Um die Bedeutung dieses Buches zu ermessen, genügt das Wissen, daß unter Studentenverbindungen die religiöse und weltanschauliche Toleranz nur hier, im Burschenbunds-Convent, allzeit gewahrt wurde. Dieses Buch erklärt, warum das so war. Es gibt zudem tiefe Einblicke in die Geschichte eines jüngst untergegangenen Verbandes, der immerhin das Verbot durch die Nazis um 91 Jahre überlebt hat. Eminent wichtig und druckfrisch, dieses Buch. Wir empfehlen es, schon hier sei’s gesagt, wirklich sehr!
Dieser Band behandelt vom Sujet her eine Epoche, die durch Gewalt von außen ihr Ende fand. Doch auf gleich mehrfache Weise versteht es Gerd Mohnfeld als Herausgeber, die reiche Wurzel, aus der der Burschenbunds-Convent sich speiste, auch für in die Zukunft weisende Früchte zu nutzen. Die Ausführungen der beiden kongenialen und bestens ausgewiesenen Autoren können allen Korporationen und allen Verbänden landauf, landab nutzen, wenn es darum geht, mit mancherlei Bedrohung von außen und von innen umzugehen. Das angefügte Essay, das der Herausgeber als Verfasser selbst beisteuerte, führt dann insofern in die Zukunft, als für die zitierten Quellen ein QR-Code in diesem Buch abgedruckt ist, über den diese eingesehen werden können.
Teil 1: Vom Ursprung des liberalen Korporationswesens
Gregor Gatscher-Riedl hat den ersten von zwei großen Abschnitten des Bandes übernommen. Er untersucht zunächst das Identifikationsangebot, das die deutsche Kultur auch in Osteuropa bot, also weit über den heutigen deutschen Sprachraum hinaus – und ohne nationalistische Ansprüche. Ein faszinierendes Pantoptikum blättert er auf, verschwiegt dabei nicht den bereits im 19. Jahrhundert durchaus virulenten Antisemitismus.
Sein Kapitel über Prag versieht er mit dem schönen und ganz passenden Titel: „Romantik und Nationalkampf“. Der Reihe nach kommen dann die liberalen, also jüdisch-paritätischen Burschenschaften an die Reihe – die Bildquellen, mit denen der Autor aufwartet, sind dabei beeindruckend. Und es soll höchstvorsorglich nicht versäumt werden, her nochmals zu erwähnen, daß der in Österreich-Ungarn genutzt Begriff „Burschenschaft“ weder ideengeschichtlich noch politisch – das vor allem! – etwas mit den heutzutage in Österreich und Deutschland in der „Deutschen Burschenschaft“ vereinigten Verbindungen zu tun hat. Äußere Kennzeichen wie Band und Mütze, also Utensilien des Brauchtums, stellen die einzige Übereinstimmung dar. Mitglied einer solchen Burschenschaft war Egon Erwin Kisch, zum sozialen Umfeld dieser in tschechisch-nationalem Umfeld um ihr Deutschtum ringenden, akademischen Welt gehörte Franz Kafka.

Für die paritätischen Wiener Burschenschaften und Corps steht bei Gatscher-Riedl – und angesichts der damaligen Ereignisse ist dies auch völlig richtig – der Antisemitismus deutlicher im Vordergrund. War es in Prag ein teils nationales und deswegen feindliches Umfeld, stand in Wien die Religion im Fokus. Es war Judenfeindschaft, die sich mehr und mehr rassistisch auswuchs, die die paritätischen Verbindungen unter existentiellen Druck setzte. Sehr sorgfältig, gleichermaßen kundig für alle einzelnen Verbindungen und immer wieder mit schönen Überraschungen bei den zahlreichen Bildquellen präsentiert Gatscher-Riedl, wie sich die paritätischen Verbindungen, deren so vorbildhaftes Markenzeichen es war, sich gegen den Judenhaß zu stellen – ja, hier völlig immun zu sein –, an den Universitäten behaupteten.
Ein gesondertes Kapitel erhalten die beiden Corps des Wiener Seniorenconventes – keinesfalls zu verwechseln mit dem Senioren-Convent, der sich nur ein wenig anders schreibt und in dem sich die Kösener Corps in Wien, so wie anderswo auch, zusammengeschlossen haben. Höchst interessant und originell, was der Autor zu berichten weiß! Wobei hier angelegentlich nochmals betont sei, daß im Bereich der paritätischen Verbindungen die Begriffe „Corps“ und „Burschenschaft“ komplett abweichend besetzt sind, was die Usancen, Traditionen und Inhalte angeht. Lediglich die essentiellen Attribute, die das gesamte Korporationswesen auszeichnen, darunter zuvörderst Couleur und Kneipkultur, einen die Bundesbrüder paritätischer Verbindungen mit allen anderen Korporierten. Das ist auch für Beobachter, die keineswegs korporiert sind, höchst wichtig, weil sonst schlichtweg kein Verstehen möglich ist.
