Die 80. deutsche Studentenhistorikertagung in Heidelberg war dem Gedenken an die jüdischen Korporierten und die jüdischen Korporationen gewidmet. Der orthodoxe Rabbiner Shaul Friberg sang am 14. März 2021 auf dem Heidelberger Schwabenhaus ein jüdisches Totengebet für die unter dem Nationalsozialismus verfolgten jüdischen Korporierten. Der Vortragsteil fand bereits am 13. März statt, weitestgehend im Zoom-Format. Gesendet wurde aus dem Haus des Corps Thuringia, das einst im Besitz der jüdischen Verbindung Bavaria Heidelberg gewesen war. Deutlich über 100 Teilnehmer verfolgten die Tagung, die meisten davon online, einige wenige auch – strikt coronakonform – vor Ort.
Die religiöse Gedenkzeremonie auf dem Haus des Corps Suevia zu Heidelberg war eine bedeutende, weil vorher kaum jemals so zelebrierte, sehr ernste und doch in die Zukunft weisende Feier des studentischen und akademischen Erinnerns an die Shoa. Ganz explizit wurden auch mehrere der Korporierten jüdischen Glaubens, die entrechtet und vertrieben wurden, mit ihren Namen genannt, stellvertretend für die Vielen, die in deutschen Konzentrationslagern starben. Tief beeindruckend war das gesungene Gebet El male rachamim, das Rabbiner Shaul Friberg, der als Hochschulrabbiner der HfJS fungiert, zelebrierte. Friberg sang darin die Namen der im KZ ermordeten Fritz Löhner-Beda, Ludwig Marum, Willy Aron, des Auschwitz-Überlebenden Fritz Roubicek sowie aller jüdischen Korporierten von Basel bis Czernowitz. Bereits in seinen Eingangsworten hatte Rabbiner Friberg tiefgründige und zugleich erfrischende Worte gefunden, in denen er sich auf die Zukunft des Miteinanders an den Hochschulen und auch in der Gesellschaft bezog, für das er steht. Einer besseren Zukunft war diese religiöse Feier damit mindestens ebensosehr gewidmet wie der unseligen Vergangenheit.
In seiner Gedenkrede stellte Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam klar, daß einerseits der Antisemitismus ab dem 19. Jahrhundert keine studentische Erfindung war und daß andererseits auch die jüdischen Studenten an einem sozialen Aufstieg interessiert waren. Dies aber, so Sigler, war wohl nicht der letztlich entscheidende Grund für das Entstehen jüdischer Korporationen. Vielmehr war es so, daß das studentische Brauchtum alle Studenten faszinierte, daß quer durch alle sozialen und religiösen Herkunftsschichten das Interesse an einer Verbindungsmitgliedschaft enorm war. Ganz selbstverständlich hätten sich daher auch jüdische Studenten dieses begehrte studentische Brauchtum angeeignet. Die Gründung jüdischer Verbindungen geschah damit aus mehreren Motiven heraus, zuerst aber aufgrund der Faszination des Korporationswesens an sich.
Einzigartig ist, was die jüdischen Verbindungen wenig später bewirkten. Der wohl wichtigste von ihnen ausgehende Anstoß war der des politischen Zionismus, der durch das Zusammentreffen Theodor Herzls mit der J.A.V. Kadimah im Frühjahr 1896 seinen Anfang nahm. Ohne diese Begegnung gäbe es heute aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Staat Israel, so Sigler in seiner Rede. Die Angehörigen der jüdischen Verbindungen hingen dabei – unbeschadet ihrer Erfolge als Zionisten – an ihren Bundesbrüdern, an ihrem Couleur und an ihren Bräuchen, ganz selbstverständlich und genauso stark wie alle anderen Korporierten.
Überlebende jüdische Korporierte aus Heidelberg und Wien kamen anschließend in Briefen und Erinnerungen zu Wort, die die beiden Studentenhistoriker Gerhart Berger und Harald Seewann von im Exil lebenden Mitgliedern jüdischer Verbindungen erhalten hatten. Die Briefzitate wurden verlesen von Petra Gärdtner Hercyniae Heidelberg, dem Heidelberger Schwabensenior Alexander Sieghardt sowie dem Leiter des AKSt, Sebastian Sigler. Hier zeigte sich deutlich, mit welcher Liebe die Korporierten jüdischen Glaubens noch im exil an ihren Bundesbrüdern, an ihren Farben, an ihrem Brauchtum hingen.
Der Ort für die Gedenkzeremonie der Studentenhistoriker war mit Bedacht gewählt worden. Die Große Kneipe des Schwabenhauses war von 1945 bis 1955 die erste Synagoge nach der Reichspogromnacht in Heidelberg. Sie wurde von der US-Army für die US-Soldaten jüdischen Glaubens, für die Überlebenden der Heidelberger Jüdischen Gemeinde und für viele damals in Heidelberg aufgenommene Displaced Persons eingerichtet. Der Altherrenvorsitzende der Heidelberger Schwaben, Haag I, erinnerte in seinen Worten, mit denen er den Rabbiner und die übrigen Teilnehmer herzlich begrüßte, auch an den 75. Jahrestag der Einweihung eines zur Synagoge gehörigen Gemeindezentrums der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg und des National Jewish Welfare Board der American Army. Dieses Gemeindezentrum war in den Hof des Schwabenhaus hineingebaut worden; der Tag der Einweihung dieses Synagogue Center war der 1. September 1946.
Die schlichte, aber bewegende Zeremonie in der Großen Kneipe des Schwabenhaus konnte nur einem sehr ausgewählten Personenkreis zugänglich gemacht werden. Sie wird demnächst als Dokumentation zu sehen sein; ein Kamerateam der Firma Save Pictures aus Saarbrücken konnte für einen ehrenamtlichen Einsatz gewonnen werden. Alle Anwesenden spürten deutlich: Diese religiöse Gedenkveranstaltung entwickelte eine Dynamik, die neue Perspektiven eröffnet, weckte große gegenseitige Sympathien und ließ Ideen für zukünftige Veranstaltungen wachsen. In seinem Schlußwort sagte Sigler: „Es wird Zeit, daß die Korporierten der heutigen Tage nach Jerusalem reisen und einen Kranz mit den Farben der Kadimah Wien am Grab Theodor Herzls auf dem Herzlberg niederlegen.“
Einige wichtige Passagen der Gedenkzeremonie sowie vor allem das bewegende Gebet des Rabbiners Shaul Friberg, aber auch seine ganz überraschend humorvollen Eingangsworte können Sie hier ansehen.
Sigler Masoviae Königsberg zu Potsdam, Leiter AKSt
Die Tagung war bedeutend und gelungen, das Gedenken am Sonntag würdig und berührend.
Ich bedanke mich für die Möglichkeit wenigstens online daran teilnehmen zu können und werde in den „acta studentica“ gerne und mit großer Anerkennung darüber berichten. Die Arbeit von Dr. Sigler, die Beiträge der Referenten, Sprecher und Leser sowie in besonderer Weise das Totengebet des Rabbiners Friberg, die gelungene technische Durchführung und der stilvolle Rahmen der Corpshäuser Thuringiae und Sueviae – beide mit jüdischer Vergangenheit, das eine als Verbindungshaus der Bavaria im KC, das andere als Synagoge in der Nachkriegszeit – ermöglichten trotz Corona ein großartiges studentisches und studentenhistorisches Ereignis, das mir auch persönlich sehr viel bedeutet. Nochmals danke an alle Beteiligten!