Als die Republik die Studenten verlor

Freikorps – der Geruch von Radikalismus umweht diesen Begriff. Dabei ist diese Pauschalzuweisung keineswegs haltbar. Die von der SPD geführte Reichsregierung und ein gleichfalls von der SPD gestellter Reichspräsident haben sie gerufen, ihren Dienst begleitet und ihn unterstützt. Bernhard Schroeter hat nun den Einsatz der Studenten im Freikorpseinsatz in dem eng umgrenten Zeitraum von der Novemberrevolution bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages untersucht.

Es ist ein wenig anders, als heutzutage so mancher denkt. Die Freikorps, dabei nicht zuletzt auch Studenten als Zeitfreiwillige, waren in ihrer frühen Phase Verteidiger der Demokratie und retteten Menschenleben. Sie schützten Wahlen und verfassunggebende Nationalversammlung für das Reich und die Länder. Ganze Aktivengenerationen taten sich zusammen, wurden zu Einheiten zusammengefasst und mit der Reichsbahn dorthin gebracht, wo Sozialisten oder Kommunisten zu Plünderung, Mord und Umsturz ansetzten. Unser obiges Bild illustriert eine Art Allegorie auf die Freikorps. Zwar ist ein Originalschauplatz in München-Haushausen zu sehen, an dem im Kampf gegen die bayerischen Kommunisten tatsächlich ein Schüsse fielen – allein, es dürfte sich um eine nachgestellte Szene handeln.

Ein Angehöriger der Tübinger Verbindung „Igel“ im Freikorps-Einsatz

Die Freikorps waren keine Revoluzzer-Kommandos – ganz im Gegenteil: Ihr Einsatz war wichtig für die Unterstützung der jungen, höchst fragilen Demokratie. Das Freiwillige Landesjägerkorps schützte zum Beispiel die Sitzungen der Nationalversammlung in Weimar. Natürlich gab es auch Ereignisse rund um die Freikorps, die bis heute höchst umstritten sind, und das mit gutem Grund. Schroeter verschweigt dies nicht, aber er bleibt objektiv. Das unterscheidet ihn von den zuweilen sektiererischen Anklägern der Freikorps. Seine Ausarbeitungen sind wissenschaftlich fundiert. Sie sind nicht politisch geleitet, und damit sind sie stellenweise unbequem und widersprechen dem linksgrünen Zeitgeist. Geschichte kann indessen nur aus ihrem jeweiligen Kontext verstanden werden – oder sie wird nicht verstanden, wie Professor Moshe Zimmermann, Jerusalem, völlig zurecht feststellt. Und der Kontext, die Lebensrealtität der Freikorpskämpfer waren der Erste Weltkrieg, mancherlei frech-sozialistische Subordination und kommunistische Umstürze.

Dr. Bernhard Schroeter hat ein immenses Pensum zu bewältigen gehabt. Prof. Dr. Dr. Lönnecker als Doktorvater hat das Thema der Dissertation fortlaufend erweitert. Die Studentenschaften von insgesamt acht Universitätsstädten untersucht – Berlin, Tübingen, Erlangen, München, Leipzig, Halle, Jena und Heidelberg. Zum Untersuchungsfeld gehören auch fünf Technische Hochschulen – Charlottenburg, Stuttgart, Hohenheim, Braunschweig und München. Dies war mehr als die Hälfte der seinerzeit über zwanzig Universitäts- und Hochschulstädte und entsprach somit ebenfalls ungefähr der Hälfte der 85.000 bis 100.000 Studenten im damaligen Deutschen Reich. Die vorgelegte Arbeit bezieht sich damit auf all diejenigen Hochschulstädte, in denen schwere Kampfhandlungen unter studentischer Beteiligung stattgefunden haben.

Den Zeitraum der Untersuchung erstreckt sich der Novemberrevolution bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Zusätzlich habe sind die Städte Esslingen und Augsburg in meine Untersuchung einbezogen, weil in Esslingen einerseits das Stuttgarter Studentenbataillon Anfang April 1919 die Räteherrschaft in einem Überraschungsangriff ohne Blutvergießen beenden konnte und weil andererseits das revolutionäre Augsburg für die geplanten Kämpfe gegen die Münchener Räterepublik Ausgangspunkt der militärischen Operationen des württembergischen Truppenkontingents gewesen ist und deshalb unter Beteiligung auch der studentischen Tübinger und Stuttgarter Freikorpskämpfer eingenommen werden mußte. Der Räteherrschaft in Starnberg ist ein eigenes Kapitel gewidmet, weil hier die Tübinger und Stuttgarter sowie die Erlanger Freikorpskämpfer im Kampfeinsatz waren und Verluste erlitten hatten. Hinzu kommt dort die standrechtliche Erschießung von Revolutionären durch eine aktive Stuttgarter Sicherheitskompanie, die ihrerseits Auslöser für eine Geiselerschießung durch die Revolutionäre in München gewesen ist.

