Ein wichtiges Buch für das Verständnis des jüdischen Korporationswesens ist gerade rechtzeitig für die Heidelberg-Tagung erschienen. Behandelt wird der Bund Jüdischer Akademiker, B.J.A. Wie Kurt U. Bertrams, der Verfasser des Buches, bereits in seiner Einführung mitteilt, handelt es sich hier um einen Verband, der „während seiner gesamten, sich über rd. 30 Jahre erstreckenden Existenz ein freiwillig gewähltes, unspektakuläres, ja unscheinbares Dasein führte“.
Orthodoxes jüdisches Leben prägte das Bundesleben der B.J.A.-Bünder. Weder durch den Kauf von stadtbildprägenden Villen noch durch politische Betätigungen irgendwelcher Art fielen sie auf. Die Mitgliedsverbindungen waren politisch völlig neutral. Sie unterschieden sich damit von den (deutsch)national-jüdischen Verbindungen des Kartell-Conventes ebenso wie von allen zionistischen, also auf ein zu schaffendes Land Israel hin ausgerichteten Verbindungen. Auch die Universitäten nahmen die B.J.A.-Bünder nicht zu Kenntnis, weil bei ihnen auf dem Convent auch Alten Herren das Stimmrecht eingeräumt wurde, die Statuten der Universität aber besagte, dass in einer regulären Verbindungen nur Studenten ein Stimmrecht haben dürften.
In einem ersten, knappen Kapitel definiert Bertrams die Grundsätze, nach denen die BJA-Bünde ausgerichtet waren. Das ist der Tatsache, dass alle „jüdischen Farbenwelten“, wie er sie nennt, untergegangen sind, gar nicht einfach – aber Bertrams ist Spezialist, er kennt die Materie im Detail. Eher kursorisch behandelt sodann ein kurzes Kapitel das Verbindungsleben. Hier hätte eine etwas breitere Schilderung dem Leser ein noch besseres Bild verschafft, auch wenn – oder gerade weil – recht wenig von dem zu lesen ist, was ansonsten an Geschichten und Schwänken von bierseligen Verbindungen zu lesen ist. Mit Erstaunen erfährt der Leser, das bei einem Spefuchs von einer Akzeption abgesehen wurde, weil er sich rasierte. Vielsagende Details von dieser Güte sind leider Mangelware.
Das Verhältnis des B.J.A. zu den anderen jüdischen Korporationsverbänden war angespannt und distanziert. Aus heutiger sicht überrascht das, weil natürlich in der Rückschau der große antisemitische Druck und letztendlich die Vernichtung aller jüdischen Verbindungen im Vordergrund steht – aber es war offenkundig im jüdischen Korporationswesen nicht anders als in allen übrigen, miteinender konkurrierenden Dachverbänden auch: Streit war an der Tagesordnung, und er wurde mit Hingabe gepflegt. Im übrigen entfernten sich die B.J.A.-Bünder im Lauf der Jahre – verstärkt nach dem Ersten Weltkrieg – von den andernorts gepflegten Sitten der korporierten Studenten.
Erschütternd ist die kurze Darstellung der ersten Jahre unter dem Nationalsozialismus. Im B.J.A. war es allgemeine Überzeugung, dass der Bolschewismus der Feind der Menschheit sei und dass das Wiedererstarken Deutschland zu begrüßen sei. Frappierend der Satz des mit mehreren Mitgliedern des B.J.A. verwandten Ansbacher Rabbiner Elie Munk: „Ohne den Antisemitismus würde der Nationalsozialismus in den gesetzestreuen Juden seine treuesten Anhänger finden.“ Und das zu einer Zeit, als Hitler schon die Vernichtung des europäischen Judentums – und nicht etwa nur der jüdischen Korporationen – plante. Als bereits jüdische Mitbürger in deutschen Konzentrationslagern starben.
Alphabetisch nach Hochschulstadt werden sodann die B.J.A.-Bünder aufgelistet, ein kompakter Überblick über Gründungsdatum, Wahlspruch und weitere Spezifikationen. Die folgende Liste der befreundeten Verbindungen und Vereine weist den B.J.A. als international vernetzt aus – und sogar einen Bund Jüdischer Akademikerinnen kann Betrams präsentieren! Insgesamt erfährt der Leser auf rund 30 Seiten – und das ist schon fast die Hälfte dieses kompakten, aber dennoch ganz „erwachen“ gestalteten, fes eingebundenen Buches – viel Wissenswertes an Zahlen und Fakten, aber recht wenig über das tägliche Leben in den B.J.A.-Bündern.
Die zweite Hälfte des Buches wird eingenommen von einer Liedersammlung, die höchst interessant und aufschlussreich sind – Hebräischkenntnisse sind von Vorteil. Es folgt ein vergleichsweise üppiger Anhang mit Dokumenten, in dem eine Darstellung zur Geschichte des B.J.A. aus der Feder von Isaac Breuer, geschrieben 1910, als Ergänzung der zuvor eher knappen Ausführungen zur Geschichte positiv auffällt. Sehr erhellend auch Jacob Levy mit „Wege der V.J.A.-Erziehung“, geschrieben 1919. Und höchst wichtig der Hinweis auf das Fortleben, das der B.J.A. in Palästina ab 1935 nahm. Dieser Anhang rundet also das Bild, und insgesamt ist diese Darstellung eines kleinen, weithin vergessenen Korporationsverbandes hilfreich, weiterführend und auch vom Umfang her durchaus genügend. Der Dank geht an Kurt Bertrams – abermals ist eine wichtige Lücke in den Kenntnissen über die Welt der jüdischen Verbindungen geschlossen worden.
Kurt u. Bertrams, Der Bund Jüdischer Akademiker und seine Vereinigungen, Hilden 2021, geb., 77 Seiten, ISBN 3-947388-77-6, 14,90 Euro.