Teil 2: Von Alsatia zu Alsatia-Thuringia
Thematisch dicht, immer lückenlos belegt und dabei stilistisch sehr schön, sehr gut lesbar schreibt Professor Matthias Stickler, dafür ist er bekannt. Und so entfaltet er im zweiten Teil dieser großen Monographie das Panoptikum der jüdischen Verbindungen. Natürlich ist das Themenfeld abgesteckt und aus seinen Aufsätzen im Jahrbuch „Einst und Jetzt“ in Umrissen bekannt, aber dieser Überblick ist exzellent gelungen, wobei Stickler mit knappen Schilderungen fast alles Wesentliche sagt. Lediglich die Frage, welche Rolle die pure Freude an der studentischen Gesellung für die Gründung jüdischer Verbindungen gespielt haben könnte, bleibt undiskutiert.
Besonders interessant wird es bei Stickler, wenn er sich den paritätischen Verbindungen des Burschenbunds-Convents ab 1919 zuwendet. Eine Geschichte dieses Verbandes, der sich recht schnell zusammenfand und der mit der unbedingten Toleranz in religiöser Hinsicht ein faszinierendes Alleinstellungmerkmal hatte, immerhin! Ein Verband, dem aber auch durch den aufkommenden Nationalsozialismus die dauerhafte Breitenwirkung versagt blieb und dem dort auch fast seine Existenz genommen worden wäre – die gab es bis dato nicht.
War die Geschichte des B.C. schon ein Desiderat, so gilt dies für das Kapitel, das die Jahre nach der Shoa behandelt, umso mehr. Stickler titelt hier mit „Das Nachleben des B.C. nach 1945“ – das stimmt für die große Mehrzahl der Hochschulorte, aber beim Blick nach München und Marburg trifft es nicht ganz. Denn hier konnten ja insgesamt drei paritätische Verbindungen rekonstituieren. Besser wäre es gewesen, hier von einem „hoffnungsvollen Versuch“ zu sprechen. Denn das war es ganz bestimmt, was die drei Verbindungen auf die Beine stellten. Es blieb bei einem Versuch – das ist heute klar. Insofern ist der Begriff „Nachleben“ ex post dann doch verstehbar.
Eine bitter aufscheinende Lücke
Bleiben wir noch für einen Moment bei der Alsatia-Thuringia. Das war eine fabelhafte Verbindung, das wird aus diesem Band ebenso klar wie aus der Persönlichkeit seines spiritus rector, Mohnfeld, die an vielen Ecken durchscheint, wodurch er sich dem Leser mittelbar natürlich gewissermaßen mitteilt. Dass diese Verbindung dabei für den gesamten Verband stand, daß also der Burschenbunds-Convent eine heute bitter aufscheinende Lücke darstellt, das wird ebenso klar. Mohnfeld selbst zieht für seine Alsatia-Thuringia jener Jahre, um die man ihn beneiden möchte, auf der Webseite des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung ein fast schon resignierendes Resümee: „Als letzter Vorsitzender des AHV Alsatia Thuringia im BC und letzter BC-Präsident bin ich von der alten Wehmut ergriffen, dass wir nach `68 nicht die Kraft hatten und unsere politischen Störenfriede in den eigenen Reihen loszuwerden. Wir deswegen mussten 1973 suspendieren und unser schönes Haus auf dem Schlossberg in Marburg aufgeben. Doch Wehmut ist nicht genug. Wir sollten laut und deutlich den gesellschaftlichen Wert des Korporationslebens in dieser unsortierten Gesellschaft gegen alle Pauschalurteile betonen und der historischen Wahrheit ebenso wie dem Anspruch auf angemessene Anerkennung und Teilhabe am Universitätsleben auf die Sprünge helfen.“ Genau an solchen Worten ist aber zu merken, wie wichtig diese genau Verbindung war.
Treten wir noch einmal einen Schritt zurück. Schauen wir uns an, was wirklich war. Nach der Verfolgung des Nationalsozialismus geschieht im Verbindungswesen Mitteleuropas noch einmal das, was keiner für möglich halten konnte: jüdisch-paritätische Verbindungen haben wieder Aktive, haben sich wieder aufgetan! Doch weder die Universitäten noch die umgebende Gesellschaft haben diesen Schatz bemerkt. Was für eine fatale Bilanz. Aber umso wichtiger, daß es dieses Buch gibt! Die Studentengeschichte ist ohne die jüdischen Verbindungen unkomplett – ja, amputiert.
Fazit: Dieses Buch bewahrt, was allen Korporierten heutzutage fehlt. Dieses Buch ist ein Standardwerk, der Titel „Beiträge zur Geschichte des Burschenbunds-Convents“ scheint zu klein gewählt. Dieses Buch gehört in die Hände aller, die Füchse ausbilden, die Archive ordnen, die die korporierte Welt verstehen wollen.
Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam Guestphaliae Halle
Altherrenverband Alsatia-Leipzig-Thuringia-Münc (Hrsg.), [d.i. Mohnfeld, Gerd]. Beiträge zur Geschichte des Burschenbunds-Convents B. C., Leipzig 2025, 386 S., geb, 190 Abb., ISBN: 978-3-95565-717-8, 32 Euro.