Zum Verständnis der vielfältigen Ereignisse in der Nachkriegszeit bis zum Versailler Vertrag war es erforderlich, die Strukturen der politisch und militärisch handelnden Kräfte und deren Absichten differenziert aufzuzeigen, um daraus die Notwendigkeit militärischer Einsätze abzuleiten. Diese Strukturen waren anfangs noch nicht stabil und veränderten sich fortlaufend. Andererseits mußte das Unvermögen der Resttruppen des alten Heeres und der Polizeikräfte herausgearbeitet werden, um „Ruhe und Ordnung“ zu gewährleisten. Außerdem sollte daraus die Begründung für die vielfältigen studentischen Freikorpseinsätze abgeleitet werden.

So sieht Bürgerkrieg aus: Bürger verteidigen die Residenz gegen bewaffnete Aufständische der Räte-Republik, München, 1919.

Sehr pointiert arbeitet Schroeter heraus, daß sich das Deutsche Reich im Anschluß an die Kapitulation von Compiègne am 11. November 1918 im fünfjährigen „Deutschen Bürgerkrieg“ befand, der bereits mit der Novemberrevolution am 9. November 1918 begann und bis zum Hamburger Oktoberaufstand und dem Hitler-Ludendorff-Putschversuch am 9. November 1923 dauern sollte. So gut, wie das sonst kaum einem seiner Historikerkollegen gelingt, hat er berücksichtigt, daß die Kampfhandlungen von Linksextremisten, zu denen damals auch ein gewisser Adolf Hitler zu zählen war, immer wieder und zu unterschiedlichsten Zeiten an wechselnden Orten aufflammten, daß sie keinen eindeutigen oder vorhersagbaren Frontverlauf hatten. Das führte zu instabilen innenpolitischen Verhältnissen im gesamten Deutschen Reich.

Wirklich von den Umsturz-Verhältnissen der Jahre 1918 bis 1923 erholen sollte sich die junge Demokratie nie. Denn es kam ab deren Beginn immer wieder zu Streiks oder sogar Generalstreiks, die durch empfindliche Eingriffe in das öffentliche Leben massiven Schaden verursachten und Maßnahmen zum Erhalt der demokratischen Ordnung erforderten. Während des „Deutschen Bürgerkrieges“, also bis 1923, galt fast immer in größeren oder kleineren Regionen des Reiches der Belagerungszustand, weswegen dort das Militärstrafgesetzbuch einschlägig war. Es dürfte am enorm umfangreichcn Material liegen, dass Schroeter weitere bedeutende Freikorpseinsätze im Baltikum und in Oberschlesien unter studentischer Beteiligung nicht mit einbeziehen konnte – hier wäre ein Ansatzpunkt für zukünftige Doktoranden!

Schroeter selbst zitiert sodann den Historiker Jürgen Schwarz, der im Jahre 1971 schrieb, die Freikorpseinsätze der Studenten hätten ihren Ursprung in einem zeitgemäßen und gemäß ihrem sozialen Kontext „tiefverwurzeltem Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland“ gehabt. Sie seien nicht als Täter, sondern eher als fast schon naive Idealisten anzusehen: „Die Studentenschaft scheint sogar in dieser im Grunde vorurteilslosen und einfachen Treue zur Nation ausgenutzt worden zu sein, um dann später obendrein noch als reaktionär beschuldigt zu werden.“ Unter diesen Vorzeichen sollte Schroeters große und umfassende Studie von allen Interessierten genutzt werden – zum Abbau linker Vorurteile könnte die Lektüre jedenfalls helfen. Das wäre heilsam, denn diese Vorurteile wurden seit 1968 derart penetrant wiederholt, dass sie sogar Anhänger bis ins bürgerliche Lager hinein haben. Erschienen ist „Als die Republik die Studenten verlor“ als „book on demand“, es wird also nur auf Bestellung gedruckt. Das ist schade, denn dieses Werk hätte einen größeren verlegerischen Rahmen durchaus verdient.

Sebastian Sigler

Bernhard Schroeter, Als die Republik die Studenten verlor – Studenten im Freikorpseinsatz von der Novemberrevolution bis zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages, zugleich: Inaugural-Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. an der TU Chemnitz, Norderstedt 2025, 400 Seiten, Festeinband im Din-A-4-Format, ISBN 978-3-7693-5242-9, 59,99 Euro.

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