„Jüdisch-nationale Studentenverbindungen und Verbände“ – ein Standardwerk aus der Feder von Kurt Bertrams. Der WJK-Verlag hat es jetzt in einer zweiten, lohnenden Auflage herausgebracht. Inhaltlich erwartet den Leser zunächst ein geschichtlicher Überblick, dann folgt eine Darstellung der unterschiedlichen Verbände; eine vertiefende Darstellung einzelner Verbindungen shcließt den Band ab.
Inhaltlich geht dieses Buch gleich in medias res. Die Gründung der J.A.V. Kadimah, Ausgangspunkt des jüdischen Verbindungswesens und des Zionismus gleichermaßen, wird knapp und zutreffend geschildert, über Querverweise erschließt sich die Frühgeschichte der jüdischen Korporationen sehr logisch.
Den erste Zionistenkongreß in Basel, er fand Ende August 1897 im dortigen Stadrcasino statt, rückt Bertrams in seiner einleitenden Schilderung prominente Stelle. Studenten, aktiv bei Veritas Brünn, organisierten das gesamte Tagungsbüro. Herzl notiert in sein Tagebuch: „Fasse ich den Baseler Congress in einem Wort zusammen – das ich mich hüten werde öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.“ Bertrams urteilt: „Mit der Gründung der zionistischen Organisationen war die historische Mission der jüdisch-nationalen Korporationen erfüllt.“ Das wohl, aber nicht ihre studentische! Aber klar wird auch: Reiche jüdische Familien aus ganz Europa hatten Herzl reihenweise abgesagt, als er ihnen die Idee eines Judenstaates vortrug. Die Studenten waren es, die ihn unterstützten. Der Staat Israel kann, je länger man die Quellen durchsieht, als Studentenstaat verstanden werden. Bemerkenswert!
Schon in der Donaumonarchie waren übrigens Angriffe von Sozialisten auf jüdische Verbindungen bekannt, wie Bertrams auf Seite 52 bemerkt. Dies aber nicht, weil diese Linksextremen Judenfeinde waren, sondern weil sie Studentenverbindungen haßten. Korporierte, die heute von der Antifa angegriffen werden, sollten das im Hinterkopf haben; sie sind in guter Gesellschaft!
Im zweiten Teil geht es um die Zusammenschlüsse, die Verbände also. Knapp und klar schildert Bertrams die Position der jüdisch-nationalen Verbindungen vor dem Hintergrund der seit der Spätantike belegten Geschichte des Judentums auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. Dieses Mitwachsen durch die Jahrhundert macht sinnfällig, wieso eine deutschnationales Judentum in der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs als völlig normal und erwartbar gelten kann. „Jüdisch“ war für sie ein Konfession, gleichbedeutend mit evangelisch“ oder „katholisch“. Damit standen sie im Gegensatz zu den zionistischen Verbindungen, für die es eine jüdische Nation gab, eine Logik, nach der es über kurz oder lang auch eine jüdische Nation in Form eines Nationalstaates geben musste.
Der dritte Teil widmet sich einzelnen jüdischen Verbindungen aus unterschiedlichen Richtungen und in den verschiedensten Nationen von Polen über England bis Bulgarien, natürlich mit Schwerpunkten in der Donaumonarchie und im Wilhelminischen Kaiserreich. Deren Auflistung und Charakterisierung ist dabei höchst hilfreich – wenn nicht als Nachschlagewerk sogar unentbehrlich – für Studentenhistoriker. Ein Beispiel ist die Veristas Brünn, deren Aktive für Theodor Herzl den weltgeschichtlich so eminent bedeutenden Ersten Zionistencongress vom August 1897 organisierten. Veritas wurde von Mitgliedern der Unitas Wien gestiftet, unter deren späteren mitgliedern der bedeutende Schriftsteller und Zionist Arthur Koestler ebenso herausragt wie der noch vielen Zeitgenossen bekannte Fritz Roubicek, der Auschwitz überlebte. Und derlei Beispiele hat Kurt Bertrams im Dutzend zusammengetragen – eine Fundgrube ist dieses Buch!
Ein sehr nützlicher und kundig zusammengestellter Anhang schließt dieses in seinem Themengebiet schlichtweg unverzichtbare Werk ab. Die Machart ist dabei, wie beim WJK-Verlag erfreulicherweise üblich, ein fester einband, rund gebunden. Ein wenig mehr Augenmerk auf die Abbildungen wäre schön gewesen – einige der Bilder sind derart aussagestark, dass auch ein gesonderter Bildteil auf entsprechendem Papier schön gewesen wäre – die Leser solcher bände sind ohnehin Genießer und Kundige, bei denen kommt es auf zwei oder drei Euro im Einzelverkaufspreis – soviel kostet ein guter Bildteil mindestens – eher nicht an.
Insgesamt sei dieses Werk lebhaft zur Lektüre empfohlen! Wer über jüdische Verbindungen forscht, kommt um dieses Werk als Quelle nicht herum., die gesamteuropäische Herangehensweise an das Phänomen der jüdische Verbindungen zahlt sich vielfach aus. Lob und Anerkennung also für den WJK-Verlag und Kurt Bertrams!
Kurt U. Bertrams, Jüdisch-nationale Studentenverbindungen und Verbände, zweite Auflage Hilden 2021, 302 Seiten, gebunden, ISBN 3-944052-24-3, 32,90 Euro.