aufnahmeverbot für Studenten beantwortet, die sich als „deutsch“ definierten. Der Effekt war eine schleichende, aber letztlich vollständige und nicht mehr zu reparierende Zersetzung der universitären Gesellschaft. In einem knappen Eingangskapitel beschreibt Harald Seewann diese Vorgänge.
Eine Denkschrift vom 31. März 1919 betreffend das Farbentragen der jüdischen Verbindungen an den Unterstaatssekretär für Unterricht macht den Anfang. Sie war von den sieben akademisch-jüdischen Verbindungen Wiens unterzeichnet – von A.V. Kadimah, J.A.V. Ivria, J.A.V. Unitas, A.V. Libanonia, J.A.V. Makkabaea, J.A.V. Zephira, J.A.V. Robur, und Seewann dokumentiert auch die Eingangbestätigungen im Ministerien und bei den beiden Wiener Universitäten. Die dazugehörigen Meldungen der Verbindungen – Seewann bringt Beispiele aus den Archiven der Kadimah und der Makkabaea – läßt zugleich den Rückschluß auf manches Kriegselend zu. Deutlich wird aus dieser knappen Auswahl, daß es bereits ab 1912 und bis 1930 ein ständiges Bemühen der jüdischen Korporationen gab, das aber erfolglos blieb.
Die Dokumentation zur akademischen Zwischenkriegszeit in Wien wird beschlossen von einer monumentalen Denkschrift des Alt-Herren-Ringes der zionistischen Verbindungen Wiens, die am 6. Februar 1930 vrgelegt wurde und nichts weniger als die die „völlige Gleichberechtigung als akademische Bürger“ für die jüdischen Studenten forderte. Dies zu einem Zeitpunkt, als im benachbarten Deutschland schon das Hakenkreuz drohend am akademischen Horizont aufstieg. Welch enormen Mut die jüdischen Korporierten – alt und jung – aufbrachten, dokumentiert wieder einmal niemand besser als Harald Seewann. Sein neues Werk liegt rechtzeitig zur Tagung der HfJS und des AKSt in Heidelberg vor, und es wird dort auch eine Rolle spielen. So ist dieses Werk eine kluge und wichtige Ergänzung zu den Forschungen Seewanns über die jüdischen Verbindungen, allen voran Kadimah Wien. Dem Werk sind viele Leser zu wünschen! sig
Harald Seewann, Die Denkschriften des Senioren-Conventes der jüdisch-akademischen Verbindungen Wiens von 1919 und des Ringes der Alt-Herren-Verbände der zionistischen Verbindungen von 1930. Ein Beitrag zur Geschichte der verwehrten Gleichberechtigung jüdisch-nationaler Korporationen an österreichischen Hochschulen, im Selbstverlag, Graz 2021, 61 Seiten, 14 Euro. Zu beziehen über den herausgeber: Harald Seewann, Resselgasse 26, A-8020 Graz, c.h.seewann@aon.at.